Drogen in der Weimarer Republik

Marser

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Guten Abend,

Vielleicht eine seltsame Frage, aber welche Drogen wurden in Deutschland der zwanziger Jahre (also die goldenen Zwanziger) konsumiert. Ich denke da an Opiate (weiß nich ob das die korrekte Mehrzahl ist) und wenn ja gab es dann auch soetwas wie Opiumhöhlen?

Ich weiß schwierige Frage aber vielleicht weiß ja einer was.:yes:
 
Wird es sicher gegeben haben. Mir fällt grad nur ein Text von Walter Benjamin ein: Über Haschisch.
 
Aus Geo Special:Berlin
Berlin ist das Zentrum des wilhelminischen Reiches, das mit Kriegsende zusammenbricht. Autoritäten gelten nichts mehr, aber auch Ideale nicht; Verantwortung ist nichts, Genuss alles. Die Expressionisten sind die ersten, die Kokain, Morphium und Heroin nehmen und in ihren Kunstwerken darstellen.
Berlin gross, jung,anonym. Ende der zwanziger Jahre wohnen hier 3,8 Millionen Menschen, nur London und New York sind grösser. 1920 ist ein Drittel aller Berliner jünger als 30 Jahre. Viele Einwohner hat es aus alles Teilen Deutschlands, aus allen Teile der Welt hierher verschlagen - allein rund 200 000 Russen leben in der Stadt.
Die Adligen und alten Eliten, die Neureichen und Inflationsgewinnler, die künstlerische Avantgarde, die Halb- und Unterwelt - alle tanzen auf sehr dünnem Eis. Jeder, der in Berlin Geld oder Ehrgeiz hat, ist irgendwie ständig vom Abstrurz bedroht.
"Das Koksen' war... in manchen Berliner Kreisen am Rande der Künstlerwelt grosse Mode, man hielt das Laster für interessant oder geniehaft... Rauschgiftler sind Missionare ihrer Neigung, immer auf Seelenfang aus, ... man musste sich ihrer erwehren. Ich selbst habe mich, obwohl in meiner Umgebung zeitweise das Kokain eimer- und mehlsackweise verschnupft wurde, nie damit eingelassen. "Mir war das ekelhaft, schon wegen der entzündetten Nasenlöcher", berichtet Karl Zuckmayer.
Siegmund Freud nimmt Kokain und beschreibt ausführlich seinen "Selbstversuch"; so unterschiedliche Autoren wie Johannes R.Becher und Ernst Jünger sind der Droge nicht abgeneigt. Gottfried Benn dichtet: "Oh Nacht! Ich nahm schon Kokkain..." Keiner aber trieb es so toll wie die Nacktänzerin und Filmschauspielerin Anita Berber, der skandalumwittertste Star der zwanziger Jahre.
"Als Anita am Kurfürstendamm aus dem Auto stieg - Zobelpelz, Monokel im grell bemalten Gesicht unter rotem Haarschopf -, blieben Passanten stehen, Huren liefen herbei, bildeten beinahe erfürchtig eine Gasse, durch die Anita ins Lokal stürmte", berichtete ein Zeitgenosse. "AB", 1899 geboren, ist eine begabte Tänzerin, die es 1918 leid ist, als "Zephir" oder "Harlekin" über die Bühne zu schweben - sie tritt statt dessen im "Wintergarten" auf, im "Apollo" oder in der "Weissen Maus" an der Jägerstrasse.

Sie ist die erste, die mit Smoking und Monokel ausgeht. Anita Berber findet es lustig, ein äffchen spazierenzuführen. Sie trägt goldene Fussketten und lässt sich den Nabel rot schminken. Sie ist mit dem Maler Otto Dix befreundet, lernt Klaus Mann kennen. Der findet sie zunächst "faszinierend, aber abscheulich... Ihr Gesicht war eine düstere und böse Maske." Sie bringt es auf drei Ehemänner und Dutzende von männlichen und weiblichen Geliebten, nebenbei lässt sie sich manchmal von Freiern für 200 Reichsmark für eine Nacht kaufen. Und sie nimmt Kokain.

Anfang der zwanziger Jahre, in der "Weissen Maus": Es ist weit nach Mitternacht, der spiessg-wihelminisch eingerichtete Raum ist voll. Zigarrenqualm wabert durch die stickige Luft, auf und neben den kleinen runden Tischen stehen Sektkühler und Weinflaschen. Es riecht nach billigem Parfüm. 98 Plätze, ausverkauftes Haus: die Herren im dunklen Anzug, dickliche Vertreter, Spesenritter, Provinzler auf Berlin-Trip; die Frauen im Kleid, meist jung, viele Friedrichstrassen-Huren, die ihre Freier mitgeschleppt haben. Viele haben an der Garderobe weisse oder schwarze Gesichtsmasken gekauft, wie Gäste auf einem absurden venezianischen Karneval.

Wem Zigarren und Sekt nicht reichen, der hat sich schon uauf der Strasse Kokain besorgt, Vielleicht von einem Freudenmädchen, vielleicht auch von einem Händler im Kabarett oder einem diskreten Kellner. Geschnupft wird mit Röhrchen oder Löffelchen auf den Toiletten.
Es ist laut, die Männer singen und brüllen. Auf der winzigen Bühne der "Weissen Maus" winden sich ein paar Tänzerinnen- nackt. Die Gäste johlen, einer fragt laut nach dem Preis für die Nacht. Die Mädchen der Truppe sind zu haben, nur ihre Chefin nicht, nicht so zumindest, nicht auf Zuruf während des Tanzes.

Anita Berber nimmt ihr Programm ernst, will eine expressionistische Darstellung geben, nicht nur einen Strptease. Als wieder ein maskierter Spesenkavalier etwas Obszönes schreit, flippt die Tänzerin aus. Anita Berber springt splitternackt von der Bühne, greift sich die nächste Sektflasche und knallt sie dem Gast auf den Schädel. Stühle fliegen, Tische krachen zu Boden, Tumult.
"Ich weiss genau, was mit mir los ist", gesteht sieeinen befreundeten Journalisten , während sie sich, noch immer nackt, eine neue, geisterhaft bleiche Gesichtsmaske aufschminkt. "Ich bin verkommen. Ich schnupfe Kokain. Ich habe schon entzündete Nasenflügel davon."
Kokain gibt es fast überall: in illegalen Nachtclubs, den in Kellerwohnungen eingerichteten Spelunken, in denen im schummrigen Licht drittklassige Nackttänze aufgeführt werden. "Schlepper" - heute würde man sie "Kleindealer" nennen - patrouillieren auf den Strassen. Der in Berlin lebende russische Dichter Andrej Belyj feiert die Stadt so: "Nacht! Tauentzien! Kokain! Das ist Berlin!"
Das Publikum kann sich bei Würstchenbudenbesitzern versorgen, bei den Huren und Strichjungen der Friedrichstrasse, am Potsdamer Platz oder in der Eichhornstrasse. Andere Umschlagplätze sind grosse Kabaretts wie das "Femina" oder Lokale wie die "Goldelfe" an der Besselstrasse.
Die vielgestaltige Drogenszene kann nur existieren, weil es süchtige, geldgierige oder einfach nur gewissenlose ärzte und Apotheker gibt. Kokain kann in diesen Jahren in grösseren Mengen nur von wenigen Pharmafirmen hergestellt werden, von Merck etwa oder Hoechst und Bayer. Von dort gelangt es über Apotheken und ärzte auf den medizinischen Markt. Auch der mächtige Dealer braucht deshalb einen Arzt oder Apotheker, um an seinen Stoff zu kommen.

Offiziell bekommen nur wenige Kranke Kokain in Reinform vom Arzt verschrieben - und wenn, dann in geringen Mengen (0,05 Gramm). Jeder Apotheker ist verpflichtet, alle auf gefährliche Droge lauteten Rezepte in seinem "Kokainbuch" zu registrieren.
Bei einer Berliner Apotheke sind eingehende und bereitwillig bediente Kokain-Rezepte in "über 95 v.H. grobe Fälschungen..., die von einem Fachmann sofort als solche erkannt werden mussten", wie ein Referent im Innenministerium 1924 empört feststellt. Der Polizei fallen aber oft auch "echte", also von ärzten tatsächlich ausgestellte Rezepte auf. Da verschreibt ein Arzt 100 Gramm reines Kokain, ein anderer 300 Gramm (mehr als der Jahresbedarf einer mittleren Apotheke), ein dritter erhält binnen weniger Tage auf zwei Rezepte kolossale 1,5 Kilogramm Heroin.
Doch allenfalls halbherzig gehen die Behörden gegen die Kokainsucht vor, und das hat Gründe. Ein Regierungsrat des Preussischen Ministeriums für Volkswohlfahrt notiert 1928: "Die deutsche chemische Industrie verdient im Ausfuhrhandel viel Geld für Deutschland. Es muss daher volkwirtschaftlich die grösste Rücksicht auf die chemische Industrie genommen werden. Deutschland hat unzweifelhaft einen sehr hohen Export an Morphin, Kokain und Heroin, an dem recht viel verdient wird."
Um 1930, also schon vor Hitlers Machtantritt und der Nazi-Barbarei gegen Avantgarde und Exentriker, ist es jedoch mit dem "Kokainismus" vorbei.Der ausgezehrte Körper ist nicht mehr das Ideal, sondern der sportlich-durchtrainierte Körper, Naturerlebnis statt Nachtleben, Neue Sachlichkeit statt wildem Expressionismus und Dada. Und schliesslich geht den Leuten deas Geld aus. Kokain ist eine teure, eine "Champangnerdroge". Die Welwirtschaftskrise lässt die Zahl der kaufkräftigen Kunden zusammenschmelzen.

Anita Berber erlebt das schon nicht mehr. Im Sommer 1928 bricht sie auf der Bühne eines Nachtclubs in Bagdad zusammen. Diagnose: Galoppierende Lungenschwindsucht. Die Sterbende gelangt nach einer wochenlangen, qualvollen Reise wieder nach Berlin, wo sie am 10. November 1928 in einem Kreuzberger Krankenhaus stirbt, 29 Jahre alt. Vier Tage später ist die Beerdigung auf dem Friedhof der St.-Thomas-Gemeinde in Neukölln. am Sarg des berühmt-berüchtigten Stars stehen Filmregisseure und Fridrichstrassen-Huren, Maler und Strichjungen, Unternehmer, Transvestiten, Barmixer und Hermaphroditen aus dem Kabarett "Eldorado" und viele Gäste aus der "Weissen Maus". Es ist das grösste und letzte Defilee des schrillen, des exentrischen, des hemmungslosen, des Kokain schnupfenden Berlins der "Wilden Zwanziger".
 
Heroin war leider schon ins Gerede gekommen, Morphium konnte man sich in Deutschland noch legal vom Arzt verschreiben lassen bis 1970 das 1982 und 1998 verscärfte BtMG in Kraft trat. Es wurde allerdings 1929 mit dem Reichsopiumgesetz unter Rezeptpflicht gestellt. Kokain und Morphium waren die Lifestyledrogen. Kokain war übrigens, das ist heute ziemlich unbekannt, vor allem in der Sowjetunion sehr weit verbreitet, wo sich der Kokainismus vor allem unter Kindern und Jugendlichen verbreitete. Kokolores reden, nimmt heute noch Bezug auf den Kokskonsum in Berlin. Literaten wie Gottfried Benn, Maler wie Otto Dix pulverten sich mit Kokain auf wie Sherlock Holmes und Siegmund Freud. Morphium war die Droge der Literaten, der Schauspieler, der Frauen, der Ärzte und der Juden.

Cannabis war weniger verbreitet, war allerdings Bestandteil vieler Medikamente. Es ist ein sehr wirksames Analgetikum, wirkt appetitanregend, muskelentspannend und stimmungsaufhellend und hat, verglichen mit anderen Präparaten kaum Nebenwirkungen. Walther Benjamin machte Selbstversuche mit Haschisch und schrieb darüber Protokolle, seine literarische Beschreibung der Wirkung von Cannabis ist aber ganz furchtbar geschwollen und gelehrt und kommt nicht annährend an Baudelaire heran. Bei einer Opiumkonferenz schlug der italienische Vertreter vor, Cannabis ebenfallszu verbieten, da er annahm, dass das irgendwie identisch ist, etwa so wie Flughäfen und Bahnhöfe und Bayern insgesamt.

Das sollte für die Drogenpolitik noch fatale Folgen haben.
 
Guten Abend,

Vielleicht eine seltsame Frage, aber welche Drogen wurden in Deutschland der zwanziger Jahre (also die goldenen Zwanziger) konsumiert. Ich denke da an Opiate (weiß nich ob das die korrekte Mehrzahl ist) und wenn ja gab es dann auch soetwas wie Opiumhöhlen?

Ich weiß schwierige Frage aber vielleicht weiß ja einer was.:yes:

Die Zeit der Opiumhöhlen war bereits vorbei. Das lag allerdings nicht an der mangelnden Nachfrage, sondern einerseits an Gesetzen des Marktes. Für Opium wären Devisen aus Deutschland herausgeflossen, in Deutschland, nach deutschen Patenten veredeltes Morphin, Dilaudit, Eukodal und Heroin
kurbelte die heimische Pharmaindustrie an, die damit auch hohe Exportgewinne machte. Alle Pharmadrogen von Morphin über Kokain, Heroin, Eukodal (Oxycodon) Dilaudid bis zum Methadon sind alle in Deutschland entwickelt worden. Die deutsche Pharmaindustrie war führend in der Welt, und Pharmadrogen wie Heroin und Kokain wurden extrem aggressiv vermarktet. Diese Substanzen konnten in großen Mengen bis ohne Rezept in jeder Apotheke oder "Drugstore" gekauft werden.

Sehr beliebt war auch die Mischung von Heroin mit Kokain- Speedball nannten es die Amerikaner, einen "Cocktail" die Deutschen.
 
Also ehrlich Leute wirklich vielen Dank für die super Auskünfte, hätte nicht gedacht auf so fundiertes Wissen in einem doch zugegebener Maßen Alltagshistorisches Thema zu stoßen. Häufig findet man viel über Schlachten und Erfindungen aus jeder Epoche, aber zu unwichtigere Themen (wobei eine verkokste Weimarer Republik sicherlich schlimm war) aus dem Alltagsleben findet man nicht so leicht etwas.

Also wie gesagt vielen Dank für die Auskünfte.
 
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