Russische Einflussnahme auf die serbische Antwortnote zum Ultimatum in der Julikrise

silesia

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Fakt ist, das Serbien nur aufgrund entsprechender russischer Zusicherungen diese Forderung abgelehnt hat.

Ich hatte schon dargestellt, dass das ("Fakt") nicht zutreffend ist.
Hierzu noch ein Nachsatz, da diese These zuletzt von Clark aufgestellt wurde.

Clark im Original:

"It was probably [1] the news from Russia that dispelled the mood of fatalism [3] in Belgrade and dissuaded the ministers from attempting to avoid war by acquiescing in the demands of the ultimatum. 35 Spalajković’s telegram of 24 July conveying Sazonov’s vague assurance of support arrived in Belgrade in two parts, the first at 4.17 a.m. and the second at 10 a.m. on 25 July [4]. The telegram hinting at Russian mobilization arrived at 11.30 a.m. on the same day [5], in good time to reach the Serbian ministers before they had drafted their reply [6] to the Austrian note.36

[Fußnote 35]:
On the impact of the telegrams from Russia, see Albertini, [7] Origins, vol. 2, pp. 354–6; and specifically on Sazonov’s rejection of points 5 and 6 of the ultimatum, see Magrini, Il dramma di Seraievo, p. 206; Stokes, ‘Serbian Documents’; cf. Mark Cornwall, ‘Serbia’, in Keith M. Wilson (ed.), Decisions for War 1914 (London, 1995), pp. 79–80. Cornwall, whose analysis of developments in Belgrade is unsurpassed [2], argues that the wording of the telegrams from St Petersburg was too vague to satisfy Pašić beyond any doubt that the Russians intended to come to Serbia’s aid. It is true that Sazonov was vague – as indeed he was bound to be – on the details of what Russia would do and when, but my own view is that the steady crescendo of indications in Spalajković’s cables must have sufficed to reassure the Serbian leadership that the Russians were on track to intervene. But it must be conceded that Serbian determination to resist was strong from the start [8], as is implied by Belgrade’s handling of the crisis from the outset.

[Fußnote 36]:
On telegram transit and arrival times, see the editors’ note on Spalajković to Pašić, St Petersburg, sent midnight 24 July 1914, DSP, vol. 7/2, doc. 527, and Stokes, ‘Serbian Documents’."




Die Reihenfolge der Kommentare habe ich zum besseren Verständnis abweichend von der Text- und Fußnotenfolge bei Clark gewählt.

[1] ob Clark mit "probably" hier wahrscheinlich, vermutlich oder mutmaßlich meint, und Unsicherheitsvorbehalt ausdrücken will, kann dahingestellt bleiben, weil der Rest gravierende Fehler aufweist.

[2] Korrekt, Cornwalls minutiöse Analyse in Keith Wilsons "Decisions for War" - Kapitel "Serbia" ist unübertroffen und Stand der Forschung. Das ist hier beachtenswert, weil Clark sodann
- Cornwalls Ergebnis begründungslos verwirft,
- Aussagen Cornwalls ausläßt und auf der Grundlage kontrafaktisch zu Cornwalls Ereignisablauf argumentiert.

[3] Das ist Unsinn. Cornwall hat nachgewiesen, dass insbesondere Punkt 5 und 6 von Beginn an (24.7.) nicht nachgegeben werden sollten, und dass die Haltung der serbischen Regierung nach Entgegennahme des Ultimatums sich nicht verhärtet, sondern im Gegenteil (!) sich vielmehr aufgeweicht hat. Cornwall: "As we have seen, the Serbian Cabinet ... had at first been very resistant to Austria's demands; then during their long session on the 24th they had ... softened a little, but were probably still resolved to resist the crucial points 5 and 6 of the ultimatum and were taken military precautions accordingly. It was highly unlikely, exect under extreme pressure, that they would concede these two points ... Only Russian pressure, added to that of other powers, might extract the utmost concessions."

[4] hier geht es um das berühmte "fehlende" und das zweite Telegramm. Clarks 10 Uhr, 25.7.1914, ist falsch. Selbst der von ihm zitierte Stokes [Fußnote 36], läßt offen, ob das Telegramm vor 16.00 Uhr am 25.7. die serbische Regierung, also eineinhalb Stunden vor Weggang zur Übergabe der Antwort erreichte, oder danach. Albertini verneint das. Stokes hält den Punkt (16.00 Uhr) außerdem für uninteressant: "in a broader sense it is not really crucial if Splajkovics telegram arrived bei 4 p.m. It is intirely possible that the serbs could have decided in those hectic hours to revise (basiert veraltet auf Albertini, siehe abweichend Cornwall) their answer to point six without any russian encouragement."

[5] Das ist Unsinn. Das Telegramm mit Ankündigung der russischen Krtiegsvorbereitungsphase erreicht Serbien am 26.7., einen Tag später. Außerdem sind dass die drei neuen Telegramme vom 26.7., die Clark hier durcheinander bringt. (Stokes, Fußnote 14, S. 83) Die Zeitangaben sind außerdem völlig unlogisch, wenn Clark das angebliche - quellenseitig nicht existente - 3. Telegramm meinen sollte: kurz vor 12 Uhr, 25.7. wurde die Kriegsvorbereitungsphase besprochen, erst am späten Nachmittag, fast zeitgleich mit der Übergabe der serbischen Antwort, unterzeichnet.

Clark vermixt hier die Telegramme vom 25.7. und 26.7.

[6] der erste "draft" stammt vom 24.7., nicht erst vom 25.7., und er wurde aufgeweicht, und nicht verhärtet. "in good time to reach before" ist Unsinn. Möglicherweise meint Clark hier nun wieder die nebulösen (Forschungsstand!) Berichte über russischen Beistand vom 24.7., dann geht aber die Verwirrung zu seinen Lasten. Dass er dies benutzt, um den serbischen Widerstand gegen Punkt 5 und 6 als russisch beeinflusst anzusehen, steht konträr zu dem von ihm zitierten Stokes und Cornwall. Dass er hier auf einen veralteten Stand von Albertini zurückgreift,* ist - bestenfalls - schlampig recherchiert oder - falls Absicht - tendenziös.

[7] veraltet. Warum wird nicht die gegenteilige neuere Darstellung von Stokes oder Cornwall zitiert?

[8] hier zitiert er Cornwall als "unsurpassed", und verwirft anschließend begründungslos - überraschernderweise! - sein Ergebnis, obendrein mit einer völlig unlogischen Argumentation:
a) "it must be conceded that Serbian determination to resist was strong from the start" - das ist richtig und heißt gerade übereinstimmend mit Stoke und Cornwall, dass es nicht die russischen Meldungen waren, die hier eine Wendung gebracht haben könnten.
b) "but my own view is that the steady crescendo of indications in Spalajković’s cables must have sufficed to reassure the Serbian leadership"

Worauf sein "own view" und "must have sufficed" basiert, weiß er wohl nur selber, jedenfalls nicht auf Stokes oder Cornwall. Danach bekommt man den Eindruck, dass er die beiden Autoren nicht gelesen oder nicht begriffen hat (angeblich hat er Cornwall laut Vorwort sogar interviewt).

Diese Darstellung ist daher fehlerlastig und auch unbegründet-spekulativ. Die Argumentationen der Literatur nach Stand der Forschung werden von ihm "ausgeblendet". In diesem wichtigen Punkt würden einem solche Schnitzer wie hier von Clark in jeder Seminararbeit um die Ohren gehauen werden.

Stokes: The Serbian Documents from 1914 - a preview, Journal of Modern History 1976, Supplement zu 3, S. 69-83.
Cornwall, Serbia, in: Keith Wilson (ed.) - decisions for War, 1995, S. 55 - 97

* was übrigens auch Mombauer passiert, allerdings mit der Vermutung, dass wohl keine Antwort außer völlige Unterwerfung ÖU vom Krieg abgehalten hätte.
 
* was übrigens auch Mombauer passiert, allerdings mit der Vermutung, dass wohl keine Antwort außer völlige Unterwerfung ÖU vom Krieg abgehalten hätte.

Dazu kurz die Erläuterung:

Mombauer übersieht die Konsequenzen aus den Recherchen von Stokes und Cornwall sowohl in ihrem kleinen Band (Die Julikrise: Europas Weg in den Ersten Weltkrieg) als auch in ihrer kommentierten umfangreichen Dokumentenband (The Origins of the First World War (Documents in Modern History), in dem sie sich auf die ältere Albertini-Version abstützt.

Otte (July Crisis) übersieht das nicht, S. 239. Ausgehend von der zunächst festeren Haltung der serbischen Regierung sieht er den Druck aus den Empfehlungen der Großmächte (und aus den - enttäuschenden! - serbischen Kontakten zu den übrigen Balkanstaaten) als Grund für die Aufweichung der serbischen Haltung bis zur endgültig übergebenen Antwortnote.

An McMeekin (The Russian Origins of the First World War sowie July 1914: Countdown to War) geht die ganze Problematik und der Forschungsstand überhaupt vorbei.
 
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