Wer hat uns verraten? Die Sozialdemokraten?

EL_Mercenario

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In der Biographie Friedrich Eberts von Peter-Christian Witt steht ein frapantes Zitat des badischen SPD-Reichstagsabgeordneten Ludwig Frank:

"Statt eines Generalstreiks führen wir hier für das preußische Wahlrecht einen Krieg."

Ludwig Frank hatte sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet und schrieb diesen Satz in einem Brief, kurz bevor er an der Front fällt. Was mich wundert, wie konnte es zu dieser Fehleinschätzung kommen? Das preußische gleiche Wahlrecht wurde eingeführt, weil Deutschland den 1. Weltkrieg verlor. Hätte Deutschland den 1. WK gewonnen, wäre es beim preußischen Klassenwahlrecht geblieben.
Ludwig Frank führte Krieg gegen das preußische gleiche Wahlrecht und nicht dafür.

Und damit war er offenbar nicht alleine. Ein weiteres Zitat aus dem Buch:

"Zwar gab es in der Soziademokratie durchaus auch Stimmen, die eine Verbindung von Kreditbewilligung und innenpolitischen Reformen als "Schacherpolitik" verurteilten. Aber unzweifelhaft haben die meisten Befürworter der Kreditbewilligung ebenso wie Ebert auf ein solches Geschäft auf Gegenseitigkeit spekuliert, eine Auffassung, die die Konservativen teilten und deren Konsequenzen sie fürchteten, weswegen sie die Zustimmungserklärung der sozialdemokratischen Fraktion im Reichstag mit eisigem Schweigen quittierten. Hierin kam zum Ausdruck, daß die sogenannte "Burgfriedenspolitik" von den politischen Gegnern der Sozialdemokratie nur so lange akzeptiert würde, wie der poltische und gesellschaftliche Status quo nicht verändert würde."

Die Tatsache der Kreditbewilligung durch die SPD ist nicht erstaunlich. Schließlich war die Kriegsursache im August 1914 für die SPD nicht eindeutig auszumachen. Es hätte sich auch um einen Verteidigungskrieg handeln können, eine Verweigerung der Kredite hätte den Krieg nicht verhindert.
Erstaunlich ist aber die "Schacherpolitik". Die SPD unterstützt einen Krieg in dem hunderttausende Arbeiter fallen für innenpolitische Zugeständnisse?
Ebenso Erstaunlich ist das eiserne Festhalten der SPD an der Unterstützung des Krieges. Warum ändert die SPD ihre Haltung nicht, als klar wird, dass die erhoffte "Bezahlung", die Demokratisierung, nicht zu erwarten ist? Warum nicht nach Brest-Litowsk, als klar wird, dass es eben kein Verteidigungskrieg ist, den Hindenburg und Ludendorff führen?

Wie erklärt sich die Unterstützung der SPD für einen Eroberungskrieg nach dem März 1918?
 
Ebenso Erstaunlich ist das eiserne Festhalten der SPD an der Unterstützung des Krieges. Warum ändert die SPD ihre Haltung nicht, als klar wird, dass die erhoffte "Bezahlung", die Demokratisierung, nicht zu erwarten ist? Warum nicht nach Brest-Litowsk, als klar wird, dass es eben kein Verteidigungskrieg ist, den Hindenburg und Ludendorff führen?

Wie erklärt sich die Unterstützung der SPD für einen Eroberungskrieg nach dem März 1918?

Tja wieso?
Ich unterstelle mal, dass die sich sehr im klaren darüber waren, wie ein Kriegsende aussehen würde.
Die Friedensinitiative des Reichstags wurde abgelehnt, den britisch/französischen Delegierten wurde die Ausreise zur "Stockholmer Friedenskonferenz" verweigert, die 14 Punkte Wilsons enthielten bereits die explizite Forderung für einen Zugang Polens zum Meer, wie soll dies im Frühjahr 1918 (Sieg im Osten!) dem Volk verkauft werden?
Überhaupt das Volk, auf beiden Seiten,
wie soll bei einem "Verständigungs-Frieden" die gewaltigen Kosten dem jeweiligen Steuerzahler verkauft werden? Der sie zu tragen hat!
 
Parteizugehörigkeit schützt auch vor einem gewissen Maß an Nationalismus nicht.

Es gab ja auch Mitglieder der SPD, die den Krieg nicht mehr mittragen wollten, deshalb spaltete sich ja die USPD von der (M)SPD ab.

Ich glaube, Frank hast Du missverstanden (oder ich Dich): Frank meinte wohl, man hätte lieber einen Generalstreik durchführen sollen, statt für die alte Ordnung (das Kaiserreich) und damit auch das alte preußische Wahlrecht den Kopf hinzuhalten.

Oder aber, er meinte tatsächlich eine neues Wahlrecht ... der Kaiser hat während des Krieges angedeutet (Osterbotschaft), dass er nach einem gewonnenen Krieg durchaus zu Reformen bereit wäre. Natürlich einen Hinhaltetaktik, aber manche mögen ihm geglaubt haben.
 
Die Tatsache der Kreditbewilligung durch die SPD ist nicht erstaunlich.

Das kommt wohl auf die Perspektive an; ein Zeitgenosse konnte da schon ins Staunen kommen, widersprach das doch (MwN) eklatant der Pogrammatik der SPD.

Erstaunlich ist aber die "Schacherpolitik". Die SPD unterstützt einen Krieg in dem hunderttausende Arbeiter fallen für innenpolitische Zugeständnisse?
Ebenso Erstaunlich ist das eiserne Festhalten der SPD an der Unterstützung des Krieges. Warum ändert die SPD ihre Haltung nicht, als klar wird, dass die erhoffte "Bezahlung", die Demokratisierung, nicht zu erwarten ist? Warum nicht nach Brest-Litowsk, als klar wird, dass es eben kein Verteidigungskrieg ist, den Hindenburg und Ludendorff führen?


Dass das Ganze mitnichten ein "Verteidigungkrieg" war hätte mE jeder schon sehr viel früher mitschneiden können, aber gut.

Im Krieg (abseits der Zustimmung zu den Kriegskrediten und damit zum Kriegsbeginn) finde ich das wenig überraschend; man macht aus einer Situation eben das beste für sich bzw die eigenen Interessen bzw das eigene Klientel.

Das lässt sich schön beim größten Verbündeten der SPD beobachten, den freien Gewerkschaften. Diese traten im Krieg zum ersten mal offiziell als Tarifpartner auf; natürlich, weil OHL und Unternehmerschaft hofften, so die Gewerkschaften zum Ordnungsfaktor zu machen und damit als revolutionäre Bedrohung auszuschalten, was bis ganz zum Schluss auch recht gut funktioniert hat; weshalb sich die revolutionären Obleute formierten, aber außerhalb der Gewerkschaften.


Ähnliches würde ich auch bei der SPD sehen: Nach 1914 saß man "Mit im Boot" (wie immer man da auch hingekommen ist); das Beste, was man aus der Situation machen konnte, hat man draus gemacht. Die Alternative wäre eine mehr oder minder revolutionäre Politik gewesen, die in der SPD keine Mehrheit mehr hatte, wie es ab November 1918 offensichtlich wurde.

Deutscher Metallarbeiter-Verband ? Wikipedia

Gegen Ende Oktober 1918 kam es zum ersten Mal zu Kollektivverhandlungen zwischen den Bergarbeiterorganisationen und den Arbeitgebern, damit waren die Gewerkschaften als Verhandlungspartner anerkannt.


QUelle: Deutsche Bergarbeitergewerkschaften ? Wikipedia

Sehr interessant, aber auch sehr umfangreich:

Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von 1794 bis 1918 / von Dieter Schuster. - Teil: Chronologie 1910
 
Oder aber, er meinte tatsächlich eine neues Wahlrecht ... der Kaiser hat während des Krieges angedeutet (Osterbotschaft), dass er nach einem gewonnenen Krieg durchaus zu Reformen bereit wäre. Natürlich einen Hinhaltetaktik, aber manche mögen ihm geglaubt haben.

So deute ich das auch. Der Krieg wird mitgetragen, und man erhoffte Gegenleistungen. Das Geschäft auf Gegenseitigkeit ist doch auch im 2. Zitat oben angesprochen.

Ich glaube nicht, dass die Anschauung des Weltkrieges als Verteidigungskrieg nach dem Frieden von Brest kippte oder dieser ihn als Agriffskrieg erscheinen ließ. Einen solchen Wandel der Einschätzung müßten doch sonst auch weitere Quellen hergeben. Im Westen stand man zudem den Offensiven der Westallierten gegenüber, Arras, Aisne und Champagne 1917. Zumindest spricht das für einen gefühlten Verteidigungskrieg, hinzu kamen gescheiterte Friedensfühler, scharfe Ablehnungen, Wilsons 14 Punkte und die katastrophalen wirtschaftlichen Zustände in Deutschland.

@repo hat schon darauf hingewiesen, dass eher die Wand im Rücken eine Rolle gespielt hat.


P.S. der Spruch kam von linken wie rechten Extremisten, zB
http://www.plakatkontor.de/images/malsovverraten12106.jpg
http://www.ns-spurensuche.de/index.php?id=4&topic=15&key=5
"Wer hat uns verraten - die Sozialdemokraten. Wer macht uns frei - Die Hitlerpartei"
 
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Schließlich war die Kriegsursache im August 1914 für die SPD nicht eindeutig auszumachen. Es hätte sich auch um einen Verteidigungskrieg handeln können, eine Verweigerung der Kredite hätte den Krieg nicht verhindert.
?


Das Thema ist überhaupt vielschichtig.

So war man in Kreisen der "Reichsleitung" wohl überzeugt, dass man den "Zaren" als Feind brauchte, da sonst die SPD nicht "mitginge".
Es gibt ja auch den Ausspruch August Bebels, wenige Jahre vor dem Krieg gemacht, "dass er sich freiwillig melden würde, ging es gegen den Zaren".

Zu beachten wäre auch, der franz. Sozialistenführer und bekannter Kriegsgegner wurde unmittelbar vor Kriegsausbruch in einem Pariser Café erschossen.

Da wollten schon sehr viele einen "fröhlichen" Krieg, Rache am Boche, den Franzosen züchtigen, dem Zaren die Menschenrechte beibringen...

Als dann der Krieg jahrelang ging, fürchterliche Zerstörungen, wer soll den Wiederaufbau zahlen, die Kriegsschulden bei Gläubigern weltweit begleichen?
Die brauchten einen Verlierer, ein Verständigungsfriede mit den gewaltigen finanziellen Folgen war den Wählern bei allen beteiligten Staaten nicht zu "verkaufen".
 
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@Repo

Es ging ja nicht darum die 14 Punkte Wilsons zum Kriegszielprogramm der SPD zu machen, sondern im wesentlichen die Ziele der Kommunisten (keine Annexionen und Kontributionen). Wenn die Westmächte das ablehnen und für den polnischen Korridor weiter Krieg führen wollen, dann hat die SPD jedenfalls ihr möglichstes versucht. Ebenso wenn die Heeresleitung sich querstellt und auf Eroberungen besteht.
Wie die gewaltigen Kosten dem Steuerzahler verkauft werden sollen, ist das Problem derjenigen die den Krieg angezettelt haben und nicht das Problem der SPD. Die SPD hatte ja da noch nicht vor, nach Friedensschluss die Regierung zu übernehmen. Also brauchte sie den Verständigungsfrieden nicht "den Wählern" sondern nur ihren Wählern zu verkaufen. Und die Arbeiterschaft war nicht so eroberungslustig und hatte nicht soviele Kriegsanleihen gekauft wie andere Leute.

@Papa Leo

Also wie es im Buch dargestellt war, meinte Frank, dass er an der Front für das preußische Wahlrecht kämpft. Er hatte sich ja freiwillig gemeldet und für die Kredite gestimmt.

@Reinecke

Die Alternative die ich sehe ist nicht eine revolutionäre Politik, sondern als Gegenleistung für die Zustimmung zu den Kriegskrediten zu verlangen, dass sich die Reichleitung auf einen Verteidigungsfrieden festlegt. Konkret, die Reichsleitung muss öffentlich auf Belgien verzichten und der Entente einen Status-Quo-Frieden anbieten, wenn sie weiter Wert auf die Mitarbeit der SPD legt. Andernfalsig muß sie die alleinige Verantwortung für die Folgen des Eroberungskrieges tragen.

@silesia
Naja, die SPD hat dem Frieden von Brest-Litowsk nicht zugestimmt sondern sich der Stimme enthalten. Immerhin hat die Reichleitung, also Ludendorff und Hindenburg, das russische Angebot eines Status-Quo-Friedens abgelehnt, um den Vertrag von Brest-Litowsk durchsetzen zu können.
 
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