Ostpolitik Stresemanns

F

francis

Gast
hi.
ich hab da mal 2 fragen.

1. viele werden ja das buch "die weimarer republik" von kolb kennen.
ich würde gerne wissen wie er den erfolg des rapallo-vertrages bewertet.

2. würde ich gerne von euch wissen, ob der rapallo-vertrag als normalisierung zwischen ost und west bzw. zu west angesehen werden kann.

danke im vorraus,
francis
 
Du überschreibst deine Frage mit Ostpolitik Stresemanns. Stresemann wurde im August 1923 Reichskanzler und von Ende des Jahres war er bis zu seinem Tode1929 Reichsaußenminister.

Der Vertrag von Rapallo hingegen wurde im April 1922 zwischen dem Deutschen Reich und der UDSSR geschlossen.

Wenn man die große Aufregung, die der Vertrag in Frankreich und Großbritannien so wie in Deutschland verursachte, betrachtet, war der Inhalt des Vertrages nicht gerade sensationell. Es wurde vereinbart, lediglich die diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen, gegenseitig auf Ansprüche aus dem Ersten Weltkrieg zu verzichten und im Handel sollte der Grundsatz der Meistbegünstigung gelten, das bedeutete, man gewährte sich gegenseitig handelspolitische Vorteile. Und das war auch schon alles.

Schon vor Rapallo, nämlich bereits 1921, begann, die von der Regierung gedeckte, die heimliche Zusammenarbeit zwischen der Reichswehr und der Roten Armee.

Der Vertrag von Rapallo war ein Schritt zur Normalisierung der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und dem Deutschen Reich.
 
der titel war bewusst gewählt. ich dachte ich könnte somit von euch nähere infos zur ostpolitik von stresemann erhalten, weil der rapallo schließlich ein grundbaustein hierfür war.

und hat jemand von euch "die weimarer republik" von kolb gelesen? welche stellung nimmt kolb ein (in bezug auf den rapallo)?
 
Schon im Zuge der Verhandlungen zu Locarno wurde deurlich, das Stresmann zwischen den Grenzen im Westen und Osten ganz klar unterschied. Im Westen erklärte er sich mit dem Status Quo einverstanden, während er Osten nicht zu einer verbindlichen Vereinbarung a la Locarno bereit war.

Im Osten wollte Stresemann mit seiner Außenpolitik, auf friedlichen Wege, eine Revision der Grenze zu Polen erreichen. Als beispielsweise in Berlin bekannt wurd, das Frankreich auch Polen einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat des Völkerbundes, mit Billigung Großbritanniens, läuteten bei Stresemann ganz heftig die Alarmglocken. Für ihn war ein solcher Sitz für Polen unzumutbar und er mutmaßte Polen solle "künstlich zu einer Großmacht aufgeblasen werden. Diese Aufwertung würde Polen in seinen gefährlichen Ambitionen und militaristischen Tendenzen bestärken." (1)
Der wahre Grund aber war, das auf deutscher Seite befürchtet wurde, das ein ständiger Sitz Polen als großes Hindernis für die deutschen Wünsche nach Korrektur der Grenzen betrachtet wurde.(2)

Nach Locarno und dem Beitritt zum Völkerbund musste die Beziehung zur Sowjetunion auf einer neuen Grundlage gestellt werden, was mit dem Berliner Vertrag, ebenfalls 1926, auch geschah. Es war ein Freundschaftsvertrag und Ausdruck des Willens Deutschlands auch weitherhin mit der UDSSR zusammenzuarbeiten. Deutschland verpflichtete sich gegenüber der Sowjetunion, falls diese in eine kriegrische Auseinandersetzung verwicklet werden sollte, zur Neutralität. Begeistert war man weder in Frankreich noch in Großbritannien.

Ein anderes Beispiel. Als irgendwann 1925 das polnische Recht auf zollfreien Export, von Kohle aus Oberschlesien, nach Deutschland auslief, sah man eine Gelgenheit, mit Hilfe wirtschaftlichen Drucks auf Polen, eine Korrektur der Grenze zu erreichen, denn das es der polnischen Wirtschaft nicht glänzend ging, hat man in Berlin aufmerksam registriert. Es begann ein regelrechter Handelskrieg.(3)


(1) ADAP, Serie B, Bd.1.1, Dokument 83, Stresemann an die deutsche Gesandtschaft in Stockholm am 06.02.1926

(2) ADAP, Serie B, Bd.1.1, Dokument 90, Denkschrift Dirkens (höherer Beamter in der Ostabteilung des AA) vom 09.02.1926

(3)ADAP, Serie B, Bd.2.1, Dokument 2 hier zitiert nach Krüger, Die Außenpolitik von Weimar, S.290
 
Zuletzt bearbeitet:
und wie war die reaktion der westmächte auf den rapallo-vertrag? bzw. ebnete der rapallo eine besseres miteinander zwischen ost und west?
 
Kurz zu Rapallo: Diesen Vertrag brachte noch Walther Rathenau zustande, 10 Wochen vor seiner Ermordung, der sich schon 1920 für eine Annäherung auf wirtschaftlichem Gebiete an Rußland ausgesprochen hatte (vgl. Jacobsen [Hg.], Mißtrauische Nachbarn: Deutsche Ostpolitik 1919-1970 [1970], S. 11).

Schon im Zuge der Verhandlungen zu Locarno wurde deurlich, das Stresmann zwischen den Grenzen im Westen und Osten ganz klar unterschied. Im Westen erklärte er sich mit dem Status Quo einverstanden, während er Osten nicht zu einer verbindlichen Vereinbarung a la Locarno bereit war.
Völlig richtig! Gegenüber Polen blieb es bei einer mehr oder weniger offen revisionistischen Politik. Reichswehrchef Seeckt z. B. - Stichwort "militärische Zusammenarbeit" - forderte 1922 nichts Geringeres als die vierte polnische Teilung (aaO, S. 33 f.):
Polens Existenz ist unerträglich, unvereinbar mit den Lebensbedingungen Deutschlands. Es muß verschwinden und wird verschwinden durch eigene innere Schwäche und durch Rußland - mit unserer Hilfe. ... Rußland und Deutschland in den Grenzen von 1914 sollte die Grundlage einer Verständigung zwischen beiden sein.
(2) ADAP, Serie B, Bd.1.1, Dokument 90, Denkschrift Dirkens (höherer Beamter in der Ostabteilung des AA) vom 09.02.1926
Dirksen ist deswegen von besonderem Interesse, weil er sehr stark in die Polenpolitik eingebunden war und 1928 Botschafter in Moskau wurde (siehe auch die Biographie von Mund 2003). In den ADAP, Serie B, Bd. II/1, S. 69 ff. existiert seine "ganz geheime" Aufzeichnung vom 29.12.1925 für eine Unterredung von Stresemann mit dem britischen Botschafter d'Abernon, dem man auseinandersetzen solle, dass deutscherseits mindestens die Rückgabe Danzigs und des Korridors sowie Oberschlesiens gefordert werde, ggf. in Teilschritten (zunächst "Autonomie" Oberschlesiens usw.) (zit. nach Jacobsen, aaO, S. 41 f.)
 
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Großbritannien und Frankreich waren nur sehr mäßig über den Vertag begeistert, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Beide Mächte sahen die Gefahr, das die Sowjetunion und das Deutsche Reich auf Sicht ihre in Folge des Ersten Weltkrieges verlorenen Gebiete wieder einverleiben würden.

Frankreich und Großbritannien übersendeten Deutschland eine Protestnote, in der sie ihre fehelnde Begeisterung zum Ausdruck brachten. Für Deutschland war es das erste internationale Abkommen seit Versailles.

Die Sowjetunion und Deutschland waren zu jener Zeit als Verlierer des Krieges international isoliert.

Frankreich und Großbritannien haben ja auch im Russischen Bürgerkrieg gegen die Bolschewisten interveniert, was man in Moskau nicht vergessen hat. Frankreich sah des Weiteren in Finnland, Polen, Ungarn, dem Baltikum, Ungarn, Rumänien, Jugosslawien und auch der Tschechoslowakein als potenzielle Verbündete, gegen Deutschland aber auch gegen die Sowjetunion. Rapallo hat an dieser Haltung nichts geändert.

Als dann 1923 französische und belgische Truppen in das Ruhrgebiet einmarschierten und dies besetzten, versprach Moskau Hilfe, wenn Polen die Gelegenheit nutzen würde, um Deutschland anzugreifen. Die Komintern stellte sich ebenfalls auf die Seite Deutschlands.

Ich hoffe, das ich dir mit meinen Ausführungen geholfen habe.
 
turgot und jschmidt haben schon richtig die "Ostpolitik" in das Verhältnis zu Polen und Rußland differenziert: Keine Anerkennung der dt.-poln. Grenzen, sondern Option auf eine spätere Revision, Zusammenarbeit mit der SU aufgrund vermutlich gleichgerichteter Interessen.

Zu den sowjetischen Grundlagen: die Erwartung im Sommer 1922 ging in Richtung Revision der finanziellen Bedingungen des VV ggü. Deutschland. Rußland hoffte zu diesem Zeitpunkt (und verhandelte darüber) auf franz. und britische Kredite, sowie weitergehende politische Verständigungen mit dem Westen und war bereit, mit dem Meistbietenden abzuschließen. "Rapallo mußte für die Russen nicht Alternative zur Westvereinbarung sein, sondern es konnte neben ihr stehen und sie sogar erleichtern." (Schieder)

Darüber hinaus gab es weitreichende Überlegungen, welche Bedeutung die deutsche Industrie beim Aufbau Rußlands haben würde. Im Krisenjahr 1923 wurde daher Polen über die Izvestija mit dem militärischen Eingreifen zum Schutz von Ostpreußen gedroht (Königsberg wurde als Dreh-/Angelpunkt der künftigen dt.-sowjet. wirtschaftlichen Zusammenarbeit gesehen).


Umgekehrt sind die späteren Versuche, das DR in den Völkerbund zu ziehen, auch als Bedingung für den Abschluss eines Sicherheitspaktes (-> Locarno) zu sehen. Darin liegt eine ausgesprochen anti-sowjetische Spitze der Westalliierten, ein Anknabbern von Rapallo, was in Moskau auch so gesehen worden ist. Das "West"-Locarno wiederum brachte die Aufmerksamkeit für das deutscherseits aufgrund der Revisionsziele nicht akzeptable "Ostlocarno", bzw. den später diskutierten Ostpakt.
 
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