Winterkleidung oder Munition?

HolgerXX

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Um mal wieder eine These von Manfred Rauh zu überprüfen: Es wurde ja vielfach behauptet, dem deutschen Ostheer hätte im Spätherbst 1941 keine Winterkleidung zur Verfügung gestanden, weil man nicht daran gedacht hätte, welche zu beschaffen. Rauh meint hingegen (Bd. II S. 455), der Generalstab hätte sehr wohl solche vorgesehen. Da Hitler aber zu diesem Zeitpunkt weiter angreifen ließ, musste der Nachschub hauptsächlich Munition und Treibstoff befördern, und deshalb sei kaum Winterkleidung an die Ostfront gelangt.

Wer kann dazu Genaueres mitteilen? Danke für Antworten!

Grüße, Holger
 
Um die Thesen von Manfred Rauh zu überprüfen empfiehlt sich das Reihenwerk des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg.“

Bei den deutschen Planungen ging man von einem kurzen Feldzug aus. Dementsprechend hatte der Generalquartiermeister Wagner Winterbekleidung lediglich für die vorgesehenen Besatzungstruppen eingeplant gehabt. Dass die Kleidung nicht , auch die aus den Sammlungsaktionen, nicht rechtzeitig an die Front kam, hat u.a. mit der sehr späten Einsicht, dass der Feldzug nicht mehr im Jahre 41 erfolgreich beendet werden wird zu tun. Erst nach dieser späten Erkenntnis kümmerte man sich um die Winterbekleidung. Dass die Logistik aus vielerlei Gründen es nicht schaffte, die Truppe dann zu versorgen, hast du schon erwähnt.
 
In van Crevelds Buch zur Logistik wird sinngemäß folgendes konstatiert:

http://books.google.de/books?id=Tu3XZTx_s84C&printsec=frontcover&dq=Supplying+War:+Logistics+from+Wallenstein+to+Patton&hl=de&ei=JhXKTt7iGs_C8QOF5qFz&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CDoQ6AEwAA#v=onepage&q=Supplying%20War%3A%20Logistics%20from%20Wallenstein%20to%20Patton&f=false

1. Kurze Länge des Feldzuges und beendet im wesentlichen vor Einbruch des Winters, wie Turgot bereits ausgeführt hat. Aus diesem Grund stellte sich nicht die Frage der Winterausrüstung für die gesamte "kämpfende Truppe" im Osten.

Hätte man diese Diskussion zugelassen, dann hätte man sämtlich Prämissen für die Operation Barbarossa in Frage gestellt und nur die garantierten den Erfolg der Operation.

Eine kurze psychologische Anmerkung zur Eigendynamik kollektiver Entscheidungen: Es wäre beruflicher "Selbstmord" für jeden Logistikoffizier gewesen, hätte er das Thema Winterkleidung, entgegen der offiziellen Euphorie, frühzeitig thematisiert (mal abgesehen von den logistischen Problemen). Das wäre ihm als Defätismus und möglicherweise noch schlimmer, als "Wehrkraftzersetzung" ausgelegt worden.

2. Es gab durch GQM Wagner bereitgestellte Winterausrüstung, jedoch ist der Umfang nicht klar zu definieren und es erscheint wahrscheinlich, dass er in Bezug auf die Besatzungstruppen definiert wurde, wie Turgot ebenfalls schon ausgeführt hatte.

Festzuhalten ist, dass es grundsätzlich die generalstabsmäßigen Überlegungen zu diesem Logistikproblem gab!

3. Es gab zudem, wie bereits ausführlichst diskutiert enorme Probleme mit der Nachführung der Eisenbahnlogistik, mit der Konsequenz, dass nur ein geringer Prozentsatz der als notwendig angesehen Güter an die Eisenbahnendpunkte überhaupt gelangte.

Und der Großraumtransport, der den Panzergruppen zugeteilt war, konnte angesicht der klimatischen Verhältnisse ebenfalls nur einen Bruchteil der notwendigen Unterstützung bereitstellen.

Dieser Feldzug war durch Hitler ein großangelegtes Vabanque-Spiel und viele Entscheidungen bleiben nur im Kontext dieses Rahmens zu erklären.

Interessant ist z.B., dass die Einschätzung der Japaner im Herbst 1941 !! einen Zusammenbruch der UdSSR für das Jahr 1941 für unwahrscheinlich hielten und auch für 1942 für unwahrscheinlich erachteten. Bleibt die Frage eines Buches zum Thema "Wahn oder Wirklichkeit?" im Umfeld des OKW und OKH.
 
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Um mal wieder eine These von Manfred Rauh zu überprüfen: Da Hitler aber zu diesem Zeitpunkt weiter angreifen ließ, musste der Nachschub hauptsächlich Munition und Treibstoff befördern, und deshalb sei kaum Winterkleidung an die Ostfront gelangt.
Grüße, Holger

Ich weiß nicht, ob sich Manfred Rauh mal in einem durchschnittlichen Dezember und Januar zwischen Smolensk und Moskau aufgehalten hat. Wenn doch, wird ihm klar sein, dass man in leichten Sommeruniformen außerhalb von Gebäuden keine 48 Stunden überlebt.

Zunächst sollte man sich vor Augen halten, dass es ein Transportchaos gab. Wenn als Rauh eine solche These aufstellt, müsste man Prioritäten zu Lasten der Bekleidung quellenseitig nachweisen. Die landläufigen Auffassungen zum Thema sind von Fronterfahrungen und -berichten geprägt, dass keine Kleidung eintraf (weswegen man sich auch reichlich beim Gegner und bei der Zivilbevölkerung "bediente").

Das - kein Eintreffen - will aber noch nichts heißen. Ebenso fehlten andere Ausrüstungen, Nahrung, Munition, Treibstoff und Waffen. Vom Waggonrückstau ist an anderer Stelle schon geschrieben worden. Von Schüler, Logistik im Ostfeldzug, habe ich Erinnerung, dass alles stockte, aber auch speziell für die Offensive Oktober 1941 priorisiert Munition, Ersatzteile und Treibstoffe befördert wurden.

Welche Quellen führt Rauh denn an?
 
Danke für die Antworten. Ich war eine Weile verhindert. Worauf Rauh sich stützt, sollte ich noch nachschieben. Er zitiert in Band 2 auf Seite 456 (von mir ergänzt, sodass die Quelle komplett nachvollziehbar ist):
"Zur Frage der Winterausrüstung Burkhard Müller-Hillebrand, Das Heer 1933-1945, 3. Band, S. 30. Eduard Wagner, Der Generalquartiermeister. Briefe und Tagebuchaufzeichnungen des Generalquartiermeisters General der Artillerie E. Wagner, 313ff. MGFA, Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, 4.Band, 982ff. (Beitrag Müller)."

Grüße, Holger
 
Zur Frage der Winterausrüstung Burkhard Müller-Hillebrand, Das Heer 1933-1945, 3. Band, S. 30.

Hildebrand bestätigt dort die Transportkrise und das Transportchaos durch Rückstau. Zitate:

"Am 2.8.1941 wurde ... vorgetragen, daß die Winterausstattung bis Oktober bereitgestellt sei, und zwar für jeden Mann des Heeres im Osten ... Neben dieser allgemeinen Winterbekleidung war für ein Drittel der Gesamtstärke eine besondere Winterbekleidung (Winterkampfanzüge usw) vorgesehen. Schließlich waren Öfen, Kessel, Baracken usw., Baumuster von Blockhäusern und Baracken sowie Fachpersonal ... bereitgestellt. Bei der schlechten Transportlage der Eisenbahn und dem Ausfall an Zugmitteln traf die allgemeine Winterbekleidung an der Front teilweise erst im Laufe des Dezembers ein. Die besondere Winterausstattung konnte erst im Laufe des Januar 1942 die Armeegebiete erreichen."

Was Rauh hier anspricht ist vermutlich die Transportkrise, die bereits im August begann, im September eskalierte, und außerdem durch die Zugleistungen für Munition, Treibstoffe etc. für die am 5.10.1941 beginnende Offensive gegen Moskau behindert wurde (Doppelschlacht von Wjasma und Brjansk). Die Wehrmacht musste also gewissermaßen wählen zwischen Munition und Treibstoffe für die Kesselschlacht vor dem Winter, und der Winterausstattung.

Bis Oktober gelang es knapp, die Mittel für die große Kesselschlacht heranzuführen, die die Rote Armee weit über 100 Divisionen kostete. Wie oben ersichtlich, traf die Winterausstattung vor und im Dezember 1941 ein. Ebenso ist klargestellt, dass die mangelnde Zufuhr den Behinderungen im Transportverkehr und dem Verschleiß an Lokomotiven und "Rollendem Material" zugeschrieben wurde (und ansonsten parallel transportiert worden wäre, was wegen des "Rückstaus" scheiterte).

Näheres siehe Schüler, Logistik im Ostfeldzug.
 
DRWZ 4 ist ergiebiger, und stellt die vorgesehene Transportaktion "Bogen" ausführlich dar, datiert auf etwa Ende Oktober 1941.

Das ist zT überholt. Tatsächlich wurden die Winterausstattungen bis Ende September in die bestehenden Versorgungssammelgebiete vorgefahren und gelagert. Geplant war das Einschleusen mehrerer Hundert, wenn nicht Tausender Züge mit diesen Ausstattungen, da mit einem Abschluss der wesentlichen Kämpfe bis Ende Oktober gerechnet worden ist (Doppelschlacht von Wjasma/Brjansk im unmittelbaren Vorfeld von Moskau). Allein für Baracken hätten 255 Züge vorfahren müssen, was bei Tagesleistungen für die ganze Ostfront von zT unter 75 (Versorgungsminimum HG Mitte 32, HG Süd 22, HG Nord 20 Züge täglich) illusorisch war.

Die Erwartung erfüllte sich nicht. Allerdings lag das nun nicht an Angriffsbefehlen Hitlers, sondern an den weiter heftigen Kämpfen in schwierigem Terrain gegen einen "zähen Gegner" (vKluge, OB 4. Armee), wie das Kriegstagebuch der (nicht mehr angreifenden, sondern steckengebliebenen) HG Nord belegt:

"Die noch verbleibenen Zulassmöglichkeiten für Versorgungsgüter auf der Eisenbahn müssen z. Zt. voll und ganz für die laufende Versorgung und eine größere Bevorratung für den Kampf ausgenutzt werden. Auf dieses Ziel sind alle Maßnahmen aller beteiligten Stellen abzustellen. Transporte für Winterbevorratung sind demnach zurückzustellen. Ihr Anlaufen kommt erst dann in Frage, wenn es die Transportlage wieder erlaubt."
KTB HG NORD, 8.10.1941, Schüler, S. 456.

Zum Hintergrund Deiner Fragestellung muss man sehen, dass es hier auch eine Kontroverse zwischen David Irving (Schuldlage beim Generalstab) und anderen Autoren (Schuldlage: Anweisung Hitler, gegen Winterausrüstung) gab.

Massive Angriffe gegen den Generalquartiermeister finden sich vor allem in der apologetischen Literatur (Irving bringt noch die Parallele, nach der die Versorgung bei der Luftwaffe mit Winterausrüstung geklappt habe - die das nun zum wesentlichen Teil als Lufttransport regelte, und auch exponierte Heeresverbände versorgte, sonst: Remer, Schellenberg, Guderian usw.).

Operation "Bogen" sollte in der letzten Oktoberwoche stattfinden. Dafür standen im Reich vollgepackt 371 Züge (also ca. 10.000 Waggons) bereit. Die Züge sollten unter absoluter Bevorzugung in die Spitzenbahnhöfe vorfahren. Bei 130 Zügen gelang das in "geschlossener Bewegung". Der Rest blieb in den Versorgungs-Sammelgebieten im Osten stecken; Raum Warschau, Breslau, Krakau. Anmerkung: die Rote Armee hatte, wie Halder im Tagebuch vermerkte, ihre Truppe seit 1.10. mit Winterbekleidung ausgestattet.

Als fatal neben der Anfang November überwiegend fehlenden Kleidung erwies sich die fehlende Winterversorgung zur Sicherung des Eisenbahnbetriebes, die gleichfalls nicht vorgefahren werden konnte: das hatte katastrophale Folgen, und führte zur weiteren Verschärfung der Transportkrise durch extreme Ausfälle.

Die Eisenbahnfrage bestimmte dann im November 1941 das militärische Denken. Während OKH und Hitler nochmals bei Frost angreifen lassen wollten, weigerten sich nun zunehmend die Stäbe der Heeresgruppen aufgrund der mangelhaften Versorgung (teilweise trafen täglich nur 50% (!) der Zugzahlen des absoluten Versorgungsminimums ein). Einzig GFM v.Bock traute sich zu, nochmals zum Angriff antreten zu lassen (ihm war allerdings das tägliche Versorgungsminimum im Zulauf garantiert worden, davon traf dann auch nur die Hälfte ein). Halder notierte zu den heftigen Auseinandersetzungen, dass man ihn nicht hindern wolle, wenn er das seiner HG zutrauen würde: "etwas Glück gehört ja auch zum Kriegführen". Am 16.11.1941 wurde GQM Wagner dann Ziel wüster verbaler Angriffe von Hitler, der dem Nachschub Versagen auf der ganzen Linie vorwarf. Aber inzwischen versagte nicht nur die Eisenbahn, sondern auch der Straßen-Transport über die häufig 300 km von den Spitzen-Bhf.: von den rd. 500.000 Kfz des Ostheeres waren 150.000 ausgefallen, 200.000 grundüberholungsbedürftig. Die noch verfügbaren Fahrzeuge wurden häufig den Divisionen weggenommen und zu "motorisierten Transportkolonnen" auf Armeeebene zusammengefasst.

Gesamte Ostfront,
Zugleistungen Oktober 1941: 1860 Züge (Minimum 72*31=2.232, Lücke ca. 370)
Zugleistungen November 1941: 1701 Züge (Minimum = 2.160, Lücke ca. 460)
Damit ging man dann in die eigentliche Transportkatastrophe vom Dez41/Jan42, mit Ausfallquoten bei den Lokomotiven von 70%.


Quelle: Schüler.
 
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Rauh spricht keine Transportkrise an, weil er die schlicht ignoriert. Ich hatte schon anderweitig ausgeführt, dass für Rauh Hitler derjenige ist, der durch seine Unfähigkeit und Destruktivität den "genialen" Feldzugsplan Halders zunichte macht. Die neuere Literatur dagegegen sieht offensichtlich den Heeresgeneralstab in der Schuld, der sich beim Bedarf der Ostfront massiv verrechnet hat.
Bei dem Ausmaß des Chaos stellt sich die Frage, ob man es überhaupt hätte besser machen können oder ob nicht die Situation auch einer hypothetisch besseren Führung hätte aus der Hand gleiten müssen.

Danke, insbesondere an Silesia.

Grüße, Holger
 
Eigentlich war es ein Nachkriegs-"Triumph" der NS-Propaganda, die für 1941/42 schon während des Krieges strikt die klimatischen Verhältnisse als Grund vorschob, bis das von der neueren Forschung widerlegt wurde.

Der Feldzugplan war gescheitert, als es nicht bis zum Spätsommer gelungen war, die Rote Armee vorwärts der Düna-Dnjepr-Linie vernichtend zu schlagen. Kiew und Wjasma/Brjansk waren taktische Erfolge, die den Kulminationspunkt im Clausewitzschen Sinn darstellen. Danach waren die Entfernungen von den Versorgungs-Endpunkten zu groß für die logistischen Aufgaben.

Wenig problematisiert in dem Zusammenhang wurde bislang GFM v.Bock, der seine Heeresgruppe vorwärts peitschte, vermutlich um als Sieger von Moskau in die Geschichte einzugehen. Ihm waren zuvor bei Smolensk die Mittel dafür entzogen worden. Halder fing im November an fiebrig zu phantasieren, als er Moskau mitten im Winter noch 100 km östlich (!) umfassen wollte.

Es ist vermutlich der im Winter 41/42 noch unfähigen sowjetischen Führung zu verdanken (mit einer völligen Verzettelung der Kräfte, wie insbesondere Glantz herausgearbeitet hat), dass diese (nahezu unbewegliche) Heeresgruppe Mitte im Winter und auf dem Rückzug nicht umfasst und vernichtend geschlagen wurde.
 
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