Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher

Lord Byron

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Guten Tag.
Nachdem ich die interessante Spiegel-DVD zu den Hauptkriegsverbrecherprozessen gesehen hatte, wollte ich mich weiter informieren und habe in Wikipedia eine Liste gefunden, die die Angeklagten samt Anklagepunkten und den jeweiligen Befunden zu diesen Punkten (schuldig/nicht schuldig) sowie die Urteile auflistet.
Es sind insgesamt 4 mögliche Anklagepunkte aufgelistet:
  1. Gemeinsamer Plan oder Verschwörung (Grundlage: Artikel 6 besonders 6a des Statuts)
  2. Verbrechen gegen den Frieden (Grundlage: Artikel 6a des Statuts)
  3. Kriegsverbrechen (Grundlage: Artikel 6, besonders 6b des Statuts)
  4. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Grundlage: Artikel 6, besonders 6c des Statuts)
Was ich nicht verstehe ist, dass manche Angeklagte in "nur" 2 Anklagepunkten schuldig gesprochen wurden, zB Julius Streicher (Punkt 1 und 4) oder Fritz Sauckel (Punkt 3 und 4), und trotzdem ein Todesurteil bekamen wohingegen Konstantin von Neurath in allen 4 Punkten für schuldig befunden wurde und zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. Klar, manche Anklagepunkte (besonders Punkt 4) sind wahrscheinlich schwerwiegender als andere, aber Konstantin von Neurath wurde ja in allen Punkten Schuld zugewiesen. Deswegen sticht das Urteil für mich heraus, kann das vielleicht jemand erläutern?
 
Was ich nicht verstehe ist, dass manche Angeklagte in "nur" 2 Anklagepunkten schuldig gesprochen wurden, zB Julius Streicher (Punkt 1 und 4) oder Fritz Sauckel (Punkt 3 und 4), und trotzdem ein Todesurteil bekamen wohingegen Konstantin von Neurath in allen 4 Punkten für schuldig befunden wurde und zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. Klar, manche Anklagepunkte (besonders Punkt 4) sind wahrscheinlich schwerwiegender als andere, aber Konstantin von Neurath wurde ja in allen Punkten Schuld zugewiesen. Deswegen sticht das Urteil für mich heraus, kann das vielleicht jemand erläutern?

Du musst die "Schwere der Schuld" in den jeweiligen Anklagepunkten berücksichtigen, nicht nur die Bejahung eines Anklagepunktes.
Der Nürnberger Prozeß, Materialien und Dokumente, Urteil, Die einzelnen Angeklagten, Von Neurath - Zeno.org
 
Du musst die "Schwere der Schuld" in den jeweiligen Anklagepunkten berücksichtigen, nicht nur die Bejahung eines Anklagepunktes.

Ergänzend in Betracht zu ziehen ist das Verhalten der Angeklagten. Zeigten Sie Reue oder gaben Sie sich weiter als überzeugte Nationalsozialisten?

Kontrovers diskutiert wird in diesem Zusammenhang insbes. das Verhalten Albert Speers. Vgl. Erinnerungen (Albert Speer) ? Wikipedia
 
Ich zitiere mal aus dem Buch von Telford Taylor, dem amerikanischen Hauptankläger. 1

"Konstatin von Neurath war der letzte Angeklagte, mit dem man sich am 2. September eingehend befasste. Es gab keine Diskussion über das Strafmass, und im Hinblick auf die Anklagepunkte kam man nicht weiter - da gab es Vorschläge, die nur Punkt Eins sprachen, bis hin zu allen vieren. Damit musste auch dieser Fall wie der Speers bis zu einer späteren Besprechung vertagt werden. Diese beiden Fälle wurden dann erneut in der Sitzung am 11. September aufgegriffen, und mit Neurath war man rasch fertig. Er wurde nach allen vier Punkten verurteilt, und zwar zu fünfzehn Jahren Gefängnis." 2

"Konstantin von Neurath, der älteste Angeklagte, wurde nach allen vier Punkten angeklagt und verurteilt. Zunächst ging das Gericht in seiner Urteilsbegründung auf seine Tätigkeit als Aussenminister ein und damit auch auf seine Beteiligung an der Besetzung des Rheinlandes im Jahre 1936; sein Wissen um Hitlers aggressive Pläne aufgrund seiner Anwesenheit bei der Hossbach-Konferenz von 1937; seine diplomatischen Tätigkeit während des Anschlusses; uns seine Verhandlungen für das Münchner Abkommen von 1938. Aufgrund dieser Dinge konnte man eine Verurteilung nach Anklagepunkt Eins durchaus vertreten, aber es fiel mir schwer, darin eine Grundlage für eine Verurteilung wegen der Planung oder Durchführung eines Angriffskrieges zu erblicken. Neuraths Schuld nach den Punkten Drei und Vier, aufgrund seiner Handlungen als Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, liess sich eher erklären, der der Gerichtshof zuvor festgestellt hatte, dass diese Gebiete von Deutschland nicht annektierte worden waren und dass hier darum das Kriegsrecht anzuwenden war. Die Verstrickung des Angeklagten in derartige Verbrechen war ausreichend bewiesen. Abschliessend erklärte der Gerichtshof:

Zwecks milderer Beurteilung muss daran erinnert werden, dass er bei der Sicherheitspolizei und dem SD für die Freilassung vieler am 1. September 1939 verhafteter Tschechoslowaken und für die Freilassung später im Herbst verhafteter Studenten eintrat." 3

"Neurath profitierte zweifellos von seinem Alter wie von "mildernden Umständen", als er trotz einer Verurteilung nach allen vier Anklagepunkten nur fünfzehn Jahre bekam." 4


1: Telford Taylor, dem amerikanischen Hauptankläger. Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht. Heyne Sachbuch. 1994.

2: Seite 649 bis 650

3: Seite 689

4: Seite 692
 
@Ursi: Vielen Dank für diese Darstellung. Sie illustriert m.E. sehr gut wie zumindest die Vertreter der West-Alliierten versucht haben, Recht zu sprechen für ein schwieriges Rechtsgebiet, den Opfern gerecht zu werden, ohne eine drakonische, selbstgerechte "Siegerjustiz" zu üben.

Ist für mich persönlich zumindest die Schlussfolgerung, die ich in der Regel ziehe, sofern man in Kontakt kommt mit einzelnen Verfahren im Rahmen der Nürnberger Prozesse.
 
Der Prozess war ein politischer Prozess. Sieger saßen über Besiegte zu Gericht. Die rechtlichen Grundlagen waren teilweise mehr als zweifelhaft. Der Versuch der Alliierten, die Legalität aus allgemeinen Normen des Völkerrechts abzuleiten, zeigt, wie dünn der Boden war, auf dem sich die Richter bewegten.

Auch die Urteile sind keineswegs konsequent. Dass Speer von der Todesstrafe verschont blieb, war seinem geschickten Verhalten während des Prozesses zu verdanken. Allgemein räumte er eine Mitverantwortung ein, lehnte aber meines Wissens jedes konkrete Schuldeingeständnis ab. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Keitel, schien in Nürnberg zu begreifen, dass er einer menschenverachtenden Diktatur gedient hatte. Die meisten der Angeklagten taten aber so, als hätten sie mit den Verbrechen des NS-Regimes nichts zu tun gehabt.

So problematisch der Prozess war - er führte zu einer Weiterentwicklung des Völkerrechts.
 
@Cliomara

Erlaube mir bitte einige Anmerkungen zu Deinem Posting. Ein "politischer Prozeß" sicher, ohne den politischen Willen der Alliierten, hätte es diesen Prozeß und die Folgeprozesse nicht gegeben. Die Alliierten hätten auch kurzerhand Standgerichte bemühen können, das wäre prozeßökonomisch einfacher gewesen.

"...Die rechtlichen Grundlagen waren teilweise mehr als zweifelhaft. Der Versuch der Alliierten, die Legalität aus allgemeinen Normen des Völkerrechts abzuleiten, zeigt, wie dünn der Boden war, auf dem sich die Richter bewegten. ..."

Du stellst auf den Grundsatz "Nulla poena sine lege" ab. Herr Dr. Stahmer hat am 19. November 1945 eine "Eingabe der Gesamtverteidigung" abgegeben, in der im wesentlichen auf dieses Rüchwirkungsverbot abgestellt wurde (Band 1, S. 186ff.)*. Warum "springt" dieses juristische Argumentarium zu kurz? Deshalb, weil es Rechtsgrundsätze des überpositiven Rechtes mit denen des positiven Rechtes vermengt. Überpositives Recht ist nicht unbedingt ausformuliert, gilt aber dennoch. Die Anklagebehörde hat die Verstöße gegen überpositives Recht säuberlich aufgeführt (z.B. Vertragsbruch, beispielsweise Briand-Kellogg-Pakt). Mit diesem Pakt wurde überpositives Recht, und zwar "Kriegsverbot" gleichsam ausformuliertes völkerrechtliches positives Recht, gleichwohl, es fehlt die individuelle juristische Strafbewehrung, die ist im Völkerrecht aber auch nicht üblich. Selbst die UN-Charta kennt keine individuelle Strafbewehrung, sondern vielmehr nur Sanktionen zwischen den Völkerrechtssubjekten.

Also "dünn" war die juristische Grundlage nicht, strittig sicher, insbesondere bei der individuellen Strafbemessung.

Wenn man die offiziellen Protokolle liest, stellt man auf der Seite der deutschen Verteidigung Irritationen hinsichtlich der anglo-amerikanischen Prozeßführung fest (kein Inqusitionsverfahren seitens der Anklagebehörde und der Richter), die aber im Laufe des Prozesses abgebaut wurden.

Nun zu den beiden von Dir angesprochenen Personen (Speer, Keitel).

Das Speer sich "vorbeimogelte" ist in einem fairen Prozeß sein Recht, wenn alle Verstrickungen von Speers Reichsministerium (OKW, WVHA, Sklavenarbeit via Sauckels-Imperium etc.) seinerzeit bekannt gewesen wären, wer weiß, wie dann die Strafzumessung gewesen wäre.

Keitel, wäre alleine nach den allgemein anerkannten Normen des Kriegsrechtes, die auch für das DR galten, selbst nach deutschem Strafrecht zu verurteilen gewesen (Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung, Genfer Konvention etc.). Alleine § 58 (10), Verstoß gegen die Fürsorgepflicht, Reichsmilitärstrafgesetzbuch hätten auch nach deutschem Militärrecht ausgereicht, um ihn vor ein deutsches Militärgericht zu bringen (kontrasignierte "Durchhaltebefehle" ließen sich wohl en masse finden).

Zur Gültigkeit des Reichsmilitärgesetzbuches vergl.:

http://ub.unibw-muenchen.de/dissertationen/ediss/paeuser-frithjof/inhalt.pdf

Text, vergl.:

documentArchiv.de - Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (20.06.1872)

M.

* Vergl.: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg 1947, Band 1
 
Du stellst auf den Grundsatz "Nulla poena sine lege" ab. Herr Dr. Stahmer hat am 19. November 1945 eine "Eingabe der Gesamtverteidigung" abgegeben, in der im wesentlichen auf dieses Rüchwirkungsverbot abgestellt wurde (Band 1, S. 186ff.)*. Warum "springt" dieses juristische Argumentarium zu kurz? Deshalb, weil es Rechtsgrundsätze des überpositiven Rechtes mit denen des positiven Rechtes vermengt. Überpositives Recht ist nicht unbedingt ausformuliert, gilt aber dennoch. Die Anklagebehörde hat die Verstöße gegen überpositives Recht säuberlich aufgeführt (z.B. Vertragsbruch, beispielsweise Briand-Kellogg-Pakt). Mit diesem Pakt wurde überpositives Recht, und zwar "Kriegsverbot" gleichsam ausformuliertes völkerrechtliches positives Recht, gleichwohl, es fehlt die individuelle juristische Strafbewehrung, die ist im Völkerrecht aber auch nicht üblich. Selbst die UN-Charta kennt keine individuelle Strafbewehrung, sondern vielmehr nur Sanktionen zwischen den Völkerrechtssubjekten.

Also "dünn" war die juristische Grundlage nicht, strittig sicher, insbesondere bei der individuellen Strafbemessung.

Mit dem 1. Weltkrieg, insbesondere auch im Versailler Vertrag und im Kontext des Briand-Kellogg-Paktes, ist eine einschneidende Entwicklung des Völkerrechts eingetreten, die ein ius ad bellum erheblich eingeschränkte, wenn nicht gar beseitigte. Die neue Ordnung zeigte sich insbesondere auch im Völkerbund (bei all seinen sonstigen Mängeln).

Das Deutsche Reich, wie auch Japan, brachen mit dieser Ordnung des Völkerrechts, wobei die Aufkündigungen diverser Verträge die Gültigkeit dieser Ordnung nicht tangierten. Das Führen diverser Angriffskriege verstieß im Übrigen gegen den unkündbaren Briand-Kellogg-Pakt, den Deutschland unterzeichnet hatte. Der diesbezügliche Anklagepunkt in Nürnberg steht damit juristisch außerhalb jeder ernsthaften Diskussion. Es war das prozessuale Recht der Verteidigung, jede erdenkliche Argumentation vorzubringen (Angriffskriege gegen Polen, Norwegen, Dänemark, Niederlande, Jugoslawien, usw.), um den Vorwurf zu entkräften.

Möglicherweise ist mit "politischer Prozeß" das Politikum des Prozesses gemeint. Nun, die begriffliche Vermengung lässt sich u.a. aufgrund der Anklagepunkte Angriffskrieg und Völkermord nicht vermeiden. Melchiors Hinweis ist da sehr interessant, dass bereits das geltende Reichsstrafgesetzbuch eine hinreichende Anklagegrundlage geboten und vergleichbare Strafmaße vorgesehen hätte. Theoretisch ließe sich fragen, ob nicht (auch?) ein deutsches Strafgericht urteilen sollte. Rein praktisch war das ausgeschlossen, da es eine funktionsfähige Judikative mit dem Kriegsende (wie überhaupt staatliche Institutionen) aufgrund der totalen Niederlage und der Eliminierung des Regimes als Kriegsfolge nicht mehr gab.
 
Überpositives Recht zur Grundlage eines Prozesses zu machen, der zu strafrechtlichen Sanktionen gegen einzelne Personen führt, erinnert mich an den Versuch, nur mit dem Grundsatz von Treu und Glauben zu argumentieren. Die Zusammensetzung des Gerichts mit Vertretern der Siegermächte weckt bei mir ebenfalls starke Zweifel an der Legalität und Legitimität des Prozesses.

Dass Speer sich geschickt verteidigt hat, stelle ich nicht in Abrede. Dies ist das gute Recht eines jeden Angeklagten. Der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Dönitz, wurde von einem geschickten deutschen Marinejuristen, Otto Kranzbühler, verteidigt, der sehr schnell mit dem angelsächsischen Prozessrecht klar kam. Der Handlungsspielraum der Verteidiger wurde vom Gericht teilweise eingeschränkt, wobei es auch hier Unterschiede gab.

Ob militärisch sinnlose Befehle zu Strafen führen können, kann ich nicht beurteilen - den entsprechenden Paragraphen habe ich nicht gefunden. Keitel besaß auch keine Befugnisse in der Truppenführung. Seine Mitarbeit an völkerrechtswidrigen Befehlen wie dem Kommissarbefehl ist unbestritten.

Die ganzen Nürnberger Prozesse stellen den hilflosen Versuch dar, mit einem scheinbar rechtsstaatlichen Verfahren politische Verbrechen aufzuarbeiten. Damit musste das Gericht scheitern. Aber die Gerichtsprotokolle geben jedem Interessierten die Möglichkeit, mehr über die Grauen des Nationalsozialismus zu erfahren.
 
Zuletzt bearbeitet:
...
Ob militärisch sinnlose Befehle zu Strafen führen können, kann ich nicht beurteilen - den entsprechenden Paragraphen habe ich nicht gefunden. Keitel besaß auch keine Befugnisse in der Truppenführung. Seine Mitarbeit an völkerrechtswidrigen Befehlen wie dem Kommissarbefehl ist unbestritten. ....

@Cliomara

In der deutschen verwaltungsrechtlichen Praxis übernimmt der kontrasignierende Minister (Keitel hatte Ministerrang, Gleichstellung des "Chefs des OKW" mit dem Rang eines Reichsministers), durch seine Kontrasignatur die juristische Verantwortung.

Aber damit verlieren wir uns m.E. in Details, die der historischen Bedeutung des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses nicht gerecht werden.

Im Reichsmilitärtstrafgestzbuch von 1872, Fortgeltung bis 1945, oben dargestellt, regelt § 58 (10) die Fürsorgepflicht, Zitat:

"§. 58.
[1] Wegen Kriegsverraths (§. 57) wird mit dem Tode bestraft, wer mit dem Vorsatze, einer feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder den deutschen oder verbündeten Truppen Nachtheil zuzufügen,
1) eine der im §. 90 des Deutschen Strafgesetzbuches bezeichneten strafbaren Handlungen begeht,2) Wege oder Telegraphenanstalten zerstört oder unbrauchbar macht,3) das Geheimniß des Postens, das Feldgeschrei oder die Losung verräth,4) vor dem Feinde Meldungen oder dienstliche Mittheilungen falsch macht, oder richtige zu machen unterläßt,5) dem Feinde als Wegweiser zu einer militärischen Unternehmung gegen deutsche oder verbündete Truppen dient, oder als Wegweiser kriegführende deutsche oder verbündete Truppen irre leitet,6) vor dem Feinde, in einer Weise, welche geeignet ist, die Truppen zu beunruhigen oder irre zu leiten, militärische Signale oder andere Zeichen gibt, zur Flucht auffordert oder das Sammeln zerstreuter Mannschaften verhindert,7) einen Dienstbefehl ganz oder theilweise unausgeführt läßt oder eigenmächtig abändert,8) es unternimmt, mit Personen im feindlichen Heer, in der feindlichen Marine oder im feindlichen Lande über Dinge, welche die Kriegführung betreffen, mündlich oder schriftlich Verkehr zu pflegen der einen solchen Verkehr zu vermitteln,9) feindliche Aufrufe oder Bekanntmachungen im Heer verbreitet,10) die pflichtgemäße Fürsorge für die Verpflegung der Truppen unterläßt,11) feindliche Kriegsgefangene freiläßt, oder12) dem Feinde ein Signalbuch oder einen Auszug aus einem solchen mittheilt...."

Quelle: w.o. verlinkt: Wegen Pflichtwidrigen Unterlassens der Truppenverpflegung hätte jeder Gerichtsoffizier der Wehrmacht Keitel zumindestens in den Angeklagtenzustand versetzen können.

Aber auch das ist eine Marginalie in Bezug auf den Nürnbergerkriegsverbrecherprozeß.

Überpositives Recht hat nichts mit "Treu und Glauben" zu tun, sondern mit unveräußerlichen Rechten und da hat, m.E., der Gerichtshof in Nürnberg tatsächlich rechtshistorische "Meilensteine" gesetzt. Die Anklage wegen des Verstoßes gegen den Briand-Kellogg-Pakt ist da, m.E., eines der besten Beispiele.

M.
 
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Überpositives Recht hat nichts mit "Treu und Glauben" zu tun, sondern mit unveräußerlichen Rechten und da hat, m.E., der Gerichtshof in Nürnberg tatsächlich rechtshistorische "Meilensteine" gesetzt. Die Anklage wegen des Verstoßes gegen den Briand-Kellogg-Pakt ist da, m.E., eines der besten Beispiele.M.

Wenn man sich rechtshistorisch der Fragestellung nähert, ob aus der Völkerrechtswidrigkeit der Verstöße gegen den B-K-Pakt zugleich die Strafbarkeit folgt, dann ergibt sich folgendes Problem, dem sich auch die Anklage in Nürnberg gestellt hat:

Argumentativ wurde eingewandt, der B-K-Pakt enthalte keine Regel zur Strafbarkeit. IMT I/246 führt dazu aus:

"Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß diejenigen, die einen Angriffskrieg führen, etwas tun, was ebenso rechtswidrig und von viel größerer Bedeutung ist als der Bruch des Haager Abkommens."

Dem schlossen sich zahlreiche Völkerrechtler in der Beurteilung an. Dennoch bestehen hier zwei Probleme:

a) argumentum a fortiori - Der methodische Ausgangspunkt:
Der Analogieschluss aus der Strafbarkeit des Kriegsverbrechens i.e.S. ersetzt demnach nicht die Beweisführung, dass die hier einschlägige Norm Strafbarkeit bestimmt. Z.T. wird abgelehnt, dass die Analogie des ius in bello zum ius ad bellum zulässig sei, es ließen sich keine Schlüsse vom einen auf das andere ziehen. Der B-K-Pakt als Individual-Strafnorm wird abgelehnt.

b) argumentum a fortiori - Der materielle Ausgangspunkt:
Aus dem kriegsrechtlichen oder gewohnheitsrechtlichen Verhaltensverbot darf nicht auf die völkerrechtliche Strafnorm geschlossen werden, da sich diese auch im jeweiligen staatlichen Recht befinden. Die Existenz staatlicher Strafnormen sei Voraussetzung, da diese völkerrechtlich verpflichtet oder gewohnheitsrechtlich ermächtigt sind, Normverstöße zu bestrafen. Militärgerichte verurteilten vor 1945 auf Grundlage staatlicher, nicht aufgrund von völkerrechtlichen Strafnormen.

Beide Argumente verkennen, dass im Kontext von Versailler Vertrag (Art. 227) und B-K-Pakt die völkerrechtliche Grundlage verändert war, was den von Melchior bereits zitierten "Meilenstein" des IMT-Verfahrens begründet. Es ist damit nicht relevant, ob die einzelstaatlichen strafrechtlichen Folgerungen bereits - analog zu Haager Abkommen - gezogen waren, sie hätten vielmehr gewohnheitsrechtlich gezogen werden müssen. Hinzu kommt, dass dem Krieg im Völkerrecht nach Versailles und B-K eben die Spezifikation eines außerhalb von Verhaltensverboten stehenden "zwischenstaatlichen Ereignisses" abhanden gekommen ist, woraus sich praktisch-ethisch/naturgesetzlich ein legitimierender Rechtsgrund für die Strafe ergibt (siehe @Melchior).
Der Einwand, Naturrecht könne "mitwirken", aber nicht unmittelbar Recht schaffen, zieht hier nicht, da es sich auf den Kontext von Völkerbund/Versailler Vertrag/Briand-Kellog-Pakt mit Verbot des Angriffskrieges beziehen kann, somit bei der Geltung der Individual-Strafnorm im einzelstaatlichen recht ohnehin nur "mitwirkt".

Das völkerrechtlich weithin vertretene Argument, Internationalen Gerichten käme eine "quasi-legislative" Wirkung zu, ist dabei noch nicht berücksichtigt. Hier ist mE der abstrakte Hauptkritikpunkt die fehlende Neutralität für die Rechtsfestsetzung (als formelle Voraussetzung der Akzeptanz). Da dieses Internationale Gericht aber nicht (völker-)rechtsfortbildend wirkte (siehe oben), vielmehr die Anwendung des gewohnheitsrechtlichen Grundsatzes von staatlichen Strafnormen bei völkervertragsrechtlichen/kriegsrechtlichen Verbotsnormen Grundlage der Urteile war, ist der Einwand mE nicht einschlägig.
 
Der Art. 227 des Versailler Vertrages konnte kein bindendes Völkerrecht schaffen. Es handelt sich um politische Gesinnungsprosa und nicht um einen juristischen Text - schon die Formulierungen lassen das erkennen. Der Briand-Kellog-Pakt dient ebenfalls nicht als Rechtsgrundlage.

Das Statut des Nürnberger Prozesses, festgelegt von den Siegermächten, versuchte, aus Grundprinzipien des formellen Strafrechts und des Sittengesetzes eine Rechtsgrundlage zu schaffen, die eine Aburteilung der NS-Täter ermöglichen sollte.

Das Völkerrecht bindet Staaten. Diese schaffen Regelungen - wie beispielsweise Art. 25 unseres Grundgesetzes - die völkerrechtliche Normen zu unmittelbar geltendem Recht erklären. Im Zeitpunkt des Nürnberger Prozesses war dies nicht der Fall. Insofern lässt sich aus rechtsphilosophischen Erwägungen noch so ehrenwerter Art kein bindendes Recht herausdestilieren, das den strengen Kriterien gerecht wird, die an strafrechtliche Normen zu stellen sind. Völkerrechtliche Verträge banden 1945 Staaten und nicht einzelne Personen.


Die Kontrasignatur ist ein staatsrechtliches Problem. Dieses Prinzip, das aus der Zeit der konstitutionellen Monarchie stammt, kann meiner Meinung nach nicht auf das NS-Regime übertragen werden. Mit der Gegenzeichnung übernimmt der Ressortminister die politische Verantwortung für den Monarchen, dessen Person unverletztlich ist. Keitel unterzeichnet und Hitler ist exkulpiert?
 
Ein kurzer Nachtrag: Dieser Prozess war wichtig, so problematisch er vom rechtlichen Standpunkt aus sein mochte.
 
Das Völkerrecht bindet Staaten. Diese schaffen Regelungen - wie beispielsweise Art. 25 unseres Grundgesetzes - die völkerrechtliche Normen zu unmittelbar geltendem Recht erklären. Im Zeitpunkt des Nürnberger Prozesses war dies nicht der Fall. Insofern lässt sich aus rechtsphilosophischen Erwägungen noch so ehrenwerter Art kein bindendes Recht herausdestilieren, das den strengen Kriterien gerecht wird, die an strafrechtliche Normen zu stellen sind. Völkerrechtliche Verträge banden 1945 Staaten und nicht einzelne Personen.

Das ist hinsichtlich des Ereignisablaufes falsch. Bereits das Reichsgericht rekurrierte in den Strafprozessen - wobei für dieses Faktum der Ausgang der Prozesse irrelevant ist - unmittelbar auf das Völkerrecht.

Daneben ist die Interpretation von Art. 25 GG im Vergleich zur WV sachlich falsch:

"Die durch Art 25 GG bewirkte Öffnung des innerstaatlichen Rechtsraums gegenüber den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zielt auf eine möglichst weitreichende Angleichung von Binnen- und Außenverhältnis. Deutsches Recht soll nicht im Widerspruch zu den Normen des universellen Völkerrechts stehen (BVerfGE 23, 288, 316 – Kriegsfolgen). Wenngleich Art 4 der Weimarer Reichsverfassung eine vergleichbare Öffnungsklausel enthielt, geht Art 25 GG insoweit darüber hinaus, als in die deutsche Rechtsordnung auch solche allgemeinen Regeln des Völkerrechts einbezogen werden, die Deutschland nicht ausdrücklich anerkannt hat (zur politischen Außenwirkung dieser Vorschrift vgl Geiger Grundgesetz und Völkerrecht, S 164)."
Epping/Hillgruber, Kommentar zum Grundgesetz, TZ 18 zu Art. 25.

"Art. 4 WeimVerf lautete: „Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindender Bestandteil des deutschen Reichsrechts.“
Die ganz herrschende Meinung bezog die Aufnahme der „allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts“ in das deutsche Reichsrecht nur auf diejenigen Normen, deren Geltung das Deutsche Reich auch für sich anerkannt hatte."

Maunz/Düring, GG-Kommentar, Rn 2 zu GG Art. 25.

Der Versailler Vertrag ist vom Deutschen Reich unterschrieben worden, ebenso wie später das Völkerbund-Statut und der Briand-Kellog-Pakt. Das reicht für die Anerkennung der Norm, über Völkergewohnheitsrecht braucht nicht gestritten zu werden.

Die strenge monistische Lehre ist dagegen völkerrechtlich überholt und hat sich im Übrigen nie durchsetzen können. Erste Ansätze zur Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit im Völkerrecht finden sich im Friedensvertrag von Versailles. Das IMT-Statut ist die Geburtsstunde des modernen Völkerstrafrechts, und als solches anerkannt. Die deutsche rechtshistorische Diskussion ist überholt:

"Die Nürnberger Prinzipien wurden in den folgenden Jahren und Jahrzehnten vielfach bekräftigt. So bestätigte 1946 die Generalversammlung der Vereinten Nationen die im IMG-Statut niedergelegten und im Urteil des Internationalen Militärgerichtshofes angewendeten Prinzipien des Völkerstrafrechts. 1947 wurde dann die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen beauftragt, eine Kodifikation der Völkerrechtsverbrechen und allgemeinen Prinzipien des Völkerstrafrechts zu erarbeiten. Der im Jahr 1950 vorlegte Bericht der Völkerrechtskommission hebt die völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung der Nürnberger Prinzipien hervor. Auch spätere Entwürfe der Völkerrechtskommission bestätigten den gewohnheitsrechtlichen Gehalt der Nürnberger Prinzipien."
Werle, Münchener Kommentar zum StGB, Einleitung Rn 11.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich habe das Grundgesetz nicht mit der Weimarer Reichsverfassung verglichen.

Dass mittlerweile Anstrengungen unternommen werden, einzelne Personen völkerrechtlich haftbar zu machen, stelle ich auch nicht in Abrede. Vor kurzem hielt sich sogar ein spanischer Richter für befugt, als Ankläger das Weltgewissen zu spielen.

Der Internationale Strafgerichtshof, dessen Zuständigkeit im Rom-Statut geregelt ist, hat die Kompetenz, Kriegsverbrecher abzuurteilen. Nur - 1945 besaß das alliierte Tribunal diese Kompetenz nicht.

Die Unterschrift der Deutschen Regierung unter den Versailler Vertrag kann nicht dazu dienen, die Nürnberger Prozesse zu legitimieren. Und dass die UNO diese Art von Siegerjustiz nachträglich legitimiert hat, glaube ich gerne. Die Bundesrepublik hat die Nürnberger Urteile übrigens nie anerkannt, sondern sich lediglich verpflichtet, die Verfahren nicht neu aufzurollen.
 
Ich habe das Grundgesetz nicht mit der Weimarer Reichsverfassung verglichen.

Das hat auch keiner behauptet.

Der Fehler lag darin, Artikel 25 GG anzuführen und im Anschluss zu behaupten, die Bindungswirkung anerkannter völkerrechtlicher Regeln läge zum Zeitpunkt des IMT für das Deutsche Reich nicht vor, Zitat: "Das Völkerrecht bindet Staaten. Diese schaffen Regelungen - wie beispielsweise Art. 25 unseres Grundgesetzes - die völkerrechtliche Normen zu unmittelbar geltendem Recht erklären. Im Zeitpunkt des Nürnberger Prozesses war dies nicht der Fall. "

Das basiert - wie gesagt - auf einer falschen Interpretation von Art. 25 GG (dessen neue Reichweite in dieser Diskussion nichts zu suchen hat) und dem Ausblenden von Art. 4 WV.

Ein Wort zur laufenden Diskussion: Persönlich habe ich kein Problem damit, die völkerrechtlichen Implikationen des IMT sachlich zu kritisieren (Besetzung, etc.) Das mag man tun, darüber lässt sich streiten. Als problematisch sehe ich es aber an, Diskurse durch laufende Postulate wegzureden. Auch die politische Polemik der Weimarer Republik in Bezug auf die Rechtswidrigkeit/Nicht-Geltung des Versailler Vertrages (oben Art. 227 ff.) - der übrigens international von Völkerrechtshistorikern als Wegmarke angesehen wird - hilft nicht wirklich weiter, sondern zeigt lediglich die Entfernung zur rechtshistorischen Diskussion an.
 
Dass nach den Verbrechen ein Prozess hatte stattfinden müssen war klar und ist unstrittig.
Dass der Prozess, der stattfand, seine Mängel hatte, ist nach mE eine unschöne Fußnote, es war aber immer noch besser, einen Prozess zu machen, statt die komplette Führung einfach an die Wand zu stellen.
Zusätzliche positive Sachen wie z.B. die Weiterentwicklung des Völkerrechtes und die Aufarbeitung der Verbrechen halte ich "dem Prozess" auch zugute.

Was mir aber nicht in den Kopf will ist, dass ja auch die Alliierten (mindestens auch) Kriegsgebräuche verletzt haben, es hätten also auch Allierte Befehlshaber vor Gericht stehen müssen. Als Beispiele nenne ich:

Auf sowjetischer Seite: das Massaker von Katyn und die Kriege gegen Finnland und Polen

Auf westalliierter Seite: Moral Bombing

Nach m.E. ist der Prozess, trotz aller, unstrittigen, positiven Auswirkungen doch auch ein Beispiel für Siegerjustiz. (Ich meine dies jedoch nicht "zu" negativ) (Ich hoffe das ist verständlich)
 
Ich habe den Art. 25 GG erwähnt, weil er allgemeine Regeln des Völkerrechts zu unmittelbar geltendem Bundesrecht macht. Für die Bewohner des Bundesgebietes entstehen so Rechte und Pflichten. Eine solche Norm hätte 1945 die Aburteilung der Angeklagten ermöglicht, aber es gab sie nicht. Vielleicht haben wir ja so blöde Kommentare in unserer Bibliothek.

"Auch die politische Polemik der Weimarer Republik in Bezug auf die Rechtswidrigkeit/Nicht-Geltung des Versailler Vertrages (oben Art. 227 ff.) - der übrigens international von Völkerrechtshistorikern als Wegmarke angesehen wird - hilft nicht wirklich weiter, sondern zeigt lediglich die Entfernung zur rechtshistorischen Diskussion an (Copyright: Silesia)". Das ist ein schöner Schachtelsatz.

Das Nürnberger Tribunal wäre 1945 völkerrechtskonform gewesen, wenn es ein überstaatliches Recht gegeben hätte, das auch für die NS-Diktatur verbindlich gewesen wäre.

An die Stelle einer strengen Dogmatik trat hingegen der Verweis auf allgemein geltende Rechtsprinzipien. So brach man das Rückwirkungsverbot aus politischen Gründen, was in der heutigen Literatur damit gerechtfertigt wird, dass man sonst die monströsen Verbrechen des NS-Regimes nicht strafrechtlich hätte aufarbeiten können.

Kosmokrat: Alliierte Kriegsverbrechen durften nicht angesprochen werden. Das Gericht versuchte, entsprechende Versuche der Verteidigung zu unterbinden. Es saßen eben Sieger über Besiegte zu Gericht. Wobei Dresden oder Hamburg nicht gegen Besatzungsexzesse in Griechenland oder auf dem Balkan aufgerechnet werden sollten. Wir müssen 2012 nicht in Sack und Asche gehen, aber uns als Nachgeborene einer gewissen Verantwortung bewusst sein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist ein schöner Schachtelsatz.

Ich bin mir ganz sicher, dass du ihn verstanden hast.:winke:

Tja, was fängt man nun mit diesem Prozess an, besser: was hat die Geschichtswissenschaft hierzulande mit diesem Monstrum angefangen? Eigentlich wenig - umso mehr überließ man Schriftstellern das Feld. Hier kann man beispielhaft den Publizisten Jörg Friedrich herausgreifen, der fern vom Fach (Völkerrecht) und trotz grober Schnitzer sogar eine dtv-Textausgabe einführen durfte. Publizierte Oberflächlichkeit war noch nie ein Problem, wenn sie polarisiert und sich gut verkauft.

Dazu ein Zitat:

"Kaum weniger paradox ist, dass sich deutsche Meinungsführer in Politik, Wissenschaft und Medien ... an den durchaus vorhandenen juristischen Schwachstellen des Prozesses festbissen, ...
Offenkundig erfüllte die legalistische Kritik an Nürnberg für den einen oder anderen eine gewisse Schutzfunktion: So konnte man sich gegen die eine oder andere schmerzhafte Erkenntnis abschirmen."

Eine feine, zeitsparende Sache waren für die juristisch unbeleckten Historiker die Ausführungen der Verteidigung. Der waren in Nürnberg angesichts der Monströsität der Verbrechen die üblichen prozessualen Rechte eingeräumt worden: es durfte vorgetragen werden, was nützte und nicht allzu abschweifend den Casus betraf. Das erwies sich später als Fundgrube für Bedenkenträger zum Prozess. Die Prüfung der Aussagen ersparte man sich in der Regel, was im besten Fall unter Fahrlässigkeit zu verbuchen war, in anderen Fällen auch unter Vorsatz.

Wie auch immer, die Verteidigung machte wie gewöhnlich ihren Job. Ein Laternser ist schuldlos, dafür als Ikone rechtsextremer Kreise zu dienen: waren seine Mandanten doch stets nur "geringfügig am Mord beteiligt".

Was veranstalten nun aber die Historiker mit diesem Prozess, den man (= H.) doch eigentlich gar nicht brauchte? War es nicht klar, dass die Anklagebank angesichts der unfassbaren Verbrechen komplett und sofort gehenkt gehörte? Dass es keiner Manifestation in Form der Anklagebank bedurfte: wer hat den Weltkrieg gewonnen? Dass es keiner Volksaufklärung der Deutschen anhand von Aktenvermerken bedurfte: alle wussten schon von den ungeheuerlichen Verbrechen?

Auch der Vollzug des geltenden Völkerrechts diente nur der Demonstration, dafür hätten auch ein paar Standgerichte mit Schnellverfahren gereicht: 1920 hatte man sich mit der deutschen Unterschrift zu Art. 227 ff. begnügt, dem Tun und Treiben des Reichsgerichts aber achselzuckend zugesehen, wie es Kriegsverbrechen als militärische Notwendigkeiten bagatellisierte. Mit ungeheuren Aktenmassen und zehntausenden Vernehmungen arbeitete man diesmal auf, was ohnehin klar lag.

Es verwundert schon, dass diese überflüssige Veranstaltung einigen wie Friedrich bis heute ein Dorn im Auge ist. Aber die weiten Wege dafür sind beeindruckend: Man diskutiert im Wortlaut gegebene und paraphierte Völkerrecht-fortbildende Regelungen des Versailler Vertrages, Völkerbundes und Briand-Kellogg-Paktes weg. Interessant ist dabei, dass zB Friedrich die damit als unzureichend erwiesene, eigene Expertise gleichzeitig für ausreichend hält, die Völkerrechtslage zum Luftkrieg beurteilen zu können.


P.S.
Artikel 4 WV lautet: "Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts."
Zur Erläuterung: als allgemein anerkannt gelten insbesondere Völkerrechtsregeln, die das Deutsche Reich paraphiert hat.
cliomara schrieb:
Vielleicht haben wir ja so blöde Kommentare in unserer Bibliothek.
Ich würde vermuten: gar keine.
 
Nein, den habe ich wohl nicht verstanden. Aber ich bewundere deine schönen Fremdwörter. Mit Rekurrieren und so.

Wir haben einige Kommentare und auch Gesetzessammlungen. Außerdem kann man schnell zu den Völkerrechtlern gehen - die haben noch mehr Bücher.

Mich stört ebenfalls, dass bei einigen Themen - zum Beispiel Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg - die moralische Empörung zum Beurteilungsmaßstab wird. Dass Repressalien unter bestimmten Umständen im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglich waren, wird gerne unter den Teppich gekehrt. Insofern kann ich dein Plädoyer für eine historisch-juristische Betrachtungsweise verstehen - gerade beim Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Ich kenne auch die von dir vertretene Argumentationskette, wonach mit dem Versailler Vertrag und entsprechenden Folgeverträgen ein "Rechtssystem" entstand, das dann das Nürnberger Tribunal ermöglichte. Sie gilt ja heute als Mehrheitsmeinung. Der muss man aber nicht folgen.

Im Übrigen konnte die Verteidigung nicht uneingeschränkt arbeiten. Die Anklagevertretung hatte mehr Material zur Verfügung. Die Verteidiger bekamen wichtige Dokumente erst später oder gar nicht. Ein Blick in die Protokolle der Verhandlungstage macht deutlich, dass die Verhandlungsführung nur bedingt unparteiisch war. Was hätte man von einem amerikanischen Richter auch erwarten sollen? Und natürlich leugneten die Angeklagten ihre Schuld.

Wie in jedem Prozess hing die Qualität der Verteidigung auch von den Anwälten ab. Der schon erwähnte Kranzbühler stellte sich vielleicht am besten auf das angelsächische Verfahrensrecht ein.

Ansonsten: Das ist ein weites Feld...und ich habe aus.
 
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