Genf 1939?

E

Eveline

Gast
Guten Tag!

Wir sollten dringend Informationen haben darüber, was in Genf 1939 im Bezug auf die rechts-links- Politik geschah. Nähere Informationen wurden uns nicht gegeben... vielleicht kommt jemandem von euch grad in den Sinn, was da gemeint sein könnte?

Dringliche Grüsse, Eveline
 
Und dann aus dem Historischen Lexikon der Schweiz:

4.3.2 - Die Zwischenkriegszeit
Nach dem Krieg konnte G. seinen Ruf als Schiedsgerichtsort festigen, als es 1920 Sitz des Völkerbunds wurde. Dennoch blieb die Zahl der internat. Organisationen auf dem Genfer Territorium begrenzt, und sogar die Verfechter des "Esprit de Genève" gaben zu, dass die Öffnung zur Welt mit einer gewissen Tendenz zur Abschottung einherging, die der Integration des kosmopolit. Elements entgegenstand.

Die Ausländer, die G. bei Kriegsausbruch verlassen hatten, kehrten nicht alle zurück. Sie wurden hauptsächlich durch einen Zustrom von Schweizern ersetzt, unter denen sich viele Arbeiter befanden, die das Stimmrecht besassen. Nach einer kurzen wirtschaftl. und finanziellen Krise zeichneten sich die 1920er Jahre durch ein relatives Wachstum aus. In dieser Lage wurden 1924 zwei Sozialdemokraten in den Staatsrat gewählt, 1927 dann nur noch ein einziger. Allerdings wurden die 1920er Jahre v.a. durch das Auftreten der Union de défense économique (1923) geprägt, die als heftige Reaktion des Mittelstands und der Arbeitgeberkreise gegen Etatismus, Sozialismus und Modernismus gewissermassen eine Verlängerung des konservativen und antibolschewist. Rucks von 1918 darstellte.

Die Zwischenkriegszeit war von einer sehr starken Polarisierung des polit. Lebens gekennzeichnet. Der Streit um die Freizonen - Frankreich hatte einseitig die grosse Zone aufgehoben und damit einen langen Rechtsstreit nötig gemacht, musste aber schliesslich die kleinen Zonen wieder herstellen - verhinderte G.s natürl. Eingliederung in den regionalen Wirtschaftsraum. Die Auseinandersetzung konfrontierte die Genfer mit der Realität ihres kleinen Territoriums, die im Gegensatz zu ihrer internat. Bestimmung stand.

Angesichts der Krise der 1930er Jahre, als Arbeitslosigkeit und Elend explosionsartig zunahmen und die Behörden die Politik der Lohnsenkungen mittrugen, legten die Arbeitskämpfe an Heftigkeit zu, und die Allianz zwischen Radikalen und Sozialdemokraten zerbrach. Unter dem Einfluss des Grossrats und Volkstribunen Léon Nicole wurde die Genfer Sozialdemokratie unnachgiebiger, zumindest verbal. Die Gewerkschaften erfuhren eine Radikalisierung durch hitzige Militante wie Lucien Tronchet, Gewerkschafter im Bausektor, der einem revolutionären Syndikalismus anhing. Charles Rosselet, Präs. des Gewerkschaftsbunds, nahm zwar eine weniger kämpfer. Haltung ein, verteidigte aber in Anbetracht der Krise die Notwendigkeit einer alternativen Wirtschaftspolitik. Die christl. Gewerkschaftsbewegung ihrerseits trat für den Korporativismus ein, für die Überwindung des Klassenkampfs und die gemeinschaftl. Zusammenarbeit, d.h. für gemeinsame Organisationen von Arbeitern und Arbeitgebern: den Korporativismus. Diese Sichtweise der sozialen Frage, die den Klassenkampf negieren wollte, teilte die extreme Rechte, allerdings in einer autoritäreren Form.

1932 drang die Union nationale, eine von Mussolini inspirierte und von Georges Oltramare geleitete profaschist. Partei, spektakulär in die polit. Landschaft G.s ein und nahm im Grossrat Einsitz, in dem sie die Nachfolge der im Niedergang begriffenen Union de défense économique antrat. Die Mitglieder dieser antidemokrat. Bewegung paradierten ganz nach dem Vorbild der faschist. Aufmärsche durch die Strassen. Ihre Zeitung "Le Pilori" fuhr einen durch und durch antisemit. Kurs und ihre Parolen zeugten von einer aussergewöhnl. Gewaltbereitschaft. Die traditionelle Rechte und die Arbeitgeber fanden sich mit ihr weitgehend ab - im Namen des gemeinsamen Kampfes gegen den Sozialismus und dessen Heimat, die Sowjetunion.

Die bürgerl. Kräfte verwickelten sich in Bankenskandale, v.a. im Zusammenhang mit den Geldern, welche die öffentl. Hand gesprochen hatte, um die Banque de Genève zu retten (1931), nota bene zu einem Zeitpunkt, als die finanzielle Lage des Kantons katastrophal war. Mit Erfolg bekämpften sie eine sozialdemokrat. Steuerinitiative, welche die Vermögenden stärker belasten wollte. Im Gefolge der Genfer Unruhen, als am 9.11.1932 ein Aufgebot von Rekruten gewaltsam gegen eine antifaschist. Demonstration vorging und die Schiesserei 13 Tote und 65 Verletzte forderte, errangen die Sozialdemokraten in der Regierungswahl von 1933 die Mehrheit, blieben jedoch im Gr. Rat in der Minderheit. Nachdem der Regierung die finanziellen Mittel beschnitten worden waren, ging das Experiment 1936 zu Ende. Doch die Erinnerung an diese unruhige Zeit blieb lange wach.

Ab 1936 hielt die Entente nationale (Radikale, Demokraten, d.h. die späteren Liberalen, und Christlichsoziale, d.h. die späteren Christdemokraten) die Macht fest in ihren Händen. Sie versuchte, ein Gesetz einzuführen, das Arbeitgeber und Lohnabhängige dazu verpflichten wollte, sich an verbindl. Gesamtarbeitsverträge zu halten. Doch der Linken gelang es, das Gesetz unter Berufung auf die Handelsfreiheit zu Fall zu bringen. Rasch liess die Entente nationale auch die Kommunist. Partei verbieten, deren Mitglieder sich daraufhin der Sozialdemokrat. Partei anschlossen. Diese konnte aber nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens in der Metallindustrie vom Juli 1937 und dessen Ratifizierung auf der Ebene G.s 1938 keine glaubwürdige Alternative vorschlagen. Léon Nicoles Anhänger wurden 1939 sogar aus der Sozialdemokrat. Partei der Schweiz ausgeschlossen, weil sie den Hitler-Stalin-Pakt nicht verurteilt hatten. Sie gründeten deshalb die Fédération socialiste, der sich eine grosse Mehrheit ihrer alten Wähler anschloss. Nachdem diese wie die Kommunist. Partei verboten worden war, tauchten ihre Mitglieder nach dem Kriegsende in der Partei der Arbeit wieder auf.

Autor: Charles Heimberg / AHB
 
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