Ende des Sozialismus schon früh absehbar?

Soli87

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Hallo,
ich habe nur eine kurze Frage:
War es schon 1947 abzusehen, dass der russische Sozialismus "kaputt" gehen wird? Oder war damals noch alles in bester Ordnung?
 
Hallo,
ich habe nur eine kurze Frage:
War es schon 1947 abzusehen, dass der russische Sozialismus "kaputt" gehen wird? Oder war damals noch alles in bester Ordnung?

Die Frage ist sehr nebulös formuliert.
Wer könnte das abgesehen haben? Wer glaubte 1947 an den Untergang des Sozialismus?
Aus Sicht der mit offenen Augen, Ohren und Grips durchs Leben gehenden Stalinisten, Kommunisten und Sozialisten (prozentual nicht zu ermitteln) gab es keine Gewähr für einen ewigen Sozialismus/Kommunismus. Man rüstete ja ständig weiter auf, der für alle Männer geltende Grundwehrdienst in der damaligen Sowjetunion stand bei 2 Jahren. Man sprach immer vom "Freiden und Sozialismus verteidigen", was auch nicht an den Haaren herbeigezogen war.
Doch viel schlimmer war die nahende Niederlage durch die eigene Bevölkerung. Deshalb wird der Sozialismus auch als Diktatur gekennzeichnet, weil die eigene Bevölkerung sich immer gesellschaftlichem Fortschritt und der Freiheit näher verbunden fühlt als einer reinen politischen Ideologie. Deshalb wurde der Eiserne Vorhang geschnitzt (von Churchill als solcher frühzeitig erkannt) und 1961 zusätzlich eine Mauer rumgezogen.
Nach innen in den sozialistischen Staaten machte man einen auf "alles in bester Ordnung". Wenn die Bevölkerung aufbegehrte wie DDR 1953, Polen und Ungarn 1956 und 1968 Tschechien liess man Panzer auffahren und erklärte kurzerhand das Aufbegehren einen Akt von Kriegstreibern. Es ging ja schlicht nur um die Verteidigung der sich selbst ernannten einzig wahren guten Partei, der kommunistischen Partei. Wenn man also aufbegehrte, dann war die Erklärung, dass man die einzige gute Arbeiter und Bauern vertretende Partei angreife.
Was ja auch stimmt, diese Partei kontrollierte den Staat und der Staat war diese Partei.
 
Hallo,
ich habe nur eine kurze Frage:
War es schon 1947 abzusehen, dass der russische Sozialismus "kaputt" gehen wird? Oder war damals noch alles in bester Ordnung?
Im Jahre 1947 standen die Zeichen unbedingt für den endgültigen Sieg des Sozialismus.
Nehmen wir (natürlich nur in groben Zügen) die Entwicklung von der Oktoberrevolution bis zu diesem Jahr. Nachdem relativ leicht der Umsturz erfolgte, und Petersburg und Moskau den Bolschewiki gehörten, ging der eigentliche Kampf um den Erhalt der Revolution und der Macht erst richtig in den darrauffolgenden Jahren los:
1. Erreichen eines Separatfriedens, Bodenreform
2. Bürgerkrieg und Intervention, Hungersnot
3. Ausbleiben der Weltrevolution und die These der Errichtung des Sozialismus in einem Lande
4. 5- Jahrpläne und Kollektivierung
5. Säuberungen
6. Der Große Vaterländische Krieg
7. Die Ergebnisse des Krieges und die Nachkriegszeit
Zu 1. Nachdem durch den bewaffneten Aufstand im Oktober ( eigentlich November) 1917 die politische Macht in einigen Städten erzielt war, galt es, sich durch einen Separatfrieden mit den in den ersten Weltkrieg verwickelten Mächten eine kleine Verschnaufpause zu verschaffen. Durch die Bodenreform eilten viele Soldaten (vormals Bauern) von den Fronten heim, um bei der Landverteilung nicht zu kurz zukommen.
Zu 2. Nach der Bodenreform und Verstaatlichung traf man bald auf heftige Gegenwehr der inneren Feinde des Sozialismus- dies führte zum Bürgerkrieg; und der äußeren Gegner- dies führte zur Intervention durch ausländische Staaten. In dieser Periode hatten die russischen Kommunisten kurzzeitig nur noch 10 % des russischen Territoriums in der Hand. Die Hungersnot in Russland war so groß, dass es zu Kannibalismus kam.
Zu 3. Als großen Mangel wurde das Ausbleiben der „Weltrevolution“ oder der Revolution in den fortgeschrittenen europäischen Industriestaaten empfunden. Diese hätten die russische Revolution entlastet und das Zentrum des Aufstandes nach Mitteleuropa verlegt. Nach dem Sieg der Roten Armee im Bürgerkrieg und über die Interventen entschloss man sich zum Aufbau des Sozialismus in einem Land.
Zu 4. Zu diesem Zwecke ging man über, die Schwerindustrie und die Industrie überhaupt aufzubauen, um vom kapitalistischen Umland unabhängig zu sein. Um das Lebensmittel- und Getreideproblem zu lösen wurde die Landwirtschaft kollektiviert. Russland konnte sich danach selbst versorgen.
Zu 5. Die (stalinschen ) Säuberungen von teilweise hohen Parteikadern ist die eine Seite des Problems. Vorgegangen wurde u.a. auch gegen den Schlendrian am Arbeitsplatz, weil sich durch den nicht privaten Besitz an Produktionsmitteln eine Nachlässigkeit in der Arbeitsdisziplin herausstellte. Die Stachanowbewegung wurde inszeniert.
Zu 6. Mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion sollte der Sozialismus in einem Lande seine Feuerprobe bestehen. Es zeigte sich, dass nach anfänglichen Niederlagen die Völker der SU, die aufgebaute Industrie und Kollektivwirtschaft, die Rote Armee und die dahinter stehende Rüstungsindustrie, das Fernmeldewesen, die Arbeitsdisziplin und etc., etc. stark genug und bereit dazu waren, ihre Staatsform erfolgreich zu verteidigen.
Zu 7. Der Sieg über den Hitlerfaschismus war das große Verdienst der SU. Die Besetzung der osteuropäischen Länder durch die Rote Armee brachte eine Erweiterung des sozialistischen Territorium. Endlich war man nicht mehr auf die Formel Sozialismus in einem Land angewiesen. Ein Teil Deutschlands - durch Marx und Engels Mutterland des Sozialismus - war russisch besetzt. Der internationale Sieg des Sozialismus schien in Reichweite. Zu diesem Zeitpunkt, 1947, konnte man meines Erachtens noch nicht das Scheitern des Sozialismus absehen. Auch wenn es bereits Differenzen (Jugoslawien) gab. Die ersten Zweifel wurden aber sicher dann laut, als der Kalte Krieg in vollem Umfang einsetzte.
 
Die Besetzung der osteuropäischen Länder durch die Rote Armee brachte eine Erweiterung des sozialistischen Territorium. Endlich war man nicht mehr auf die Formel Sozialismus in einem Land angewiesen. Ein Teil Deutschlands - durch Marx und Engels Mutterland des Sozialismus - war russisch besetzt. Der internationale Sieg des Sozialismus schien in Reichweite. Zu diesem Zeitpunkt, 1947, konnte man meines Erachtens noch nicht das Scheitern des Sozialismus absehen. Auch wenn es bereits Differenzen (Jugoslawien) gab. Die ersten Zweifel wurden aber sicher dann laut, als der Kalte Krieg in vollem Umfang einsetzte.

1924 gab es bereits drei sozialistische Länder: Mongolei und Tannu-Tuwa neben der Sowjetunion.
Ansonsten ist dein Text eine Hommage an eine geglaubte Ideologie, die in der Praxis von den Völkern nie gewollt war.
In allen sowjetisch besetzten osteuropäischen Staaten ab 1945 kämpfte eine Minderheit aus Kommunisten (Stalinisten) um die Vorherrschaft in den betreffenden Ländern. Da haben die Völker denen nichts geschenkt. Es gab Wahlen, die verheerend für die Kommunisten bis 1950 waren. Der Gulag war nicht nur für Russen gewesen, der füllte sich nach 1945 mit allen möglichen weiteren Volksgruppen Europas. Nicht zu vergessen die Millionen Flüchtlinge bis Ende der 50er Jahre aus Osteuropa in den Westen.
 
@Hurvinek
Das ist das, was ich an einem öffentlichen Forum mag: Rede und Gegenrede ohne persönliche Angriffe und Beleidigungen.
Ich gestehe das Wort Tannu-Tuwa das erste mal gelesen zu haben. Nun und die Mongolei wird auch nicht mehr zum Sozialismus beigetragen haben, nachdem bereits 1921 die Rote Armee einmarschiert ist.
Des weiteren glaube ich nicht, dass es nur eine Minderheit von Kommunisten gab, die zu dieser Zeit für den Sozialismus war. Dagegen war nur eine Minderheit aus ökonomischen Gründen. Die große Masse aus Gegnern des Sozialismus erwuchs später, als sich mehr und mehr herrausschälte, daß einzelne Methoden und Inszenierungen der kommunistischen Parteien vom Faschismus abgeguckt waren. Ich wage sogar zu behaupten, dass diejenigen, die im Wendeherbst 1989 "Wir sind das Volk!" riefen, auch nur ein Bruchteil des Volkes waren.
 
Im Jahre 1947 standen die Zeichen unbedingt für den endgültigen Sieg des Sozialismus.
Für die wahrhaft Gläubigen standen die Zeichen schon immer (und immer noch) für den endgültigen Sieg des Sozialismus.

Nüchtern betrachtet stand der Sozialismus 1947 stärker da als jemals vorher - aber noch weit weg von realistischer Nähe eines "Sieges".
Z. B. war auch zu diesem Zeitpunkt völlig klar, daß der Westen wirtschaftlich und militärisch deutlich überlegen war. Und die mittel- und ost-europäischen Länder waren zwar von der Roten Armee besetzt, aber noch nicht wirklich unter Kontrolle - das brauchte noch einige Jahre.

Eigentlich war 1947 eher der Anfang vom Ende des Sozialismus: Mit der Truman-Doktrin vollzogen die USA einen Kurswechsel weg von der Bündnispartnerschaft des Krieges hin zur schon vorher von Churchill geforderten Eindämmung. Und mit dieser Politik waren sie ja dann letztlich erfolgreich.

Des weiteren glaube ich nicht, dass es nur eine Minderheit von Kommunisten gab, die zu dieser Zeit für den Sozialismus war.
??? Das erscheint mir doch eine recht ungewöhnliche These zu sein.

Ich wage sogar zu behaupten, dass diejenigen, die im Wendeherbst 1989 "Wir sind das Volk!" riefen, auch nur ein Bruchteil des Volkes waren.
Dies ist faktisch richtig, weil ja auch einige hunderttausend Demonstranten nur ein Teil des 17-Millionen-Volks waren.
Aber entscheidend ist, daß diese ganz deutlich die Mehrheitsmeinung repräsentierten, das zeigen die folgenden Wahlergebnisse.
 
Irgendwie erscheint mir zu großen Teilen die soziale Marktwirtschaft der Siebziger und Achtziger als das, was man per Definition unter Sozialismus versteht. Das war dann sicher auch dem Kalten Krieg geschuldet und die Folge heutzutage, daß der Begriff Sozialismus an und für sich negativ besetzt ist.
Ansonsten ist dein Text eine Hommage an eine geglaubte Ideologie, die in der Praxis von den Völkern nie gewollt war.

Diese Hommage hat aber auch heute noch starke politische Wurzeln auch in etablierten Parteien weltweit. Und das sind nicht nur Kommunisten und deren Ableger.
 
@Hurvinek
Ich gestehe das Wort Tannu-Tuwa das erste mal gelesen zu haben. Nun und die Mongolei wird auch nicht mehr zum Sozialismus beigetragen haben, nachdem bereits 1921 die Rote Armee einmarschiert ist.

Das mit Tannu-Tuwa war in einem DDR-Schulatlas in den 70er-Jahren verzeichnet. Da war eine politische Karte der Sowjetunion Ende der 20er Jahre abgebildet. Leider bekam ich über diese höchst "geheimnisvolle" Volksrepublik in der DDR nichts zu erfahren. Hatte mir nur den Reim gemacht, dass diese Republik dann eine Tuwinische ASSR wurde (Namensverwandschaft).
Ob Du Mehrheiten für den Sozialismus vermutest, ist sicherlich nicht abwegig. Doch schon die verschiedenen Säuberungswellen in den Kommunistischen Parteien Osteuropas ab 1947 bis 1968 zeigen, dass die Kommunisten selbst verschiedene Auffassungen von Sozialismus hatten. Und je doller der Kampf intern in den Parteien wurde, um so verschwommener gestaltete sich die Ideologie Sozialismus hin zu einem Autoritarismus, indem man letztendlich sogar die Bürger aufrufen musste, Kritik oder Meinungen offen zu formulieren.

Das sollte man sich als heutiger junger Mensch mal vorstellen, wenn es geht: die Partei (der Staat!) rief zu Offenheit und Ehrlichkeit auf und der Parteigeheimdienst (der Staat im Staate des Staates) kassierte diese Leute dann ein. Letztendlich waren es nicht die hunderttausende Bürger auf den Straßen, die das System stürzten, sondern der Apparat selbst entmachtete sich durch für jeden erkennbare existentielle Widersprüche (die SED hatte intern ab Oktober 1989 bis März 1990 die schwersten Konflikte zu bewältigen, nicht die Runden Tische, da ging es gesittet zu). Die "Wir sind das Volk"-Leute sind geschlossen auf die Straße gegangen, weil der sowjetische Staatschef ab 1987 sie dazu ermuntert hat (Glasnost/Perestroika) und der offene Eiserne Vorhang in Ungarn ein beschwerlicher Weg war in den Westen zu gelangen, wenn 30 Kilometer weiter man nur einen Schlagbaum öffnen brauchte.
Deine Behauptung, dass nur ein Bruchteil 1989 auf die Straße ging, ist korrekt. Allerdings haben die folgenden Wahlergebnisse im März 1990 gezeigt, wenn die SED ihr Monopol nicht abgegeben hätte, wären bis Weihnachten 1989 noch mehr Menschen auf die Straße gegangen. Die SED hatte im Herbst 1989 aufgegeben, sich als "Partei des Volkes" zu rechtfertigen und gewaltsame Auflösungen von Demos im Namen des Volkes einzuleiten.
 
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