Die Wahrheit der Geschichte und die Tugenden des Historikers

"Nicht Vergessen oder Verleugnen fördert den Frieden, sondern das Anerkennen der historischen Wahrheit."

Der letzte Satz des Beitrags ist aus meiner Sicht der relevanteste. Die konsequente Verfolgung dieses Ziels führt zu einer automatischen Gegnerschaft zu Personen, die in der Historiographie die "willfährige Magd" sehen möchten, ihre aktuellen politischen Positionen, eine historische Tiefe zu geben.

In disem Sinne geht es um die Rekonstruktion des historischen Puzzels vergangener Ereignisse. Verbunden durch eine angemessene Theorie über den Gegenstand und adäquate sinnvolle Konstrukte, die eine ausreichende Sinnstiftung ermöglichen.
 
In disem Sinne geht es um die Rekonstruktion des historischen Puzzels vergangener Ereignisse. Verbunden durch eine angemessene Theorie über den Gegenstand und adäquate sinnvolle Konstrukte, die eine ausreichende Sinnstiftung ermöglichen.

Man kann es auch so ausdrücken:

  • Geschichte wird grundsätzlich gedeutet
  • Es ist keine empirische Faktenermittlung
  • Ein totales Bild der Vergangenheit gibt es nicht, da nicht alles Überliefert wurde.
 
In disem Sinne geht es um die Rekonstruktion des historischen Puzzels vergangener Ereignisse. Verbunden durch eine angemessene Theorie über den Gegenstand und adäquate sinnvolle Konstrukte, die eine ausreichende Sinnstiftung ermöglichen.
Dreimal "Sinn" auf einen Streich reizt natürlich. :winke:
Bevor ich anfange, mir etwas recht Boshaftes dazu auszudenken, schiebe ich einen Absatz von Seite 15 des Aufsatzes ein:
"Aber die moralische Wertung ist nicht nur legitim, sondern kann manchmal auch geboten sein, zum Beispiel aus Achtung vor den historisch Beteiligten. Zudem ist jede historische Darstellung auch eine Form der Kommunikation zwischen dem Historiker als Autor und seinen Lesern, die das Fehlen einer moralischen Wertung als Billigung der dargestellten Handlungen auffassen könnten. Die Abwesenheit einer expliziten moralischen Wertung würde dann als implizite moralische Wertung verstanden werden. Der Sozialpsychologe Paul Watzlawick hat dieses Kommunikationsphänomen mit der Formel 'Man kann nicht nicht kommunizieren' beschrieben. Besteht die Gefahr eines solchen Mißverständnisses, ist der Historiker gut beraten, eine explizite moralische Wertung in seinen Text aufzunehmen."
Eigentlich hatte ich hierzu den vehementen Widerspruch derjenigen in diesem Forum erwartet, die moralische Wertungen für eine Sünde gegen den Geist der Historik halten. Aber klar - man kann nicht alles lesen.
 
Deinen Widerspruch sollst du bekommen, ich hab nämlich gerade alles gelesen. ;) Der Text ist ziemlich interessant gewesen und ich habe einiges gelernt bzw. nochmal systematisch wiederholen können.

Gerade an der zitierten Stelle habe ich mich mächtig gestoßen, denn ich fragte mich, was nun besser ist...

1. Sich dem Vorwurf der moralischen Wertung auszusetzen (den gibt es, ein Professor von mir wies in einer Vorlesung einmal besonders nachdrücklich darauf hin, dass moralisch werten bääh ist)

Es werden ja zwei Formen (?) der Wertung in dem Text unterschieden. Einmal die instrumentelle Wertung (die ich auch recht legitim finde, wie dort dargelegt) und die moralische Wertung und dazu meint er ja, dass man einmal die Moral des historisch Handelnden zum Maßstab nehmen kann oder eben seine eigene Moral. Die eigene Moral erübrigt sich natürlich als Maßstab einer moralischen Aussage über die Geschichte, denke ich (das war auch in dem Beispiel der Fall, was mein Prof kritisierte, aber wenn ich es richtig verstanden habe, bezog er sich sogar auf moralische Wertungen generell).

Die Moral des historisch Handelnden findet der Schreiber aber als Maßstab angebracht. Man soll halt z.B. bedenken, dass die Nazis es "moralisch gut" fanden, die Juden zu töten, aufgrund ihrer Ideologie usw...
Das Problem was ich hiermit habe ist, dass die moralische Vorstellung des historisch Handelnden vom Historiker rekonstruiert wird (darauf wird im Text auch kurz hingewiesen, wenn auch mit anderen Worten!) und eben oft nicht als unumstößliche Wahrheit feststeht. Je nachdem, welche Zeit ich behandle, hab ich doch eigentlich überhaupt keine Ahnung, welche Moralvorstellung der Mensch damals wirklich hatte. Selbstaussagen und sonstige Quellen können halt immer auch die Unwahrheit darstellen, an der Stelle ist meine Rekonstruktion so gut wie immer angreifbar.
Und darauf kann ich keine moralische Wertung aufbauen, deren Fundament hinreichend belastbar wäre.

Eine moralische Wertung ist also eigentlich auf keine der beiden genannten Arten möglich bzw. genügt nicht wissenschaftlichen Ansprüchen. Mit Angriffen darauf muss ich rechnen.

Womit ich dann wäre bei:

2. Sich dem Vorwurf der "impliziten moralischen Wertung" aussetzen.

Auch diese Vorwürfe gibt es durchaus und gerade was die Deutsche Geschichte angeht. Man kriegt doch öfter mal "Scheißegal-Denken" vorgeworfen, wenn man sich einer Wertung enthält oder allein die Moral der damaligen Zeit hernimmt, um etwas zu bewerten.
Ich finde aber das Argument im Text, dass die Opfer ja nie zu ihrem Recht kommen, wenn man nicht später klar moralisch Stellung bezieht, ein Totschlagargument dafür, dass man in manchen Fällen eben doch besser moralisch werten sollte bzw. muss. Wie könnten denn die Opfer des NS auch entschädigt werden, wenn wir sagen würden, wir wissen nicht, wie wir die Nazizeit moralisch bewerten sollen? Wer es nicht bewertet oder gar nicht eindeutig schlecht bewertet, bekommt es in diesem Fall auch von irgendwem vorgeworfen, definitiv.

Ich finde der Text eröffnet an dieser Stelle mit den "moralischen Urteilen" ein ganz schönes Dilemma...
 
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