Hindenburgs politisches Testament - verfälscht?

Carolus

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Ich bin heute in der Presse über Artikel zum politischen Testament von Paul von Hindenburg gestoßen: The document that might have stopped Hitler | The Times of Israel und Could WWII have been avoided? How secret will of former German president Paul von Hindenburg may have knocked Adolf Hitler off course | Mail Online

In der deutschsprachigen Presse konnte ich zu dem Thema bisher zumindest noch nichts finden.

Zum Hintergrund: 1934 wurde Hitler per Volksabstimmung zum Führer und Reichskanzler ernannt mit einer Zustimmung von knapp 90 %(!)(Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs ? Wikipedia).

Nach den Zeitungsmeldungen sind vom britischen Geheimdienst MI5 Unterlagen freigegeben worden, nach denen Hindenburg in seinem politischen Testament, sich für eine von der Politik unabhängige Armee ausgesprochen hat, ein Zwei-Kammer-System und eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative - kurz gesagt der Sturz der Nazi-Diktatur.

Die "offizielle" Version des Testaments war allerdings ein wenig anders:
"Mein Kanzler Adolf Hitler und seine Bewegung haben zu dem großen Ziele, das deutsche Volk über alle Standes- und Klassenunterschiede zur inneren Einheit zusammenzufassen, einen entscheidenden Schritt von historischer Tragweite getan."
nach Hindenburgs Vermächtnis - Tod zur rechten Zeit - SPIEGEL ONLINE

Das Original des Testaments - sofern es existierte - wurde vernichtet. Nach Hindenburgs Tod wurde die Wehrmacht auf Hitler vereidigt. Die Kenntnisse über das "richtige" Testament stammen von einem Exilanten aus Deutschland, Fritz Günther von Tschirschky ? Wikipedia, der diese Informationen an den britischen Geheimdienst übergeben hat.

Falls diese Aussagen von von Tschirschky richtig sein sollten, wäre vielleicht das Plebiszit von 1934 nicht so eindeutig oder gar nicht für Hitler ausgefallen. Vielleicht hätte dann auch die noch nicht auf Hitler vereidigte Armee geputscht.Der Holocaust und der 2. Weltkrieg hätten nicht stattgefunden. Aber das sind alles kontrafaktische "Was-wäre-gewesen,-wenn..."-Überlegungen.
 
...Zum Hintergrund: 1934 wurde Hitler per Volksabstimmung zum Führer und Reichskanzler ernannt mit einer Zustimmung von knapp 90 %(!)(Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs ? Wikipedia).
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(August 1934 fand keine "Volksabstimmung" statt, da ja keine Grundlage mehr dafür vorhanden war.)

Und so wie ich es lese, wurde auch nicht etwa der Inhalt eines etwaigen Vermächtnisses "declassified", also freigegeben, sondern die Einlassungen Tschirschky's, es habe ein solches gegeben an dessen Abfassung er mitgewirkt habe.
Davon habe es zwei Entwürfe gegeben, die beide zerstört worden seien, und eine der beiden durch Tschirschky selbst aus Furcht.

Die zitierte Behauptung Tschirschky´s "... he helped to draft Hindenburg’s last will and testament, a document which he said blasted Hitler and called on the German people to embrace democracy." (Hervorhebung durch mich) ist verwunderlich.
:winke:
Grüße hatl
 
(August 1934 fand keine "Volksabstimmung" statt, da ja keine Grundlage mehr dafür vorhanden war.)

ja und nein, Volksabstimmung: ja, freie Volksabstimmung: nein, wo war die freie Presse und die Opposition? Wurde ordnungsgemäß gezählt? Wurde das Wahlgeheimnis gewahrt? Was wäre die Alternative gewesen? Hätte man im Falle einer gescheiterten Volksabstimmung (Zustimmung < 50 %) eine freie, demokratische Wahl gehabt oder die "Wahl" auf einer Einheitsliste der Staatspartei?

Nach 75 Jahre "Machtergreifung" - Das Haken-Kreuz mit den Wahlen - SPIEGEL ONLINE

wurde nicht richtig gezählt, Bürger wurden aufgefordert, offen abzustimmen, das Kreuz bei der "richtigen" Entscheidung wurde schon vorher auf die Stimmzettel gemacht.


hier einige interessante Links:

Innenpolitik


In den Großstädten war die Zustimmungsquote übrigens unterdurchschnittlich:

z. B. Hamburg
Das Statistische Landesamt musste eingestehen, dass nur 79,62 Prozent Ja-Stimmen registriert worden waren - im übrigen Reichsgebiet waren es 90 Prozent. "Reichsstatthalter und Gauleiter" Karl Kaufmann jammerte in einem Schreiben an Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß vom 27. August 1934, das Ergebnis der Abstimmung sei die "tiefste Enttäuschung meiner langjährigen Tätigkeit in der Partei".

aus: - taz.de

Interessant sind auch einige Bemerkungen zur Wahl von Viktor Klemperer:

"Die 5 Millionen Nein und Ungültig gegen 38 Millionen Ja bedeuten ethisch sehr viel mehr als nur ein Neuntel vom Ganzen", kommentierte Victor Klemperer das Ergebnis in seinem Tagebuch. "Es hat Mut und Besinnung dazu gehört. Man hat alle Wähler eingeschüchtert und betrunken mit Phrasen und Festlärm gemacht. Ein Drittel hat aus Angst, eines aus Betrunkenheit, eines aus Angst und Betrunkenheit Ja gesagt. Eva und ich haben ihr Nein auch nur aus einer gewissen Verzweiflung und nicht ohne Furcht angekreuzt." Klemperer fährt fort: "Dennoch, trotz der moralischen Niederlage: Hitler ist unumschränkter Sieger, und ein Ende ist nicht abzusehen."

aus: 75 Jahre "Machtergreifung" - Das Haken-Kreuz mit den Wahlen - SPIEGEL ONLINE

Und so wie ich es lese, wurde auch nicht etwa der Inhalt eines etwaigen Vermächtnisses "declassified", also freigegeben, sondern die Einlassungen Tschirschky's, es habe ein solches gegeben an dessen Abfassung er mitgewirkt habe.
Davon habe es zwei Entwürfe gegeben, die beide zerstört worden seien, und eine der beiden durch Tschirschky selbst aus Furcht.

Das ist richtig, die Entwürfe sind anscheinend verschwunden. Ob die Nazis diese noch behalten haben und erst später vernichteten, oder ob diese nach 1945 in die Archive Moskaus gefunden haben und dort womöglich noch liegen könnten, ist Spekulation.

Die zitierte Behauptung Tschirschky´s "... he helped to draft Hindenburg’s last will and testament, a document which he said blasted Hitler and called on the German people to embrace democracy." (Hervorhebung durch mich) ist verwunderlich.
:winke:
Grüße hatl

Hindenburg hätte sich auch für eine Demokratie mit konstitutioneller Monarchie wie in Großbritannien, Niederlande, Dänemark, Schweden, Norwegen, Belgien etc. aussprechen können.
 
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