Geheimdienstwesen und Verfassungsschutz der Weimarer Republik?

rrttdd

Mitglied
Hallo,
ich stelle mir gerade die Frage, inwieweit das Aufkommen der NSDAP beispielsweise durch nachrichtendienstliche Tätigkeiten hätte gebremst werden können.

So habe ich nach Geheimdiensten der Weimarer Republik (1919-33) gegoogelt, aber relativ wenig gefunden. Nach dem Wikipedia-Artikel, der sich mit der Trennung zwischen Nachrichtendienst und Polizei beschäftigt, wird kurz erwähnt, dass im Inneren das Innenministerium höchstpersönlich spionierte.

Das wäre natürlich wirklich sehr wenig, ein Ministerium ist doch viel offener als eine Geheimdienstbehörde...

Dann gab es den heimlich aufgebauten Marinenachrichtendienst (vgl. Lohmann-Affäre). Zielrichtung Militär... Aber sonst...?

Es entsteht bei mir der Eindruck, dass die Weimarer Republik vielleich auch deswegen gescheitert sein könnte, weil sie auf diesem Feld ziemlich wehrlos gegen ihre Feinde war.

Auch wenn noch viele Leute damals obrigkeitsstaatlichen Ideen anhingen, waren doch an entscheidenden Stellen im Reich und in den Ländern -zumindest dem Parteibuch nach- viele Demokraten an den Schalthebeln.

Und es ist bekannt, dass AH in den Wirren der Jahre 31-33 von vielen dieser Demokraten schlicht unterschätzt wurde.

Frage: Könnte diese Unterschätzung vielleicht auch mit einem amateurhaften bzw. kaum vorhandenen Inlandsgeheimdienst zusammenhängen, sodass die entscheidenden Mandatsträger mangels zuverlässiger Informationen ihn unterschätzen mussten?

Wenn es so wäre, wäre es sicher ein heftiger Fehler der damaligen Verwaltung: Die Demokratie von allen Seiten in Bedrängnis, aber kein gescheiter Inlandsgeheimdienst??? Niemand, der Kundgebungen von Nazis und Kommunisten von innen beobachtet und Dossiers an die Ministerpräsidenten schreibt?
Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum wir jetzt 17 Verfassungsschutze haben??
 
Das hatte mit dem Rechtsverständnis zu tun. Die WR basierte auf positivem Recht, also der Vorstellung, dass jeder, der eine Mehrheit hat, auch alle Gesetze ändern kann. Keine Idee wurde als schlecht oder illegal angesehen. So war Demokratiefeindlichkeit in der Weimarer Republik keine Straftat, die man beobachten musste. Darüber hinaus wurden Rechte Parteien wie Hitlers NSDAP als Verbündete gegen die Kommunisten gesehen und deshalb deutlich weniger verfolgt als die Kommunisten. Für die Weimarer Politiker galten die Kommunisten nun einmal als größere Gefahr, die man bekämpfen wollte. Da kam die NSDAP, die man 1933 ja auch mit konservativen Ministern einrahmen wollte, eigentlich grade richtig.

Was Hitler wollte, hat ihm niemand geglaubt, weil man Hitler wie einen gewöhnlichen Politiker betrachtete. Man hielt ihn maximal für einen Populisten, aber nur eine geringe Menge Politiker glaubte, dass er das was er versprach tatsächlich umsetzten würde. Das lag nicht einmal an schlechter Quellenlage, sondern an der unglaublichen Dimension der Versprechungen und der Plattheit der Propaganda.
 
@ rrttdd
Mit Verlaub, deine Vorstellung geht ziemlich an der Realität vorbei. Weder fehlte es an Informationen über die Ziele und Aktivitäten der Nazis, noch an der Bereitschaft der Demokraten ihnen entgegenzuwirken. Immerhin war die NSDAP eine Zeitlang verboten. Stellvertretend für viele andere Polizisten, die sich mit den Nazis auseinandersetzten, sei genannt:
Bernhard Weiß (Jurist) ? Wikipedia
Die Nazis kamen nicht an die Macht, weil nicht bekannt gewesen wäre, was sie wollten, sondern, weil sie Sympathisanten bis in höchste gesellschaftliche Kreise hatten - und sei es nur zu dem Zweck, dass man sie für die "Drecksarbeit" brauchen könnte.
 
Schau auch mal hier:

Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung ? Wikipedia

Der verlinkte Artikel badarf einer kritischen Sicht. Der RKO war weder indirekter Vorläufer der Gestapo noch des Verfassungsschutzes (sic!).

Die Quellenüberlieferung ist m.w. im Bundesarchiv hierzu recht gut.

Vergl.: Findbuch R 1507, "Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung. Nachrichtensammelstelle im Reichsministerium des Innern"

http://startext.net-build.de:8080/b...ndex.htm?kid=C0053CB30AE24CB78D4B9D26529661C4

Noch eine Anmerkung zum Thema, meine Mitdiskutanten sprachen es schon an. Geheimdienste können gesellschaftspolitische und somit historisch manifeste Entwicklungen nicht verhindern oder steuern, m.E. maximal registrieren und dokumentieren und so den politischen und militärischen Entscheidern einen "Informationsvorlauf" sichern.

M.
 
Das kann man nur unterstreichen.

Laut Grams mangelte es nun nicht an Obversationen, Personal, und entsprechenden Berichten zum NS.
 

Danke für den Link! Auf Amazon ist in der Online-Leseprobe das gesamte zusammenfassende Fazit zu finden.

Demnach gab es sehr wohl einen Verfassungsschutz, bzw. hatte die preußische Polizei einiges observiert, es gab dutzende verbotene Flugblätter.

Die Staatsschützer haben wohl getan was sie konnten, allerdings stand die Bevölkerung nicht wirklich hinter ihnen. Gegen das Propagandagetöse (von Hugenberg und einflussreichen Industriellen gesponsort...) kamen sie am Ende nicht mehr an.

Der Preußenschlag gab der Polizei dann den Rest. Und immer wieder von Papen...
 
Siehe auch Dams/Stolle zur Gestapo und ihrer Vorgeschichte der politischen Partei in der Weimarer Republik:

"Im März 1931 schrieb der Berliner Gauleiter der NSDAP, Joseph Goebbels, in sein Tagebuch: «Die Polizei ist ganz rigoros. Man kann kaum noch husten.»Goebbels war insbesondere von den Maßnahmen der preußischen politischen Polizei betroffen: «Der Angriff», die von ihm herausgegebene Zeitung, wurde zwischen November 1930 und Juli 1932 insgesamt 19 mal zeitweilig verboten. Die finanziellen Verluste waren beträchtlich und mehrere NS- Zeitungen mussten aufgrund solcher Verbote Konkurs anmelden. Goebbels selbst und über 80 weiteren prominenten NS-Rednern wurden in Preußen zeitlich befristete Redeverbote auferlegt. Auch nachrichtendienstlich wurde die Partei sehr genau beobachtet, ebenfalls zum Leidwesen von Goebbels, der häufiger über eine Spitzelplage klagte.
Die durch Beobachtung und Überwachung gewonnenen Erkenntnisse waren beeindruckend, ebenso die Schlussfolgerung, die bereits im Mai 1930 in einer Denkschrift formuliert wurde: «Es kommt ferner hinzu, daß die Beteiligung der Partei an der Regierung und damit ihr Einfluß auf die Besetzung der Regierungsämter die große Gefahr in sich birgt, daß dann sogar mit staatlicher Hilfe die Zersetzung des Staates und seiner Machtmittel betrieben und gefördert wird. Ist dies von den Nationalsozialisten erstrebte Nahziel aber erreicht, so ist nur noch ein kurzer Weg für die Durchsetzung ihres zweiten Zieles, der Eroberung der Macht im Staate mit Mitteln der Gewalt und Errichtung des ‹Dritten Reiches› in Form der nationalsozialistischen Diktatur mit ihren außen- wie innenpolitisch gleich schädlichen und verderblichen Auswirkungen.»
Diese Analyse zeigt deutlich, dass die Gefahren, die von der NSDAP ausgingen, von der preußischen politischen Polizei klar erkannt wurden. "
 
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