Im Grunde lässt sich fast jedes Jugendbuch als Quelle verwenden, fragt sich nur als Quelle wofür? Viele Bücher, die heute als Kinder- und Jugendbücher gelten, sind in Wirklichkeit gekürzte Klassiker. Jonathan Swifts Gullivers Reisen, Daniel Defoes "Robinson Crusoe", James F. Coopers "Leatherstocking Tales" und Robert Louis Stevensons "Schatzinsel" waren von ihren Verfassern nicht für ein jugendliches Lesepublikum konzipiert, und das trifft auch auf Herman Melvilles "Moby Dick" und die Abenteuererzählungen Jack Londons zu, die- meist stark gekürzt- ganze Generationen von Jugendlichen faszinierten.
Eine Literatur, die Kinder und Jugendliche als primäres Lesepublikum ansprach oder ansprechen wollte, entstand erst Ende des 18. Jahrhunderts, und seit der Romantik hielten Bücher wie Clemens Brentanos "Des Knaben Wunderhorn", die Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm und die Märchen von Wilhelm Hauff und Hans Christian Andersen Einzug in Kinderzimmer und Bürgerhäuser.
Der Nervenarzt und Psychiater Heinrich Hoffmann entwarf für seinen eigenen Sohn den "Struwwelpeter" dessen Episoden recht drastisch Folgen kindlichen Ungehorsams" zeigten. Es sollte Kinder belehren und warnen, die Zeichnungen und Charaktere waren freilich total übertrieben und grotesk überzeichnet, so dass sie auch unterhaltend und witzig wirkten.
Mit Wilhelm Buschs "Max und Moritz" enstanden die ersten Comics. Kinder wie Max und Moritz sind bei Busch meistens "kleine Monster" für die schlimme Streiche Selbstzweck sind.
"Ach was muss man oft von bösen Buben hören oder lesen;
Menschen necken, Tiere quälen,
Äpfel, Birnen Zwetschgen stehlen."
Max und Moritz ärgern Kleinbürger mit recht obszönen Beleidigungen. "he, heraus, du Ziegenböck, Schneider, Schneider, Meckmeckmeck" nimmt Bezug auf den Vorwurf, das Schneider, viele von ihnen Ostjuden Unzucht mit Ziegen treiben.
Dem Schneidermeister Böck wird das zuviel: "Alles konnte Böck ertragen, ohne nur ein Wort zu sagen, aber wenn er dies erfuhr, ging´s ihm wieder die Natur."
Die schwarze Pädagogik und der Untertanengeist der wilhelminischen Ära wurde von vielen Autoren aufgegriffen. Kurt Tucholsky nannte die Schulszenen in den "Buddenbrooks" eines der authentischsten Beispiele des wilhelminischen Schulbetriebs. Während Thomas und Christian Buddenbrook mit recht toleranten, originellen Pädagogen wie Marcellus Stengel und dem Pastor Hirte zu tun hatten, sind die Zeiten, in denen Hanno und sein Freund Kai von Mölln aufwachsen, härtere geworden.
Auch Hermann Hesse, der als 15 Jähriger aus dem Internat Maulbronn ausrückte, nahm in Büchern wie Demian und "Unterm Rad" den autoritären Schulbetrieb aufs Korn. Der begabte, aber übersensible Hans Giebenrath ist der Stolz seiner Lehrer, und wird auf das "Landexamen" vorbereitet, deren Sieger ein kostenloses Stipendium im Internat Maulbronn winkt. Giebenraths Freundschaft mit dem frühreifen Hermann Heilner weckt Misstrauen und Feindschaft der Erzieher, und Hans Giebenrath sieht schließlich nur noch im Suizid einen Ausweg.
Wie Hermann Hesse nahm auch Robert Musil in "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" autöritäre Strukturen aufs Korn. Friedrich Torbergs "Der Schüler Gerber" ist eines der eindrucksvollsten Werke gegen eine Pädagogik, die im Brechen des eigenen Willens das erste Erziehungsziel sah. Frühreife, sensible Schüler wie Kurt Gerber sind Lehrern wie Professor "Gott Kupfer" ein Dorn im Auge. Kupfer sagt unverblümt, dass er auch Gerber noch brechen werde, was ihm schließlich auch gelingt.
Im anglophonen Raum sind Kinderbücher wie Lewis Carols "Alice im Wunderland" das auch auf dem Nachttisch der Queen Victoria stand und Lyman Frank Baums "The Wizard of Oz" (1900 erschienen) Teil der Volkskultur wie hierzulande Grimms Märchen. Beide Bücher wurden von vielen Kritikern als ungeeignet für Kinder eingestuft, da sie nicht ganz dem Zeitgeist vieler puritanischer Kinderbücher entsprachen. Trotzdem haben beide in der Populärkultur hohen Widererkennungswert, nicht zuletzt wegen der Verfilmung von 1939 mit Judy Garland.
Trotz vieler Parallelen und Vergleiche mit Alice im Wunderland, ist der Wizard of Oz doch weitaus amerikanischer. Alice ist ein Kind der oberen britischen Mittelschicht.
Sie macht sich große Sorgen, wie man eine Maus korrekt anredet und ist froh, nicht in einem winzigen Haus leben zu müssen. Die Farmerstochter Dorothy aus The Wizard of Oz lebt bereits in einem winzigen Haus und man wird sie als Kind der agrarischen Unterschicht der USA einordnen müssen, sie setzt aber ihre Gleichheit mit allen Wesen, denen sie begegnet, als selbstverständlich voraus wie Alison Lurie in einer Rezension der New York Times von 1974 schrieb.
Ein Spiegel der Zeit waren sicher auch Mark Twains Tom Sawjer und Huckleberry Finn. Tom Sawjers Abenteuer werden aus Sicht eines ironischen beobachters erzählt, während bei Huckleberry Finn, Huck selbst der Erzähler ist. Ein degradierter Weißer und ein Schwarzer, beide Ausgestoßene, flüchten nach Süden, angetrieben von ihrem Anspruch, Freiheit und persönliches Glück zu finden. Trotz des trockenen Humors des Verfassers werfen die Abenteuer von Huck und Jim nicht unbedingt ein schmeichelhaftes Bild auf die USA kurz vor dem Bürgerkrieg.
Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen, und es wäre sicher hilfreich anzugeben, wofür und welcher Art historische Jugendliteratur als Quelle dienen soll. Ich hoffe, die Beiträge waren hilfreich für das Projekt.