Wehler: "Hitler vor 70 Jahren - Verblendete Machtübergabe und totalitäre Revolution" schrieb:
Anfang November 1918 rollten alle deutschen Kronen in den Staub. Der Schock der Niederlage nach einem vierjährigen Weltkrieg, von der erdrückenden Mehrheit der Deutschen überhaupt nicht erwartet, wurde durch die traumatisierende Erfahrung vertieft, dass innerhalb weniger Tage die Revolution siegte und alle Monarchien sang- und klanglos verschwanden: vom Reichsmonarchen bis hin zu den kleinen landesfürstlichen Herrschaftsträgern. Damit löste sich eine politische Ordnung, die jahrhundertelang eine Sicherheit gewährende Selbstverständlichkeit bedeutet hatte, unter dem Anprall der Revolutionsbewegung im Nu auf. Doch die neue Staatsform der Republik blieb unbeliebt. Das Ressentiment gegen die Nachkriegsordnung wurde durch den Versailler Frieden von 1919 weiter vertieft; er besaß für eine junge Großmacht demütigende Züge, im Vergleich mit dem karthagischen Frieden, dem das Kaiserreich im März 1918 Russland aufgezwungen hatte, fiel er aber geradezu milde aus, vor allem ließ er das Potential für einen neuen Aufstieg intakt. Vier Jahre später wurde das Land durch die Hyperinflation gebeutelt. Mit ihr musste der bittere Preis für die inflationsauslösende Kriegsfinanzierung bezahlt werden. Die endlose Debatte über die "Reparationsknechtschaft" vertiefte den Groll. Und als nach einer kurzen Konjunkturphase, in der 1928 die Leistungswerte von 1913 endlich wieder erreicht wurden, die bisher schmerzhafteste Depression des westlichen Kapitalsimus, die dritte Weltwirtschaftskrise seit dem Herbst 1929, Deutschland besonders hart traf, begann nicht nur eine beispiellose wirtschaftliche Talfahrt. Vielmehr brachen wegen der mehr als 8 Millionen Arbeitslosen - jeder dritte Erwerbstätige war arbeitslos, statistsich gesehen in jeder Familie ein Mitglied - unerhörte soziale Spannungen auf. In einem unaufhaltsamen Erosionsprozess zerfiel das politische System auf dessen Trümmern sich seither die totalitären Flügelparteien der NSDAP und der KPD erhoben.