Kein Wunder, dass die Deutschen anfänglich als Befreier gesehen wurden. Die baltischen Staaten hatten ihre Unabhängigkeit letztlich der Niederlage des Zarenreichs gegen Deutschland im vorausgehenden Weltkrieg zu verdanken. Allerdings wurde diese Unabhängigkeit durch den Deutsch-Sowjetischen Freundschafts- und Nichtangriffspakt letztlich untergraben, als sich Hitler mit Stalin auf gegenseitige Interessensphären im Osten einigten. Kernpunkt war vor allem die Zerschlagung und Teilung Polens und die Anerkennung des Baltikums als sowjetische Interessensphäre. Zwischen 1939 und 1940/41 konnte auf diese Weise die UdSSR die bislang unabhängigen Staaten annektieren. Mit dem Überall auf die UdSSR witterten die Balten verständlicherweise eine Chance, die ungeliebte sowjetische Oberherrschaft wieder abzustreifen. Durch aktiven Einsatz auf deutscher Seite glaubten dortige Patrioten das weitere Schicksal ihrer Länder unter deutscher Vorherrschaft verbessern, und sich ein Anrecht auf Freiräume erkämpfen zu können. Allerdings hatte das geringste Auswirkungen auf die Pläne in Berlin, die Silesia bereits aufgezeigt hat.
Dass die Esten etwas besser angesehen waren als die Letten oder Litauer hat wohl mit „historischem Gedächtnis“ zu tun. Als im Rahmen des 1.Weltkrieges die baltischen Staaten unabhängig wurden, folgte bald der deutsche Zusammenbruch und die Kämpfe mit/gegen russische Revolutionstruppen; letztlich vor allem gegen die Rote Armee, während die „Weißen“ und auch deutsche Verbände an der Seite der Balten weiter kämpften. Hieraus ging vor allem die berühmte „Eiserne Division“ hervor (in welcher der spätere Panzergeneral Heinz Guderian zeitweise diente), welche trotz deutscher Kapitulation aus reichsdeutschen Freiwilligen bestand. Die Eiserne Division, deutsche Freikorps und die „baltische Landeswehr“, welche nicht zuletzt aus der durchaus einflussreichen und relativ kopfstarken deutschen Minderheit Lettlands gebildet worden war wurden ein bedeutender militärischer Machtfaktor dabei. Während das [deutsche] Verhältnis zu den Esten relativ entspannt blieb, kam es letztlich zu Auseinandersetzungen um die Zukunft Lettlands zwischen Einheimischen und „Deutschen“ (aller Couleur), was im Reich nicht ganz vergessen geblieben war.
Den Litauern verübelte man unter anderem bleibend, den rund 500 Jahre zurückliegenden Sieg einer polnisch-litauischen Streitmacht bei Tannenberg gegen den Deutschen Orden im Jahre 1410.
Letztlich also wenig „Realpolitik“ auf deutscher Seite, als ideologisch vereinnahmtes Geschichtsverständnis. Wichtig für die Tradierung solcher Ansichten auf deutscher Seite sind nicht zuletzt ehemalige deutsche Baltikumkämpfer im Rahmen der Freikorps, die im 2.WK teils in der Wehrmacht dienten. Noch mehr aber jener Teil der Freikorps, die eine unheilvolle Rolle bei der Entstehung des Nationalsozialismus in Deutschland spielten - wobei beide Teile nicht sauber zu trennen sind...
Nett abzulesen in üblichen Wiki-Artikeln
Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt ? Wikipedia
Baltische Landeswehr ? Wikipedia
Baltenregiment ? Wikipedia
Eiserne Division ? Wikipedia