Frage Otto Wels - Reichtstagsrede/Ermächtigungsgesetz

H

Hilfeee

Gast
Hallo liebe Forumsmitglieder,

ich hoffe Ihr könnt mir weiterhelfen. Ich habe eine Frage zu einem Zitat aus der Rede
"Otto Wels (SPD) -Rede zur Begründung der Ablehnung des Ermächtigunsgesetzes".


"Wir Sozialdemokraten wissen, dass man machtpolitische Tatsachen durch bloße Rechtsverwahrungen nicht beseitigen kann"

Was ist mit dem Wort "Rechtsverwahrung gemeint"?
Was meint Wels mit machtpolitischen Tatsachen?

Ich würde mich sehr über Antworten freuen

lg
Hilfeee
 
Etwas leichter wird es im Kontext:

"Vergeblich wird der Versuch bleiben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Wir Sozialdemokraten wissen, daß man machtpolitische Tatsachen durch bloße Rechtsverwahrungen nicht beseitigen kann. Wir sehen die machtpolitische Tatsache Ihrer augenblicklichen Herrschaft. Aber auch das Rechtsbewußtsein des Volkes ist eine politische Macht, und wir werden nicht aufhören, an dieses Rechtsbewußtsein zu appellieren.

Die Verfassung von Weimar ist keine sozialistische Verfassung. Aber wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechtes, die in ihr festgelegt sind. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus.

Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. Sie selbst haben sich ja zum Sozialismus bekannt. Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokratie nicht vernichtet. Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen."
 
Ich habe das Wort Rechtsverwahrung gegoogelt aber keine Definition gefunden. Auch aus der Herleitung aus dem Zusammenhang konnte ich keine klare Definition eruieren. Es kommt mir so vor, dass der Begriff heute nicht mehr verwendet wird. Aus dem Kontext aber würde ich herleiten, dass es sich um eine Form von rechtlichem Protest handelt.

Hier im Zusammenhang dürfte es demzufolge heissen, dass Otto Wels zwar wohl gegen das Ermächtigungsgesetz stimmen konnte, das aber nichts oder nur wenig an der Realität der NS Machtergreifung ändern würde. Die machtpolitische Tatsachen - in verschiedenen Schritten hatte das Kabinett Hitler im Zusammenwirken mit Hindenburg sowie der SA die Komunisten verhaftet gestützt auf die Notverordnung. Ob ein Reichstagsbrand, wenn auch von einem Kommunisten gelegt, Grund genug war, den Notstand auszurufen und Massenverhaftungen vorzunehmen? Da hätte man zur Weimarer Zeit alle Nazis gleich doppelt und dreifach verhaften können, angesichts des SA Terrors schon vor 1933. Weiters wurde im Vorfeld der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz auf die Abgeordneten enormer Druck ausgeübt, der ebenso nicht mit demokratischen Spielregeln zu vereinbaren ist. Das hat wohl Otto Wels mit "machtpolitischen Tatsachen" gemeint.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aus dem Kontext aber würde ich herleiten, dass es sich um eine Form von rechtlichem Protest handelt.

Das ist gut umschrieben.

Rechtsverwahrung ist durchaus wörtlich zu verstehen, also Verwahrung gegen die Anwendung bzw. Gültigkeit von Gesetzen oder Verträgen. Rechtsverwahrung steht einer etwaigen konkludenten Anerkennung entgegen.

Gesucht habe ich jetzt nur im Völkerrecht, hier ein Beispiel aus Blumenwitz, Der Vertrag vom 12.9.1990 über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland, NJW 1990, S. 3041:
"Der Görlitzer Vertrag vom 6. 7. 1950 besteht als “radizierter” Grenzvertrag nicht fort, da er nach der Auffassung der Bundesrepublik Deutschland mit schweren Rechtsmängeln behaftet ist (vgl. die Rechtsverwahrung vom 13. 6. 1950, Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode, Sten. Ber., Bd. 4, S. 2457); dagegen behält der Vertrag zwischen der DDR und Polen über die Schiffahrt auf der Oder vom 6. 2. 1952 (Dokumente zur Außenpolitik der DDR, Bd. IV (1957), S. 157 ff.) in seiner am 3. 10. 1990 geltenden Fassung seine Wirksamkeit."

Oder Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 4. 5. 1955 - 1 BvF 1/55
"Daß auch beim Saarabkommen so verfahren worden ist, steht daher nicht im Widerspruch mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder mit der völkerrechtlichen Praxis. Eine ausdrückliche Rechtsverwahrung in diesem Sinne in das Saarabkommen aufzunehmen, war nicht erforderlich, weil dem Vertragspartner die Rechtsauffassung der Bundesregierung durch frühere Erklärungen bekannt war (vgl. BVerfGE 1, 372). Somit hat die Bundesrepublik Deutschland im Abkommen über das Saargebiet nicht „verfügt”, wozu sie in der Tat rechtlich nicht in der Lage gewesen wäre."

Im angelsächsischen Bereich gibt es den Begriff der "persistent objector" = "beharrliche Rechtsverwahrung durch ein Völkerrechtssubjekt"
lexexakt - Rechtslexikon Persistentobjector
 
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Das ist gut umschrieben.

Rechtsverwahrung ist durchaus wörtlich zu verstehen, also Verwahrung gegen die Anwendung bzw. Gültigkeit von Gesetzen oder Verträgen. Rechtsverwahrung steht einer etwaigen konkludenten Anerkennung entgegen.

Im angelsächsischen Bereich gibt es den Begriff der "persistent objector" = "beharrliche Rechtsverwahrung durch ein Völkerrechtssubjekt"
lexexakt - Rechtslexikon Persistentobjector

Ja, das tönt sinnvoll. Rechstverwahrung dagegen, dass man eines Tages nicht als stillschweigender (konkludenter) Zustimmender gewertet wird... aber trotzdem macht mir das im Kontext der Rede von Otto Wels nicht soviel Sinn. Er hat ja entweder für, gegen oder sicht enthaltend bezüglich des Ermächtigungsgesetzes stimmen können... naja, mein Eindruck bleibt, ein alter Begriff (auch Deine Beispiel nehmen Bezug auf 1950).
 
Jaber trotzdem macht mir das im Kontext der Rede von Otto Wels nicht soviel Sinn. Er hat ja entweder für, gegen oder sicht enthaltend bezüglich des Ermächtigungsgesetzes stimmen können.

Das unterschätzt die "Größe" des Arguments von Wels, die SPD ist hier nur stellvertretend zu sehen.

Der Rechtsstaat "sitzt" nicht mit am Tisch, Gerechtigkeit und Freiheit können sich nicht gegen das Abstimmungsergebnis "verwahren", das macht er in diesem Sinne eben "stellvertretend".
 
Das unterschätzt die "Größe" des Arguments von Wels, die SPD ist hier nur stellvertretend zu sehen.

Der Rechtsstaat "sitzt" nicht mit am Tisch, Gerechtigkeit und Freiheit können sich nicht gegen das Abstimmungsergebnis "verwahren", das macht er in diesem Sinne eben "stellvertretend".



Zur Rede des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Otto Wels gegen den Erlass des „Ermächtigungsgesetzes“ (23. März 1933)

In dieser Rede bekennt Otto Wels, dass die Weimarer Verfassung zwar die Grundsätze des Rechtsstaates hergibt, dass diese jedoch keine des Sozialismus sind. Grundsätze, die von der Sozialdemokratischen Partei erkämpft worden. Die nationale Revolution der Nationalsozialistischen Partei gibt für Wels alles andere her, nicht jedoch die soziale Revolution. In der Rede bringt der Sozialdemokrat Wels zum Ausdruck, dass die "machtpolitische Tatsache", dass heißt, das die Nationalsozialistische Partei und "das Rechtsbewusstsein des Volkes" sich nicht nur nicht decken, dass des Volkes "politische Macht" der Nationalsozialistischen Partei entgegensteht. Der Sozialdemokrat Otto Wels knüpft in der Rede an das Sozialistengesetz an: "Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen."

Otto Wels, stellvertretend für die Deutsche Sozialdemokratie verwahrt sich in dieser Rede dagegen, dass der parteipolitische Träger des Rechtsstaates und des Volkes die Nationalsozialistische Partei ist.


Wird berücksichtigt, dass die Nationalsozialistische Partei nicht erst 1933 aufgetreten ist, stellt sich beispielsweise die Frage, warum die Deutsche Sozialdemokratie unter offen zu Tage tretender Machtpolitik, unter dem Sozialistengesetz und unter dem Ermächtigungsgesetz "neue Kraft" meint schöpfen zu müssen um, in sich verdunkelnder Gegenwart für "Sozialismus" einzustehen?
 
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Wird berücksichtigt, dass die Nationalsozialistische Partei nicht erst 1933 aufgetreten ist, stellt sich beispielsweise die Frage, warum die Deutsche Sozialdemokratie unter offen zu Tage tretender Machtpolitik, unter dem Sozialistengesetz und unter dem Ermächtigungsgesetz "neue Kraft" meint schöpfen zu müssen um, in sich verdunkelnder Gegenwart für "Sozialismus" einzustehen?

Nun, das Sozialistengesetz wurde unter Bismarck geschaffen, aber die Deutsche Sozialdemokratie hat es überlebt - die Nazizeit hat die Sozialdemokratie auch überlebt - wenn auch wohl unter weit drastischeren Umständen, als sie wohl Otto Wels erahnen konnte. Vielleicht unter der Floskel "was uns nicht tötet, macht uns hart" abbuchbar. Aber vielleicht, nun weniger floskloid: Menschen kannst Du töten, aber Ideen nicht.
 
Zur Rede des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Otto Wels gegen den Erlass des „Ermächtigungsgesetzes“ (23. März 1933)

In dieser Rede bekennt Otto Wels, dass die Weimarer Verfassung zwar die Grundsätze des Rechtsstaates hergibt, dass diese jedoch keine des Sozialismus sind. Grundsätze, die von der Sozialdemokratischen Partei erkämpft worden. Die nationale Revolution der Nationalsozialistischen Partei gibt für Wels alles andere her, nicht jedoch die soziale Revolution. In der Rede bringt der Sozialdemokrat Wels zum Ausdruck, dass die "machtpolitische Tatsache", dass heißt, das die Nationalsozialistische Partei und "das Rechtsbewusstsein des Volkes" sich nicht nur nicht decken, dass des Volkes "politische Macht" der Nationalsozialistischen Partei entgegensteht. Der Sozialdemokrat Otto Wels knüpft in der Rede an das Sozialistengesetz an: "Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen."

Otto Wels, stellvertretend für die Deutsche Sozialdemokratie verwahrt sich in dieser Rede dagegen, dass der parteipolitische Träger des Rechtsstaates und des Volkes die Nationalsozialistische Partei ist.


Wird berücksichtigt, dass die Nationalsozialistische Partei nicht erst 1933 aufgetreten ist, stellt sich beispielsweise die Frage, warum die Deutsche Sozialdemokratie unter offen zu Tage tretender Machtpolitik, unter dem Sozialistengesetz und unter dem Ermächtigungsgesetz "neue Kraft" meint schöpfen zu müssen um, in sich verdunkelnder Gegenwart für "Sozialismus" einzustehen?

Das entnehme ich der Rede nicht! Wels sagte sinngemäß, dass die Verfassung der Weimarer Republik keine sozialistische, aber eine rechtsstaatliche war und die SPD sich stets verfassungskonform verhalten habe.
Die NSDAP gab es schon vor 1933, jetzt aber hatte sie die Macht und begann sofort, sie zu missbrauchen. Gegner wurden verhaftet, zusammengeschlagen und in wilde KZs gesperrt. Da der Reichstag bereits abgefackelt war, tagte der Reichstag in der Krolloper, die von SA und SS abgeriegelt war. Hitler und die Abgeordneten seiner Partei waren im Braunhemd erschienen, während die der KPD schon eingesperrt und daher abwesend waren. Die übrigen Parteien beschlossen sich selbst zu entmachten. Die Verfassung der Weimarer Republik war nur noch ein Fetzen Papier, den die Nazis vergaßen, auch formal durch eine neue zu ersetzen.
Prälat Kaas vom Zentrum begründete todesmutig , weshalb seine Partei einknickte und den Nazis die Hand reichte, um die "Fortführung des Aufstiegswerks zu sichern." Auch der spätere Bundespräsident Heuss stimmte dem Ermächtigungsgesetz brav zu.

Trotz leichter Schönheitsfehler und SA-SS- Drohstaffage, verlief die Ermächtigung Hitlers tipptopp demokratisch rechtsstaatlich, die Volksvertreter überließen Reich und Verfassung für die nächsten 1000 Jahre den Nazis.
Wels Rede war die letzte freie im Reichstag, und angesichts des geschilderten Szenarios war es eine mutige Rede.
 
Nun, das Sozialistengesetz wurde unter Bismarck geschaffen, aber die Deutsche Sozialdemokratie hat es überlebt - die Nazizeit hat die Sozialdemokratie auch überlebt - wenn auch wohl unter weit drastischeren Umständen, als sie wohl Otto Wels erahnen konnte. Vielleicht unter der Floskel "was uns nicht tötet, macht uns hart" abbuchbar. Aber vielleicht, nun weniger floskloid: Menschen kannst Du töten, aber Ideen nicht.


Ja. Mutig nimmt der Sozialdemokrat Otto Wels in der Rede die Nationalsozialistische Partei nicht als jene, die „das Rad der Geschichte zurückdrehen“ wird, denn „die Ideen, die ewig und unzerstörbar sind“, wie sich das bereits unter dem Sozialistengesetz gezeigt, sind aus der Welt nicht zu tilgen. Setzten Sozialdemokratische Träger dieser „Ideen“ in der WR kraftvoll und schöpferisch sich nicht ein, so wie der Sozialdemokrat Otto Wels in der Rede es verkündet?
 
Man darf nicht versuchen, den Beitrag von Otto Wels "textimmanent" zu verstehen. Er wird nur verständlich aus der Zeit und aus den Umständen heraus.

Fakt ist, dass die Sozialdomokraten die Einzigen waren, die im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben. Alle anderen haben zugestimmt. Als Wels ans Rednerpult trat und redete, da hörte man die letzte Rede eines Demokraten im Reichstag. Nach dieser Rede gab es kein demokratisches Parlament mehr. Es gab auch keine Demokratie mehr. Otto Wels wusste das, bevor er das erste Wort seiner Rede aussprach. Er wusste auch, was folgen würde. Macht. Nicht Demokratie. Das meinte er mit dem Hinweis, dass Rechtsverwahrung gegen Machtpolitik keine Chance mehr hatte.

Was er mit seiner Rede gesagt hat, war folgendes: Der Rechtsstaat, in dem so Dinge wie "Rechtsverwahrung" eine Bedeutung haben, existiert nicht mehr! Was von nun an geschieht, hat deshalb nichts mit "Recht" zu tun, sondern nur noch mit "Macht" (Gewalt)! Und die Sozialdemokratie ist die einzige Kraft in Deutschland, die - IN KENNTNIS DIESER TATSACHE ! - trotzdem "Nein" sagt. Seine Äußerungen zum Thema Sozialistengesetz waren im Grunde nur der Rückbezug auf sozialdemokratische Wurzeln. Die Hoffnung, dass die Sozialdemokratie nach allen vorangegangenen Anfechtungen auch diesen Angriff überleben würde... Für Otto Wels war die SPD die Partei der Freiheit. DAS hat er gemeint.

Und all das gipfelt in den beiden Sätzen, die Otto Wels in seiner Rede auch gesagt hat:

"Freiheit und Leben kann man uns nehmen. Die Ehre nicht."

MfG
 
Man darf nicht versuchen, den Beitrag von Otto Wels "textimmanent" zu verstehen. Er wird nur verständlich aus der Zeit und aus den Umständen heraus.

Fakt ist, dass die Sozialdomokraten die Einzigen waren, die im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben. Alle anderen haben zugestimmt. Als Wels ans Rednerpult trat und redete, da hörte man die letzte Rede eines Demokraten im Reichstag. Nach dieser Rede gab es kein demokratisches Parlament mehr. Es gab auch keine Demokratie mehr. Otto Wels wusste das, bevor er das erste Wort seiner Rede aussprach. Er wusste auch, was folgen würde. Macht. Nicht Demokratie. Das meinte er mit dem Hinweis, dass Rechtsverwahrung gegen Machtpolitik keine Chance mehr hatte.

Was er mit seiner Rede gesagt hat, war folgendes: Der Rechtsstaat, in dem so Dinge wie "Rechtsverwahrung" eine Bedeutung haben, existiert nicht mehr! Was von nun an geschieht, hat deshalb nichts mit "Recht" zu tun, sondern nur noch mit "Macht" (Gewalt)! Und die Sozialdemokratie ist die einzige Kraft in Deutschland, die - IN KENNTNIS DIESER TATSACHE ! - trotzdem "Nein" sagt. Seine Äußerungen zum Thema Sozialistengesetz waren im Grunde nur der Rückbezug auf sozialdemokratische Wurzeln. Die Hoffnung, dass die Sozialdemokratie nach allen vorangegangenen Anfechtungen auch diesen Angriff überleben würde... Für Otto Wels war die SPD die Partei der Freiheit. DAS hat er gemeint.

Und all das gipfelt in den beiden Sätzen, die Otto Wels in seiner Rede auch gesagt hat:

"Freiheit und Leben kann man uns nehmen. Die Ehre nicht."

MfG


Dass in Otto Wels Rede artikulierte Geschichtsbewusstsein der Sozialdemokratie, dass mutige „Nein“, dass der „Bekennermut“ der „Verfolgten und Bedrängten“, dass „ihre ungebrochene Zuversicht … eine hellere Zukunft“ verbürgt und aktuell nicht der Rechtsstaat und die "politische Macht des Volkes" auf der politischen Tagesordnung steht - Wie konnte das von 1848/48 ausgehende Geschichtsbewusstsein der SPD, dass sich seit 1918/19 beispielsweise "Leistungen für den Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft" zuschreibt, sich 1933 in einer Situation finden, in der mutig die Erkenntnis auf der parlamentarischen Bühne durchgeschlagen, dass das Demokratisch Erreichte in Deutschland nun nicht mehr auf der Tagesordnung stehen wird? War das innenpolitisch sehende Auge der Sozialdemokratie in der WR nicht gegeben? Wenn doch, waren die innenpolitischen Unternehmungen der Sozialdemokratie die Unternehmung der nationalsozialistischen Reichsverkünder zu entkräften, dann nicht augenscheinlich unzureichend? So das 1933 für die Sozialdemokratie Widerstand und Exil übrigblieb?
 
Dass in Otto Wels Rede artikulierte Geschichtsbewusstsein der Sozialdemokratie, dass mutige „Nein“, dass der „Bekennermut“ der „Verfolgten und Bedrängten“, dass „ihre ungebrochene Zuversicht … eine hellere Zukunft“ verbürgt und aktuell nicht der Rechtsstaat und die "politische Macht des Volkes" auf der politischen Tagesordnung steht - Wie konnte das von 1848/48 ausgehende Geschichtsbewusstsein der SPD, dass sich seit 1918/19 beispielsweise "Leistungen für den Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft" zuschreibt, sich 1933 in einer Situation finden, in der mutig die Erkenntnis auf der parlamentarischen Bühne durchgeschlagen, dass das Demokratisch Erreichte in Deutschland nun nicht mehr auf der Tagesordnung stehen wird? War das innenpolitisch sehende Auge der Sozialdemokratie in der WR nicht gegeben? Wenn doch, waren die innenpolitischen Unternehmungen der Sozialdemokratie die Unternehmung der nationalsozialistischen Reichsverkünder zu entkräften, dann nicht augenscheinlich unzureichend? So das 1933 für die Sozialdemokratie Widerstand und Exil übrigblieb?

Ich bin nicht sicher, ob ich verstanden habe, was Du sagen willst. :confused:

Wels hielt die Rede vor der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz. Dieses Gesetz war für die Nazis das wichtigste Mittel, um das zu erreichen, was unter dem Begriff "Machtergreifung" zusammengefasst wird. Und es war absehbar, dass es im Reichstag eine "demokratische" Mehrheit für dieses Ermächtigungsgesetz geben würde. Die Verantwortung dafür trugen nicht die Sozialdemokraten sondern die Bürger, die mehrheitlich in formal demokratischer Weise den Undemokraten die Mehrheit im Reichstag verschafft hatten.

Was hätten die Sozialdemokraten dagegen tun sollen? Eigentlich blieb ihnen nur eine Option: Sie hätten das Reichsbanner bzw. die Eiserne Front mobilisieren können. Wozu das geführt hätte, ist klar: Bürgerkrieg. Rückblickend kann man natürlich heute trefflich streiten, ob das nicht der bessere Weg gewesen wäre...

MfG
 
Ich bin nicht sicher, ob ich verstanden habe, was Du sagen willst. :confused:

Wels hielt die Rede vor der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz. Dieses Gesetz war für die Nazis das wichtigste Mittel, um das zu erreichen, was unter dem Begriff "Machtergreifung" zusammengefasst wird. Und es war absehbar, dass es im Reichstag eine "demokratische" Mehrheit für dieses Ermächtigungsgesetz geben würde. Die Verantwortung dafür trugen nicht die Sozialdemokraten sondern die Bürger, die mehrheitlich in formal demokratischer Weise den Undemokraten die Mehrheit im Reichstag verschafft hatten.

Was hätten die Sozialdemokraten dagegen tun sollen? Eigentlich blieb ihnen nur eine Option: Sie hätten das Reichsbanner bzw. die Eiserne Front mobilisieren können. Wozu das geführt hätte, ist klar: Bürgerkrieg. Rückblickend kann man natürlich heute trefflich streiten, ob das nicht der bessere Weg gewesen wäre...

MfG

"Was hätten die Sozialdemokraten dagegen tun sollen[FONT=Arial, sans-serif]?" [/FONT]Vor der Abstimmung konnte die Sozialdemokratie nichts anderes tun, als das was in der Rede von Otto Wels zum Ausdruck gekommen ist. Meine Frage zielt auf den Zeitraum von 1918/19 bis 1933. War es für die Sozialdemokratie eine unumkehrbare Kette von Ereignissen, dass, von München ausgehend ab 1933 der NS die Stellung bezog, von der die SPD sich gezwungen sah, die staatlichen Stellungen zu räumen? Gab es in der WR keine aus sozialdemokratischen Kreisen kommende Unternehmungen, die bereits die in München sich zusammengefundenen Nationalsozialisten ( … DAP …) als den innenpolitischen Gegner der WR erkannt, analysiert und systematisch entgegengearbeitet? Ist eine innenpolitisch durchgehende sozialdemokratische Abwehrarbeit nicht nachzuweisen, musste die SPD dann 1933 nicht zwangsläufig die Position einnehmen, die von Otto Wels in der Rede im Reichstag formuliert wurde?
 
Befasse dich mal mit dem Verhätniss zwischen den Sozialdemokraten und den Kommunisten Wenn sahen die Sozialdemokraten mehr als Gegner an und umgekehrt. Wie standen diese beiden Parteien zueinander.
 
Ich schließe mich Maelonn an :)confused:) und frage auch noch mal nach: Sehe ich das richtig Fredi, dass du den Sozialdemokraten den Aufstieg der Nationalsozialisten anlastest? Wenn nicht, dann bitte ich um Korrektur.
 
Befasse dich mal mit dem Verhätniss zwischen den Sozialdemokraten und den Kommunisten Wenn sahen die Sozialdemokraten mehr als Gegner an und umgekehrt. Wie standen diese beiden Parteien zueinander.

Bereits 1915 war für Rosa Luxemburg klar: "Auf Schritt und Tritt gibt es zwei historische Notwendigkeiten, die zu einander in Widerspruch geraten, und die unsrige, die Notwendigkeit des Sozialismus, hat einen längerem Atem. Unsere Notwendigkeit tritt in ihr volles Recht mit dem Moment, wo jene andere, die bürgerliche Klassenherrschaft, aufhört, Trägerin des geschichtlichen Fortschritts zu sein, wo sie zum Hemmschuh, zur Gefahr für die weitere Entwicklung wird." 1918 wird sie schreiben: "Die Tagesordnung der Weltgeschichte heißt heute: Verwirklichung des sozialistischen Endziels." Rosa Luxemburg proklamiert 1919: "Die Revolutionen haben uns bis jetzt lauter Niederlagen gebracht, aber diese unvermeidlichen Niederlagen häufen gerade Bürgschaft auf Bürgschaft des künftigen Endsieges" Den historischen Lernprozess nicht mitmachend, war 1918/19 die SPD nicht so aufgestellt, dass "das Arbeiterparlament, die Vertretung des Stadt- und Landproletariats", die neue "Demokratie im sozialistischen Sinne", geschaffen werden konnte.
 
Bereits 1915 war für Rosa Luxemburg klar: "Auf Schritt und Tritt gibt es zwei historische Notwendigkeiten, die zu einander in Widerspruch geraten, und die unsrige, die Notwendigkeit des Sozialismus, hat einen längerem Atem. Unsere Notwendigkeit tritt in ihr volles Recht mit dem Moment, wo jene andere, die bürgerliche Klassenherrschaft, aufhört, Trägerin des geschichtlichen Fortschritts zu sein, wo sie zum Hemmschuh, zur Gefahr für die weitere Entwicklung wird." 1918 wird sie schreiben: "Die Tagesordnung der Weltgeschichte heißt heute: Verwirklichung des sozialistischen Endziels." Rosa Luxemburg proklamiert 1919: "Die Revolutionen haben uns bis jetzt lauter Niederlagen gebracht, aber diese unvermeidlichen Niederlagen häufen gerade Bürgschaft auf Bürgschaft des künftigen Endsieges" Den historischen Lernprozess nicht mitmachend, war 1918/19 die SPD nicht so aufgestellt, dass "das Arbeiterparlament, die Vertretung des Stadt- und Landproletariats", die neue "Demokratie im sozialistischen Sinne", geschaffen werden konnte.

Nur um das richtig einzuordnen: Du unterstellst, dass Rosa Luxemburg Recht hatte, ja?
 
Nur um das richtig einzuordnen: Du unterstellst, dass Rosa Luxemburg Recht hatte, ja?

Die Mehrheitssozialisten gingen 1921, beispielsweise in der Deutschen Nationalversammlung davon aus, dass 1918/1919 in Deutschland eine Revolution stattgefunden, dass die Arbeiterklasse nun in Deutschland endlich das nachhole, "was das deutsche Bürgertum versäumt hatte"; die Einführung der Demokratie, die 1848/49 nicht eingeholt wurde. Aus diesen, ihren Selbstverständnis heraus betrieb die SPD bis 1933 Innen- und Außenpolitik. Dass 1918/1919 in Deutschland eine Revolution nicht stattgefunden, dass das Proletariat sich nicht eingebracht, ist die Position von Rosa Luxemburg, mit der auf den historischen Lernprozess gesetzt wurde. Die letztere Position, wird auf Moral gesetzt, gibt her der SPD, da sie einen als notwendig erachteten historischen Lernprozess nicht mitgemacht, diesem also entsprechend auch nicht gehandelt, den Aufstieg des NS lastend anzurechnen. Zwangsläufig ist auf diese Moral zu setzen?
 
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