Historische Personen - Held oder Schurke? (Unterhaltungsroman)

Teresa C.

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Beim Gespräch mit Autoren/innen und auch bei Lesen von Ratgebern zum Thema Schreiben und indirekt auch in Schreibwerkstätten ist mir Folgendes aufgefallen: Zumindest scheinen viele der Meinung zu sein, dass der gelungene Roman neben der Heldenfigur auch eine Gegenspielerfigur benötigt, die sozusagen für den Leidensweg der Heldenfigur oder wenigstens für deren Probleme verantwortlich ist.

Solange die Figuren fiktiv sind, hat Autor/in jede Freiheit. (Was die Qualität betrifft, das ist eine andere Sache.)

Wenn es sich aber um historische Figuren handelt, die einen bestimmten Rollenpart (Held/in, Schurke/in, Witzfigur, Helfer/in etc.) zugeteilt bekommen, ist es für mich etwas heikler werden, da sich da schon die Frage stellt, welche Kriterien dahinterstecken und inwieweit eine gewisse Rollenzuordnung nach einem bestimmten Schema in einem Roman "gerechtfertigt" ist, zudem sich auch noch die Frage stellt, inwieweit es dabei auf eine Verfälschung herauslaufen kann.

Hinzu kommt noch, wie weit solche Entscheidungen zur Verbreitung bzw. Festigung von (unrichtigen oder historisch längst überholten) Klischees beitragen.

Bekanntestes Beispiel ist wahrscheinlich der gute Richard III., der allerdings als Roman- und Dramenfigur trotz Shakespeare keineswegs nur den Schurken abgeben muss. Ebenfalls recht bekannt dürfte auch der englische König John sein, nicht zuletzt dank Robin Hood, wobei immerhin neuere Bücher wie etwa "Die Löwin von Aquitanien", ein früher Roman von Tanja Kinkel wenigstens eine differenziertere Sicht versuchen. (Ähnliches lässt sich auch im bislang letzten Robin Hood-Film feststellen, dem mit Rusell Crowe, wo sogar einige Zeit eine positive Wendung für ihn vorstellbar wäre, wie dies z. B. bereits in einem Film wie "El Cid" aus den 50/60er Jahren zu beobachten war.)

Ebenfalls eine beliebte historische Negativfigur in Büchern dürfte weiterhin auch Elizabeth I. Tudor sein.

Nicht, dass das erst eine Erscheinung des 21. Jahrhunderts wäre, aber während im 19. Jahrhundert solche Zuordnungen meistens heute nachvollziehbar sind (z. B. nationale Vorurteile, entsprach dem Stand der damaligen Forschung und Ähnliches) habe ich mich schon öfter gefragt, inwieweit so etwas auch die historischen Romane / Unterhaltungsromane der Gegenwart zutrifft.

Was meint ihr dazu?:winke:
 
In der Reihe der Negativ-Figuren gehört auch, so finde ich, Philipp II (Don Carlos).

Was mich an den heutigen historischen Romanen stört, ist die "politische Korrektheit" resp. dass - nicht anders wie in den Romanen des 19. Jahrhunderts - historische Personen des Mittelalters nach modernen Wertvorstellungen beurteilt werden. Aus diesem Grund gefallen mir auch Bücher wie die "Wanderhure" nicht. Man müsste bei hist. Romanen so vorgehen, dass Handlung und Personen dem aktuellen Forschungsstand nicht widersprechen. Und die fiktive Handlung müsste so reinpassen, dass es gewissermassen einen "zeitgenössischen Sinn" ergibt, welcher logisch nachvollzogen werden kann. Deshalb scheint es mir absolut schwierig, einen wirklich guten hist. Roman hinzukriegen. Mir gefällt z.B. auch das vielgelobte "Nebel von Avalon" von Marion Bradley nicht besonders. Nicht umsonst hat George Martin (Lied von Eis und Feuer) mal in einem Interview gesagt, der Grund, weshalb er keine hist. Romane schreibe, sei, dass sie voraussehbar seien (das Ende ist gegeben).
Es ist natürlich dennoch möglich, gute hist. Romane zu schreiben. Mein absolutes persönliches Highlight diesbezüglich ist der zweibändige Theseus-Roman von Mary Renault ("Der König muss sterben" und "Der Bulle aus dem Meer").
 
Ich als Vielleserin finde persönlich Bücher, die eine neue Sichtweise eröffnen, sehr angenehm zu lesen (wenn der Stil passt!).
Ich meine damit, dass die selbe Geschichte, aus Perspektive des bisher in allen anderen Versionen "bösen" Charakters, der in der neuen Version "der Gute" ist, sehr erfrischend sein kann.

Ich finde daher schon, dass man mit althergebrachten festgefahrenen Klischees brechen darf, aber es muss eben auch einfach passen, einfach nur die Rollen tauschen geht natürlich nicht. Ich kann z.B. nicht den Sheriff von Nottingham, der in jeder, aber wirklich jeder Fassung des Robin-Hood-Themas der Böse ist, einfach als gut deklarieren und Robin Hood als den Bösewicht, wenn ich nicht gleichzeitig triftige und nachvollziehbare Gründe für bestimmte Verhaltensmuster des Sheriffs anbringe (z.B. der Versuch, die Ehe mit Maid Marian zu erzwingen, die Drangsalierung der Dorfbevölkerung im Auftrag des "Vertretungskönigs" Prinz John, etc.)

Da alle (menschlichen) Figuren in jeder Geschichte genau das sein sollen - also menschlich - kann man damit arbeiten. Denn kein Mensch ist nur schlecht oder nur gut.

Man könnte z.B. ein Buch aus der Sicht eines Sachsenkönigs über die Besiedelung Englands schreiben, die dadurch zwingend notwendig wurde, weil z.B. in der Heimat mehrere Missernten herrschten, oder er selber von dort verjagt wurde (beliebig erweiterbare Liste), und sich jetzt mit Artus und seinen Tafelrittern konfrontiert sieht, die ihn und seine Leute umbringen wollen - hab das Thema nun wegen des weiter oben angerissenen Threads mal wieder aufgegriffen.

Oder erzählen, wie der "Bösewicht" überhaupt erst zum Bösewicht wurde. Kommt auch immer gut.

Und ja, ein Buch/Roman lebt davon, dass der Held (oder auch gerne Antiheld) einen Gegenspieler hat, bzw. davon, dass der Hauptcharakter ein Ziel hat. Das kann die Bekämpfung des Bösen sein. Die Rettung des hübschen Mädchens. (gerne Kombinationen aus beiden, offensichtlich!) Das Erringen einer bestimmten Eigenschaft, eines bestimmten Dinges, das Erreichen eines Ortes. Das Gewinnen eines Krieges/Kampfes.

Das gesamte Buch handelt quasi davon wie A (Held, Antiheld) B (Ziel) erreicht. Das ist normal und anders funktioniert es nur schwer - es sei denn, man schreibt mehrere Bücher über deren komplette Länge sich der obige Handlungsstrang erstreckt. Das liegt einfach daran, dass nur so der Spannungsbogen über die lange Distanz eines Buches mit mehr als 15 Seiten funktioniert - ansonsten bleiben die Leute einfach nicht bei der Stange.

Die einzigen Ausnahmen hiervon sind kurze Prosastücke, wie z.b. Kurzgeschichten. Da ist das offene Ende und der unvollendete Spannungsbogen Methode. Mit einem seitenlangen Roman, in dem sich eine Handlung abspielt, die aber nirgendwo hinführt, wird kein Leser wirklich glücklich. Daher auch die Konzentration auf Gegensätze, die als Spannungsgeber aber auch als treibende Kraft fungieren (Held - Bösewicht, Krieg - Frieden, haben - nichthaben...).

Es gibt so viele historische (auch echte!) Figuren, mit denen man da spielen könnte... Einige tatsächlich meist einseitig in gut oder böse dargestellt. "Bloody Mary", Königin von England, wird eigentlich immer als böse und fanatische Katholikin dargestellt. Da könnte man doch wunderbar ein Buch über ihren Kampf mit ihrem eigenen Verstand (den sie angeblich verloren hat, vor ihrem Tod) schreiben.... :D Aber genug von mir.

:winke:
 
Beispiele für Historienromane mit Gegenspielern sind wohl die von Felix Dahn: In etlichen gibt es einen intelligenten verschlagenen durchtriebenen Gegenspieler (meist ein Römer/Romane) des Helden (meist ein Germane), wobei der Gegenspieler dem (mitunter etwas ehrlich-naiven) Helden intellektuell meist klar überlegen ist. Der Gegenspieler entwickelt einen Plan, wie er sich selbst bzw. den Römern/Romanen wieder zum Erfolg verhelfen kann, und ein Gutteil des Romans handelt von der Umsetzung des Plans, wobei der Gegenspieler dem Helden lange Zeit immer mindestens einen Schritt voraus ist, bis er letztlich doch scheitert und untergeht. Der Gegenspieler dominiert den Roman allerdings mitunter so massiv, dass der Held über weite Strecken hin nur noch eine passiv-reagierende Rolle innehat.

Ein weiteres Beispiel wäre wohl der Messalla in "Ben Hur".

In neueren Historienromanen (von denen ich nicht so viele gelesen habe) ist mir ein derartiges Held-Gegenspieler-Schema allerdings noch nicht sonderlich oft aufgefallen. Im Moment fällt mir nur "Der Makedonier" von Nicolas Guild über die Jugend Philipps II. von Makedonien ein. Darin fungiert Ptolemaios, ein mächtiger makedonischer Adliger, als Bösewicht. Obwohl er mit einer Schwester Philipps verheiratet ist, beginnt er eine Affäre mit ihrer Mutter und tut alles, um selbst - zumindest faktisch - Herrscher zu werden. Nach dem Tod von König Amyntas versucht er den neuen König Alexander II. (den ältesten Bruder Philipps) zu beherrschen und lässt ihn schließlich ermorden. Als nun der nächste Bruder Perdikkas den Thron besteigt, dominiert er diesen vollkommen und ist eigentlicher Machthaber, bis er schließlich doch von Philipp und Perdikkas ausgeschaltet wird. Dieser Ptolemaios ist allerdings (trotz mancher historischer Freiheiten im Roman) historisch belegt und spielte auch in der realen Geschichte (wie sie uns überliefert ist) eine ähnliche Rolle.

Von fiktiven Gegenspielern in Romanen mit "historischem" Anspruch halte ich aber nichts. Ich bin auch nicht der Ansicht, dass sie vonnöten sein sollten. Es gibt doch haufenweise gelungene Romane der Weltliteratur, die ohne Gegenspieler auskommen.
Für den "Leidensweg der Heldenfigur oder wenigstens für deren Probleme" kann sie auch ganz allein oder zumindest primär verantwortlich sein - auch in Romanen mit einer weiblichen Hauptfigur mit widrigem Schicksal. Nehmen wir z. B. "Madame Bovary": Weder der brave Ehemann noch der Liebhaber Emmas sind "Gegenspieler", ihre Probleme haben wesentlich subtilere Ursachen. Auch in "Anna Karenina" gibt es trotz unglücklicher Heldin eigentlich keinen Gegenspieler (ihr Ehemann ist eher eine Randfigur).

Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass die Einführung eines Gegenspielers eher ein Versuch des Autors ist, es sich leicht zu machen: Ein Gegenspieler als eine Art böser deus ex machina, der ins Leben des Helden bzw. der Heldin tritt und ihm/ihr Probleme macht. Wahrhaft große Autoren brauchen das nicht, sie schaffen es auch, dass sich die Probleme und Leiden wesentlich subtiler, mitunter z. B. aus der Persönlichkeit der Heldenfigur heraus, entwickeln.
Ein nicht ganz so subtiler Weg, der mir aber auch gefällt und auch in Historienromanen mitunter anzutreffen ist, ist, den Helden durch seine eigene Hybris leiden und scheitern zu lassen. Das hat natürlich den "Nachteil", dass der Held nicht ganz so positiv ist, sondern (wegen der Hybris) auch eine dunkle Seite hat, und für manchen Leser mag es wohl unbefriedigend sein, wenn der Held an der eigenen Vermessenheit scheitert.
 
Ich finde daher schon, dass man mit althergebrachten festgefahrenen Klischees brechen darf, aber es muss eben auch einfach passen, einfach nur die Rollen tauschen geht natürlich nicht. Ich kann z.B. nicht den Sheriff von Nottingham, der in jeder, aber wirklich jeder Fassung des Robin-Hood-Themas der Böse ist, einfach als gut deklarieren und Robin Hood als den Bösewicht, wenn ich nicht gleichzeitig triftige und nachvollziehbare Gründe für bestimmte Verhaltensmuster des Sheriffs anbringe (z.B. der Versuch, die Ehe mit Maid Marian zu erzwingen, die Drangsalierung der Dorfbevölkerung im Auftrag des "Vertretungskönigs" Prinz John, etc.)

Der Sheriff von Nottingham ist die richtig arme Sau in der Weltliteratur. Ein verhältnismäßig kleines Rad im Staatsapparat des mittelalterlich feudalen Englands, muss er für das Volk als Sündenbock für die Politik der höheren Mächte herhalten.

König Richard ist in Deutschland in die Gefangenschaft des Kaisers gefallen, gegen den er sich kriegstreibend mit dem Thronräuber Tankred von Sizilien verschworen hat, und Königin Eleonore will ihren Liebling daraus natürlich schnellst möglich heraus hohlen. Also muss dem Volk das Lösegeld aus den Taschen gepresst werden, womit natürlich die lokalen Vertreter der Krone als Vollzugsbeamten beauftragt werden. Der Zorn des Volkes richtet sich natürlich gegen diese, sind sie doch unmittelbar vor Ort und greifbar, während man zugleich auf die Rückkehr des ach so gerechten Königs wartet, der die vermeintlich ausbeuterischen Staatsdiener für diese Fiskalpolitik bestrafen wird. Zugleich muss sich der Sheriff mit dieser Hals durchscheidenden Bande von Räubern, Totschlägern und Ausländerfeinden (Normannen zurück nach Pakistan; England den Sachsen) im Wald von Sherwood auseinandersetzen, die sich dort dank des geraubten Lösegeldes für den König ein gemütliches Leben macht und sich als Volkswiderstand, Verteidiger einer selbst definierten Gerechtigkeit und Interessenswahrer des (normannischen) Königs stilisiert. Und dann noch dieses undankbare verwöhnte Adelsgör Marion, um die sich der Sheriff jahrelang redlich bemüht hat, die sich aber aus rebellischem Trotz der wilden Bande vom Sherwood um deren Posterboy Robin anschließt. Aber nur den Sommer über, für den Winter kommt sie natürlich gerne in die elterliche weil warme Kemenate zurück.
 
Ein Nachtrag: Dass Held-Bösewicht Schema ist auch für einen historischen Roman nicht zwingend. In ihrem Theseus-Roman nimmt sich Mary Renault jeder Episode aus der Sage an und interpretiert die Geschehnisse nach dem damaligen Forschungsstand und baut auch die damals üblichen Spekulationen mit ein. Ihr Werk wird so zu einem Roman "wie es hätte sein können". Auch das Handeln und die Motivation von Theseus' Gegnern wird hinter diesem Hintergrund verständlich - sie sind nicht einfach "böse". Und Theseus selbst handelt nicht "gut" in heutigem moralischen Sinn sondern höchstens nach damaligen Werturteilen (die natürlich interpretiert sind) und manchmal nicht einmal das.

Im Fall des Sheriffs von Nottingham fände ich es allerdings schon allein aufgrund der Tradition störend, wenn dieser jetzt beispielsweise zu einem peniblen ministerialadligen Beamten mutiert, der aus sturer Pflichterfüllung handelt. Mann könnte ihn ja zu einem perversen Sadisten machen (so in etwa wie König Geoffry in "Lied von Eis und Feuer" / "Game of Thrones"), das würde dann alles erklären und man müsste sich trotzdem nicht von der klassischen Rollenverteilung verabschieden.
 
Beim Gespräch mit Autoren/innen und auch bei Lesen von Ratgebern zum Thema Schreiben und indirekt auch in Schreibwerkstätten ist mir Folgendes aufgefallen: Zumindest scheinen viele der Meinung zu sein, dass der gelungene Roman neben der Heldenfigur auch eine Gegenspielerfigur benötigt, …
Allzusehr ist man heute von der Film-Dramaturgie beeinflusst, wo es ein Gebot ist, möglichst alles visuell deutlich zu machen; auch die Eigenschaften der Protagonisten werden nicht gesagt, sondern gezeigt. Dabei werden Gegencharaktere eingesetzt, um die Charaktere noch schärfer darzustellen (Kontraststeigerung). Die pointierte Charakterisierung kann besonders gut in Stummfilmen studiert, und wahrscheinlich in jedem ›How to Make a Living with Screenwriting in Four Weeks‹ nachgelesen werden.

Bei einem Roman hingegen geht es nur um die Verständlichkeit des Textes und dessen Umsetzung im Kopf. Es spielt also keine allzu große Rolle, wieviele Dialoge und wieviele Beschreibungen enthalten sind, da diese genauso umgesetzt werden müssen; es ist eine Frage des Stils. Da braucht es also nicht unbedingt die gleichen szenischen Verdeutlichungen, wie in einem Film.

So würde ich als Autorin weniger auf einen Shakespeare schielen; die Regeln des Films und Theaters sind anders. Sympathielenkung muss in einem Buch nicht unbedingt konstruiert sein, sondern darf ruhig auch durch Gefühlsausbrüche des Autors entstehen, um wirklich mitzureißen. Mitreißen kann man erst, wenn man sich zunächst als gleichfühlend, d.h. emotional ausgewiesen hat. Weist man sich als konstruierend, d.h. als berechnend aus, wird niemand ins dunkle Gefilde mitspringen. Je mehr der Leser in ungewohnte emotionale Regionen gelockt werden soll, umso mehr ist ein gefühlsmäßiges Mitgehen des Autors nötig.

In der Praxis könnte das z.B. heißen: eine negative Figur wird möglichst nicht überzeichnet. Die Heldin lebt und waltet, und wird immer mehr durch Identifikationsmomente verstanden. Für die Vermittlung solcher Aha-Effekte könnte ein positives Heideblümlein als Gegenspielerin sogar hinderlich sein, da sie eine Fluchtmöglichkeit bietet. Das Spinnen solcher Konstrukte erfordert natürlich die Identifikation der Bestsellerautorin mit ihrer bösen Heldin, was natürlich nicht ausarten muss, sondern auch bei Tee und Kuchen erledigt werden kann.

Dass dies schwierig ist, zeigen gerade die historischen Romane, deren Recherche den Autoren keine Energie für die Einfühlung übrig lässt. Bei der quälenden Frage nach Authentizität gelingt es dem Autor nicht mal, einen spontanen Aufschrei hinzutippen, ohne dass er zusammenzuckt, ob das auf mittelhochdeutsch korrekt gewesen sei.

Für mich braucht der historische Roman keinen Gegenspieler, jedenfalls keinen, den man als solchen ausmacht. Lieber sind mir Bösewichte mit rührenden Eigenschaften und liebliche Wesen mit beängstigenden Neigungen. :icecream:
 
Der Sheriff von Nottingham ist die richtig arme Sau in der Weltliteratur....
So ähnlich hab ich mir das auch schon öfter gedacht, einfach Pech dass ein von ihm verfolgter Strauchdieb zum Helden geworden ist.

Oder, wenn auch nicht unbedingt historisch so doch Bestandteil der Weltliteratur, Hagen von Tronje ist auch so eine arme Sau, der Bösewicht schlechthin, dabei hat er genau betrachtet bei allen seinen Taten nur seine Treuepflicht zweckmäßig erfüllt und jetzt steht er als feiger Mörder da, wobei ich mich schon als Kind gefragt habe, wie hätte er einen unverwundbaren Superhelden sonst angreifen können wenn nicht an der einzigen verwundbaren Stelle und die war halt hinten. Selber war er ja kein Superheld mit entsprechenden Fähigkeiten wie zB Dietrich von Bern, der Siegfrieds Drachenhaut mit Hilfe seines Superzorns überwinden hat können.

Im übrigen hängts vom Standpunkt ab, für uns ist Alexander "der Große", für Iraner heute noch der größte Verbrecher aller Zeiten.
 
Was mich an den heutigen historischen Romanen stört, ist die "politische Korrektheit" resp. dass - nicht anders wie in den Romanen des 19. Jahrhunderts - historische Personen des Mittelalters nach modernen Wertvorstellungen beurteilt werden.

Das ist das Grundproblem bei zeitgenössischen historischen Romanen. Denn nach politisch korrekter westeuropäischer Ansicht ist JEDER historische Mensch, der sich wie ein Mensch seiner Zeit benimmt, schon gar ein Herrscher, der mal so einfach zB eine Stadt dem Erdboden gleichmacht, weil sie gegen ihn rebelliert hat, ein Erzschurke.

Ich glaube, man kann da ein bisschen trennen in einerseits die historischen Romane, die ohne fiktives Personal auskommen, die idealerweise einfach die überlieferten Gegebenheiten wiedergeben, wodurch sich Feindschaften automatisch ergeben, aber idealerweise auch jede Seite verständlich wird. ZB Edith Pargeters "Brothers of Gwynedd" über den letzten walisischen Fürsten, wo nur der Erzähler fiktiv ist, sich aber zurückhält und einfach nur die Beobachterrolle einnimmt. Hier übernimmt Edward I die Rolle des "Bösen", aber wenn man genau hinsieht, tut er nur, was er seinem Job als englischer König schuldig ist. Und das halt (leider, aus Sicht der "Guten") verdammt gut.

Oder Waldtraut Lewins "Federico" über Friedrich II. Da wären die Päpste die Bösen. Aber eigentlich ist Friedrich II selber der Böse, wenn man sich ansieht, was er so alles tut. Oder sind sie das nicht eben eigentlich alle, aus Sicht der idealistischen Erzählerin und unserer?

Sobald man aber den fiktiven Helden einführt, braucht der natürlich nach Schema F den bösen Gegenspieler und idealerweise ist der dann auch noch der Bruder/Vater/Ehemann von des Helden scheinbar unerreichbarer Liebsten. *gähn*

Aus diesem Grund gefallen mir auch Bücher wie die "Wanderhure" nicht. Man müsste bei hist. Romanen so vorgehen, dass Handlung und Personen dem aktuellen Forschungsstand nicht widersprechen. Und die fiktive Handlung müsste so reinpassen, dass es gewissermassen einen "zeitgenössischen Sinn" ergibt, welcher logisch nachvollzogen werden kann.

Ich persönlich bin da voll bei Dir. Das Problem hierbei ist nur, dass man das offenbar der Sensibilität der meisten zeitgenössischen LeserInnen nicht zumuten kann. Die wollen nette, politisch korrekte Identifikationsfiguren.

Mir gefällt z.B. auch das vielgelobte "Nebel von Avalon" von Marion Bradley nicht besonders.

Wobei das allerdings zum angesprochenen Thema den Vorteil hat, dass es die Figuren gegen den gewöhnten Strich bürstet, denn hier ist die üblicherweise böse Hexe Morgaine ja die Identifikationsfigur und eigentlich Artus der "Böse". Und auch Mordred, der sonst die Rolle des Oberschurken einnimmt, hat hier eine etwas fairere Chance.
Das Buch war mein Erstzugang zur Artussage und hat mich so geprägt, dass ich Mordred-Fan wurde und für das unheilige Dreieck Artus/Guinevere/Lancelot meist nur Verachtung übrig habe. Ups! :)
 
Oder, wenn auch nicht unbedingt historisch so doch Bestandteil der Weltliteratur, Hagen von Tronje ist auch so eine arme Sau, der Bösewicht schlechthin, dabei hat er genau betrachtet bei allen seinen Taten nur seine Treuepflicht zweckmäßig erfüllt und jetzt steht er als feiger Mörder da
Das sehe ich doch etwas differenzierter. Hagen erfüllt nicht einfach nur seine Treuepflicht gegen König Gunther, sondern wiegelt ihn aktiv auf bzw. manipuliert ihn. Als Gunther zunächst eine Ermordung Siegfrieds ablehnt, setzt Hagen ihm tagelang zu und schwärmt ihm vor, dass er (der König) sich nach Siegfrieds Tod dessen Besitztümer unter den Nagel reißen könne. (Dass Gunther für solche Argumente empfänglich war, wusste Hagen spätestens seit dem Vorfall mit Walther beim Wasgenstein, als Gunther aktiv hinter dessen Schätzen her war.) Man könnte natürlich sagen, dass Hagen nur seine Treuepflicht gegen Brunhild erfüllt habe, um ihre Schmach zu rächen, aber den König (dem seine Treue primär gelten müsste) auf manipulative Art aktiv zu etwas ermuntern, was dieser zunächst gar nicht so richtig will, geht über bloße Pflichterfüllung weit hinaus.
Eine "arme Sau" ist Hagen eher dahingehend, dass er mit einem König wie Gunther gestraft ist, der stets etwas will, was seine Fähigkeiten und Rechte übersteigt und damit die unheilvollsten Verwicklungen auslöst, durch die Hagen zuerst sein Auge und letztlich auch noch sein Leben verliert.
 
...Man könnte natürlich sagen, dass Hagen nur seine Treuepflicht gegen Brunhild erfüllt habe, um ihre Schmach zu rächen, aber den König (dem seine Treue primär gelten müsste) auf manipulative Art aktiv zu etwas ermuntern, was dieser zunächst gar nicht so richtig will, geht über bloße Pflichterfüllung weit hinaus...
Ich seh das eh differenziert.
Hagen hat sich vielleicht eher dem " Königshof Worms" verpflichtet gefühlt als einzelnen Personen, sieht man ja irgendwie auch an seinem Ende, wo er das Interesse des Königshofs, dh den Schatz, über das Leben seines Königs stellt.

Für mich hat er auch immer was von einem Beamten gehabt, als Österreicher kennst ja den Ausdruck "vorauseilender Gehorsam", Leute erschlagen oder ins Wasser geworfen hat er immer nur im öffentlichen Interesse.

Mit dem Gunther war er ohne Frage gestraft, da seh ich jetzt grad einen ganz neuen Aspekt: Wenn der Hagen der Manager vom Siegfried gewesen wäre, wie weit hätte es der erst bringen können.^^
 
*lach*

Also dass hier gleich so eine große Diskussion um den armen Sheriff von Nottingham beginnt, hatte ich nicht auf der Kappe.

Ich muss Joinville zustimmen, der Sheriff ist ganz a armer Bua ;)

Und natürlich kann man in Büchern auch andere Ansätze wählen als "gut gegen böse" - das ist halt die *einfachste* Variante, eine Geschichte aufzubauen, denn das Grundgerüst hat man dann ja schon. Das könnte man natürlich dann mit vielschichtigen Charakteren auflockern mit charakterlichen Eigenschaften wie Ehrgefühl, Moral, Gewissen, Mitgefühl, Reue... etc.

Die Frage ist eben auch was genau das Ziel des Autors ist. Es gibt Autoren wie z.B. Günther Grass, die es nicht hinbekommen, eine kurzweilige Geschichte zu schreiben, weil sie geradezu zwanghaft den Drang verspüren "hochwertige" Literatur zu produzieren (subjektiver Eindruck, keine Wertung!). Und es gibt so Autoren wie Walter Moers oder Terry Pratchett, die einfach Geschichten erzählen möchten und eine komplett eigene Welt dafür erschaffen.

Man muss hier auch differenzieren, welche Art von Roman es werden soll. Soll nur das Setting "historisch" sein? Also der Zeitraum, in dem die Geschichte spielt? Oder sollen Personen als Charaktere fungieren, die tatsächlich mal gelebt haben? Letzteres schränkt die Bewegungsfreiheit des Autors doch recht weit ein...

Mir persönlich gefallen bspw. die Bücher von Philippa Carr sehr gut (Tudorzeit). Aber ich lese auch Georgette Heyer recht gerne, die lediglich ihr Setting in die Geschichte setzt, wie z.B. auch Diana Norman.

:winke:
 
Mir persönlich gefallen bspw. die Bücher von Philippa Carr sehr gut (Tudorzeit). Aber ich lese auch Georgette Heyer recht gerne, die lediglich ihr Setting in die Geschichte setzt, wie z.B. auch Diana Norman.

:winke:

Ich bin sicher keine Heyer-Expertin, aber bei Büchern wie
An infamous army - Waterloo
The Spanish bride - Harry & Juana Smith
My Lord John - John of Lancaster
The conqueror - Wilhelm der Eroberer

muss ich diese Verallgemeinerung doch beeinspruchen. ;)

Bitte das OT zu vergeben.
 
Zumindest scheinen viele der Meinung zu sein, dass der gelungene Roman neben der Heldenfigur auch eine Gegenspielerfigur benötigt, die sozusagen für den Leidensweg der Heldenfigur oder wenigstens für deren Probleme verantwortlich ist.

Naja, ich würde eher sagen, dass ein spannender Roman so etwas wie einen Konflikt (oder auch mehrere) braucht. Gibt es eine (oder mehrere) Identifikationsfiguren für den Leser, ist der Konfliktgegner (oder mehrere) praktisch automatisch der Antagonist, bzw wird so wahr genommen.

Ich würde sagen, öfters wird dies von deN Autoren aktiv unterstützt, indem dieser Antagonist in irgend einer Weise "unsympathisch" für heutige Leser wirkt. Ob bzw inwiefern das dann die historische Plausibilität beschädigt kommt sicher auf den Einzelfall an.

Mir gefällt z.B. auch das vielgelobte "Nebel von Avalon" von Marion Bradley nicht besonders.

Das ist aber auch kein historischer Roman, sondern Fantasy; wie schon Le Morte D'Arthur... ;)

Und es gibt so Autoren wie Walter Moers oder Terry Pratchett, die einfach Geschichten erzählen möchten und eine komplett eigene Welt dafür erschaffen.

Pratchetts Scheibenwelt ist ein Spiegel unserer heutigen, modernen Welt, im Gegensatz zu den meisten anderen phantastischen Welten, die für sich stehen sollen. Bekanntestes Beispiel ist wohl Tolkiens Mittelerde, wo der Autor sehr großen Wert darauf legt, dass die Geschichte bzw Welt keine Allegorie unserer Welt ist und keinerlei tieferen Sinn hat. Da ist Pratchett völlig anders aufgestellt.
 
Joinvilles Idee zum Sheriff von Nottingham gefällt mir ausgezeichnet. Eigentlich ist der Sheriff eigentlich nur der "Beamte", der sozusagen die Politik der Mächtigen "ausbaden" darf.

Was Hagen betrifft, bei Friedrich Hebbel meint er selbst, denn Helden hätte er schon gefordert, aber da er vom Drachen nicht zu trennen war, war das nicht möglich, und Ungeheuer erschlägt man gewöhnlich. (Wobei anzumerken ist, dass die Sicht auf Siegfried als dämlichen oder fragwürdigen Typen keineswegs die einzig Mögliche ist, wenn gleich heute offensichtlich sehr verbreitet.)

Dass sich mit einem schurkischen Gegenspieler ein Konflikt gestalten lässt, kann ich verstehen. Allerdings stellt sich da schon die Frage, nach welchen Kriterien Autor/in entscheidet, wer den Gegenspieler abgibt, wenn dieser nicht von vornherein feststeht, wie das z. B. in Schillers "Maria Stuart" der Fall ist.

Allerdings würde mich wirklich interessieren, nach welchen (eventuell unbewussten) Kriterien heute der Schurke im historischen Roman ausgewählt wird, wenn es sich dabei um eine historische Figur handelt. Im 19. Jahrhundert sind es meistens nationale Gründe (z. B. Kardinal Mazarin und Königin Anna bei Alexandre Dumas' Musketier-Fortsetzung) oder waren zumindest im historischen Stoff, den sich Autor/in gewählt hatte angelegt.
 
(Wobei anzumerken ist, dass die Sicht auf Siegfried als dämlichen oder fragwürdigen Typen keineswegs die einzig Mögliche ist, wenn gleich heute offensichtlich sehr verbreitet.)
(die ausführlichste "Quelle" zur Sagengestalt Siegfried ist das mittelhochdeutsche Niebelungenlied aus dem frühen 13. jh. - man fragt sich, wo dort der Siegfried eindeutig und umfangreich als Hilfsschüler dargestelt wird...)
Gottfried von Bouillon passt bestens zum Fadenthema: Held und Schurke vereinen sich in den Überlieferungen zu diesem Haudegen.
 
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