@Turgot
@floxx78
Hmmm, na gut. Da wollte ich wohl etwas vorschnell zum ursprünglichen Thread mit der Kohle zurück.
Ich hatte ehrlich keine Ahnung, dass Manstein so kritisch betrachtet wird, zumal die Begründung meines Erachtens nach nicht völlig einwandfrei ist.
Machen wir die Quellenkritik zu Manstein (was dann ja wohl für fast jeden Dienstgrad ab Unteroffizier aufwärts gilt, wenn es um gebrochene Reichswehr-Eide geht). Wie ist es um die Glaubwürdigkeit einer Person bestellt, die das Recht gebrochen hat? Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen (oder schreiben), dass man dies im Einzelfalle überprüfen muss und sich eben nicht pauschal dazu hinreißen lässt die Person als "Lügner" abzustempeln (die Schuld, bzw. die Lüge muss im Einzelfall bewiesen sein, nicht die Unschuld).
Was Manstein angeht, so darf die Frage nach seinem persönlichen Handlungsspielraum als Reichswehroffizier und Bataillonskommandeur gestattet sein. Was ist eigentlich ein Bataillonskommandeur? Das ist meines Erachtens nach keine militärische Spitzenfunktion, denn das Militär ist nunmal klar gegliedert und lässt sich dadurch eindeutig verifizieren.
(Kompanie, Bataillon, Regiment, Division, Korps etc.) Die andere Seite betrifft eine viel subtilere Sache. Der Dienstgrad beim Militär ist nicht so entscheidend wie der Dienstposten bzw. die Dienststellung. Weil jemand Oberstleutnant ist, kann man ihn nicht pauschal in die Kategorie Top-Militär einordnen. Sicher ist ein Hauptmann im Divisionsstab "höher zu bewerten" als ein der Hauptmann als Kompaniechef. Das wird leider sehr oft übersehen.
Manstein war involviert in die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges, aber er ist auf der anderen Seite eben auch ein Zeitzeuge und eine Quelle aus erster Hand (die Qualität seiner Ausführung wird ja gerade erörtert). Manstein selbst hat zwei weltkriege erlebt und genügend Zeit gehabt, sich darüber Gedanken zu machen, welche Rolle er einnimmt. Ich denke er hat für sich die Rolle des Strategen und Planers akzeptiert, weil diese in (eigenen und fremden) Militärkreisen durchaus anerkannt war.
Wenn ich nun im Bereich der Glaubwürdigkeit abwägen muss (und das muss man bei Geschichtsquellen ja täglich), dann verstehe ich nicht so recht, wie wir (alle) ständig antike Autoren als Quelle zweiter oder dritter Hand beinahe kritiklos akzeptieren, aber Quellen erster Hand oft pauschal mißtrauen. Freilich hat Manstein ein Motiv, so wie jede Autorenquelle aus erster Hand ein Motiv hat. Aber folgt aus einem Motiv schon die Tat?
Wieso halte ich nun Manstein für nicht völlig abwegig? Weil er das nicht zu unterschätzende Phänomen vom "Nebel des Krieges" erlebt hat. Das wiegt meines Erachtens in der Abwägung einen Teil von dem wieder auf, was er an guten Leumund durch seine Taten (und sein mögliches Motiv) verloren hat. Nur wer die Unsicherheit der Nachrichtenlage, die Widersprüchlichkeit und das "Nicht-Planbare" erlebt hat, weiß um diesen Teilaspekt des Krieges.
Zitat Manstein (Verlorene Siege), Seite 36:
"...Mit dem Frühmorgen des 1.September [1939] allerdings hatten diese Unterhaltungen ein Ende. Der Kampf hatte von uns Besitz ergriffen. Wenn wiran jenem Morgen so früh auf unseren Plätzen waren, so war dies bedingt durch das Gefühl, bereit sein zu müssen von dem Augenblick an, in dem unsere Truppen in Feindberührung treten konnten, nicht durch praktische Notwendigkeit. Dann dass Stunden vergehen würden, ehe wir von den unterstellten Armeen wesentliche Nachrichten erhielten, war sicher. Es waren die Stunden, die jeder kennt, der in einem höheren Stabe gearbeitet hat, in denen alles läuft und man nur abwarten kann, wie es sich gestalten wird.
Der Soldat an der Front kennt die ungeheure Spannung, die über dem Losbrechen des Angriffs liegt. Wenn auf der Uhr des Zugführers [milit.Posten] Sekunde um Sekunde der Zeiger weiterrückt, bis der erlösende Augenblick des Sturmes gekommen ist. Von diesem Augenblick an aber ergreifen den Kämpfer an der Front die Eindrücke des Kampfes und lassen ihn alles andere vergessen. Bei den Stäben jedoch, je höher je mehr, beginnt die Zeit des spannungsgeladenen Wartens. Anfragen bei den nachgeordneten Kommandostellen, wie es steht, sind mit Recht bei diesen wenig beliebt und würden den Anschein von Nervösität erwecken. So wartet man lieber. Dabei ist eine alte Erfahrung, dass das Sprichwort "schlechte Boten reiten schnell" auf das militärische Geschehen im allgemeinen nicht zutrifft. Wenn alles gut geht, so pflegen die Meldungen darüber schnell nach rückwärts zu gelangen. Bleibt der Angriff aber stecken, so hüllt die Front sich meist in Schweigen, sei es, weil die Nachrichtenverbindungen gestört sind, sei es, weil man warten möchte, bis besseres zu berichten ist."Zitat Ende
Letztlich geht es bei Quellen immer darum, ob man ihnen vertrauen kann oder nicht. Und wenn man ihnen vertrauen kann oder nicht, geschiet dieses immer ohne Vorbehalte? Wenn ich ehrlich bin, dann halte ich Manstein für vertauenswürdiger als die Geschichten um Sokrates, der selber nur durch seine Schüler allen voran Platon (war dessen Leumund einwandfrei?) überliefert ist.
Sorry, wenn sich jemand auf den Schlips getreten fühlt, das war jedenfalls nicht meine Absicht. :cry:
Vgl. Elias Canetti (Masse und Macht)
Vgl. Robert McNamara (The Fog of War)