Beendigung des zweiten Weltkriegs

Wilfried

Aktives Mitglied
Hallo Leute,
ich frage michangesichts immer wieder neuer Fronten/Feldzüge im Verlauf des WKII, gab es eigentlich von Seiten Deutschlands irgendeine Idee, wann der Krieg vorbei sein sollte?

Das Verhalten erinnert mich an einen Glücksspieler, der nach jedem Spiel "dieses eine noch" macht, bis alles verspielt ist.

Was waren die Gedanken für den Fall eines Sieges, wann wäre der Krieg gewonnenn gewesen?
 
Das Verhalten erinnert mich an einen Glücksspieler, der nach jedem Spiel "dieses eine noch" macht, bis alles verspielt ist.

Da liegt tatsächlich eine Dynamik in der Eskalation. Hitlers Zielsetzungen, iwS "Kriegsziele", sind ua. in der Hoßbach-Niederschrift beschrieben
NS-Archiv : Dokumente zum Nationalsozialismus : Hoßbach-Niederschrift, 5. November 1937

Hitlers "Friedensangebot" vom Oktober 1939 ging selbstredend davon aus, sich Polen dauerhaft einzuverleiben. Wie auch immer, als nächste Eskalationsstufe setzte er den Angriff im Westen - auch gegen die Generalität - durch. Frankreichs Kapitulation bewirkte dann im Sommer 1940 den entscheidenden Einschnitt: ohne eine europäische Landmacht "im Rücken" riskierte Hitler den Angriff auf die Sowjetunion, das Hauptziel schlechthin seiner Raum-und-Volk/Blut-und-Boden-Ideologie.

Welche Ernsthaftigkeit nun tatsächlich in den zaghaften, tastenden Versuchen 1942/43 für einen Separatfrieden mit der UdSSR steckten, kann man schwer beurteilen. Dem Akteur Stalin ist das mE noch eher zuzutrauen als dem Akteur Hitler. Selbst in der desaströsen Lage nach Stalingrad/El Alamein/Tunis/U-Boot-Krieg ließ Hitler die Sommeroffensive 1943 vorbereiten.

Die Westmächte hatten sich indes, nicht erst in Casablanca, gegen den Aggressor Deutsches Reich klar positioniert: kein Waffenstillstand (1939/41), später dann "unconditional surrender".
 
Hallo Leute,
ich frage michangesichts immer wieder neuer Fronten/Feldzüge im Verlauf des WKII, gab es eigentlich von Seiten Deutschlands irgendeine Idee, wann der Krieg vorbei sein sollte?

Das Verhalten erinnert mich an einen Glücksspieler, der nach jedem Spiel "dieses eine noch" macht, bis alles verspielt ist.

Was waren die Gedanken für den Fall eines Sieges, wann wäre der Krieg gewonnenn gewesen?

@Wilfried

Im Gegensatz zum I. WK gab es im II. WK m.W. keine deutsche Kriegszieldiskussion, jenseits von irgendwelchen Referentenentwürfen und Phantasmagorien, wie den "Generalplan Ost".

Dein Eindruck des "Glückspielers" ist m.E. korrekt. Das ns Regime hat mit der Führung eines ideologisch determinierten Vernichtungskrieges alle Brücken hinter sich abgebrochen. Das es keine konkreten deutschen Kriegsziele gab, außer einer nebulösen deutschen Vorherrschaft in Europa läßt sich an vier Daten m.E. festmachen, dem 3. September 1939, der 11. März 1941, der 22. Juni 1941 und der 11. Dezember 1941. Diese Maßlosigkeit und die bis dahin begangenen Verbrechen, ließen einfach keinen Platz für "rationale" Kriegsziele.

M.
 
Diese Maßlosigkeit und die bis dahin begangenen Verbrechen, ließen einfach keinen Platz für "rationale" Kriegsziele.

Die konstruktivistische Theorie der internationalen Beziehungen geht beispielsweise bei der Bewertung von "Rationalität" nicht von einem nach rückwärts projizierten aktuellen Rationalitätsbegriff aus. Das führt teilweise zu Mißverständnissen, da diese Vorgehensweise wie ein Rechtfertigungsversuch erscheinen könnte.

Sondern rekonstruiert auf der Grundlage der damaligen Denkmuster die Muster für Rationalität, z.B. vgl. Paper.

http://inef.uni-due.de/sib/papers/ulbert_2005.pdf

Vor diesem Hintergrund interpretiert Hillgruber die Ambitionen im Rahmen des WW1 und von WW2 vor dem Hintergrund eines hegemonialen Kontinuums, das die unklare Machtkonstellation in Zentral-Europa auflöst.

Deutschlands Rolle in Der Vorgeschichte Der Beiden Weltkriege - Andreas Hillgruber - Google Books

Der rationale Impuls, den wir aus heutiger Sicht als irrational und verbrecherisch bewerten, den Hitler verfolgte und in Mein Kampf ausformuliert hatte, entsprach der damaligen Vorstellung von nationaler Sicherheit, in Teilen der Politik, durch imperiale Größe (eine Denkhaltung, die auch in der "realistischen" bzw. "neo-realistischen Theorie" der Außenpolitik ausformuliert ist, vgl. z.B. Snyder)). Und waren ein besonderes Kennzeichen der deutschen, der italienischen und japanischen Außenpolitik in den dreißiger Jahren.

Im Fall Deutschlands zusätzlich angereichert durch rassetheoretische Ideen, dem "Untergang des Abendlandes" (ich weiss Spengler war kein Nazi!) und in Kombination mit dem weit verbreiteten Sozialdarwinismus ergab sich ein pseudo-rationalistisches Weltbild.

Myths of Empire: Domestic Politics and International Ambition - Jack L. Snyder - Google Books

Und dieses rationale imperiale Weltbild ist, so Müller, bereits als konkrete Haltung bzw. Handlungsoption bei Hitler schon ausgeprägt für die 30er Jahre zu erkennen.

Der Feind steht im Osten: Hitlers geheime Pläne für einen Krieg gegen die ... - Rolf-Dieter Müller - Google Books

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Telegramme von Hitler an seine GFM lediglich die Alternative "Sieg oder Tod" kennen, wie beispielsweise ein Telegramm an Rommel im Jahr 1942 endet. Und sich ähnlich vermutlich auch in den Telegrammen an Paulus widerfindet.

Dieses "finale Weltbild" von Hitler lässt lediglich die Zielerreichung zu oder den Untergang. Jegliche Zwischenformen entsprachen nicht seiner Denkhaltung. Die durchaus seiner Zeit entsprang, allerdings eine besonders radikale Ausformulierung erhalten hat.
 
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Auf Hitler bezogen ist das eine zweifellos richtige Analyse seiner Entschlusslage.

Allerdings würde ich gerne das seinerzeitige Weltbild etwas eingrenzen: es gab zuvor in den 1920er Jahren durchaus, und auch unter deutscher Mitwirkung, eine konstruktive Gestaltung der europäischen bzw. auch der Friedens-Politik. Briand-Kellogg, Locarno, Abrüstungskonferenzen etc. sind da Beispiele. Insoweit halte ich die Denkmuster einer "unklaren Machtkonstellation" im hegemonialen Kontinuum für erklärungsbedürftig, und für einschränkbar auf bestimmte Kreise.

Zu dieser Einschränkung gleich eine Rückeinschränkung: auch die Weimarer Zeit sah die Ostgrenzen als revidierbares Kriegsergebnis an. Dieser Anspruch ist aber nicht in gleicher Weise wie beim NS mit Hegemonialmachtansprüchen und Volk+Raum-Vorstellungen verbunden, sondern resultierte aus den nicht akzeptierten Gebietsverlusten des Krieges, wies also bei allem Revisionismus eine gewisse Begrenzung auf.
 
Auf Hitler bezogen ist das eine zweifellos richtige Analyse seiner Entschlusslage.

Allerdings würde ich gerne das seinerzeitige Weltbild etwas eingrenzen: es gab zuvor in den 1920er Jahren durchaus, und auch unter deutscher Mitwirkung, eine konstruktive Gestaltung der europäischen bzw. auch der Friedens-Politik. Briand-Kellogg, Locarno, Abrüstungskonferenzen etc. sind da Beispiele. Insoweit halte ich die Denkmuster einer "unklaren Machtkonstellation" im hegemonialen Kontinuum für erklärungsbedürftig, und für einschränkbar auf bestimmte Kreise.

Zu dieser Einschränkung gleich eine Rückeinschränkung: auch die Weimarer Zeit sah die Ostgrenzen als revidierbares Kriegsergebnis an. Dieser Anspruch ist aber nicht in gleicher Weise wie beim NS mit Hegemonialmachtansprüchen und Volk+Raum-Vorstellungen verbunden, sondern resultierte aus den nicht akzeptierten Gebietsverlusten des Krieges, wies also bei allem Revisionismus eine gewisse Begrenzung auf.

Die Friedensbemühungen müssen aber auch im Rahmen des tief verwurzelten Chauvinismus gesehen werden. Man bemühte sich um die Regelung der Beziehungen zu den "zivilisierten" Ländern. Für andere Nationen, die man teilweise als nicht gleichwertig ansah, etwa Russen oder Chinesen, galt dies nicht unbedingt.
 
Die Friedensbemühungen müssen aber auch im Rahmen des tief verwurzelten Chauvinismus gesehen werden. Man bemühte sich um die Regelung der Beziehungen zu den "zivilisierten" Ländern. Für andere Nationen, die man teilweise als nicht gleichwertig ansah, etwa Russen oder Chinesen, galt dies nicht unbedingt.

Siehst Du darin ("müssen aber auch...") dann eine Einschränkung des oben Gesagten, in Bezug auf das Deutsche Reich?
 
Siehst Du darin ("müssen aber auch...") dann eine Einschränkung des oben Gesagten, in Bezug auf das Deutsche Reich?

Mehr einen Hinweis darauf, dass auch diejenigen Gruppen der damaligen Zeit, die sich um Friedensschlüsse bemühten, damit nicht unbedingt unser heutiges Verständnis von Frieden teilten.
 
Ach so,...

auf den Vergleich Weimar/heute wollte ich auch nicht hinaus, das war oben auch nicht Thema.

Mir ging es um das Spezifische der deutschen Politik nach 1933, die thanepower (so sehe ich das auch) noch in einen gewissen Kontext zu Japan und Italien gerückt hat, und die im Weltkrieg noch einen Kulminationspunkt erreichte.
 
Charakteristisch für die deutschen Zukunftsplanungen war die Vorstellung eines Lebens- und Wirtschaftsraums unter Führung des NS-Regimes. Er sollte ganz Europa bis zum Ural umfassen. Das Großgermanische Reich sollte darin eine führende Rolle spielen.

An diesem Ziel hielt Hitler noch fest, als sich die Niederlage bereits abzeichnete. Propagandaminister Goebbels notierte am 8. Mai 1943, dass der Diktator gegenüber Gauleitern der NSDAP betont hätte, "daß das Kleinstaatengerümpel, das heute noch in Europa vorhanden ist, so schnell wie möglich liquidiert werden muß. Es muß das Ziel unseres Kampfes bleiben, ein einheitliches Europa zu schaffen. Europa kann aber eine klare Organisation nur durch die Deutschen erfahren. Eine andere Führungsmacht ist praktisch nicht vorhanden". Quelle: Lochner, Louis P. (Hrsg.): Goebbels Tagebücher aus den Jahren 1942-1943, Zürich 1948, S. 325.

Wie dieses nationalsozialistische Europa genau aussehen sollte, wusste man auch innerhalb der Führungsspitze des NS-Regimes nicht. Der Diktator dachte nicht in den Kategorien einer traditionellen Machtpolitik. Krieg sah er als einen Kampf zwischen Rassen an, und die stärkere Rasse würde siegen.
 
Das Verhalten erinnert mich an einen Glücksspieler, der nach jedem Spiel "dieses eine noch" macht, bis alles verspielt ist.
Gut getroffen; genau dazu gibt es nämlich ein vielsagendes Zitat Hitlers: "Ich habe immer va banque gespielt" - als Göring ihm sagte er solle das riskante Spiel mit dem Krieg lassen, wenige Tage vor dem Angriff auf Polen.

Und dieses Zitat kann man wie eine Schablone auf praktisch alle von Hitlers Tätigkeiten legen. Auf den Putsch, auf seinen Aufstieg als Chef der NSDAP ("entweder er oder ich"), auf die Besetzung des Rheinlands, den Anschluß Österreichs, die Zerschlagung der Tschechoslowakei, den Angriff auf Polen (bei praktisch unverteidigter Westgrenze), dem Angriff auf Rußland (bei Verbleiben Großbritanniens im Krieg), ja selbst bei Entscheidung taktischer Vorstöße (z.B. Aufteilung der Kräfte vor Stalingrad - und hier ging es dann gründlich schief, ebenso wie vor der Ardennenoffensive für die Truppen von der labilen Ostfront abgezogen wurden).

Das ist imho auch der Grund wieso Fragestellungen wie "hätte der Krieg anders ausgehen können" ins Leere stoßen, da hier nicht nach militärischer Notwendigkeit gehandelt wurde sondern nach Hitlers Ideologie und seinem va-banque-Spiel: Alles oder nichts; es ist erstaunlich genug daß es so lang funktionierte.

Gruß Alex
 
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