Teil I
Bereits im Rahmen der Weisung Nr. 6 vom 9.10.1939 ordnete Hitler für den Westfeldzug die Angriffsoperation durch den luxemburgisch-belgischen-niederländischen Raum verbindlich an. (1) Zu diesem Zeitpunkt war als erster möglicher Angriffstermin der 12.11.1939 denkbar, zu dem die Wehrmacht ihre Offensivbereitschaft herzustellen hatte und für den bereits seit zwei Wochen der Aufmarsch der Truppeneinheiten im Westen mit höchstmöglichen Transportleistungen durchgeführt wurde. (2) Gegen die Weisung verfassten insbesondere die Oberbefehlshaber von Leeb und Bock Lagebeurteilungen, nach denen die Verletzung der belgischen Neutralität schwerste Folgen haben werde, ein Sieg über Frankreich und England sei nicht möglich. Unterdessen erreichte die deutsche Westfront am 11.10.1939 die Befehlausgabe, mit der Masse des Heeres einen Angriff durch Holland-Belgien-Luxemburg vorzubereiten. (3)
Am 17.10.1939 trug Hitler anlässlich der Lagebesprechung vor, er habe jede Hoffnung aufgegeben, mit den Westmächten zu einer Verständigung zu kommen. Sein Entschluss sei daher, die Westmächte militärisch zu besiegen. Mittelbar kommt diesem Entschluss aufgrund der im Vorfeld geäußerten operativen Überlegungen im Hinblick auf die neutralen Staaten daher auch die Bedeutung zu, dass sich Hitler an diesem Tag zugleich endgültig auf den Angriff gegen Belgien und die Nichtbeachtung jeglicher Neutralität im Westen festgelegt hatte. (4)
Darauf deutet einmal die am Folgetag, dem 18.10.1939 unterzeichnete Weisung Nr. 7 hin, die bereits den Durchmarsch durch neutrales luxemburgisches Gebiet für den Fall vorsieht, dass einem französisch-englischen Vormarsch nach Belgien hinein „entgegengetreten“ werden muss, was zugleich die Drohung eines solchen Einmarsches abdeckt. Zudem äußerte er konsequent am 21.10.1939 vor den Gau- und Reichsleitern, dass er Belgien an Deutschland anschließen werde, was auch auf den Entschluss zur Offensive im Westen vor Beendigung des Krieges hindeutet.(5) Diese Entwicklung macht deutlich, dass der Entschluss zum Angriff über belgisches Territorium ausschließlich mit operativen Überlegungen zum Feldzug gegen die Westmächte in Zusammenhang stand, zumal bis zu diesem Zeitpunkt keine nachweisbaren Neutralitätsverletzungen Belgiens verzeichnet worden sind.
Parallel zur Weisung Nr. 7 erging am 19.10.1939 die erste Aufmarschanweisung des Heeres für Fall Gelb, der Offensive im Westen. Als Zielsetzung der Offensive wurde herausgestellt, möglichst starke Truppen der Westmächte zu schlagen und möglichst viel holländischen, belgischen und nordfranzösischen Raum als Basis für eine ausreichende Luft- und Seekriegsführung gegen England und als weites Vorfeld des Ruhrgebietes zu gewinnen. (6)
Am 22.10.1939, auf Grundlage des Planungsvortrages für Westoffensive, (7) wurde zugleich der 22.11.1939 als Angriffsdatum festgelegt. Ein Angriff direkt durch Belgien und den Südteil der Niederlande erschien als die beste Lösung. In den Anweisungsentwürfen vom 19. Oktober 1939 lag daher der Schwerpunkt des Panzerangriffs noch unmittelbar nördlich der belgischen Festungsstadt Lüttich, ausgeführt von den Heeresgruppen A und B, während HGr C sich gegenüber der Maginot-Linie abwartend verhalten sollte. Ein Blick auf die Landkarte macht klar, dass dies nur dann entsprechend den Vorgaben Hitlers zu verwirklichen war, wenn dabei die Grenzen der bis fast an Lüttich heranragenden niederländischen Provinz Limburg überschritten wurden, auch diese Planung kalkulierte demnach eine Neutralitätsverletzung ein. Dagegen wurde die erste Planung der Aufmarschanweisung vom 19.10., nämlich ganz Holland zu besetzen, wieder aufgegeben.
Die streitigen Fragen der ersten Aufmarschanweisungen wurden dann erneut am 25.10.1939, diesmal zwischen OKH und Hitler erörtert. Dieser nahm die Gelegenheit zum Anlass, erneut und eingehend die Notwendigkeit der Offensive im Westen unter Verletzung der Neutralität Belgiens zu begründen. Es sei "unverantwortlich, in dieser für Deutschland so günstigen Stunde aktionslos zu bleiben. Ein Abwarten bedeute, eines Tages aufzuwachen und die Westmächte an der eigenen Grenze stehen zu haben". Die Besprechung behandelte dann im Weiteren die ungeklärten operativen Fragen des Kräfteansatzes. (8)
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(1) IMT, XXXIV, S. 266. Das ergänzende Schreiben Keitels lässt Rückfragen erkennen, die sich wohl auf die Notwendigkeit der Besetzung eines möglichst großen niederländischen Gebietes bezogen haben. Hierfür wird auf das Erfordernis zum Schutz des Ruhrgebietes sowie auf erforderliche Luftwaffenstützpunkte auf den Inseln verwiesen. Siehe auch den Tagebucheintrag bei Leeb vom 9.10.1939, wonach alle Nachrichten darauf hindeuten würden, dass Hitler „diesen Wahnsinnsangriff unter Verletzung der Neutralität Hollands, Belgiens und Luxemburgs wirklich machen will,“ Leeb, S. 188. Am 11.10.1939 arbeite Leeb eine neue Denkschrift aus über „Unsinns eines (deutschen) Angriffs“, ebenda, S. 188. Die Denkschrift ist wiedergegeben bei Jacobsen, Dokumente Vorgeschichte Westfeldzug, S. 79 ff.
(2) Kosthorst, Militärische Opposition, S. 31 verweist auf Gespräche zwischen Fromm und Halder, nach denen bis zum 10.11.1939 nur 5 Panzerdivisionen, 2 leichte Divisionen und 3 motorisierte Divisionen voll verwendungsbereit gemacht werden können.
(3) Nach einer Besprechung mit Brauchitsch sollte Bock am 10.10.1939 den Oberbefehl über die nördliche Heeresgruppe der Westfront übernehmen (somit gegenüber Belgien und den Niederlanden) und sich sobald wie möglich über die Möglichkeiten einer Offensive aus seinem Abschnitt äußern, vgl. Bock, Tagebuch vom 9.10.1939, S. 64. Auf Grundlage von Hitlers Denkschrift vom gleichen Tag spielt bei dieser Vorgabe die Notwendigkeit einer stärkeren Sicherung des Ruhrgebietes gegen Luftangriffe eine Rolle, "man wolle mehr Tiefe gewinnen". Schließlich wolle man durch eine Offensive nach Belgien hinein die alliierten Truppen zu einer offenen Feldschlacht zwingen. Brauchitsch gibt hier die Argumentation Hitlers an Bock weiter. Kluge und Reichenau als Armeeoberbefehlshaber verneinen am 11.10. Bocks Frage, ob man vorrücken solle, wenn die alliierten Truppen Belgien besetzen, vgl. ebenda, S. 65. Vgl. die Zusammenstellung bei Müller, Heer, S. 476-478 sowie Leeb, Tagebuch vom 11.10.1939, S. 188.
(4) Halder, Tagebuch vom 17.10.1939, Band 1, S. 107 und die Ausführung bei Müller, Heer, S. 482
(5) Zitat nach BA-MA H 08-104/2.
(6) Jacobsen, Fall Gelb, S. 28.
(7) Der Planungsvortrag fand am 21.10.1939 durch Keitel statt; dass ihn überraschend nicht der OBdH Brauchitsch übernahm, signalisiert die Ablehnung der Offensivstrategie durch das Heer, vgl. Warlimont, Wehrmacht, S. 66. Halder, Tagebuch vom 22.10.1939, Band 1, S. 111.
(8) Jacobsen, Fall Gelb, S. 39. Nach Bock, Tagebuch vom 25.10.1939, S. 67, wurde den Oberbefehlshabern von Hitler persönlich die Notwendigkeit des Angriffs erläutert, begründet durch die Möglichkeit eines alliierten Vormarsches durch die neutralen Länder und einer dann gegebenen Bedrohung des Ruhr- und Rheingebiets. Inzwischen waren 7 Armeen der aus Polen eintreffenden Heerestruppen im Westen aktiv, so Westphal, Heer, S. 120.
Bereits im Rahmen der Weisung Nr. 6 vom 9.10.1939 ordnete Hitler für den Westfeldzug die Angriffsoperation durch den luxemburgisch-belgischen-niederländischen Raum verbindlich an. (1) Zu diesem Zeitpunkt war als erster möglicher Angriffstermin der 12.11.1939 denkbar, zu dem die Wehrmacht ihre Offensivbereitschaft herzustellen hatte und für den bereits seit zwei Wochen der Aufmarsch der Truppeneinheiten im Westen mit höchstmöglichen Transportleistungen durchgeführt wurde. (2) Gegen die Weisung verfassten insbesondere die Oberbefehlshaber von Leeb und Bock Lagebeurteilungen, nach denen die Verletzung der belgischen Neutralität schwerste Folgen haben werde, ein Sieg über Frankreich und England sei nicht möglich. Unterdessen erreichte die deutsche Westfront am 11.10.1939 die Befehlausgabe, mit der Masse des Heeres einen Angriff durch Holland-Belgien-Luxemburg vorzubereiten. (3)
Am 17.10.1939 trug Hitler anlässlich der Lagebesprechung vor, er habe jede Hoffnung aufgegeben, mit den Westmächten zu einer Verständigung zu kommen. Sein Entschluss sei daher, die Westmächte militärisch zu besiegen. Mittelbar kommt diesem Entschluss aufgrund der im Vorfeld geäußerten operativen Überlegungen im Hinblick auf die neutralen Staaten daher auch die Bedeutung zu, dass sich Hitler an diesem Tag zugleich endgültig auf den Angriff gegen Belgien und die Nichtbeachtung jeglicher Neutralität im Westen festgelegt hatte. (4)
Darauf deutet einmal die am Folgetag, dem 18.10.1939 unterzeichnete Weisung Nr. 7 hin, die bereits den Durchmarsch durch neutrales luxemburgisches Gebiet für den Fall vorsieht, dass einem französisch-englischen Vormarsch nach Belgien hinein „entgegengetreten“ werden muss, was zugleich die Drohung eines solchen Einmarsches abdeckt. Zudem äußerte er konsequent am 21.10.1939 vor den Gau- und Reichsleitern, dass er Belgien an Deutschland anschließen werde, was auch auf den Entschluss zur Offensive im Westen vor Beendigung des Krieges hindeutet.(5) Diese Entwicklung macht deutlich, dass der Entschluss zum Angriff über belgisches Territorium ausschließlich mit operativen Überlegungen zum Feldzug gegen die Westmächte in Zusammenhang stand, zumal bis zu diesem Zeitpunkt keine nachweisbaren Neutralitätsverletzungen Belgiens verzeichnet worden sind.
Parallel zur Weisung Nr. 7 erging am 19.10.1939 die erste Aufmarschanweisung des Heeres für Fall Gelb, der Offensive im Westen. Als Zielsetzung der Offensive wurde herausgestellt, möglichst starke Truppen der Westmächte zu schlagen und möglichst viel holländischen, belgischen und nordfranzösischen Raum als Basis für eine ausreichende Luft- und Seekriegsführung gegen England und als weites Vorfeld des Ruhrgebietes zu gewinnen. (6)
Am 22.10.1939, auf Grundlage des Planungsvortrages für Westoffensive, (7) wurde zugleich der 22.11.1939 als Angriffsdatum festgelegt. Ein Angriff direkt durch Belgien und den Südteil der Niederlande erschien als die beste Lösung. In den Anweisungsentwürfen vom 19. Oktober 1939 lag daher der Schwerpunkt des Panzerangriffs noch unmittelbar nördlich der belgischen Festungsstadt Lüttich, ausgeführt von den Heeresgruppen A und B, während HGr C sich gegenüber der Maginot-Linie abwartend verhalten sollte. Ein Blick auf die Landkarte macht klar, dass dies nur dann entsprechend den Vorgaben Hitlers zu verwirklichen war, wenn dabei die Grenzen der bis fast an Lüttich heranragenden niederländischen Provinz Limburg überschritten wurden, auch diese Planung kalkulierte demnach eine Neutralitätsverletzung ein. Dagegen wurde die erste Planung der Aufmarschanweisung vom 19.10., nämlich ganz Holland zu besetzen, wieder aufgegeben.
Die streitigen Fragen der ersten Aufmarschanweisungen wurden dann erneut am 25.10.1939, diesmal zwischen OKH und Hitler erörtert. Dieser nahm die Gelegenheit zum Anlass, erneut und eingehend die Notwendigkeit der Offensive im Westen unter Verletzung der Neutralität Belgiens zu begründen. Es sei "unverantwortlich, in dieser für Deutschland so günstigen Stunde aktionslos zu bleiben. Ein Abwarten bedeute, eines Tages aufzuwachen und die Westmächte an der eigenen Grenze stehen zu haben". Die Besprechung behandelte dann im Weiteren die ungeklärten operativen Fragen des Kräfteansatzes. (8)
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(1) IMT, XXXIV, S. 266. Das ergänzende Schreiben Keitels lässt Rückfragen erkennen, die sich wohl auf die Notwendigkeit der Besetzung eines möglichst großen niederländischen Gebietes bezogen haben. Hierfür wird auf das Erfordernis zum Schutz des Ruhrgebietes sowie auf erforderliche Luftwaffenstützpunkte auf den Inseln verwiesen. Siehe auch den Tagebucheintrag bei Leeb vom 9.10.1939, wonach alle Nachrichten darauf hindeuten würden, dass Hitler „diesen Wahnsinnsangriff unter Verletzung der Neutralität Hollands, Belgiens und Luxemburgs wirklich machen will,“ Leeb, S. 188. Am 11.10.1939 arbeite Leeb eine neue Denkschrift aus über „Unsinns eines (deutschen) Angriffs“, ebenda, S. 188. Die Denkschrift ist wiedergegeben bei Jacobsen, Dokumente Vorgeschichte Westfeldzug, S. 79 ff.
(2) Kosthorst, Militärische Opposition, S. 31 verweist auf Gespräche zwischen Fromm und Halder, nach denen bis zum 10.11.1939 nur 5 Panzerdivisionen, 2 leichte Divisionen und 3 motorisierte Divisionen voll verwendungsbereit gemacht werden können.
(3) Nach einer Besprechung mit Brauchitsch sollte Bock am 10.10.1939 den Oberbefehl über die nördliche Heeresgruppe der Westfront übernehmen (somit gegenüber Belgien und den Niederlanden) und sich sobald wie möglich über die Möglichkeiten einer Offensive aus seinem Abschnitt äußern, vgl. Bock, Tagebuch vom 9.10.1939, S. 64. Auf Grundlage von Hitlers Denkschrift vom gleichen Tag spielt bei dieser Vorgabe die Notwendigkeit einer stärkeren Sicherung des Ruhrgebietes gegen Luftangriffe eine Rolle, "man wolle mehr Tiefe gewinnen". Schließlich wolle man durch eine Offensive nach Belgien hinein die alliierten Truppen zu einer offenen Feldschlacht zwingen. Brauchitsch gibt hier die Argumentation Hitlers an Bock weiter. Kluge und Reichenau als Armeeoberbefehlshaber verneinen am 11.10. Bocks Frage, ob man vorrücken solle, wenn die alliierten Truppen Belgien besetzen, vgl. ebenda, S. 65. Vgl. die Zusammenstellung bei Müller, Heer, S. 476-478 sowie Leeb, Tagebuch vom 11.10.1939, S. 188.
(4) Halder, Tagebuch vom 17.10.1939, Band 1, S. 107 und die Ausführung bei Müller, Heer, S. 482
(5) Zitat nach BA-MA H 08-104/2.
(6) Jacobsen, Fall Gelb, S. 28.
(7) Der Planungsvortrag fand am 21.10.1939 durch Keitel statt; dass ihn überraschend nicht der OBdH Brauchitsch übernahm, signalisiert die Ablehnung der Offensivstrategie durch das Heer, vgl. Warlimont, Wehrmacht, S. 66. Halder, Tagebuch vom 22.10.1939, Band 1, S. 111.
(8) Jacobsen, Fall Gelb, S. 39. Nach Bock, Tagebuch vom 25.10.1939, S. 67, wurde den Oberbefehlshabern von Hitler persönlich die Notwendigkeit des Angriffs erläutert, begründet durch die Möglichkeit eines alliierten Vormarsches durch die neutralen Länder und einer dann gegebenen Bedrohung des Ruhr- und Rheingebiets. Inzwischen waren 7 Armeen der aus Polen eintreffenden Heerestruppen im Westen aktiv, so Westphal, Heer, S. 120.