Entstehung und Entwicklung der Schrift

T

Tekker

Gast
Hallo Gemeinde,

in einem anderen Thread habe ich kühn behauptet
Ich entsinne derer vier unabhängig voneinander entstandene Schriftsysteme, aus denen dann letzlich alle anderen hervorgingen. Es sind dies die Schriftsysteme der Sumerer, Chinesen, Maya und das der Osterinsel.
Kurzes googlen gerade ließ mich an diesen rudimentären Kenntnissen nun etwas zweifeln. Wie steht's um die Anfänge von Schrift? Wo tauchten wann die ersten Schriften auf und welche späteren Schriften gingen daraus (wie) hervor bzw. wurden beeinflußt?

Als kleiner Einstieg mal die heutigen Schriftsysteme der Welt:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/62/WritingSystemsOfTheWorldGermanVersion.png
Die Karte ist hier zu finden: Schrift - Wikipedia

Ich hoffe auf eine spannende und informative Diskussion! :)
 
Das ägyptische Schriftsystem ging meines Wissens nicht aus dem der Sumerer hervor.

Eines der wenigen Schriftsysteme, die eigenständige Neuerungen darstellen, ist die koreanische Buchstabenschrift:
Hangeul - Wikipedia
 
Vielen Dank für die Links ihr beiden! Das Thema scheint sich bisher leider keiner großen Beliebtheit zu erfreuen. :(

Deine Liste habe ich grad durchgearbeitet, lynxxx. Viel war da aber in Bezug auf mein eigentliches Anliegen nicht zu holen. Quintessenz deiner Linkliste ist dies:

Sumerer und auch Ägypter entwickelten Schriften, aus denen arabische, hebräische, kyrillische, latainische u.a. Schriften hervorgingen. Ebenso entstanden unabhängig davon die Schriften der Chinesen und Maya, insofern lag ich im Eröffnungsposting nicht falsch. Daneben gibt es aber offenbar doch noch andere Schriften, die sich wohl nicht auf die genannten zurückführen lassen.

So ein "Stammbaum der Schriften" wäre nicht schlecht. Ein diesbezüglich vielversprechender Link in einem der Beiträge funktioniert aber leider nicht.
 
So ein "Stammbaum der Schriften" wäre nicht schlecht. Ein diesbezüglich vielversprechender Link in einem der Beiträge funktioniert aber leider nicht.


Ich nehme an, Du meinst diesen hier:
http://www.linse.uni-essen.de/linkolon/schrift/schrift.swf


Ein "Stammbaum der Schriften" (bezieht sich allerdings nur auf die Ableger der sumerischen/mesopotamischen Schriften) ist hier zu finden:
http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/spranfu/vor2_Sprache_Schrift_0607.ppt

Ein umfassenderer, etwas schlecht lesbarer Stammbaum (ob das alles Hand und Fuß hat, möchte ich nicht beschwören):
http://home.worldcom.ch/negenter/015AcrobatArchives/CPublications/AufSandGeb.PDF
 
Interessante Diskussion :)

Ich habe erst vor kurzem über dieses Thema gearbeitet und möchte daher kurz meinen Senf dazu geben, auch wenn der Thread ja schon etwas älter ist.

Es gilt keinesfalls als erwiesen, dass das Schriftsystem der Ägypter aus dem der Sumerer hervorgegangen ist - auch wenn dies in der Altorientalistik gerne so dargestellt wird. Sicherlich weisen beide Systeme gerade in der Anfangsphase viele Gemeinsamkeiten auf, als Beispiel sei hier nur die phonographische Verwendung von Bildzeichen sowie das Vorhandensein von Determinativen (Deutzeichen) genannt. Darüber hinaus lässt sich bisher aber nicht sagen, welches System älter ist, und ob eines direkt oder indirekt vom anderen beeinflusst wurde.

Es gilt als gesichert, dass es Handelskontakte zwischen Unterägypten (dem Gebiet des Nildelta) und dem Zweistromland gab. Allerdings spricht einiges dafür, dass das Schriftsystem sich in Oberägypten, also im Niltal entwickelte. Hieroglyphenzeichen, insbesondere aus den Kategorien "Waffen" und "Tierwelt" lassen zudem auf einen starken afrikanischen Einfluss und damit auf einen Süd-Nord Transfer schließen.

Das Zeichenrepertoire der Keilschrift entwickelte sich ebenfalls aus reinen Bildzeichen, die im Laufe der Schriftgeschichte bis hin zur Verwendung von Keilen immer stärker vereinfacht wurden. Allerdings gab es auch Zeichen, die den Schritt vom Bild zum Symbol schon VOR der Entwicklung der Schrift gemacht hatten. Im Gebiet des Zweistromlandes wurde eine große Anzahl sogenannter Tokens gefunden; dabei handelt es sich um Zählsteine, die zur Zählung von Vieh und Getreide verwendet wurden. Die Form dieser Tokens (z.B. rund mit Kreuz für "Schaf") findet sich später auch in der Keilschrift wieder, es kann also wohl davon ausgegangen werden, dass sich die Schrift aus diesem Zählsystem entwickelte.

Etwas Ähnliches ist aus Ägypten nicht bekannt. Auch wurden keine Tokens gefunden, die eine Übernahme des sumerischen Systems nahegelegt hätten. M.E. spricht einiges für eine jeweils indigene Entwicklung im Zweistromland und in Ägypten, unabhängig von einander, wenn auch nahezu zeitgleich. Die Entwicklung eines Schriftsystems dürfte sich v.a. aus einer verwaltungstechnischen Notwendigkeit in der Zeit der Staatenbildung erklären, auch wenn diese Lösung vielen Ägyptologen zu pragmatisch erscheint (mir erscheint sie dagegen sehr plausibel ;) ).

Anfang der 90er Jahre fand der dt. Archäologe Günter Dreyer ein Grab aus prädynastischer Zeit, welches Krüge mit Etiketten aus Ton enthielt. Die Beschriftung dieser Etiketten kann durchaus als Schrift interpretiert werden (phonologische Schreibung nach dem Rebus-Prinzip) und legt damit eine Schriftentwicklung in Ägypten zw. 3400 und 3250 v. Chr. nahe, einige hundert Jahre früher als bisher angenommen.

LG
Die_Schweigende
 
Zuletzt bearbeitet:
Anfang der 90er Jahre fand der dt. Archäologe Günter Dreyer ein Grab aus prädynastischer Zeit, welches Krüge mit Etiketten aus Ton enthielt. Die Beschriftung dieser Etiketten kann durchaus als Schrift interpretiert werden (phonologische Schreibung nach dem Rebus-Prinzip) und legt damit eine Schriftentwicklung in Ägypten zw. 3400 und 3250 v. Chr. nahe, einige hundert Jahre früher als bisher angenommen.
Daran anknüpfend ein paar Links, wo man die in Abydos gefundenen "Etiketten" aus Elfenbein sehen kann:
Abydos, Umm el-Qaab: Königsfriedhof der Frühzeit (fast ganz unten)
An Unpublished Early Dynastic inscription of the Goddess Bastet (Wbastit) (unter "NOTES" kann man ein solches Täfelchen und die dazugehörige phonetische Übersetzung sehen)
http://xoomer.alice.it/francescoraf/hesyra/new/U-tags.jpg (weitere Schrifttäfelchen aus Grab U-j)

Als Quintessenz dieser Funde darf man festhalten, dass erste "Schriftzeichen" in Ägypten ab 3400 v. Chr. auftauchen. Mit ihnen wurden zunächst Besitzer und Herkunft festgehalten - sie dienten also der Verwaltung. Doch schon um 3200 v. Chr. hatten die Zeichen nicht mehr nur eine logographische Bedeutung, sondern auch eine phonologische. Damit war der entscheidende Schritt zur echten Schrift vollzogen.

Durch diese Funde ist die Entscheidung, welche Schrift die erste war, wieder völlig offen.
 
Danke für die Links :)

Ich habe Scans der Etiketten zuhause, wusste aber nicht, ob es okay ist, sowas als Anhang reinzustellen. So ist es natürlich einfacher.

Doch schon um 3200 v. Chr. hatten die Zeichen nicht mehr nur eine logographische Bedeutung, sondern auch eine phonologische. Damit war der entscheidende Schritt zur echten Schrift vollzogen.

Das stimmt so nicht ganz ;)

Schon im Grab U-j, also unter den ältesten Funden, gibt es Etikett-Beschriftungen, die wohl phonologisch zu lesen sind.

Bsp:
Ein Etikett zeigt einen Storch (b3) und einen Thronsessel (st). Hier macht m.E. nur eine phonologische Lesung, nämlich b3st Sinn. b3st war der altägyptische Name der unterägyptischen Stadt Bubastis, die in prädynastischer Zeit eines der Zentren Ägyptens war. Somit passt auch das zur bereits erwähnten Kategorie "Herkunftsvermerke".


Und für alle Interessierten noch ein bisschen Literatur:

Die derzeitig wohl umfangreichste Publikation zum Thema "Schriftentwicklung in Ägypten" ist die Dissertation von Jochem Kahl:

Kahl, Jochem, Das System der Hieroglyphenschrift in der 0.-3. Dynastie, Göttingen, 1994.
</p:colorscheme>

Es gibt auch einen mehrseitigen Artikel von Günter Dreyer über seine Funde, den er für ein nicht-ägyptologisches Publikum verfasst hat:

Dreyer, Günter, Reichsentwicklung und Schriftentwicklung, in: Am Beginn der Zeit - Ägypten in der Vor- und Frühzeit, München 2000, 2-15.

Letzterer Artikel kann von mir bei Bedarf gerne eingescannt und per E-Mail verschickt werden.

LG
Die_Schweigende
 
Das stimmt so nicht ganz ;)

Schon im Grab U-j, also unter den ältesten Funden, gibt es Etikett-Beschriftungen, die wohl phonologisch zu lesen sind.
Das ist natürlich richtig. Zu Zeiten des Skorpion I. (ca. 3200 v.Chr.) war die Entwicklung zu phonologischen Zeichen schon weit fortgeschritten.
Aber einfache Zeichen, die im Aussehen den späteren Hieroglyphen schon sehr gleichen, gab es z.B. in Form von Krugaufschriften sogar noch früher.
 
Das ist natürlich richtig. Zu Zeiten des Skorpion I. (ca. 3200 v.Chr.) war die Entwicklung zu phonologischen Zeichen schon weit fortgeschritten.
Aber einfache Zeichen, die im Aussehen den späteren Hieroglyphen schon sehr gleichen, gab es z.B. in Form von Krugaufschriften sogar noch früher.

Das stimmt natürlich. Nach den Kriterien, die Jochem Kahl angelegt hat, kann man jedoch erst von Schrift sprechen, wenn

- bildliche Darstellungen
- symbolische Darstellungen
- Schreibungen nach dem Rebus Prinzip (also mit Phonogrammen)

vorhanden sind.

WIE sinnvoll diese Kriterien sind, könnte man diskutieren; grundsätzlich muss man natürlich irgendwo anfangen, wenn man Schrift bearbeiten möchte. Allerdings - und hier hast Du völlig recht - lässt eine solche Einteilung die Entwicklung der Schrift völlig außer acht, auch wenn wir in Ägypten außer sehr wenigen Krugbeschriftungen ohnehin keine genauen Hinweise haben, wie sich diese abgespielt haben könnte (anders als in Mesopotamien, wo sich die Schriftentwicklung nahezu minutiös verfolgen lässt).

Es gibt neben den Krug-Etiketten noch ältere Siegelabrollungen, die 3 übereinander geschichtete Fische sowie die altbekannte Kombination Baum+Tierdarstellung (potentiell "Plantage des NN" zu lesen) zeigen. Der Fisch steht in Ägypten für den Laut "in", 3 Fische ergäben nach dem Rebus-Prinzip eine Pluralbildung, also in.w (sprich: inu). in.w "Fische" wäre wiederum ein Homonym für inw "Abgabe, Lieferung". Möglicherweise haben wir es also noch früher als U-j mit phonologischer Schreibung zu tun, die von mir gerade erläuterte Lesung ist jedoch extrem umstritten.

Auch die Schreibung Baum+Tier als "Plantage des NN" zu lesen, gerät immer mehr in die Kritik, insbesondere da der Baum in dieser Kombination so nicht wieder in der Hieroglyphenschrift auftaucht. Persönlich bin ich der Meinung, dass die bisher vorgeschlagene Lösung korrekt und die Etiketten tatsächlich als Herkunftsvermerkt gedacht sind; man sollte sich jedoch immer dessen bewusst sein, dass wir für Ägypten (noch) keine solch genauen Aussagen treffen können, wie für das Zweistromland.

Woraus genau sich in Ägypten die Schrift entwickelt hat, ist im Grunde ja immer noch eine unbeantwortete Frage. Eine Vorstufe, vergleichbar mit den Zählsteinen (Tokens) der Sumerer gab es nach heutigem Forschungsstand nicht - auch wenn natürlich einkalkuliert werden muss, dass die Ägypter ihre ersten Abrechnungen auch auf verderblichem Material wie z.B. Palmblättern getätigt haben könnten.

LG
Die_Schweigende
 
in dem Zusammenhang ist eine Meldung aus der Presse von heute interessant:

Ältestes Alphabet der Welt: Forscher findet Inschrift auf Scherbe - DIE WELT

Neu für mich war folgende Aussage:

Der Ostrakon stützt auch die These, dass die semitischen Konsonantenschriften, aus denen alle modernen Alphabete hervorgegangen sind, tatsächlich in Ägypten für semitische Sklaven oder Arbeiter entwickelt worden sind. Diese SMS auf einer Scherbe kommt nicht nur aus dem Land der Pharaonen, sie stammt möglicherweise auch aus der sagenhaften Welt von Mose und der Sklaverei der Israeliten in Ägypten.
 
Thema hier ist aber "Entstehung der Schrift" und nicht "Entstehung des Alphabet" was IMO einen gewissen Unterschied macht.
 
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