Widerstandskraft der Sowjetunion und der Roten Armee 1941/42?

silesia

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Viel interessanter als die Frage nach einem "möglichen Sieg" ist die Frage, aus welchen militärischen, ökonomischen und politischen Gründen die Sowjetunion dem gewaltigen Angriff der Wehrmacht überhaupt standhalten konnte, trotz der kompletten Vernichtung der am 22. 6.1941 bestehenden Roten Armee binnen 3 Monaten.

Was ist die Erklärung für den "Colossus Reborn" (David Glantz) nach dem Debakel 1941/42? *




*Bestimmt nicht die zuweilen bildlich noch vor Augen stehende "unzerstörbare russische Dampfwalze", auch nicht irgendwelche militärisch-ökonomischen Naturgesetzlichkeiten, und auch nicht Schlamm und Winter.:winke:
 
Viel interessanter als die Frage nach einem "möglichen Sieg" ist die Frage, aus welchen militärischen, ökonomischen und politischen Gründen die Sowjetunion dem gewaltigen Angriff der Wehrmacht überhaupt standhalten konnte, trotz der kompletten Vernichtung der am 22. 6.1941 bestehenden Roten Armee binnen 3 Monaten.
Du führst die Diskussion hier auf ein interessantes Feld und ich möchte gern einige Gegenfragen stellen:

1. Gibt es Zahlen, wann für die Achsenmächte der Zeitpunkt erreicht war, zu dem ihre ursprünglich zum Angriff auf die SU angetretenen Truppen de facto aus dem Kampf ausgeschieden waren? Ich stelle die Frage deshalb, weil ich vermute, dass mit Ausnahe der in West- und Nordeuropa stehengebliebenen Besatzungstruppen auch die Achsenmächte - zumindest das DR - hier seine erste Garnitur in die Schlacht geworfen hatte, die fittesten, bestausgebildetsten und einsatzerfahrensten Truppen.

2. Wie sah es auf beiden Seiten mit relativer Zahl und Qualität der verfügbaren Reservisten aus? (Sowohl im Vergleich mit den Profis der eigenen Seite, als auch im Vergleich mit den Reservisten des Gegners?) Ich muss zugeben, dass ich diesbezüglich für beide Seiten keinen blassen Schimmer habe, aber ca. 15 Jahre Berufsarmee dürften zumindest auf deutscher Seite doch erheblichen "Nachschulungsbedarf" hinterlassen haben?

3. Wie sah es mit der Einsatzfähigkeit der neuausgehobenen Soldaten aus? Meine Frage/These hierzu lautet, dass auf deutscher Seite womöglich ein relativ größerer Anteil von "Stadt- und Büromenschen" eingezogen wurde, die gegenüber Bauern und Landarbeitern zumindest für den Einsatz im Felde im wortwörtlichen Sinne schlechter vorbereitet waren.

Quintessenz der Fragen 1-3: War das eingangs verfügbare Militärpersonal erst einmal "verbraucht", hatte die SU dann womöglich besser geeigneten "Menschenersatz" für den Krieg zur Verfügung als das DR?
(bitte nicht mißverstehen, die Formulierung klingt zynisch, ist es m. E. aber gegebenermaßen auch)

4. Spielen Schlamm, Winter, Spurweiten, Distanzen, "Leere des Raumes", Infrastruktur nicht doch eine Rolle? Ein Fazit von Robert Michael Citino: The German Way of War: From the Thirty Years' War to the Third Reich, 2008 ist, dass die deutsche Kriegführung stark von ihrer daheim relativ guten Infrastruktur abhängig war und mit der Entfernung von dieser deutlich an Durchschlagskraft verlor. Das mag etwas holzschnittartig sein, aber es ist sicherlich unbestreitbar, dass Logistik nie zu den klassischen Stärken des deutschen Kriegswesens im 20. Jh. gehört hat - auch geschuldet dem Mangel an Treibstoff und an motorisierten Transportmitteln, sowie dem 'schlechten Ruf' der Nachschubtruppe. Doch dürfte die Überdehnung der deutschen Nachschubrouten, die zeitweise schlichtweg unpassierbar waren. Das war sicherlich ein wesentlicher Faktor für den Kriegsverlauf insofern, als sie den Bewegungskrieg, sicherlich eine der wesentlichen taktisch-operativen Stärken der Wehrmacht, ganz erheblich einschränkten.

4.a Davon ausgehend, dass das russische Material tatsächlich robuster war, als das technisch-verspielte, aber wartungsintensivere deutsche und weiterhin davon ausgehend, dass das US-Material der Roten Armee in großer Anzahl vorhanden war, wie robust es im einzelnen auch immer gewesen sein mag: War die Wehrmacht in diesem infrastrukturarmen Raum im Abnutzungskrieg womöglich strukturell von Anfang an im Nachteil, wenn das Gerät relativ häufiger als beim Gegner gewartet werden musst und die Zeit zwischen "Panzer geht kaputt" und "Panzer ist wieder einsatzbereit an der Front" auf Grund von Transportzeiten und infrastrukturell bedingten längeren Dauern der Wartungsarbeiten (keine Arbeitsmedien, keine trockene Halle, Warten auf Ersatzteile) einfach zu lang war?

5. Zum "gewaltigen Angriff der Wehrmacht": War er denn tatsächlich so gewaltig im Sinne von unwiderstehlich? Wenn ich in der Retrospektive mal böse bin, habe ich eine Streitmacht, die relativ gleichmäßig verteilt auf einer ungeheuren Frontbreite vorgeht. Gleichzeitig weist sie einen relativ geringen Mechanisierungsgrad auf (was mögen das gewesen sein? 10 - 15%? Oder eher noch weniger?) nebst der o. a. Knappheit an Transportmitteln und Treibstoff. Der Großteil dieser Streitmacht ist auf Schusters Rappen und mit Pferdegespannen unterwegs. Eine schnelle Schwerpunktverlagerung ist damit nur schwer möglich. Eine derart ausgedünnte und inflexible Vormarschfront geht m. E. einher mit dem Nichtvorhandensein eines wirklichen strategischen Zieles für den Ostfeldzug. Hier fehlen mir wieder die Detailkenntnisse, aber aus Sicht des teilinteressierten Laien sollte es erst zum Ural gehen, dann im gezielten Stoß auf Moskau, dann - nach einem Abstecher gegen Leningrad - plötzlich in den Süden, idealerweise nicht mehr, um die SU zu schlagen, sondern durch den Kaukasus und den Vorderen Orient den Briten in Ägypten in den Rücken zu fallen, dann soll Stalingrad koste es, was es wolle, gehalten werden und danach nur noch "rücksichtsloses Siegen um jeden Preis". Einen konsolidierten und konsequent verfolgten Kriegsplan mit einem festgelegten Operationsziel, auf das die eigenen verfügbaren Kräfte massiert angesetzt werden (im Sinne des Clausewitz'schen Enthauptungsschlages) vermag ich da nicht zu erkennen. Überspitzt ausgedrückt: Hat womöglich die "Konzeption" oder ketzerisch ausgedrückt "Konzeptlosigkeit" der deutschen Gesamtkriegführung der "Auferstehung" der Roten Armee und Stalins ganz massiv in die Hände gespielt?
 
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Ich habe keine fundierte Antwort, aber ausgehend von allem was ich bisher gelesen habe - und dem was ich von Veteranen (nur 2 persönlich )gehört habe:

die Deutsche Seite hatte darum imense Vorteile und Erfolge bis 1942:

die extrem steile lernkurve in tödlichen Konflikten. was dir offensichtlich ist, konnte man selten lernen weil man schon tot war wenn man den fehler bemerkte.

Funktechnik in JEDEM Fahrzeug (Russische Panzerkompanien hatten ein paar funkfahrzeuge, die dann mit fähnchen weiterdirigierten. was da los ist wenn man das durchschaut hat, und die funkpanzer einfach zuerst abschießt kann man sich denken wenn man mal versucht hat aus einem Panzer rauszuschauen)

So wird es z.b. auch im Buch der 502(3?) schw. Panzerabteilung oft geschildert.
Schwere Panzerabteilung ? Wikipedia

Man sah ein Rudel T34, schoss konzertiert die Führungspanzer ab nachdem man über funk ausgemacht hatte wer welchen panzer abschießt. danach ist dann nur manöverschießen um es platt auszudrücken.
wiederholte sich z.b. auch im ersten Golfkrieg, einzige amerikanische Verluste waren friendly fire - und das gegen die rep.Garde die wirklich als gut ausgebildet und höchst motiviert galt.

Dieses Beispiel lässt sich auf nahezu jeden anderen Waffentyp übertragen.

Die deutsche Auftragstaktik war da ideal, das ganze noch zu verstärken.

Die russische Art war es, immer wieder an der gleiche Stelle die befohlenen Angriffe zu führen - da sonst das ganze durch Stalin sanktioniert wurde.


Das war mmn der Grund, weshalb die deutsche Seite bis 1944 im Vergleich als Kampfstärker und effizienter gelten muss. (siehe auch MGFA DdRud2teWK Band 5)

dem einzelnen Rotarmisten war auch ziemlich egal wieviele Reservisten noch da waren, er sah das da hochmotivierte Gegner jeden widerstand brachen ohne das die vielen Toten Kameraden anfangs etwas änderten. da verlässt jeden der Kampfesmut - egal woher er kommt und welches fähnle gerade vor ihm hergetragen wird.

vergleiche dazu mal die Stimmung im Volkssturm oder den als "letztes Aufgebot" bezeichneten Wehrmachtseinheiten, die dinge sagten wie
"wenn du ein graues flugzeug siehst, ist es ein Brite. ist es schwarz ist es amerikanisch. siehst du garnichts - dann ist es die Luftwaffe."

Hätte man diejenigen die die deutschen als Befreier begrüßten auch wirklich befreit, wäre der finanzielle Raubzug ja nicht aufgegangen, den Götz Aly nachweist - und da enden mmn alle "was wäre wenn" - denn dann wäre es halt am Geld gescheitert.
 
Ein Zusammenbruch der Roten Armee 1941 wäre gleichbedeutend mit einem Vorerstsieg der Wehrmacht in diesem Krieg gewesen. Dem Dritten Reich stünden danach ungeheure Ressourcen zur Verfügung. Nicht nur Rohstoffe, sondern auch Sklavenarbeiter.
Die Rote Armee hat bis Moskau beispiellose Verluste und katastrophale Niederlagen hinnehmen müssen. Es ist schon fast erstaunlich, dass es nach Kiew keine allgemeinen Auflösungserscheinungen gab. Fünf sowjetische Panzer- und Schützenarmeen waren im Kiewer Kessel vernichtet worden. Derartige Verluste hat noch nie jemand hinnehmen müssen. Ein Aufhalten der Wehrmacht war vorerst nicht abzusehen. Ich kann mir fast keine größere Katastrophe als die sowjetische von 1941 vorstellen. Die deutsche Wehrmacht ist an der Opferbereitschaft und dem Widerstandswillen des einfachen Rotarmisten gescheitert. Von Führung konnte man bis dahin auf Seiten der Sowjetunion noch nicht wirklich reden. Kapitulation wäre durchaus eine nicht unlogische Alternative gewesen.
 
Die Ressourcen mussten aber erst einmal verfügbar gemacht werden und das dauerte. Die Rote Armee hat nämlich während ihres Rückzuges ganze Arbeit geleistet. Entweder wurde zerstört oder abgebaut und im Osten wieder aufgebaut. Das war schon eine beeindruckende Leistung, die deutscherseits so gar nicht erwartet worden war.

Die USA und Großbritannien hatten sich am 01.Oktober 1941 verpflichtet, der Sowjetunion monatlich 500 Panzer, eine erheblich Anzahl an Lastkraftwagen sowie große Mengen Rohstoffe, Waffen etc. zu liefern.

Im Deutschen Reich begannen bereits im September/Oktober 1941 die Probleme mit der Rüstungsindustrie.

Hitler war vollkommen geblendet von den Siegen der Wehrmacht und machte sich illusorische Vorstellungen von den verbliebenen Möglichkeiten der UDSSR. Es war schon eine groteske Fehleinschätzung, die nicht zu Letzt auf Fremde Heere Ost zurückzuführen ist.
 
alles in allem werden es dann kleine rädchen im getriebe der wehrmacht gewesen sein die auch nicht mehr wie am anfang funktionierten denke ich, auch das die besten jahrgänge der wehrmacht irgendwann aufgerieben wurden, auch hitlers regelmäßiges einmischen im kriegsverlauf war evtl. ein problem, stalin hat z.b. später seinen militärs freie hand gegeben:grübel:
 
Die Chance auf einen Sieg seitens der Wehrmacht lag in einem erfolgreichen Blitzkrieg. Dieser wäre vor Beginn der Schlammperiode zu beenden. Alles andere bedeutete Niederlage. Also, die Lieferungen der Alliierten England/USA waren schon eine ganz andere Geschichte.
Nur wenn die massiven Vernichtungsschläge der Kesselschlachten ein allgemeines Chaos hervorgerufen und damit eine Auflösung der Roten Armee herbeigeführt hä… hä… (Gesundheit) hätten, wäre der Krieg zu gewinnen gewesen. Doch trotz des Abschlachtens zahlreicher sowjetischer Armeen, blieb der Widerstand auf russischer Seite bestehen. Im Grunde brach überall alles zusammen, trotzdem gab man nicht auf. Das auch die Wehrmacht, vor allem logistische Probleme hatte, war von russischer Seite zu der Zeit so nicht zu sehen. Man steckte nur ein und blutete.
Von deutscher Seite war es zweifellos ein Vabanquespiel. Ein psychologisches Spiel, das darauf setzt, dass, wenn man zum Anfang nur hart genug zuschlägt, der andere aufgibt. Kann funktionieren, wie im Falle Frankreich vom Sitz- zum Blitzkrieg, muss es aber nicht.
 
Der Fehler war den Feldzug gegen die Sowjetunion überhaupt zu beginnen, denn dieser war eigentlich nicht zu gewinnen. Fremde Heere Ost hatte in der Aufklärung kolossal versagt gehabt. Selbst Hitler soll gesagt haben, hätte er das wahre Ausmaß der personellen und materiellen Stärke der Roten Armee gekannt, hätte er diesen Feldzug nicht begonnen. Wie ernst diese Aussage zu nehmen ist, lasse ich einmal dahingestellt.

Beispielsweise ging man auf deutscher Seite zu Beginn des Jahres 41 von 2 Millionen Soldaten der Roten Armee aus. Tatsächlich waren es schon über 4 Millionen und bis Juni 41 waren es etwa 5 Millionen. Fremde Heere Ost vermutete 10.000 Panzer, aber es waren zwischen 20.000 bis 24.000 gegenüber den bescheidenen 3.500 deutschen Panzern. Solche krassen Fehleinschätzungen erschweren dann natürlich die Realisierung des Feldzugsplans. Und, ebenfalls eine schlimme nicht zutreffende Einschätzung, war, das man glaubte, die Sowjets würden keine Verstärkungen aus dem Osten herankarren.

Wie soll auf Grundlage solcher krassen Fehleinschätzungen ein Feldzug geplant und gewonnen werden?
 
Der Fehler war den Feldzug gegen die Sowjetunion überhaupt zu beginnen, denn dieser war eigentlich nicht zu gewinnen. Fremde Heere Ost hatte in der Aufklärung kolossal versagt gehabt. Selbst Hitler soll gesagt haben, hätte er das wahre Ausmaß der personellen und materiellen Stärke der Roten Armee gekannt, hätte er diesen Feldzug nicht begonnen. Wie ernst diese Aussage zu nehmen ist, lasse ich einmal dahingestellt.

Beispielsweise ging man auf deutscher Seite zu Beginn des Jahres 41 von 2 Millionen Soldaten der Roten Armee aus. Tatsächlich waren es schon über 4 Millionen und bis Juni 41 waren es etwa 5 Millionen. Fremde Heere Ost vermutete 10.000 Panzer, aber es waren zwischen 20.000 bis 24.000 gegenüber den bescheidenen 3.500 deutschen Panzern. Solche krassen Fehleinschätzungen erschweren dann natürlich die Realisierung des Feldzugsplans. Und, ebenfalls eine schlimme nicht zutreffende Einschätzung, war, das man glaubte, die Sowjets würden keine Verstärkungen aus dem Osten herankarren.

Wie soll auf Grundlage solcher krassen Fehleinschätzungen ein Feldzug geplant und gewonnen werden?


Hitler sagte ja mal, dass er immer nur vabanque gespielt und nur das zuschlagen gekannt habe. Er meinte es als Eigenlob, es streicht aber dieses Zitat aber eher die Beschränktheit des Größten Feldherrn aller Zeiten heraus. Wenn alles am Schnürchen geklappt hätte, so war Unternehmen Barbarossa nur eine Episode, das Großdeutsche/Großgermanische Reich sollte sich die Ressourcen der SU sichern, um dann irgendwann mit den USA den Kampf um die Weltherrschaft auszufechten. Eine Friedenszeit konnte sich Hitler gar nicht vorstellen, aber logischerweise muss jeder Krieg einmal zuende gehen, muss eine Friedensperiode folgen, wenn all die Kriegsanstrengungen einen Sinn haben sollen. Um ein so riesiges Gebiet wie die SU nachhaltig beherrschen zu können, braucht man Verbündete, braucht man die Unterworfenen.

Als die Wehrmacht im Sommer 1941 vorrückte, wurden die deutschen Soldaten mancherorts in der Ukraine und im Baltikum als Befreier begrüßt, und mit etwas gutem Willen wäre es durchaus möglich gewesen, einheimische Verbände gegen Stalin zu mobilisieren. Statt dessen wurde rücksichtslos auf die Resourcen zurückgegriffen, wobei die Verantwortlichen den Hungertod von Millionen Zivilisten billigend in Kauf nahmen. Hunderttausende von Kriegsgefangenen ließ man einfach verhungern, und Himmler brüstete sich noch mit seiner Härte und behauptete, die SS sei dabei anständig geblieben. Eine solche Politik musste Widerstand erzeugen, selbst wenn es oft nur der Widerstand der Verzweiflung war. So kann man nicht dauerhaft Verbündete gewinnen und die, die man gewann, waren nur solange loyal, solange die Wehrmacht ihre Loyalität erzwingen konnte.
 
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Anfang/ Mitte Oktober hätte auf deutscher Seite klar sein müssen, dass der Drops gelutscht war, weil die Rote Armee trotz massiver Schläge und unausgesetztem Rückzug nicht kapitulierte.
Allein, wenn die sowjetische Seite die Nerven verloren und um einen Waffenstillstand nachgesucht hätte, wäre die Wehrmacht siegreich gewesen.
Im Jahr '42 konnten dann von russischer Seite die Maßnahmen der Rückverlegung der Rüstungsindustrie, die Hilfe durch die USA und Briten und die weitere schonungslose Ausnutzung der Ressource Mensch greifen.

Am 16. Oktober '41 brach in Moskau Panik aus. Die Bevölkerung begann die Stadt fluchtartig zu verlassen (Funktionärslimousinen vorneweg) und Geschäfte wurden geplündert. Ordnungskräfte traten nicht in Erscheinung. Weder Busse noch die Metro fuhren.
Stalin beorderte Schukow von Leningrad nach Moskau und gab ihm den lakonischen Befehl: "Nehmen Sie die Sache in die Hand und tun sie etwas."
Nachdem Sondereinheiten des NKDW am 19. Oktober rigoros durchgriffen, bekam man die Lage wieder in den Griff.
Auslöser dieser Flucht war die Presse. Zuvor hatte sie die Niederlagen mehr oder weniger verschwiegen. Am 14. Oktober hieß es in sämtlichen Zeitungen: "Die Barbaren stürmen gegen das Herz unseres Landes." Dann stand am 16. Oktober in der Prawda "Das wahnwitzige faschistische Ungeheuer bedroht Moskau!" Wenn man gewohnt war, das ständig geschönte Nachrichten erschienen, wie verzweifelt war die Lage dann, wenn solche Hiobsbotschaften gedruckt wurden? Die Lage war allerdings eher so, dass die deutschen Kräfte vorerst am Ende waren, die sowjetischen noch nicht.
Hitlers Anliegen am 28. Oktober Guderians 2. Panzerarmee gegenüber: "...die Orka-Brücken ostwärts von Serpuchow (noch 120 km entfernt) durch schnelle Abteilungen in die Hand bekommen." Nach dem Krieg schrieb Guderian dazu: "Schnelle Abteilungen gab es nicht mehr."
 
An der Ostfront wäre noch 1943 noch ein Seperatfrieden möglich gewesen, während die Westallieierten mit Hitler schon seit 1939 nicht mehr mit Hitler verhandeln wollten. Unternehmen Barbarossa war sein Kriegin den er sich in alle Entscheidungen oberhalb von Regimentsebene einmischte und Generale wie heutige Fußballtrainer austauschte. Skrupel, die einige Offiziere bei den Mordaktionen in Polen hatten, wollte er nicht länger durchgehen lassen.

Die rein physischen und taktischen Leistungen der Wehrmacht, von der zahlreiche Einheiten zu Fuß oder mit Pferdegespannen bis vor Moskau gelangten, waren enorme, Hitler aber hat immer noch mehr gefordert, und im vorgegebenen Zeitplan lag die Wehrmacht zurück. Wegen dem Militärputsch in Jugoslawien startete der Feldzug relativ spät im Jahr. Das Versäumnis, Winterausrüstung bereitzustellen, ein versäumnis, das nicht nur Hitler, sondern auch der Wehrmachtrsführung anzulasten ist, erscheint angesichts der jedem Viertklässler bekannten Tatsache, dass es in Russland von November bis März/ April ziemlich kalt wird, schon fast kriminell. Im Winter 1941/42 waren die Verluste durch Erfrierungen auf deutscher Seite weitaus höher, als durch Feindeinwirkung.Die Truppe musste sich auf eigene Faust behelfen, die Winterspenden, die durch die Propaganda stark herausgestrichen wurden, trafen vielerorts erst April/ Mai 1942 an der Front ein. es gab nur das, was man gefallenen Rotarmisten oder der Zivilbevölkerung abgenommen hatte. Lew Kopelew, Kriegsfreiwilliger in der Roten Armee sprach einmal darüber, dass man von mit allmöglichen Kleidungsstücken vermummten personen sagte, sie sähen aus wie ein "Winterfritz".
 
...Wenn alles am Schnürchen geklappt hätte, so war Unternehmen Barbarossa nur eine Episode, das Großdeutsche/Großgermanische Reich sollte sich die Ressourcen der SU sichern, um dann irgendwann mit den USA den Kampf um die Weltherrschaft auszufechten...

Ja... und genau das war das Feldzugsziel. Es war von Vornherein klar, dass man enorme Beute brauchte um einen solchen Krieg wirtschaftlich überhaupt führen zu können. Schon ohne direktes Eingreifen der USA. Bereits bei einer Fortsetzung des Kampfes gegen GB, mit seiner bereits vor Barbarossa ganz wesentliche Rückendeckung durch die USA, deren „Neutralität“ nur noch durch innenpolitisch-taktische Überlegungen bedingt war. Es war ein Bedarf abzusehen, über die das Reich nicht verfügte. Um eben solche Beute machen zu können, war neben dem totalen Sieg im Osten auch eine rücksichtslose Ignoranz gegenüber grundlegenden Lebensbedürfnissen der unterworfenen Bevölkerung der UdSSR angestrebt worden - ja das wurde sogar als essentiell notwendig Vorausgesetzt! Vor diesem Hintergrund wurde jede politische Zusammenarbeit mit der ansässigen Bevölkerung entsprechend als schädlich für die Gesamtanstrengung angesehen, weil der ungehinderte Zugriff auf Ressourcen dann regionalen und politischen Bedürfnissen gegenübergestanden hätte. Nur insoweit, wie die Bevölkerung im Sinne eines „Produktionsmittels“ gebraucht worden wäre, konnten so Zugeständnisse an ihre Lebensnotwendigkeiten vorausgesetzt werden. Ich glaube es war Goebbels, der zu Feldzugsbeginn in sein Tagebuch schrieb, dass man sich jetzt im Osten „gesundstoßen“ werde…
Stattdessen entwickelte sich die Ostfront zum wichtigsten, und wohl auch kriegsentscheidenden Kampfabschnitt, der die deutschen Ressourcen in einem vorher für unmöglich gehaltenen Maße verschlang und die Niederlage von Hitlers Reich ganz erheblich beschleunigte! Es sei der Hinweis gestattet, welche Probleme den Briten bereits das vergleichsweise kleine Afrikakorps bereitete (ungeachtet der völlig anderen, logistischen Voraussetzungen) - Verglichen mit dem Massenaufgebot gegen die Sowjetunion…

Die rückblickend unverständliche und völlige Unterschätzung der sowjetischen Wehrkraft dürfte zum Teil mit den Erfahrungen des 1. Weltkrieges zu tun haben. Die erwartete, „fürchterliche russische Dampfwalze“ war niemals wirklich in Fahrt gekommen und am Ende war Russland zusammengebrochen, obwohl Deutschland seinem Kriegsschwerpunkt überwiegend im Westen gelassen hatte. Hinzu kamen die Erfahrungen mit sowjetischen Kriegsmitteln seit dem spanischen Bürgerkrieg bis hin zum Finnischen Winterkrieg, sowie der Eindruck, den die politischen „Säuberungen“ innerhalb der Roten Armee hinterließen.
 
Du führst die Diskussion hier auf ein interessantes Feld und ich möchte gern einige Gegenfragen stellen:

Zu den Fragen 1-3:

Würde man das in Jahresabschnitte einteilen, käme man mit den Verlusten der Wehrmacht auf ca. Ende 1944. Halders Tagebuch notiert - müsste ich aber nachschlagen - zu Beginn der Sommeroffensive etwa 35% Verluste, ein Teil davon wurde wie bei der Roten Armee später wieder eingesetzt. Du weist aber zurecht auf die Reservistenprobleme hin, die zudem massiv mit der Kriegswirtschaft kollidierten.

Die größten Verluste erlitt die Wehrmacht erst 1944. Im Jahresverlauf verlor man in den Großoffensiven rd. 100 Divisionen.

Zu 4. das sehe ich in Bezug auf die Widerstandsmöglichkeiten der Roten Armee 1941/42 ganz genau so.

Zu 4a. das hat mehrere Aspekte. Ein Großteil der Materialverluste der Roten Armee 1941/42 kann man dem Abnutzungszustand und dem Verschleiß zuschreiben. Schätzungen überschlagen das etwa so, dass 1/3 der gepanzerten Fahrzeuge der westlichen Militärbezirke stark abgenutzt und kaum einsatzfähig waren. Obwohl die Robustheit des späteren Materials immer wieder hervorgehoben wird, glaube ich nicht, dass hier ein wesentlicher Faktor liegt.

Die "Verspieltheit" hatte eine andere wichtige Konsequenz: Serienfertigungen in der Rüstung und Behinderung des Outputs, mal vom Ressorcenverbrauch mal ganz abgesehen.

5. das war eher als griffiger Begriff gemeint: die Weite des Raumes hatte beide als Problem, ebenfalls das Schwerpunktproblem nördlich/südlich der Pripjets. Die Wehrmacht trat jedenfalls mit der größten Frontstärke an, etwa das 1,5 - fache des Westfeldzuges 1914 und auch stärker als im Westen 1940.

Dabei sollte beachtet werden, dass die Frontstärke nicht wesentlich der Roten Armee unterlegen war, in den Grenzbezirken sogar überlegen. Man muss hier berücksichtigen, dass die mobilisierte Rote Armee 1941 nur in strategischen Staffeln, also sozusagen "nacheinander" antreten konnte. Vor Moskau im Oktober und Dezember 1941 waren die Kräfte nicht wesentlich unterschiedlich (siehe die neuste Publikation von Zetterling, Moscow 1941).
 
Noch im Nachgang:

Glantz hat die beiden Büchern "Stumbling Colossus" und "Colossus Reborn" (inkl. Ergänzungsband mit Key Documents und Statistics vorgelegt.

Das eigentlich Erstaunliche ist die Mobilisierung der Roten Armee zwischen Mai (-und Juli-Desastern) und November 1942. Neben den laufenden Einschüben in die Front gab es hier den großen Aufbau strategischer Reserven, die dann im November bzw. Dezember 1942 zu den Offensiven Uranus und Mars (neben anderen) antraten. Shukow hat hier exakt den Kulminationspunkt des Ostfeldzuges getroffen.

Zu dem Zeitpunkt war die Wehrmacht nahezu reserveseitig "leergelaufen", im Gegensatz zum Winter 41/42.
 
Der Fehler war den Feldzug gegen die Sowjetunion überhaupt zu beginnen, denn dieser war eigentlich nicht zu gewinnen. Fremde Heere Ost hatte in der Aufklärung kolossal versagt gehabt.

Wie soll auf Grundlage solcher krassen Fehleinschätzungen ein Feldzug geplant und gewonnen werden?

Wenn man sich die ersten Monate von "Barbarossa" ansieht ist man "erstaunt", über die militärischen Erfolge von den "Grenzschlachten", über Smolensk, Kiev bis hin zur Schlacht um Moskau.

Die verheerenden Niederlagen sind sehr ausführlich in dem Tagungsband von Glantz beschrieben (D. Glantz: The initial Period of War on the eastern Front. 22. June - August 1941, 1993)

Es wird in der Darstellung bei Glantz deutlich, wie perfekt die Überraschung der RKKA war und in welch hohem Maße sie geradezu desorganisiert in diesen Krieg zog.

Das ist aus einer Reihe von Gründen nach wie vor sehr erstaunlich.

Nicht zuletzt durch die Arbeit von Murphy (What Stalin knew. The Enigma of Barbarossa. 2005) ist ersichtlich geworden, dass Stalin den Zeitpunkt und den Umfang der Bedrohung eigentlich kannte.

Dieses kann auch anhand von anderen Einschätzungen belegt werden. Eine wichtige Quele ist dabei die Abschlussrede von Timoschenkow, die er zu der bedeutsamen Konferenz im Dezember in Moskau gehalten hatte (vgl. H. Orenstein: The Evolution of soviet operational Art, 1927-1991, Vol 1, 1995, S. 94ff).

In dieser Konferenz gab er ein Einblick in das Verständnis moderner Kriegsführung. Dabei referierte er sehr präzise die neue Kampfweise der Wehrmacht in Polen und im Westfeldzug gegen Frankreich und GB.

Dieses Verständnis der Möglichkeiten der Wehrmacht wird auch in der Einschätzung der militärischen Situation vom März 1941 deutlich, die im Rahmen der Aufmarschplanung formuliert wird.

Es ergibt sich in der Konsequenz eine deutlich Spannung zwischen der theoretischen Einsicht wie man erfolgreich gegen die WM kämpfen könnte und der tatsächlichen Art, wie man dann im Rahmen der "Grenzschlachten" tatsächlich gekämpft hatte.

Dieses Defizit an operativer und taktischer Schulung und Kompetenz in der Führung von Verbänden zieht sich bis zur Schlacht von Kursk hin und zeigt sich auch an den taktisch unklugen Angriffen der russischen Tank-Einheiten bei Prokorovka.

Der Prozess der Lernens hat von der theoretischen Einsicht von 1941 bis Ende 1943 gedauert und erst in 1944 während der Operation "Bagration" entwickelt die RKKA in der Praxis die Kompetenz, die ihr bereits Anfang 1941 als theoretische Einsicht zur Verfügung stand.

Ohne die entsprechende Widerstandskraft hätte sie den langen Lernprozess, mit Millionen von Toten, nicht durchgestanden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Wahrnehmung der Widerstandskraft ergibt sich aus den diplomatischen vertraulichen Gesprächen bei Hitler ansatzweise seit der Kiew-Operationsentscheidung, und verstärkt erst mit dem Winter-Desaster, nochmals verstärkt mit der großen Mai-Frühjahrs-Offensive bei Charkow, die in dem Ausmaß überraschend kam.

Die diplomatischen Gespräche Hitlers ergeben da allerdings wechselnde Bilder, je nach Anlaß und aktuellem Hintergrund. Davor und danach ist 1942 beispielsweise auch ein "Standardbild", man hätte die Gefahr im Osten auf jeden Fall beseitigen müssen (angefangen beim Oshima-Gespräch im Jan42, aber auch kurz vor dem Mannerheim-Besuch bei Verabschiedung des türkischen Botschafters im FHQ, und habe jetzt nur ein paar temporäre Probleme (so gab er im Dez41 zB auch diplomatisch zum Besten, Moskau, Sewastopol und Leningrad würden während des Winters eingenommen).

Da dieser Bilder nach Stimmung, Anlass und Adressat wechselten, sind sie nur für den Kontext oder für Hitlers jeweilige "Verfassung" interessant.
 
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