Alliierte Angriffspläne gegen die Sowjetunion?

Xander

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Alliierte Angriffspläne gegen die Sowjetunion 1940 ?

Moin

Habe gestern in einem Buch über Abwurfmunition einen Abschnitt gelesen, der mich doch sehr erstaunt hat!
Demnach planten Briten und Franzosen im Frühjahr 1940 Bombenangriffe auf sowjetische Ölfelder um das Kriegspotential der Sowjets schwer zu schädigen.


"... Später, im Frühjahr 1940, werden vom irakisch-britischen Stützpunkt Habbanlya, in der Nähe von Bagdad, Erkundungsflüge über den sowjetischen Ölfeldern am Schwarzen- und Kaspischen Meer geflogen. Ziel der Alliierten war es, die Ölfelder bei Baku am Kaspischen Meer und bei Batum am Schwarzen Meer anzugreifen.
Dafür standen neun Bomberstaffeln, bestehend aus zwei französischen Staffeln Farman 221, vier französische Staffeln Glen Martin und drei britische Staffeln mit Bombern vom Typ Wellington bereit.
Dies muß den Sowjets jedoch bekannt geworden sein. Denn daraufhin verlegte das sowjetische Oberkommando Anfang März 1940 Truppen in diese Region bzw. in den gesamten unteren Kaukasus. ...
"

[Quelle: Fliegerbomben; Wolfgang Thamm; S. 181f]

Bis dato war mir vollkommen unbekannt, dass es solche Angriffspläne auf die Sowjetunion überhaupt gab!?
Waren Franzosen und Briten so siegessicher, dass sie einen Zweifrontenkrieg riskieren wollten? Auch wenn Stalin ganz sicher nicht als Freund gesehen wurde, so ist mir eine solche Aktion doch recht unverständlich! Hatten sie mit Hitler nicht schon genug Probleme "an der Backe"? :grübel:

Gruß
Andreas
 
Zuletzt bearbeitet:
Hintergrund war

- die Unterstützung der SU für den Krieg des Dritten Reichs
- der Finnlandkrieg 1939/40, der eine strategische Verschlechterung auch der Kriegslage gegen Deutschland befürchten lies (Rohstofflieferungen aus Skandinavien gegen die alliierte Blockade)

Aus dem Grund gab es Pläne und einige Vorbereitungen, die SU durch eine militärische Intervention und Bedrohung ihrer Ölproduktion (sicher eine Schnapsidee) von der Unterstützung des Deutschen Reichs abzuhalten. Ein Krieg iwS war nicht geplant.

Siehe
Westmächte gegen die Sowjetunion - Hans-Joachim Lorbeer - Google Books
bzw. die Darstellung im DRZW, Band 2.

Nach dem Deutschen Westfeldzug 1940 wurden die Unterlagen des französischen Generalstabs gefunden und beschlagnahmt. Das verwertete man dann genüsslich in der Propaganda, um in goebbelscher Manier die Aggressivität der Westmächte darzustellen, aber auch um die eigenen Vorbereitungen zum Ostfeldzug zu verschleiern.
 
Dank dir für dir flotte Antwort!

... Ein Krieg iwS war nicht geplant. ...

Na, die Russen hätten aber sicher nicht tatenlos zugesehen! Wäre mal interessant zu wissen, wie Stalin reagiert hätte!

Gibt reichlich Stoff für (ungeliebte) "was wäre wenn" Diskussionen.
Wäre es 1941 zu "Barbarossa" gekommen, wenn Russland auch mit England in Clinch gelegen hätte?

Gruß
Andreas
 
Na, die Russen hätten aber sicher nicht tatenlos zugesehen! Wäre mal interessant zu wissen, wie Stalin reagiert hätte!

Der Angriff hätte die gleiche Qualität für Stalin gehabt, wie Pearl für die Amerikaner. Die Antwort wäre zu 99 Prozent eine Kriegserklärung an das Land / die Länder gewesen, die den Angriff geflogen hätten.

Wäre es 1941 zu "Barbarossa" gekommen, wenn Russland auch mit England in Clinch gelegen hätte?

Ja natürlich, dann erst Recht, da eine Allianz zwischen der UdSSR und den Westallierten sicherlich 41 und wahrscheinlich auch nicht 42 zustande gekommen wäre. Somit hätte es kein Lend Lease zu diesem Zeitraum gegeben.

Dieser geplante Angriff auf die russischen Ölquellen, wäre er denn jemals realisiert worden, was ich persönlich angesichts der logistischen Probleme, der Kriegslage und der politischen Situation für problematisch bzw. unrealistisch halte, hätte den Gang des WW2 verändern können.

Aber es handelt sich, einmal mehr, um einen der vielen Planungen, und es ist der Job von Generalstäben zu planen, die wenig fruchtbar in den Bereich der Spekulation verweisen.
 
Ob es bei einem Stellungskrieg im Westen tatsächlich zu einer Bombardierung im Kaukasus gekommen wäre, ist nicht zu klären.

Ich würde das eher als Schubladenpläne ansehen, da die Achillesferse Persien/Irak für GB sicher eine Rolle gespielt hätte. Das gilt umso mehr, als man negative Erfahrungen durch den Interventionskrieg 1918/19 gemacht hatte. Eher wäre man wohl in Nordnorwegen aktiv geworden, aber da kam das Deutsche Reich zuvor.
 
Einen gewissen Höhepunkt erreichten die Pläne im März 1940, bei den Luftwaffenbesprechungen in Aleppo.

Wie der Tagungsort zeigt, sollte die Türkei eingebunden werden. Deren Interesse an solchen Aktionen erlahmte aber wegen der Entwicklungen im Frühjahr 1940 deutlich, und man wollte nicht mehr als Plattform für den Absprung der bereitgestellten Flugzeuge dienen. Frankreich hatte unterdessen im Nahen Osten seine Luftwaffenpräsenz deutlich verstärkt, da der Angriffspart "Baku" übernommen werden sollte. Britische Flugzeuge sollten Groszny angreifen.

Die ganze Planung stand unter dem Vorbehalt, dass man sich zutraute, 75% der Ölanlagen zu zerstören, und sich davon eine Lähmung der SU und evt. innere Unruhen erwartete. Das ging also alles ziemlich ins "Blaue" (wie die viel größere Katastrophe im Sommer 1941 zeigte, saß Stalin fest im Sattel).

Im Winter 1940/41 lebten die britischen Planungen - wohl fast Verzweifelung über fehlende Ansatzpunkte gegen das Deutsche Reich - wieder auf.

Die Su bekam übrigens durchaus Informationen über die Vorgänge, so durch das Erkennen der alliierten Höhenluftaufklärung im März und April 1940 über dem Kaukasus.
 
Danke dir für die ganzen Infos! Sehr interessant für mich. Hätte nicht gedacht, zum Thema 2. Weltkrieg noch auf ein mir gänzlich unbekanntes Thema zu stoßen!

"Die ganze Planung stand unter dem Vorbehalt, dass man sich zutraute, 75% der Ölanlagen zu zerstören ..."

Aufgrund der wenig effektiven Bombenangriffe der RAF auf das Reichsgebiet zu dieser Zeit, waren die 75% aber seeehr optimistisch angesetzt!

Gruß
Andreas
 
Viel zu optimistisch die Ölfelder in Rumänien brachen in der produktion max. 50 % ein und dass obwohl sie ein Jahr lang immer wieder gebombt wurden .
 
Natürlich war das zu optimistisch. Vielleicht habe ich das unklar formuliert: man setzte den Vorbehalt, dass 75% zerstören werden müssten, wenn der Angriff erfolgen sollte.

Hier ist wichtig, den Zeitpunkt solcher Überlegungen zu beachten: die Wirkungen auf industrielle Ziele wurden zu Beginn des Krieges von allen Kriegsparteien völlig überschätzt. So gab es 1939/40 auf alliierter Seite die Meinung, man könne durch Nachtangriffe innerhalb von 6 Wochen die deutsche Treibstoffindustrie zum Erliegen bringen.

In der Vorkriegsgeschichte gab es ebenfalls diese Überschätzungen, siehe zB die hysterischen Studien zu französischen Luftangriffen auf London in den 1920ern, mit prognostiziert zehntausenden Toten und einer Kriegseinstellung nach wenigen Wochen. Das sind Vorgedanken des strategischen Bombenkrieges 1943/45, mit der Prämisse: "The bomber will always get through"

Strategic bombing - Wikipedia, the free encyclopedia
Trenchard, Douhet:
Air Power:The Prophets: Advocates of Strategic Bombing
 
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