"The Times Atlas Zweiter Weltkrieg" (Bechtermünz-Verlag 1999) formuliert auf Seite 62: "Bei ihrem Versuch, den sowjetischen Widerstand im Schlüsselbereich des Don zu brechen, um anschließend weiter nach Süden zu gehen, wurden die Deutschen unausweichlich nach Osten in Richtung Stalingrad gedrängt".
Die Aussage ist falsch. Die Bewegung erfolgte
a) planmäßig (Weisung 45 "Braunschweig")
b) gleichzeitig
c) und hat mit Abdrängung nach süden nichts zu tun.
Vgl. zB DWRZ Band 6, Doerr (Der Feldzug nach Stalingrad), Glantz (Stalingrad I), Kehrig (Stalingrad), Philippi/Heim (Der Feldzug gegen Sowjetrussland)
Zum einen: Aus sowjetischer Sicht dürfte ein "anschließend weiter nach Süden" nicht antizipiert worden sein, sondern ein "anschließend weiter nach Norden". Ein Einfluss auf die sowjetische Truppenaufstellung müsste dann vorhanden gewesen sein.
Das ist richtig. Stichwort "Operation Kreml", das Täuschungsmanöwer des OKW im Sommer 1942. Tatsächlich waren die Masse der sowjet. Reserven im Halbkreis um Moskau zunächst konzentriert.
Operation Kremlin - Wikipedia, the free encyclopedia
Zum anderen: Schaut man auf die Karte, so fällt auf, dass die ganze "Operation Blau" ursprünglich eine viel weitere Frontbreite hatte als am Ende des Vorstoßes, wobei der äußerste linke Flügel gerade mal bei Woronesch knapp über den Don kommt.
Umgekehrt. Die Frontlinie im Bereich der alten HG Süd erweiterte sich von rd. 800 km (Juni 1942) auf über 3000 km (HG A und B, Oktober 1942, Woronesch-Don-Stalingrad-Groszny-Hochkaukasus-Schwarzmeerküste).
Erstens fällt es Hitler ziemlich spät wieder ein, dass er seinen Krieg aus wirtschaftlichen Überlegungen führt. Der Gedanke ans Öl spielte, so weit ich zu wissen glaube, vorher überhaupt keine Rolle (oder war in Hitlers Überlegungen von geringer Bedeutung).
Das ist nicht richtig.
Die wesentliche "Entscheidung" im Feldzug 194
1 (Kiew) war bereits unter rüstungswirtschaftlichen Aspekten gefallen (Ukraine, Donez-Gebiet, Vorstoss in den Kaukasus). Der HG Süd wurde im Oktober 41 angewiesen, im Winter 41/42 (!) die Linie Stalingrad-Maikop zu erreichen und die dortigen Ölfelder in Maikop einznehmen.
Drittens sieht doch außer Hitler jeder andere Depp (Rückschluss auf Forenmitglieder (außer mir) nicht erlaubt!), dass der reine Griff nach dem Kaukasus fast nicht klappen kann und mindestens zu einer höchst riskanten Totalüberdehnung der Front führen muss.
Der wesentliche Wendepunkt ist Nr. 45 mit der Bewegung "Braunschweig". OKH und Hitler gingen ursprünglich in der Planung für 1942 davon aus, dass diese Operation unter dem Aspekt geführt wird, dass die wesentlichen Kräfte der Roten Armee bereits zerschlagen
sind. Davon wich man in Nr. 45 ab, Hitler postulierte stattdessen, dass die Rote Armee am Ende sei. Daraus wiederum resultiert der Versuch,
gleichzeitig auf Stalingrad und den Kaukasus in einer gewaltigen, exzentrischen Bewegung zu operieren. OKH/Halder/FH Ost widersprachen, weswegen es zu scharfen Kontroversen kam. Am Ende stand die Entlassung Halders. Dazu sind KTB von Bock und Halder sehr empfehlenswert, aber auch die o.a. Studien. Die Entscheidung für die exzentrischen Bewegungen gehen 1942 allein auf Hitler zurück, ebenso wie 1941 die Entscheidung für Kiew.
Das klappte aufgrund der jetzt schon vorhandenen Übermacht des Gegners aber nicht, und der irrwitzige "Griff nach dem Kaukasus" stellte in Wirklichkeit die letzte überhaupt noch mögliche große Vorwärtsbewegung der Wehrmacht im Jahre 1942 dar.
Das war nicht die einzige Option. Siehe den Richtungsstreit oben.
Die Chancen zu bewerten, ist spekulativ. Als Hinweis dazu ein Fakt: die russischen Materialverluste im Sommer 1942 überstiegen die Ersatzgestellungen, die Panzerverluste monatelang die Produktion.
Die Rote Armee befand sich in dem Verschleiß ihrer Reserven nach Charkow, Kertsch, Tim, Woronesch, Landbrücke Don-Wolga/Kalatsch im Mai/Anfang Juli 1942 auf dem Weg in den Kollaps. Das Festfahren der Wehrmacht vor Stalingrad, der Vorstoß in die Weiten des Kaukasus und der Steppe verschafften die Atempause, die zum Aufbau derjenigen Reserven genutzt worden, die im Winter 1942/43 die Feldzuglage drehten. Die dort verwendeten
Offensivkräfte hatten zT Ausbildungen von nur 3-6 Monaten und geringe Kampferfahrung. Insbesondere die Panzerkräfte kamen "frisch aus den Schulen" (ebenso wie bei "Mars" vor Rshew), das Material war fabrikneu. Zu solchen Neu-Gestellungen war die Rote Armee noch im August 1942 nicht in der Lage gewesen. Diese Pause in den Bewegungen ist wichtig zum Verständnis des Ablaufes, wichtiger als die oft zitierten "Rückzüge" (die so gar
nicht stattfanden, sondern eine Legende darstellen - das ist aber ein anderes Thema).