Sarin (Nervengas) im WW2

P

Piepus

Gast
Hi,

Wikipedia gibt an, dass Hitlerdeutschland über 30 Tonnen des hochgiftigen Kampfstoffs "Sarin" verfügte. Kann mir jemand sagen, wieso es nicht eingesetzt wurde?

Danke im Voraus. :)
 
Hi,

Wikipedia gibt an, dass Hitlerdeutschland über 30 Tonnen des hochgiftigen Kampfstoffs "Sarin" verfügte. Kann mir jemand sagen, wieso es nicht eingesetzt wurde?

Danke im Voraus. :)

Der Abschreckungseffekt. Die Gegner Hitlerdeutschlands hatten auch chemische Kampfmittel und hätten die wahrscheinlich nach einem primären Einsatz durch das DR auch eingesetzt. Dazu kam, im Gegensatz zum I. WK, die Reichweite der Trägermittel (Luftwaffe).

M.
 
Die Alliierte verfügten zu diesem Zeitpunkt über keine Nervengase, sehr wohl aber auch über größere Mengen chemischer Kampfstoffe. Allerdings war man sich im Deutschen Reich auch nicht ganz sicher, was die Entwicklung von Nervenkampfstoffen bei den Alliierten anging. Deshalb schreckte man immer zurück diese hochwirksamen Kampfstoffe einzusetzen, da man eine Eskalation in der von Melchior beschriebenen Weise fürchtete.

Wir hatten das Thema hier schon mal.
 
...Dazu kam, im Gegensatz zum I. WK, die Reichweite der Trägermittel (Luftwaffe).M.

Guter Hinweis bzgl. der Abschreckungswirkung.

Mglw. war das auch ein tragender Grund bzw. eine plausible Erklärung für diese immense Bevorratung und Hortung von Beständen an chemischen Kampfstoffen im Dritten Reich. Das wirkt auf den ersten Blick etwas merkwürdig in Bezug auf den fehlenden Einsatz.

Dass die Allierten ständig Kampfstoffe für den Fall eines deutschen Einsatzes bereithielten und an den Fronten bevorrateten, zeigt folgende Katastrophe:
Bari-Zwischenfall
 
Der Abschreckungseffekt. Die Gegner Hitlerdeutschlands hatten auch chemische Kampfmittel und hätten die wahrscheinlich nach einem primären Einsatz durch das DR auch eingesetzt. Dazu kam, im Gegensatz zum I. WK, die Reichweite der Trägermittel (Luftwaffe).

M.

Es passierte nicht oft, dass in einem Konflikt eine bereits erfolgreich eingesetzte Waffe nicht eingestezt wurde, da man Gegenmaßnahmen befürchtete. Der Schrecken des Gaskrieges 1914/18 saß noch zu tief.


Es war vergleichbar dem späteren atomaren Gleichgewicht des Schreckens zwischen den USA und der UdSSR.
 
Es wurde auch über einen Zusammenhang mit Hitlers Erfahrungen aus dem Weltkrieg spekuliert. Daher noch ein anderer Ansatz:

Wenn man sich den Verlauf des Krieges anschaut, gab es 1939/42 wohl keine praktische (militärisch "effektive") Einsatzmöglichkeit für Giftgas. Die Feldzüge verliefen in Polen, Norwegen, im Westen, auf dem Balkan und in Afrika, sowie in Rußland 1941 recht schnell ("Blitzkrieg", hier operativ verstanden). Giftgas ist i.e.L. eine Waffe statischer Fronten, des Grabenkriegs, der Verbunkerung, großer Durchbruchsversuche etc.

1943 wurde mW der Einsatz in Rußland von der Wehrmacht im Zuge der Kriegswende kurzzeitig erwogen (DRZW Band 8??), jedoch verworfen -> siehe Verweis auf den Abschreckungsgedanken bei Jacobum, Gil-galad, Melchior.
1943/45 herrschte wieder ein (schneller) Bewegungskrieg, diesmal mit weiträumigen Rückzügen der Wehrmacht. In der Spätphase des Krieges war wohl klar, dass die Alliierten in der Frage des Giftgaseinsatzes über die weit größeren Ressourcen verfügen würden, dazu kam die Defensive des Deutschen Reiches beim Luftkrieg im Westen.

Glücklicherweise sind diese Kampfstoffe auch nicht im Untergang des Dritten Reiches, etwa als Vergeltungswaffe, eingesetzt worden. Theroretische Möglichkeiten dazu hätte es wohl auch bei der Luftwaffe gegeben. Mehr als wesentlich erhöhte Opferzahlen hätte das nicht gebracht.
 
Glücklicherweise sind diese Kampfstoffe auch nicht im Untergang des Dritten Reiches, etwa als Vergeltungswaffe, eingesetzt worden. Theroretische Möglichkeiten dazu hätte es wohl auch bei der Luftwaffe gegeben. Mehr als wesentlich erhöhte Opferzahlen hätte das nicht gebracht.

Die größte Gefahr geht doch immer von einem Gegner aus, der nichts mehr zu verlieren hat (oder das zumindest selbst glaubt). Ein Beispiel dafür bietet auch der Kampf bis zur völligen Vernichtung der Japaner auf Okinawa oder Iwo Jima, wenn auch hier der Hintergrund ein anderer ist. Und man braucht nicht mal unbedingt die Luftwaffe, es gab auch immer noch Städte, die durchaus in der Reichweite der schweren Artillerie lagen (zumindest Anfang 1945 noch), die Gasgranaten problemlos verfeuern kann (das hatte man im WK I ja ausgiebig getestet).

ME war am Ende des Krieges das Problem des Gaseinsatzes primär ein logistisches - man muss die Kampfstoffe eben auch zu den Waffenträgern bringen. Und in der Phase einen Zug vollbeladen mit Tabun durch das Reich zu schicken, wäre vielleicht nicht die beste Idee gewesen.
 
Das logistische Problem sehe ich auch.
Ich habe mal eine Repotage über die Entwicklung von Sarin und Tabun gesehen, ist aber schon etwas her, weshalb ich nicht genau sagen kann wo ... War wohl BBC.
Dort wurden immer wieder schwere Unfälle erwähnt. Selbst die allerkleinste Unachtsamkeit konnte den eigenen Tod oder/und den anderer zur Folge haben. Dazu kam es nicht selten.
Ich glaube, man hat das Zeug nur gehortet, um es zu besitzen.
Als Nazideutschland 44/45 am Ende war ... Ich denke schon, man hätte es eingesetzt, wenn man sich Rettung versprochen hätte.
 
Hallo

Verschiedentlich wird in der Literatur darauf hingewiesen das Hitler persönlich den Einsatz von Kampfstoffe verboten hat. Begründet wird diese Aussage mit seinen eigenen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg.

Eine genaue Quellenangabe kann ich dir dazu leider nicht machen da ich diese Bücher nicht mehr habe

Der Jerome
 
Wobei ich diese Idee etwas merkwürdig finde. Hitler war im Osten nun nicht an einem "ritterlichen" Feldzug sondern an einem Vernichtungskrieg interessiert. Ich bezweifel, dass er da große Skrupel vor dem Giftgaseinsatz hatte.
 
Im August 1943 erteilte der US-Präsident Roosevelt den Befehl, C-Waffen auf den italienischen Kriegsschauplatz zu bringen, um im Falle eines deutschen Gasangriffs Gegenmaßnahmen durchführen zu können.

Bei deutschen Luftangriff auf Bari am 2.12.1943 wurden 18 alliierte Schiffe versenkt, darunter auch die SS John Harvey, die mit 2000 Senfgasgranaten beladen war. Die Chemikalie verbreitete sich sowohl im Wasser als auch in der Luft. Im Meer treibende Seeleute waren somit ebenso betroffen wie Militärs und Zivilisten an Land. Da die Präsenz der Gasgranaten streng geheim war, standen die behandelnden Ärzte anfangs vor einem Rätsel.
Man geht davon aus, dass 628 US-Soldaten senfgasgeschädigt wurden, von denen 83 starben. Über italienische Zivilverluste gibt es keine Zahlen, diese dürften aber weitaus höher liegen.

Die Alliierten waren bemüht, diesen Fall geheim zu halten. Die Deutschen sollten nicht denken, die US-Streitkräfte hätten einen C-Waffen-Einsatz vor; die Gefahr eines Präventivschlages wurde gefürchtet.

Hier ein Link dazu:

Veterans at Risk: The Health Effects of Mustard Gas and Lewisite
 
Im August 1943 erteilte der US-Präsident Roosevelt den Befehl, C-Waffen auf den italienischen Kriegsschauplatz zu bringen, um im Falle eines deutschen Gasangriffs Gegenmaßnahmen durchführen zu können.

Auf Bari hatte ich oben ebenfalls hingewiesen, allerdings war die gängige Doktrin für den europäischen Kriegsschauplatz, dass die Alliierten Gas nicht als erste einsetzen würden, sondern sich für den Fall des deutschen Gaseinsatzes lediglich präparierten (die Mannschaftsstärke der US-Streitkräfte für die Chemische Kriegführung stieg von 6.400 (Jan42) auf 60.300 (Mai45) an.

Tatsächlich erwogen wurde der Gaseinsatz im Pazifikkrieg, speziell nach Iwo Jima und Okinawa, für den Fall der Landung auf den japanischen Hauptinseln. Die OPD-Studie vom Juni 1945 erwog den Gaseinsatz aus verschiedenen Gründen (wozu übrigens auch die fehlende japanische Reaktionsmöglichkeit zählte). Hierbei wurde die "world opinion" berücksichtigt, die für die USA negativ bewertet wurde. [*] Truman wurde explizit die Frage vorgelegt, ob er Roosevelts Doktrin ändern wolle. Speziell die Admiralität wandte sich vehement gegen die Army-Überlegungen betreffend Gaseinsatz, der die vorausgeschätzten amerikanischen Opferzahlen reduzieren sollte: "under no circumstances ..." - Admiral Leahy. Dabei blieb es.

Quelle: Serie US Army in WW II, Volume: "The Chemical Warfare Service - Organizing for War", S. 86 ff.


[*]eingesetzt wurde dann die A-Bombe.
 
Zuletzt bearbeitet:
...wozu übrigens auch die fehlende japanische Reaktionsmöglichkeit zählte...

Das erhöht immer wieder die Motivation Massenvernichtungswaffen als militärische Alternative zu sehen. Die europäischen Mächte kannten sich ja aus dem WK I mit dem Einsatz von Giftgas bestens aus. Auch das Buntschießen war hier bekannt. Allerdings hatte hier ja auch der WK I schon gezeigt, welche Eskalationsspirale man mit dem Gaseinsatz in Gang setzte, z.B. die Einwicklung von immer wirksameren Kampfstoffen, Kombinierter Einsatz von verschiedenen Kampfstoffen (Maskenbrecher, Lungenkampfstoffe, Loste). Letztlich war 1918 jede 3. Granate schon eine Gasgranate.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass in Europa die Motivation hoch war, diese Art der Kriegführung noch einmal in großem Stile zu befördern. Zumal sich gezeigt hatte, dass die militärische Seite oft zweifelhaft war. Gas bassiert vielmehr auf dem psychologischen Faktor und dem Zwang massive Schutzmaßnahmen zu treffen, die wiederum die physiche Leistungsfähigkeit herabsetzt.

Übrigens gegen Tabun und Sarin gab es bis zum Ende des WK II kaum brauchbare Schutzmaßnahmen, da eine Maske allein bei Nervenkampfstoffen nicht ausreicht. Auch der Kontakt mit der Haut kann bereits tödlich sein.
 
Zurück
Oben