Geschichte Tibets

Dalai Lama-Freund Reinhold Messner hat letzte Woche bei "Maischberger" gemeint, dass es nur eine kurze Zeit Tibets ohne China gab, zwischen 1913-1950. Irgendeiner der Gäste - Scholl-Latour oder Gerd Ruge - meinte das auch.
 
Stimmt aber so nicht. Der erste tibetische Staat wurde ja bereits um 600 n. Chr. gegründet und existierte bis 1720 (mit der Ausnahme der mongolischen Oberhoheit, die aber auch nicht durch eine Eroberung zustande kam, wie im Artikel steht). Es mag auch vor 1720 ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis Tibets zu China gegeben haben, aber wie weit das ging, vermag ich jetzt auch nicht einzuschätzen. Ich bin aber beim googeln auch auf eine offizielle chinesische Seite (in deutscher Sprache) gestoßen, wo auch behauptet wurde, daß Tibet ja eigentlich schon immer zu Chins gehört hat, so als ob das die Rechtfertigung für ihre Politik der letzten Jahrzehnte sein soll.
 
Nach Messners Einwurf habe ich auch nicht weiter die Sendung schauen können.
Wenn alle in der Runde nicken und das für historisch richtig halten, schalte ich weg.
 
Der Zeit Artikel (von 1997) beschreibt m.W. recht gut die tibetische Geschichte. Ich kannte zwar nur knapp der Hälfte der dort erwähnten Details, aber die Beziehungen Chinas zu Tibet waren immer so locker, wie zu jedem Volk, das von Zeit zu Zeit kleinere oder größere Tribute entrichtet hat. Ethnisch oder sprachlich (sino-tibetische Sprachfamilie) besteht keine enge (oder: gar keine!) Beziehung zum "Han-China".
 
Wissenswertes zur Geschichte des tibetischen Buddhismus

Im tibetischen Buddhismus ist Dorje Shugden oder Dhogyal ein umstrittener Dharmabeschützer (Dharmapala), der ursprünglich in der Sakya Tradition des tibetischen Buddhismus verehrt wurde. Später war die Shugden-Verehrung zunehmend in der Gelug-Schule zu finden. Die Geschichte Shugdhens ist ca. 360 Jahre alt und von heftigen Zwistigkeiten gekennzeichnet. Von vielen tibetischen Meistern wird er insbesondere heutzutage als Dämon gesehen, der Sektierertum fördert. Andere sagen, seine Praxis bringt „viele Schüler, viel Geld und dann viele Probleme“. [1] Wieder andere tibetische Buddhisten sehen ihn als lokalen, nichterleuchteten Dharmabeschützer. Von einer Minderheit von Gelug Lamas wird er dagegen als erleuchteter Buddha Manjushri betrachtet. Innerhalb der Gelug-Tradition tauchte Shugden/Dhogyal zuerst zur Zeit des 5. Dalai Lama im 17. Jahrhundert auf. Manche sagen, er soll der reinkarnierte Geist des bekannten Gelugpa Mönches Tulku Drakpa Gyaltsen (1619 - 1655) sein, der unter mysteriösen Umstaenden umkam. [2] Dass im 19. Jahrhundert Schüler von Pabongka Rinpoche (1878-1943) Nyingma Klöster entweihten, Padmasambhava Statuen zerstörten und Klöster der Nyingma in Gelug Klöster „umwandelten“, zeigt für viele Gegner Dhogyals den sektierischen Einfluss dieser Wesenheit.

Weiter: Dorje Shugden – Wikipedia
Der seit 1996 offiziell gebannte Schutzgott, eine Art Dämon namens Dorje Shugden (tibet.: Phallusbrüller), wird ikonografisch dargestellt als säbelschwingender Krieger, der mit wildverzerrter Fratze auf einem Schneelöwen durch einen See kochenden Blutes reitet; er gilt als unerbittlicher Kämpfer gegen die "Verfälscher der buddhistischen Lehre". Einer der zahllosen Legenden zufolge sei er der Geist eines Rivalen des 5. Dalai Lama (1617-1682), der von diesem ermordet und anschließend zum jenseitigen Beschützer dessen "wahrer Lehre" erklärt worden war. Die Verehrung Dorje Shugdens - der "Phallusbrüller" meldet sich über eigene "Trancemedien" zu Wort - steht seither für orthodoxen Gelbmützen-Fundamentalismus, auch der gegenwärtige 14. Dalai Lama wurde zu einem gläubigen Shugden-Anhänger erzogen.

Weiter: taz.de - die wahrheit: Aufstand der Phallusbrüller
 
Tibet hat in der Tat eine sehr lange eigenständige Geschichte, bevor es im 18. Jahrhundert ein Schutzverhältnis zum Chinesischen Kaiserreich einging. (Nördlich davon, entlang der Seidenstraße, herrschte China schon in der Antike.)
Nun wird der Status Tibets bis 1911 unterschiedlich interpretiert. Aus chinesischer Sicht bezog sich das Protektoratsverhältnis auf den chinesischen Staat, während Tibet ihn am Kaiser festmacht. Der Kaiser wurde 1911 gestürzt, aus tibetanischer Sicht hatte sich damit das Abhängigkeitsverhältnis erledigt, während die Chinesen sagen, sie hätten in den Folgejahren nur nicht die praktische Möglichkeit gehabt, ihren fortbestehenden Herrschaftsanspruch auch durchzusetzen. Aus chinesischer Sicht war der Einmarsch der Volksbefreiungsarmee 1950 daher nur eine Wiederherstellung der staatlichen Einheit, während es für die Tibetaner eine Okkupation war.
Allerdings hatte man sich 1951 auf die weitgehende Wiederherstellung des alten Status geeinigt, der Dalai Lama blieb ja auch vorerst im Lande. Mao aber strebte natürlich die sozialistische Umgestaltung Chinas an, konnte und wollte da für Tibet keine Ausnahme machen. Das endete im Aufstand von 1959 und der Flucht des Dalai Lamas nach Indien. Den Pantchen Lama konnte Mao "sicherstellen".
Heute gibt es in China weitgehende Autonomierechte für Tibet, nicht nur für die Autonome Region Tibet, sondern auch in vielen anderen Tibetischen Autonomen Verwaltungseinheiten. Nur - die Praxis sieht ganz anders aus, und das ist viel eher die Quelle der Unruhen. Stellt sich die interessante Frage, warum in der weltweiten Diskussion zum Thema so selten von China einfach nur die Einhaltung seiner eigenen Gesetze gefordert wird... Aber da sind wir wohl für ein Geschichtsforum der Gegenwart zu nahe.

Statt dessen möchte ich lieber auf den selten beachteten Parallelfall Mongolei verweisen (nach chinesischer Terminologie Äußere Mongolei). Die wurde 1696/97 unterworfen und erklärte sich wie Tibet nach dem Sturz des Kaisers 1911 für unabhängig. Auch in diesem Fall hat China das nicht anerkannt, und als in Rußland, der Schutzmacht der Mongolei, 1917 seinerseits eine Revolution ausbrach, nutzten die Chinesen 1919 die Gelegenheit zum Einmarsch (bis ins heutige Tuwa übrigens, zuvor seit 1914 russisch). 1921-24 wurden die Chinesen mit Hilfe der russischen Bolschewiki wieder vertrieben und die Mongolische Volksrepublik ausgerufen. Auch das wurde von China nicht anerkannt, was z.B. sogar den Postverkehr äußerst kompliziert gestaltete.
Einem ungarischen Nachschlagewerk von 1962 zufolge hat China im Oktober 1945 die Unabhängigkeit der Mongolei anerkannt. Briefmarken Taiwans, also vom Anspruch her der bürgerlichen Republik China, zeigen noch um 1960 die Landkarte Chinas in den Grenzen von 1911, also einschließlich Mongolei und Tibet. (Übrigens auch ein interessantes Detail: der imperiale Machtanspruch auf Tibet ist keine Spezialität der Kommunisten!) Die Mongolei wurde dann seitens der Volksrepublik spätestens mit dem Zusammenarbeitsvertrag von 1952 als souveräner Staat anerkannt.
Man kann also sagen, die heutige Mongolei verdankt ihren unumstrittenen Status dem glücklichen Umstand, daß sie, China und die Sowjetunion eine Zeit lang dem selben politischen Lager angehörten.
Die Macht im Hintergrund der tibetanischen Unabhängigkeit, Großbritannien, war dagegen seit der Unabhängigkeit Indiens 1947 ganz von der regionalen Bühne verschwunden. Pech halt für Tibet!
 
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