Ist dieses Gedicht politisch korrekt?

Repo

Aktives Mitglied
Ich war mal in einer Zinnfigurenausstellung.
Da gab es unter vielem anderem ein Diorama mit der Szene

Da wallt dem Deutschen auch sein Blut,
er trifft des Türken Pferd so gut,
er haut ihm ab mit einem Streich
die beiden Vorderfüß' zugleich.
Als er das Tier zu Fall gebracht,
da faßt er erst sein Schwert mit Macht,
er schwingt es auf des Reiters Kopf,
haut durch bis auf den Sattelknopf,
haut auch den Sattel noch zu Stücken
und tief noch in des Pferdes Rücken;
zur Rechten sieht man wie zur Linken,
einen halben Türken heruntersinken.

Der "Muselmann" und sein Pferd waren offensichtlich entfernt, die Spuren im Kasten noch sichtbar.

Hat da einer übertrieben reagiert, oder wie sieht das die Forengemeinde?

Das Gedicht insgesamt:
 
Der "Muselmann" und sein Pferd waren offensichtlich entfernt, die Spuren im Kasten noch sichtbar.
Also Du warst vor einem Diorama, worin das Gedicht illustriert war?

Hm, man müsste vielleicht wissen, wie das denn zuvor aussah. Vielleicht passte es ja auch wem rein ästhetisch nicht.

Ich kann mich an viele Dioramen erinnern, worin sagenhafte Stoffe verarbeitet waren (in der Zinnfigurenausstellung in Gusow, die damals noch sehr umfangreich war).

Das Gedicht selbst - man lese die Entstehungszeit 1816 (!) - scheint mir in üblicher Blutigkeit dieser Zeit gehalten zu sein.
Ob man das Gedicht an sich anficht, kann ich nicht sagen. Da müsste man mal Deutschlehrer fragen, ob sowas heute noch auf dem Lehrplan steht. (Wie woanders angedeutet, Körners Gedichte hatten wir noch Ende der 90er.)
 
Also Du warst vor einem Diorama, worin das Gedicht illustriert war?

Hm, man müsste vielleicht wissen, wie das denn zuvor aussah. Vielleicht passte es ja auch wem rein ästhetisch nicht.

Kann man wohl ausschließen, da wie gesagt, nur die zwei "Türkenhälften" samt Ross fehlten.
 
Hat da einer übertrieben reagiert, oder wie sieht das die Forengemeinde?

Ich denke schon, denn das historische Ereignis sollte nicht politisch oder gesellschaftlich auf heutige Probleme projiziert werden.

Das hilft absolut nicht zur Bewältigung von historisch gewachsenen Problemen. Es kommt einen Wegschauen gleich.

Es kommt immer nur darauf an, wie dieses historische Ereignis heut dargestellt wird und wie es in der Gesellschaft gewertet wird.

Ein historisches Zinnfigurenpanorama auf den heut aktuellen politischen Stand zu bringen, ist nicht sinnvoll. Damit wird das Panorama historisch falsch dargestellt.
 
Ob das Gedicht politisch korrekt ist, kann ich nicht sagen. Aber in einem Kindergarten würde ich es nicht vorlesen :still:
 
Ich denke schon, denn das historische Ereignis sollte nicht politisch oder gesellschaftlich auf heutige Probleme projiziert werden.

Das hilft absolut nicht zur Bewältigung von historisch gewachsenen Problemen. Es kommt einen Wegschauen gleich.

Es kommt immer nur darauf an, wie dieses historische Ereignis heut dargestellt wird und wie es in der Gesellschaft gewertet wird.

Ein historisches Zinnfigurenpanorama auf den heut aktuellen politischen Stand zu bringen, ist nicht sinnvoll. Damit wird das Panorama historisch falsch dargestellt.

Was meinst Du jetzt mit historisch?

Das Gedicht von Uhland ist zwar selber historisch, aber ob es im Bezug auf diese Strophe ein historisches Ereignis widerspiegelt, ist wohl fraglich.

Seltsam finde ich nebenbei, dass man nicht gleich das ganze Diorama entfernte, hatte es doch ohne den Türken keinen Sinn mehr.
 
War es denn ein antikes Diorama? Dann kann die fehlende Figur doch auch pragmatischere Gründe gehabt haben, wie die Figur ging verloren und wurde bisher nicht ersetzt, die Figur selbst wird gerade restauriert... War das Diorama hinter Glas, oder sonst wie geschützt? Wenn nein: Diebstahl Es muss den Dioramenbauern nicht zwingend um political correctness gegangen sein, wäre das der Antrieb gewesen hätten sie sich das Diorama zu dem Uhland-Gedicht ganz sparen können. Zudem würde ich bei einem dementsprechenden Vorgehen doch zumindest einen Hinweis der Erbauer auf die fehlende Figru und die jeweiligen Gründe erwarten.
 
Was meinst Du jetzt mit historisch?

Das Gedicht von Uhland ist zwar selber historisch, aber ob es im Bezug auf diese Strophe ein historisches Ereignis widerspiegelt, ist wohl fraglich.


Ein historisches Ereignis liegt dem Gedicht wohl nicht zu Grunde.
Es ist wohl eher im Kontext zu sehen, dass die "Schwabenstreiche" als Dummheiten damals ein geflügeltes Wort waren. Das Uhland Gedicht mehr als Spässchen gedacht war.
(Seither haben wir das Auto erfunden, die Kehrwoche und die kontaktlose Zündung, haben wir so was nicht mehr nötig)

Seltsam finde ich nebenbei, dass man nicht gleich das ganze Diorama entfernte, hatte es doch ohne den Türken keinen Sinn mehr.

Das war ziemlich sicher unmittelbar vor Ausstellungseröffnung, die Spuren im Diorama waren "zu frisch".
 
Was meinst Du jetzt mit historisch?

Also ich habe dabei nur eindimensional gedacht.:red:

Ich assoziiere nun mal Zinnfiguren mit Zinnsoldaten und beim überlesen war für mich klar, dass so ein Panorama nunmal ein Schlachtengetümmel darstellt.

War wohl nicht so. Ich denke so hohe wissenschaftliche Literatur, die dieses Gedicht, übersteigt dann doch meinen Horizont. Zumal ich ja nur ein reingeschmeckter bin...
 
Noch vor einem halben Jahrhundert war es bei Schulmeistern sehr beliebt, ihre Zöglinge, neben Bibel und Katechismus, solche ellenlangen Gedichte auswendig lernen zu lassen. Das "Grab am Busento" war auch eines von der Sorte. Das Blutrünstige oder Gewaltverharmlosende störte da wenig.

Uhland wollte offenkundig seinen heroischen, tatkräftigen Landsleuten, allen voran "Rotbart", ein Denkmal setzen, wenn auch vielleicht mit einem selbstironischen Augenzwinkern.

Wenn der Gedichtauszug noch ausgestellt war, ging es vermutlich nicht um political correctness in Bezug auf das Gedicht, sondern eher darum (Stichwort Kindergarten), dass man das Gedicht erst einmal lesen können muss, während ein Dioramabild buchstäblich augenfällig ist. Aber letzlich kann man da nur spekulieren.
 
Ich war mal in einer Zinnfigurenausstellung.
Da gab es unter vielem anderem ein Diorama mit der Szene
Da wallt dem Deutschen auch sein Blut,
er trifft des Türken Pferd so gut,
er haut ihm ab mit einem Streich
die beiden Vorderfüß' zugleich.
Als er das Tier zu Fall gebracht,
da faßt er erst sein Schwert mit Macht,
er schwingt es auf des Reiters Kopf,
haut durch bis auf den Sattelknopf,
haut auch den Sattel noch zu Stücken
und tief noch in des Pferdes Rücken;
zur Rechten sieht man wie zur Linken,
einen halben Türken heruntersinken.
Der "Muselmann" und sein Pferd waren offensichtlich entfernt, die Spuren im Kasten noch sichtbar.

Hat da einer übertrieben reagiert, oder wie sieht das die Forengemeinde?

Das Gedicht ist überhaupt nicht politisch korrekt! Hier wird ein Vorgang verherrlicht, in dem einem am eigentlichen Konfliktverlauf völlig unbeteiligten Wirbeltier unnötig Leid zugefügt wird. Das geht nicht nur nicht sondern steht in völligem Widerspruch zu einem der per Grundgesetz geregelten Staatsziele der Bundesrepublik Deuschland (Art. 20a GG).

Des weiteren klingt hier ein fürchterlicher, schon gar nicht mehr unterschwelliger Rassismus mit an. Es ist ja wohl mehr als klischeehaft, dass ein deutscher Tourist mit 15 Effes zuviel in der Birne und ansonsten gemäß Einleitung und Brauchtum mangelhaft ernährt und wahrscheinlich aus einem einzigen fetten Sonnenbrand bestehend mal mir nix dir nix einen einheimischen ohne Gegenwehr mal eben glatt durchhaut. Lebensborn ick hör dir trapsen.

Und zum Schluß - und das ist wirklich das allerletzte! - offenbart das Gedicht einen erschreckend sorglosen Umgang mit gerechter Sprache. Es müsste heißen "der Deutschen oder dem Deutschen", alternativ "der DeutschIn". Das selbe gälte für die TürkIn, wenn es nicht ohnehin "Deutscher mit Migrationshintergrund" heißen müsste. Wobei ich mir gerade die Frage stelle, wer von den beiden Streithähnen im Gedicht nun eigentlich der Deutsche mit Migrationshintergrund ist... :pfeif:
 
Und zum Schluß - und das ist wirklich das allerletzte! - offenbart das Gedicht einen erschreckend sorglosen Umgang mit gerechter Sprache. Es müsste heißen "der Deutschen oder dem Deutschen", alternativ "der DeutschIn". Das selbe gälte für die TürkIn, wenn es nicht ohnehin "Deutscher mit Migrationshintergrund" heißen müsste. Wobei ich mir gerade die Frage stelle, wer von den beiden Streithähnen im Gedicht nun eigentlich der Deutsche mit Migrationshintergrund ist... :pfeif:

Selbsterklärend:
Als Kaiser Rotbart lobesam
zum heil'gen Land gezogen kam,
da mußt er mit dem frommen Heer
durch ein Gebirge wüst und leer.
Daselbst erhub sich große Not,
viel Steine gab's und wenig Brot,
und mancher deutsche Reitersmann
hat dort den Trunk sich abgetan;
den Pferden war's so schwer im Magen,
fast mußte der Reiter die Mähre tragen.

die Not war groß, vor kurzem haben wir noch über den von Neddys unmittelbarem Nachbarn E. Jünger angeführten "teutonischem Tiefdrunk" filosofiert, wenn dann das kommt:
mancher deutsche Reitersmann
hat dort den Trunk sich abgetan
der teutsche Mann und Kämpfer in Feindesland hört das Saufen auf....

Ohne Worte.
 
Das Gedicht mußte noch in den sechziger Jahren in der Schule auswendig gelernt werden...u.a. von unserem Nachbarsjungen.....und ich als fünfjähriger Steppke lernte es mit auswendig und malträtierte die Mitwelt bei jeder Familienfeier damit .:D
 
die Not war groß, vor kurzem haben wir noch über den von Neddys unmittelbarem Nachbarn E. Jünger angeführten "teutonischem Tiefdrunk" filosofiert, wenn dann das kommt:
Nanana, soo toht isch dr Neddy au no itta. Der Jünger ist ja auch schon so viel älter geworden, dass aus dem Jünger schon ein Apostel geworden ist. Naja, mit dem Mitterand speist er schon wieder in himmlischen Gefilden und der dritte im Bunde wird früher oder später auch wieder dazustoßen.
Aber wegen seiner eklatanten Verstöße gegen die politische Korrektness muss der Ernst ja genauso wie der Uhland, der Kerner (nicht John B.!), der Schiller, der Goethe aus dem Kanon zeitgemäß gerechter Literatur verbannt werden, so dass neben dem über alles erhabenen Lessing eigentlich nur noch gerechte Literatur wie "Trockengebiete" und "Axolotl Straßentötung" für unsere gymnasialen Oberstufen politisch korrekt tragbar bleiben...
 
Noch vor einem halben Jahrhundert war es bei Schulmeistern sehr beliebt, ihre Zöglinge, neben Bibel und Katechismus, solche ellenlangen Gedichte auswendig lernen zu lassen.
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So war das damals, "Zu Dionys dem Tyrannen schlich, Damon den Dolch im Gewande..." und "Wer reitet so spät durch Nacht und Wind..."
OK zum Thema

Wenn der Gedichtauszug noch ausgestellt war, ging es vermutlich nicht um political correctness in Bezug auf das Gedicht, sondern eher darum (Stichwort Kindergarten), dass man das Gedicht erst einmal lesen können muss, während ein Dioramabild buchstäblich augenfällig ist. Aber letzlich kann man da nur spekulieren
Nix mit Gedichtauszug, das Diorama trug den Titel "Schwäbische Kunde" was für mich, siehe oben, natürlich dann klar war.
Wobei ich da überhaupt zum erstenmal (dem Reinen ist alles rein:still:) auf die Idee gekommen bin, dass "einen halben Türken herunter sinken" irgenwie bedenklich sein könnte.

Die Maßnahme "Entfernung der Personengruppe" andererseits aber wieder als lächerlich empfand.
 
Sicher wieder eine "Ich kippe das Kind gleich mit dem Bade aus!" - Aktion. Als nächstes sind dann die Märchen dran: Omas in den Ofen schieben - geht gar nicht! Den Faust hat es im Schullesestoff auch schon mächtig erwischt - Pakt mit dem Teufel - macht man doch auch nicht! Überlebender solcher Aktionen: Das Sandmännchen - in der Wendezeit forderten Kirchenverteter im Osten seine Absetzung: Die Kinder sollten doch nicht jeden Abend eine solch fiktive Gestalt anschauen.

Eine Diskussion, die weite Kreise ziehen kann: Geschichtslehrer(innen) stritten neulich, ob man den Film "Die Brücke"
Schülern der Klassen 11 und 12 empfehlen könne oder er zu brutal sei.
Ein paar Monate später können genau diese Schüler den Krieg (kein Bezug zum NS! und Sinn des Krieges an dieser Stelle!!!) evtl. selbst in Afghanistan erleben.
Manchmal habe ich den Eindruck wir sitzen im Diorama und schauen auf die Welt draußen!

PS.: Der Einwand der Alterseinschränkung für die gespaltenen Figurenhälften aus Zinn ist ethisch und verstehenstechnisch absolut i.O.!
 
Zuletzt bearbeitet:
"Zur Rechten sieht man wie zur Linken..."

Ein historisches Ereignis liegt dem Gedicht wohl nicht zu Grunde.

Eventuell DOCH. Und zwar der von Uhland begrüßte Niedergang Napoleons auf Grund von dessen Russland-Feldzügen, den Uhland als glühender Demokrat sehr begrüßte.

Das Gedicht erschien in der ersten Gedichtesammlung Uhlands bei Cotta 1815, dem Jahr der Völkerschlacht bei Leipzig. Es dürfte aber etwas vor 1815 entstanden sein.

Und dann lässt sich die geschilderte Eroberung des Heiligen Landes und der gewaltige Sieg EINES einzelnen Deutschen über 50 Türken mit leichter Perspektiven-Verschiebung als Reaktion auf die napoleonische Tyrannis und als Aufmunterung an die Deutschen verstehen, sich endlich davon zu befreien.

(Mindestens ein Freund Uhlands war auf dem sinnlosen ersten Russlandzug Kaiser Napoleons ums Leben gekommen, eine Kampagne, für die der Kaiser unentwegt neue Soldaten rekrutierte und gegenüber Metternich bemerkte, einen Staatsmann wie ihn, Napoleon, bekümmere nicht der Tod von 1000 Soldaten...)

Somit ist der Subtext der Schwäbischen Kunde ein patriotischer, nicht bloß schwäbischer: "Sowas haben Deutsche schon mal gekonnt ("Sie [diese Streiche] sind bekannt im GANZEN Reiche./ Man NENNT sie halt nur Schwabenstreiche"). Das können wir auch wieder. Werft diese Unverschämten endlich raus, bei Bedarf auch brutal!"

Und das geschah denn auch 1870-1871, ein Krieg, durch den Napoleons Niederwerfung des Reichs deutscher Nation 1805 nach dem damaligen Verständnis rückgängig gemacht wurde (mit etwa 40-jähriger Wirkung).

Es ist in diesem Zusammenhang nicht von ungefähr, dass Bismarck mit diesem Gedicht aufgewachsen war (in dem einzigen von ihm erhaltenen Tondokument rezitiert der u.a. den Anfang der Schwäbischen Kunde http://www.spiegel.de/einestages/sensationelle-tonaufnahmen-a-954424.html ).

Bismarck war zufällig 1815, dem Erst-Erscheinungsjahr des Gedichts, geboren. Aber leider war er zum Unterschied von Uhland kein Demokrat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Verbesserungen:

Ende des Römischen Reichs deutscher Nation nicht 1805 sondern 1806.

Die Völkerschlacht bei Leipzig war natürlich schon 1813. Dennoch steht dies wohl kurz vor 1815 verfasste Gedicht im historischen Kontext der Befreiungskriege gegen Napoleon.

Link zur Tonaufnahme Bismarcks von 1889 Sensationelle Tonaufnahmen - SPIEGEL ONLINE
 
Zuletzt bearbeitet:
Versuch einer Interpretation

Für eine "deutsche" "Heldenballade" fallen mir bei der "Schäbischen Kunde" bei einem ersten "Lesen" zwei Merkwürdigkeiten auf.

Schon der Titel "Schwäbische Kunde" klingt nicht gerade nach einer aufregenden Geschichte, und das Versmaß hat eine (wohl beabsichtigte) Schwerfälligkeit, die nicht so recht zu einer "Heldenballade" passen will.

Als Kaiser Rotbart lobesam
zum heil'gen Land gezogen kam,
da mußt' er mit dem frommen Heer
durch ein Gebirge wüst und leer.

Zum Vergleich eine andere Ballade, die eindeutig als "Heldenballade" einzustufen ist und wo der Held ebenfalls ins Heilige Land aufbricht, also auf Kreuzfahrt ist.

Graf Douglas, presse den Helm ins Haar,
Gürt' um Dein lichtblau' Schwert,
Schnall' an Dein schärfstes Sporenpaar
Und sattle dein schnellstes Pferd!

So temporeich und dynamisch lässt z. B. Moritz Graf Strachwitz seine Ballade "Das Herz von Douglas" (publiziert 1844, der Zeitpunkt der Entstehung ist unbekannt) beginnen.

Bei einem Vergleich mit der schwäbischen Kunde gibt es übrigens noch einige weitere interessante Details, so z. B. das Rolle von Tieren. Bei Strachwitz reitet der "Held" (Graf Douglas) im Eiltempo zu seinem sterbenden König (Robert the Bruce), und diese Eile wird auch dadurch deutlich, wenn es heißt: "... und als sie kamen vor Königs Palast / Da blutete Sporn und Tier". (Was für einen Gewaltritt keineswegs unglaubwürdig ist, bei einem Blick auf geschichtlich belegte Ritte, wo ein beachtliches Tempo vorgelegt wurde.)

Das Tier ist im "Herz von Douglas" ein reiner Gebrauchsgegenstand, der zum Zweck von "Pflichterfüllung" und "Heldentum" ohne Rücksicht und Verluste genutzt wird und Schaden nehmen darf.

Ganz anders dagegen in der "Schwäbischen Kunde", auch wenn hier das Pferd eines "Türken" getötet wird, was einige Leser/innen heute schlimmer empfinden, als den Tod des Türken. (Meine Erfahrung, als ich einmal das Gedicht in einer Leserunde vorgetragen habe.)

Uhlands "Held" kommt nur deswegen in eine Lage, in der er seinen "heldenhaften" Schwabenstreich führen kann, weil er sich um sein Pferd kümmert. (Anders als der Graf Douglas ist er also keineswegs darauf erpicht, Heldentaten zu erleben, weshalb er aus der Sicht des 21. Jahrhunderts vermutlich der sympatischere "Held" sein dürfte.)

Fakt ist, dass Kaiser Friedrich I. Barbarossa auf dem Dritten Kreuzzug gestorben ist und die Truppen, die er anführte, sich aus den Gebieten des HRRs, über das er damals herrschte, zusammengesetzt haben. Aus der Sicht des 19. Jahrhunderts waren das "Deutsche", allerdings beschränkte sich die tatsächliche Herrschaft des Friedrich Barbarossa keineswegs nur auf Länder, die Teil des heutigen Deutschlands oder Teil des "Deutschen Reichs" der preußischen Kaiser in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren. (Uhlands Gedicht entstand zu einer Zeit, als das HRR nicht mehr offiziell existiert und das preußische deutsche Reich noch gar nicht gegründet war.)

Wie verhält es sich mit der Bezeichnung "deutsch" in der "Schwäbischen Kunde". Nun, die Ballade trägt den Titel "Schwäbische Kunde" und nicht etwa "Deutsche Kunde", obwohl dies (nach rein sprachlichen Kriterien wie z. B. kurzer prägnanter Titel, Lautmalerei etc. möglich gewesen wäre.

Im Text selbst findet sich der Begriff deutsch an folgenden Stellen:
- Und mancher deutsche Reitersmann / Hat dort den Trunk sich abgetan."
- Da wallt dem Deutschen auch sein Blut. ...
Zweimal findet sich die Bezeichnung "Deutsch" bzw. "Deutscher".
An einer einzigen Stelle wird Uhlands "Held" also als Deutscher bezeichnet.

Ansonsten heißt es:
- Nun war ein Herr aus Schwabenland, / ...
- Der wackre Schwabe forcht' sich nit, / ...
- der ließ den Schwaben vor sich kommen; ...

Von der Metrik her wäre eine Formulierung wie "ein Herr aus deutschen Land", "der wackre Deutsche focht sich nicht ..." oder "der ließ den Deutschen vor sich kommen" problemlos möglich gewesen, daraus schließe ich, dass Uhland die Herkunft seines Helden aus dem schwäbischen Herzogtum wichtig war. Sein Held ist zwar auch "Deutscher", aber in erster Linie ist er doch ein "Schwabe".

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Einschub: Das "Schwäbische" in dieser Ballade.
Wie auch der Dichter selbst: Uhland war Untertan des damaligen Königreichs Württemberg, das bis 1918 bestand und zu dem Teile des mittelalterlichen schwäbischen Herzogtums gehörten.)

Es wird zwar in der Ballade nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, aber die Hohenstaufen, die Familie von Friedrich Barbarossa, waren Herzöge von Schwaben, und das dürfte für Uhlands Zeitgenossen noch klar gewesen sein. Barbarossa ist somit nicht nur der Kaiser, sondern er ist auch Landesherr von Uhlands Helden.)
Einschub Ende
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Wie ist nun die "Heldentat", dabei handelt es sich um die Tötung eines Angreifers (bei Uhland "ein Türke" ) und seines Pferdes, beschrieben?

Die Tötung des Gegners samt Pferd ist aus heutiger Sicht offiziell etwas, was nicht gut geheißen wird.

Nach der Beschreibung in der Ballade wirkt sie allerdings weniger wie eine Kampfhandlung, sondern dürfte, juristisch betrachtet, unter das Delikt einer "Notwehrüberschreitung" fallen (oder sogar als "Notwehr" gesehen werden). Denn der "Schwabenstreich" wird eindeutig von einem der "Türken" provoziert, sie sind als die Aggressoren dargestellt, nicht aber der Schwabe, der darauf nur reagiert.

Da sprengten plötzlich in die Quer
fünfzig türkische Reiter daher!
Die huben an, auf ihn zu schießen
nach ihm zu werfen mit den Spießen.


Der wackre Schwabe forcht' sich nit,
ging seines Weges Schritt vor Schritt,
ließ sich den Schild mit Pfeilen spicken
und tät nur spöttlich um sich blicken,

...

(Wobei vielleicht zu bedenken ist, dass allerdings dessen "stoisches" Verhalten auf die "Türken" ebenfalls provokant gewirkt haben könnte.)

Würde man diese Szene als realistischen Angriff sehen, müsste man wohl davon ausgehen, dass diese türkischen Reiter richtige Stümper sind. 50 zu einem, und obwohl der Angegriffene nicht wirklich Widerstand leistet, gelingt ihnen kein einziger Treffer.

"... ließ sich den Schild mit Pfeilen spicken ..." macht deutlich, dass der Schwabe es nicht einmal für notwendig hält, sich zur Wehr zu setzen oder durch Einsatz seines Schildes sich erfolgreich zu schützen versucht.

Allerdings, allzu bedrohlich wirkt die Situation gerade deswegen nicht, obwohl sie ausgesprochen gefährlich ist. Nimmt man das Ganze todernst, so entsteht der Eindruck, dass die Angreifer (die 50 "Türken") mit ihm lediglich ein wenig Katz und Maus "spielen" wollen und zunächst einmal gar keine so bösen Absichten gehabt haben, denn schließlich kommt es zunächst nicht einmal zu einer versehentlichen Verletzung von ihm.

Dann aber spitzt sich die Situation zu, als einer der Angreifer dem "Schwaben" zu weit geht.

...
bis einer, dem die Zeit zu lang,
auf ihn den krummen Säbel schwang.
Da wallt dem Deutschen auch sein Blut.

Erst hier wird es bedrohlich, die Folge ist die brutale Tötung von diesem und seinem Pferd, und die anderen Angreifer fliehen, ist die Geschichte eigentlich gleich darauf beendet.

Diese Szene ist nun wirklich brutal.

Er trifft des Türken Pferd so gut,
er haut ihm ab mit einem Streich
die beiden Vorderfüß zugleich.

Als er das Tier zu Fall gebracht,
da faßt er erst sein Schwert mit Macht,
er schwingt es auf des Reiters Kopf,
haut durch bis auf den Sattelknopf,

haut auch den Sattel noch zu Stücken
und tief noch in des Pferdes Rücken.
Zur Rechten sah man wie zur Linken
einen halben Türken heruntersinken.

Betrachten wir den Vorgang allerdings mit Blick auf die Glaubwürdigkeit (und visuell), ist das Ganze eindeutig unrealistisch, zudem kaum vorstellbar ist, dass sich da der Gegner nicht einmal zur Wehr setzen konnte, weil alles zu schnell ging.

Einem Pferd die Vorderbeine abzuschlagen, das ist zwar möglich, aber sicher nicht mit einem einzigen Schlag, zudem das Pferd wohl kaum ruhig dargestanden sein wird. Und wenn auch so begründet werden soll, wie es möglich ist, dass der "Schwabe" den "Türken" samt Pferd daraufhin in zwei Teile spalten kann (er selbst ist nicht auf einem Pferd), wie lang muss sein Schwert wohl gewesen sein, da er kaum direkt neben bzw. über dem Gegner gestanden haben kann, da dieser offensichtlich nichts einmal irgendeinen Abwehrreflex zeigt.

Die Beschreibung läuft eher nach dem Motto: "und Siegfried zog sein Schwert und hundert fielen um ..."

Die Szene ist zwar brutal, aber nicht wirklich glaubwürdig. Uhland hätte das sicher auch realistischer gestalten können oder einen tollen Kampf beschreiben können, wo sein Held sich gegen Feinde behaupten, die tatsächlich gefährlich sind. Aber vielleicht sollte diese Übertreibung, die auch für die damalige Zeit eine gewisse Komik gehabt haben dürfte (auch wenn sie aus heutiger Sicht problematisch wirkt) das Ganze ein wenig abmildern.

Jedenfalls erinnert mich das Ganze eher an die Action aus einem Trickfilm oder einem Superhelden-Comic.)
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Bis zur Flucht der "türkischen" Reiter handelt es sich übrigens nur um einen Zwischenfall zwischen dem "Schwaben" und einigen "Türken". Damit dieser Zwischenfall als Heldentat wahrgenommen wird, braucht es in dieser Ballade jedenfalls noch eine offizielle Anerkennung durch eine "höhere Instanz", die nun dem Kaiser zufällt.

Man beachtete nochmals in diesem Zusammenhang den Titel: "Schwäbische Kunde", und eben nicht "Der Schwabenstreich", "Der Held aus dem Schwabenland" oder "Eine schwäbische Heldentat".

Die "offizielle" Anerkennung der "Heldentat" setzt voraus, dass der Kaiser informiert wird. Zu den Tugenden eines Helden gehört gewöhnlich, dass er zu bescheiden ist, um sich selbst zu loben. Um ihn nicht als seinen eigenen Berichterstatter auftreten zu lassen, wird nun noch jemand notwendig, der das für den Helden übernimmt.

Drauf kam des Wegs 'ne Christenschar,
die auch zurückgeblieben war;
die sahen nun mit gutem Bedacht,
welch Arbeit unser Held gemacht.

Von denen hat's der Kaiser vernommen, ...

Interessant ist, dass es sich dabei um eine namenlose Christenschar und keine deutsche Schar handelt, obwohl bisher nur "deutsche Reitersmänner" und "türkische Reiter" vorgekommen sind.
(Auffallend ist übrigens, dass der Ausdruck "Ritter" nur einmal in der Ballade vorkommt, am Schluss, wenn der Kaiser sagt: "Sag an, mein Ritter wert! ...") Es bleibt somit offen, ob sich hier um eine "deutsche" Christenschar (also Leute aus dem HRR) handelt oder ob jetzt plötzlich die Geschichte noch etwas "Internationales" bekommt. (Am Dritten Kreuzzug waren außer dem Kaiser auch noch Herrscher über andere Länder beteiligt.)

Im Gegensatz zum Helden wird kein konkreter Grund angegeben, warum diese Christenschar zurückgeblieben war, und somit erst auftaucht, nachdem alles schon vorbei ist (womit sich auch nicht die Frage stellt, warum sie dem schwäbischen Helden nicht zu Hilfe gekommen haben.)

Im Schlussteil tritt dann der Held nicht Deutscher, sondern als selbstbewusster Herr aus Schwabenland auf.

"Die Streiche sind bei uns im Schwang!
Sie sind bekannt im ganzen Reiche;
man nennt sie halt nur Schwabenstreiche!"

Auch hier wäre es durchaus möglich gewesen, die Schwabenstreiche als deutsche Streiche zu bezeichnen.
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Eine Sicht hat immer etwas Subjektives, und wenn jemand diese Ballade todernst nimmt oder sogar fremdenfeindliche Elemente darin sieht, ist das natürlich sein/ihr gutes Recht.

Nachdem ich nun eine eigene textbezogene Interpretation dieser "Heldenballade" hier versucht habe, habe ich jedenfalls den Eindruck, dass die Geschichte, die da erzählt wird, in erster Linie doch eine (augenzwinkernde) Parodie auf Heldentum sein dürfte.

Dafür spricht, dass die "Heldentat" zwar unter Rahmenbedingungen stattfindet, die zumindest zur Entstehungszeit im 19. Jahrhundert noch als Schauplatz für eine Heldengeschichte üblich waren (auf einem Kreuzzug), aber diese keineswegs besonders heldisch beschrieben sind.

Der Zug durch das Gebirge, wo die Kreuzfahrer Hunger und Durst leiden, hat etwas Realistisch-Alltägliches an sich - es fehlt das Martialisch-Abenteuerliche, das bis in die 1970er-Jahre mit so einem Kreuzzug in Verbindung gebracht wurde (und auf dem z. B. auch in einer Ballade wie "Das Herz von Douglas" der Schwerpunkt liegt.)

Vom Ansatz her dürfte der Zug durch das Gebirge sogar den Vorstellungen unserer eigenen Zeit, des 21. Jahrhunderts entsprechen.

Die Beschreibung der "Heldentat", also der Zusammenstoß mit den türkischen Reitern enthält Übertreibungen und so viele Unglaubwürdigkeiten, dass sie eindeutig "unrealistisch" ist und sicher so nicht stattgefunden haben kann. Das Ganze erinnert eher an den Stammtisch, wo jemand Heldentaten von sich gibt, die er wohl erfunden haben muss und das Publikum das zwar weiß, aber eben seinen Spaß an der Erzählung hat.

Neben Hinweisen auf die Fiktion durch Erzählen (Titel, Bericht an den Kaiser) ist die Ballade in einer Metrik gehalten, die eindeutig nicht zu einer Heldenstory passt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessant finde ich auch die Parallele zu zwei weiteren "Heldenballaden" von Uhland, bei denen das "Heldische" eine gewisse Relativierung erfährt.

So endet die erste der beiden Gespensterballaden über den Grafen Richard von der Normandie (vollständiger Text, siehe Gutenberg) damit, dass dieser sicher in einer Kirche ein Gespenst ausschaltet:

Sein Schwert er faßt' und wollte gehn.
Da sah er das Gespenst aufstehn,
sich drohend ihm entgegenrecken,
die Arme in die Weite strecken,
als wollt' es mit Gewalt ihn fassen
und nicht mehr aus der Kirche lassen.

Richard besann sich kurze Weile,
er schlug das Haupt ihm in zwei Teile,
Ich weiß nicht, ob es wehgeschrien,
doch mußts den Grafen lassen ziehn.

Die Parallele zur "Schwäbischen Kunde" ist sofort erkennbar, und auch hier wirkt das Ganze eher komisch als bedrohlich. (Dass der Vorgang für das 21. Jahrhundert weniger bedenklich rüberkommen dürfte, ist wohl darauf zurückzuführen, dass es sich hier um ein Gespenst handelt.)

Am Schluss gibt es dann nicht etwa eine klassische "Heldenapotheose", sondern eine kurze letzte Szene, die stattdessen nochmals zeigt, wie mutig dieser Graf Richard ist, aber eine gewisse banal-alltägliche "Normalität" vermittelt.

Richard stellt fest, dass er seine Handschuhe in der Kirche hat liegen lassen.

Er [Graf Richard] fand sein Pferd am rechten Orte.
Schon ist er aus des Kirchhofs Pforte,
als er der Handschuh erst gedenkt.
Er läßt sie nicht, zurück er lenkt,
hat sie vom Stuhle weggenommen -
wohl mancher wär nicht wieder kommen.

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Mit einer durchaus vergleichbaren Schlusspointe lässt Uhland auch die zweite Ballade aus seinem Heldenballadenzyklus "Graf Eberhard der Rauschebart", also um Eberhard II. Graf von Württemberg (nach 1315-1392), enden, ein Balladenzyklus, der um einiges heroischer gestaltet ist, als die beiden Balladen um den Grafen Richard oder die "Schwäbische Kunde", wie die Einladung zu diesem Zyklus zeigt.

Brich denn aus deinem Sarge, steig aus dem düstern Chor
Mit deinem Heldensohne, du Rauschebart, hervor!
Du schlugst dich unverwüstlich noch greise Jahr entlang,
Brich auch durch unsre Zeiten mit hellem Schwertesklang!
(vollständiger Text, siehe unter Zeno)

"Der Überfall im Wildbad" erzählt wie dieser Graf Eberhard bei einem Besuch in einem Heilbad, als ihm dort adelige Feinde auflauern, durch das Eingreifen eines einfachen Hirten vor der Gefangennahme gerettet.
Der Graf wird in der Ballade als Herrschertypus gezeigt, der (zumindest mit Blick auf die "Wertvorstellungen" aus der Entstehungszeit der Ballade) eine solche Treue auch verdient hat. Er lässt es sich z. B. zum Schluss nicht nehmen, seinen Retter, den einfachen Mann aus dem Volk, zu belohnen (und gleichzeitig die (adeligen) Gegner zu beschämen.)

Als drauf der Graf gerettet zu Stuttgart sitzt im Saal,
Heißt er 'ne Münze prägen als ein Gedächtnismal,
Er gibt dem treuen Hirten manch blankes Stück davon,
Auch manchem Herrn vom Schlegel verehrt er eins zum Hohn.


Dennoch hat auch diese Ballade einen Schluss, in dem eine gewisse banal-alltägliche "Normalität" zu finden ist. Graf Eberhard trifft Vorsorge, dass sein nächster Besuch im Wildbad nicht nochmals ein solches Ende nimmt.

Dann schickt er tücht'ge Maurer ins Wildbad alsofort,
Die sollen Mauern führen rings um den offnen Ort,
Damit in künft'gen Sommern sich jeder greise Mann,
Von Feinden ungefährdet, im Bade jüngen kann.

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In seinen besten Balladen (mein persönlicher Eindruck vielleicht nur) wird das Heroische bei Uhland durch solche Details entschieden abgeschwächt, was durchaus sympathisch ist.
 
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