Einführung zur Roten Kapelle

ursi

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Die Rote Kapelle ist ein von der Gestapo geschaffenes Organisationskonstrukt, das in der Realität nicht bestanden hat. Bei der Roten Kapelle handelte es sich um verschiedene Widerstandsgruppen die zum teil miteinander verknüpft und zum teil unabhängig waren. Der Unterschied zu den restlichen Widerstandsgruppen im Dritten Reich war ihre unterschiedliche soziale und kulturelle Herkunft und der grosse Anteil an Frauen, die Aktiv am Widerstand teilnahmen.

Die Rote Kapelle kann man in vier Bereiche einteilen.

1. Es handelt sich um unabhängige Widerstandskreise, die sich 1939 zusammen taten.

2. Das nachrichtendienstliche Netz um Leopold Trepper, der sich nachdem Krieg damit brüstet der Gründer der Roten Kapelle zu sein, was nicht stimmt. Seine Stützpunkte warnen in Frankreich und Belgien, er handelte im Auftrag der sowjetischen Militäraufklärung und arbeitete eng mit der Résistance zusammen.

3. Der Autonome Bereich um den Diplomaten Rudolf von Scheliha

4. Der Kreis welcher bereits vor 1933 nachrichtendienstlich für die Sowjetunion als Funker ausgebildet wurden.

In der Literatur zur Roten Kapelle wurden nach 1945 diese unterschiedlichen Widerstandszusammenhänge oft unzulässig miteinander verknüpft. Dies geschah, weil man die Gestapoakten eins zu eins übernahm und nicht berücksichtigte, dass die Gestapo bereits während den Verhören die Akten fälschten. Diese Akten wurden auch vom FBI nachdem Krieg übernommen, was dazu führte das viele der überlebenden Widerstandskämpfer weiterhin unter Beobachtung standen und als Spione angesehen wurden.
Wie sah der Widerstand der Gruppen aus?
Der Ursprung liegt in den letzten Jahren der Weimarer Republik, die Weltwirtschaftskrise und das Scheitern der parlamentarischen Demokratie an den sozialen und politischen Problemen, und die traditionelle Frontstellung zwischen links und rechts wurde in bestimmten intellektuellen Kreisen und einem Teil der jungen Generation als überholt empfunden. Neue politische Gemeinschaften bildeten sich, zu diesen Kreisen gehörte die Gruppe von Harro Schulze-Boysen. Ihr Programm war die Einheit jenseits der blossen Antithesen des Klassenkampfes, ihr Ziel einen Umbruch, mit dem der Gegensatz von nationaler und sozialer Frage überwunden werden sollte. Die Gruppe um Arvid Harnack, gegründet 1931, studierten die sowjetische Planwirtschaft und die Vorzüge und Grenzen einer staatlichen Wirtschaftslenkung. Die Gruppe war auch ein Diskussionsforum jenseits aller politischen Lager.
Diese früh geschlossenen Freundschaften, Gesprächskontakten und die gemeinsame politische Überzeugung bildeten den Grundstock für den späteren Widerstand. Einige der Gruppenmitglieder machten zu dem Bekanntschaft mit der Gewaltbereitschaft der Nazis. So wurde Harro Schulze-Boysen im April 1933 von der SS verhaftet und gefoltert. Der Widerstand der einzelnen Gruppen war zunächst ein Versuch der Behauptung der in den Auseinandersetzungen der späten Weimarer Republik gewonnen politischen und kulturellen Identität gegenüber Konformitätsdruck der Diktatur. Ab 1939 begann die Zusammenarbeit der verschiedenen Freundenskreise, Anlass dazu war der Hitler-Stalin Pakt vom 23. August 1939. Ein Jahr später entstand eine intensive Widerstandstätigkeit der Gruppen Schulze-Boysen und Harnack, die mit der Verhaftung der Mitlieder im Herbst 1942 endete. Sie verfassten Flugblätter und illegale Schriften, organisierten Zettelaktionen im Berliner Lustgarten und sammelten belastetes Material über die Massenerschiessungen von Zivilisten im Osten. Diese Flugblätter sollten die Bevölkerung über die Verbrechen der Nazis aufklären. Harro Schulze-Boysen erfuhr bei seiner Arbeit von den Plänen Russland zu überfallen, dies führte dazu, dass die Gruppe sich entschloss die Angriffspläne der sowjetischen Botschaft zu übergeben. Diese Informationen gelangten nach Moskau zu Stalin, dieser nahm das ganze aber nicht ernst.

Die Gestapo was seit langem auf die Flugblätter aufmerksam geworden, konnten aber keine Verbindungen herstellen. Erst als die Sowjetunion dir richtigen Namen und Adressen übermittelte und dieser Funkspruch von der Gestapo entschlüsselt wurde, kamen sie den Frauen und Männern auf die Spur.

Im Herbst 1942 wurden 139 Menschen* verhaftet darunter 52 Frauen. In mehreren Prozessen vor dem Reichskriegsgericht wurden 20 Frauen und 30 Männer zum Tode verurteilt.

*Diese Zahl wird in der Literatur unterschiedlich angegeben.

Quellen:
Wolfgang Benz und Walter H. Pehle
Lexikon des deutschen Widerstandes

Hans Coppi, Jürgen Danyel. Johannes Tuchel
Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Stefan Roloff
Die Rote Kapelle
Die Widerstandsgruppe im Dritten Reich und die Geschichte Helmut Roloffs

Shareen Blair Brysac
Mildred Harnack und die Rote Kapelle
Die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau und einer Widerstandsbewegung

Kurt Schilde
Eva Maria Buch und die Rote Kapelle
Erinnerungen an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Greta Kuckhoff
Vom Rosenkranz zur Roten Kapelle
Ein Lebensbericht

Hans Coppi und Geertje Andersen
Dieser Tod passt zu mir
Harro Schulze-Boysen, Grenzgänger im Widerstand
Briefe 1915 bis 1942
 
Die Frauen der Roten Kapelle

Im Herbst 1942 wurden 139* Menschen verhaftet davon waren es 52 Frauen. Von diesen 52 Frauen wurden 36 verurteilt, 20 von ihnen zum Tod. Die ersten drei starben drei Tage nach der Verkündung des Urteils am 22. Dez. 1942, Mildred Harnack-Fish starb am 16.2.1943, Erika Brockdorff am 13. Mai und 11 Frauen starben am 5. August 1943 im drei Minutentakt. Um 19.09 wurde die erste Frau Frida Wesolek ermordet und um 19.45 starb als letzte Liane Berkowitz. Das Hinrichtungs-Protokoll gibt einen peniblen Einblick in das System. Darin wurde alles vermerkt, vom dem Zeitpunkt an wo den Verurteilten die Hände auf den Rücken gebunden wurde bis zum Zeitpunkt wo das Fallbeil viel. Diese Protokolle kann man in der Gedenkstätte des Deutschen Widerstandes in Berlin einsehen.


Die meisten Frauen kannten sich vor der Verhaftung nicht und lernten sich erst im Gefängnis kennen. Das zeigt wie unterschiedlich die Gruppen waren und man nicht von einer einzigen Widerstandsgruppe ausgehen kann.

Die Frauen der Roten Kapelle passten nicht in das Bild der Nazis, es waren alles selbstbewusste und selbständige Frauen. Zwar waren sie von unterschiedlicher Herkunft dafür hatten sie grosse Gemeinsamkeiten was die Bildung- und Berufstätigkeit betrifft.

10 der 36 Frauen schlossen „nur“ mit Volksschule ab. Die meisten besuchten weiterführende Schulen und einige beendeten diese mit der mittleren Reife.
Eindrittel hatten Abitur und einen Hochschulabschluss, sechs von ihnen besuchten eine Handelsschule, 5 waren Lehrerinnen, 4 absolvierten eine Künstlerische Ausbildung und sieben studierten an der Universität.
Viele der Frauen bildeten sich auf dem zweiten Bildungsweg weiter, da sie meist aus finanziellen Gründen das Abitur abbrechen mussten. 9 der 36 Frauen beherrschten eine Fremdsprache, die meisten reisten viel und lernten so andere Länder und Kulturen kennen. 15 waren bereits vor 1933 politisch aktiv, vor allem waren sie in der KPD oder in der KJVD tätig, was sie wiederum zu Gegnern der Nazis machten und sie nach 1933 zu den verfolgten zählten. Einige von ihnen wurden in dieser Zeit auch schon verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteil. So muss Ilse Schaeffer 1936 für ein Jahr ins Gefängnis und Marta Husemann wurde für einige Monate im KZ Moringen inhaftiert.

Neben den sozialen Merkmalen wich auch der Familienstand von der Norm ab. Das Durchschnittsalter der 36 verurteilten Frauen war 37 Jahre. Von ihnen waren
12 ledig
22 verheiratet
2 verlobt

12 der Frauen hatte bis maximal 3 Kinder, wobei die Kinder von vier Frauen bereits Erwachsen waren. 2 waren bei der Verhaftung schwanger und gebaren ihre Kinder im Gefängnis bevor sie hingerichtet wurden.

Dies steht zum Gegensatz zu den Frauen der Verschwörer des 20. Juli 1944, hier waren es Frauen aus gut- bis grossbürgerlichen und adliger Herkunft mit einer guten bis sehr guten Schulbildung, diese Frauen haben jung geheiratet und hielten ihren Männern den Rücken frei. Sie waren nie aktiv am Widerstand beteiligt. Die Frauen der Verschwörer waren Zuhörerinnen ihrer Männer, ganz im Gegenteil von den Frauen der Roten Kapelle die aktiv mitarbeiteten. Sie führten neue Mitstreiter in die Gruppen ein und steuerten wichtig Nachrichten bei.

Libertas Schulze-Boysen arbeitete bei der Kulturfilmzentrale beim Reichspropagandaministerium, sie stelle eine Fotosammlung über die deutschen Verbrechen in den besetzten Gebieten zusammen und schaffte einen Schriftkopierapparat an um Zeitungsausschnitte, Berichte und Flugblätter zu vervielfältigen. Greta Kuckhoff arbeitete als freie Übersetzerin u.a für das Rassenpolitische Amt. Sie nahm beim Völkischen Beobachter Deckblätter mit, diese wurden dann als Tarnumschläge verwendet. Andere Frauen übersetzten Flugblätter für Fremdarbeiter und verteilten diese unter ihnen. Hilde Coppi hörte die russischen Sender ab um etwas über deutsche Kriegsgefangene zu erfahren. Dann halfen sie bei der Beschaffung von Lebensmittelkarten für Jüdische Bürger und versuchten sie über die Grenze zu bringen. Ihre Wohnungen stellten sie für Besprechungen zur Verfügung oder sie versteckten sowjetische Funker, hier wussten sie aber nicht um wen es sich in Wirklichkeit handelte.

Anhand der verschiedenen Biografien kann an erkennen, dass die Frauen durch ihre Lebenserfahrungen zum Widerstand kamen, auch war es für sie selbstverständlich, das sie als gleichwertige Partner gegen den Nationalsozialismus kämpften. Nach der NS-Ideologie war es ja so, dass die Geschlechter unterschiedliche Wirkungskreise hatten, dieses Gesellschaftsbild war innerhalb der Roten Kapelle nicht vorhanden. Nun kann man versuchen nach Äusserungen der Roten Kapelle im Bezug auf Frauen zu suchen, da findet man aber nichts, ausser den Satz in einem Flugblatt wo sie schrieben: „Die Frauen trauern dem entschwundenen Familien- und Lebensglück nach.“ Die Frauen und Männer der Roten Kapelle setzen alle auf die gleichen Prioritäten – die Verhinderung bzw. Beendigung des Krieges und die Abschaffung des herrschenden Systems. In wie weit die Männer die Frauen in ihrem politischen Denken beeinflusst haben, kann man nicht mehr genau nachvollziehen. Man weiss aber von der Biographie Mildred Harnack-Fish das sie bereits in den USA die politischen Ansichten ihres Mannes teilte.

Es gibt viele Motive für die Frauen in den Widerstand zu gehen. Was besonders bei der Roten Kapelle hervorzuheben ist, ist dass sich hier Christen, Sozialisten, Kommunisten und bürgerlich-humanistische geprägte Frauen und Männer zusammenfanden und einen gemeinsamen Weg fanden miteinander umzugehen. Was in dieser Zeit nicht selbstverständlich war. Aus den weltanschaulichen und politischen Überzeugungen der Mitglieder wuchs ein Widerstand gegen das Terror Regime. Was sie verband war die Bekämpfung eines verbrecherischen Systems, die Sorge um Deutschlands Zukunft, und die Sehnsucht nach Frieden.

*Diese Zahl wird in der Literatur unterschiedlich angegeben
 
ursi schrieb:

Kürzlich ist bei VSA ein neues Buch zum Thema erschienen:
Karl Heinz Roth / Angelika Ebbinghaus (Hrsg.)
Rote Kapellen - Kreisauer Kreise -Schwarze Kapellen. Neue Sichtweisen auf den Widerstand gegen die NS-Diktatur 1938-1945.
Eine Inhaltsangabe (mit Leseprobe) bzw. Besprechungen gibt es u. a. hier:
http://www.stiftung-sozialgeschichte.de/ff_publikationen_kap.htm
http://www.vvn-bda.de/bremen/b49.htm
http://www.zeit.de/2005/12/P-Widerstand
 
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