Reisefreiheit des Sovietbürgers

Nergal

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Wie weit in das sozialistisch Ausland durfte eigentlich Jemand, sagen wir mal, aus Moskau, reisen?
Gab es da Beschränkungen und die Notwendigkeit sich besondere Visa etc. holen zu müßen oder war dies ohne größere Probleme möglich?
 
Die Frage zielt vermutlich auf die post-stalinistische Ära ab, da die Reise- bzw. die Bewegungsfreiheit im Stalinismus deutlich rigider gehandhabt worden ist.

Wer ins Ausland durfte war sicherlich "handverlesen". Man konnte sowjetische Reisegruppen aber durchaus außerhalb der UdSSR antreffen. Wie beispielsweise in Ägypten. Ausgesprochen nette, disziplinierte Touristen, die jedoch meistens als Gruppe auftraten.

Ein Aspekt, den man auch häufiger von Sportlern gehört hatte, die zu Wettkämpfen ins Ausland gefahren sind und auf die Gruppenkontrolle abstellen.

Insgesamt durchliefen die Personen, die ins Ausland reisen durften, zusätzlich einen umfangreichen Prozess der politischen und sozialen "Begutachtung", die von politischer Zuverlässigkeit bis hin zur Erfüllung (Übererfüllung) von Anforderungen des "sozialistischen Kollektiv" reichten.

Und natürlich eingebettet in die formalen Verfahren der Beantragung einer Auslandsreise.

Dennoch darf man nicht vergessen, dass es einen nicht unerheblichen russischen "Patriotismus" bzw. "Nationalismus" gibt, der die Bürger - unabhängig von politischen Systemen - an "ihr" Land bindet.
 
Ich habe es in den 70er-80er Jahren so erlebt, dass ein Freund (auch Geschäftsfreund) meines Vaters aus Leningrad eingeladen werden konnte und er uns einmal im Jahr besuchen konnte. Aber immer er oder seine Frau, nie zusammen mit Kindern. In die umgekehrte Richtung lief es genauso. Auf Einladung konnte man sie besuchen (dann auch mit ganzer Familie).

Politische "Standfestigkeit" war da weniger gefragt, es wurde eher nach dem Nutzen geschaut. Der Bekannte aus Leningrad war dem System eher kritisch zugetan und Mitte der 80er nach einem Besuch im Westen geblieben ist.
 
Individualreisen von Bürgern der Sowjetunion waren m.W. letztendlich Einzelentscheidungen der jeweiligen zuständigen Behörde.
Das ging, aber wichtig war der Grund der Reise!
Hatte man einen solchen Grund den die jeweilige Behörde akzeptierte, dann bekam man Pass und das Visa.

Eins sollte man aber beachten, so wie es in der KSZE Schlussakte von 1973 steht, wurde es nicht gehandhabt.

Richtig Klarheit gab es wohl erst mit dem Reisegesetz 1991.
Wurde noch von M. Gorbatschow unterzeichnet. Gorbatschow war ja bis Dezember 1991 Staatspräsident der Sowjetunion.

Vorher galt wohl eine VO des Ministerrates der UdSSR (Nr. 801) vom 22.09.1970.
Gemäß dieser VO konnte aus- und wieder einreisen wer im Besitz eines diplomatischen Reisepasses, eines Dienstreisepasses, eines Seemannreisepasses oder eines allgemeinen Reisepasses war.

Die Schwierigkeit lag darin, einen solchen Pass zu bekommen.

M.W. benötigte man aber nicht nur einen Reisepass wenn man ins kapitalistische Ausland wollte oder ins sozialistische Ausland (DDR, Ungarn usw.). Man brauchte auch einen Pass, wenn man innerhalb der Staaten der UdSSR reisen wollte (Bürger der RSFSR nach BSSR usw.).

Also mal so einfach von Minsk (Weißrussland - BSSR) nach Vilnius (Litauen – LiSSR) in die historische Gaststätte „Lokis“ zum Abendessen (siehe Novelle von Prosper Mérimée), das ging nicht :).

Gehört habe ich auch, es gab Beschränkungen innerhalb der RSFSR (z.B. Kolchosbauern). Ob auch in anderen Sowjetrepubliken, weis ich allerdings nicht.

Noch ein Erlebnis...
Im Rahmen des Titelkampfes „Brigade der deutsch-sowjetischen Freundschaft“ gab es oft Freundesabende/Freundestreffen.

Da kamen Bürger der UdSSR (vorrangig aus der RSFSR).
Es wurde sich mit Händen und Füssen unterhalten (wenige sprachen russisch bzw. nur ein paar Brocken, es gab i.d.R. nur 1 Dolmetscher), es wurde gelacht und getanzt und viel getrunken.
Eine junge Frau aus Leningrad brachte mir mal an so einen Freundesabend das Trinken von Wodka gleichzeitig aus 3 Schnapsgläsern bei.
 
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