Nationalstaat und Demokratie

"Weil die anderen Staaten schon viel früher als Deutschland Nationalstaaten waren :grübel:"

Nationalstaat=Demokratie?
Ist mir neu.
Nein, Nationalstaat ist nicht gleich Demokratie. Aber: Nationalstaat ist Voraussetzung für Demokratie. 1. Weil es für eine Demokratie zunächst eines demos bedarf, den der Nationalstaat definiert. Und weil 2. Selbstbestimmung und damit auch die (nationalstaatliche) Unabhängigkeit Voraussetzung für Demokratie sind.
 
Für einen "demos" bedarf es keineswegs eines Nationalstaats. Im alten Griechenland, wo der Begriff entstand, gab es nie einen Nationalstaat. Demokratie kann auch auf der Ebene des Stadtstaats oder jeder anderen Ebene funktionieren. Auf deutschem Gebiet wäre an die demokratischen Tradition der Städte, insbesondere der Freien Reichsstädte zu erinnern, wo Stadträte und Bürgermeister nach demokratischen Verfahren gewählt wurden.
 
Für einen "demos" bedarf es keineswegs eines Nationalstaats. Im alten Griechenland, wo der Begriff entstand, gab es nie einen Nationalstaat. Demokratie kann auch auf der Ebene des Stadtstaats oder jeder anderen Ebene funktionieren. Auf deutschem Gebiet wäre an die demokratischen Tradition der Städte, insbesondere der Freien Reichsstädte zu erinnern, wo Stadträte und Bürgermeister nach demokratischen Verfahren gewählt wurden.
Gut, ich stimme Dir erstmal zu und schränke meine Aussage wie folgt ein: Für Demokratie bedarf es erstens eines klar definierten und selbstbestimmten Rahmens und zweitens eines klar definierten demos (Definition des "Gleichen unter Gleichen"). Das muss nicht zwingend im Zusammenhang mit einem Nationalstaat sein. Für die Neuzeit hat sich aber in der Regel der Nationalstaat durchgesetzt. In Deutschland schon deswegen, weil demos (Volk) in einem ethnischen Sinne verstanden wurde (ius sanguinis) und die Definition von "Gleichen" unter Gleichen eben alle Deutschen umfasste.
Dass Demokratie allerdings auf jeder Ebene funktionieren kann, das will ich so nicht unterschreiben. Eine Voraussetzung für funktionierende Demokratie ist meiner Meinung nach, dass es sich beim demos um Gleiche unter Gleichen handelt. Das ist bei den von Dir aufgeführten Stadtstaaten sicher der Fall. Sobald aber etwa unterschiedliche ethnische Gruppen einen gemeinsamen demos bilden sollen wirds schwierig. Dann kann man eben nicht mehr so ohne weiteres von Gleichen unter Gleichen sprechen und mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker wirds auch schwierig. Es sei denn, man bezieht sich zunächst ausschließlich auf die juristische Ebene (gleiche Rechte und Pflichten, völlig unabhängig von anderen Kriterien) und entkoppelt den homo politicus von seiner Herkunft, blendet kulturelle Eigenheiten aus und reduziert ihn technokratisch beispielsweise auf seine ökonomische Funktion. Dann ist demos natürlich völlig beliebig zu definieren. Das kann aber nicht im Sinne der Demokratie sein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich halte kulturelle und/oder ethnische Homogenität unter der Bevölkerung nicht für eine Voraussetzung für das Funktionieren von Demokratie, das Gegenteil beweisen z.B. die USA.
Wale
 
"Weil die anderen Staaten schon viel früher als Deutschland Nationalstaaten waren :grübel:"

Nationalstaat=Demokratie?
Ist mir neu.

Nein natürlich nicht. Da hast du meinen Einwand nicht richtig gedeutet.

Deutschland war einer der letzten Staaten in Europa zum Nationalstaat wurden. England und Frankreich hatten diesen Prozess schon viel früher durchzogen.


Ein Buch zum Thema Nation und Staat das ich empfehlen kann:

Hagen Schulze, Staat und Nation in der europäischen Geschichte.

Und noch einmal, kannst du bitte unten Zitieren verwenden, als die Zitate immer in "" zu setzen. Wenn du nicht weiss wie es geht PN an mich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich halte kulturelle und/oder ethnische Homogenität unter der Bevölkerung nicht für eine Voraussetzung für das Funktionieren von Demokratie, das Gegenteil beweisen z.B. die USA.
Wale
Das stimmt so nicht ganz. Ich halte es erstens für fragwürdig, ob Demokratie in allen Teilen der us-amerikanischen Gesellschaft samt ihrer ethnischen Gruppen wirklich so reibungslos funktioniert.
Davon abgesehen ist die "Homogenität" auch eine Frage des Selbstverständnisses. US-Amerikaner (zumindest viele) sehen sich eben unabhängig ihrer Herkunft und ursprünglichen Kultur als Teil des Ganzen. Das lässt sich aber nicht pauschal übertragen. Ich würde sagen, dass das, um wenigstens ein wenig beim ursprünglichen Thema zu bleiben, ein amerikanischer Sonderweg ist. Ich glaube, anderswo wäre dies nicht so einfach möglich.
Übrigens habe ich ja nicht einmal bestritten, dass es demokratische Strukturen auch unabhängig von Herkunft und Kultur geben kann. Allerdings wird dabei der Mensch dann verkürzend auf seine Rechtsstellung innerhalb des jeweiligen Gemeinwesens reduziert und von anderen Dimensionen entkoppelt. Dies wird einem Kulturträger nicht gerecht und kann nicht im Sinne von Demokratie sein. Meiner Auffassung nach ist Demokratie bedeutend mehr, als bloss die Tatsache, dass Entscheidungsprozesse unter vorher definierten freiheitlichen Rahmenbedingungen reibungslos ablaufen. Und um dabei nochmal auf die USA zurückzukommen: genau diese Problematik zeigt sich dort. Auch wenn dort Entscheidungen unter demokratischen Rahmenbedingungen ablaufen, ist der Preis der, dass Menschen zu ökonomischen Subjekten degradiert werden. Und Demokratie hat meiner Auffassung nach eben auch etwas mit (kultureller) Selbstbestimmung und (nationaler) Identität zu tun.
 
Kann ein Teil der Beiträge abgekoppelt werden und ein eigenes Thema (z.B: "Wieviel Nationalstaat braucht Demokratie" oder dergleichen) bilden?

Wenn für dich Demokratie eine kulturelle Basis braucht, dann könnten andere sagen, es muss auch sozioökonomische Gleichheit (oder deren Ansatz) existieren und von da braucht es nur noch einen kleinen Schritt um Sozialismus als ware Demokratie zu verlangen. Demokratie ist ein politischer Ausdruck. Also sollten die Vorraussetzungen vornehmlich politischer Natur sein.

hagen schrieb:
Meiner Auffassung nach ist Demokratie bedeutend mehr, als bloss die Tatsache, dass Entscheidungsprozesse unter vorher definierten freiheitlichen Rahmenbedingungen reibungslos ablaufen.
Nämlich?
 
Kann ein Teil der Beiträge abgekoppelt werden und ein eigenes Thema (z.B: "Wieviel Nationalstaat braucht Demokratie" oder dergleichen) bilden?

Wenn für dich Demokratie eine kulturelle Basis braucht, dann könnten andere sagen, es muss auch sozioökonomische Gleichheit (oder deren Ansatz) existieren und von da braucht es nur noch einen kleinen Schritt um Sozialismus als ware Demokratie zu verlangen. Demokratie ist ein politischer Ausdruck. Also sollten die Vorraussetzungen vornehmlich politischer Natur sein.


Nämlich?
Nämlich? Zum Beispiel die Gewährleistung von elementaren Grundrechten. Dazu zähle ich auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Und ich zähle dazu auch das Recht auf kulturelle Identität. Und schließlich ist für mich Demokratie eben kein ausschließlich funktionalistisches Gebilde, sondern hat eben auch eine metaphysische Komponente.
Natürlich ist Demokratie ein politischer Ausdruck. Politik läßt sich aber nicht so einfach von anderen Lebensbereichen entkoppeln. Das Wesen des Politischen ist universell und beschränkt sich nicht auf das blosse Funktionieren von Mechanismen. Ich halte es mit Carl Schmitts Begriff des Politischen.
Was die sozioökonomische Gleichheit als Voraussetzung für Demokratie angeht: wenngleich ich persönlich das nicht so sehe, ist diese Auffassung sehr wohl legitim. Das Antidemokratische am Sozialismus ist ja nicht die angestrebte sozioökonomische Gleichheit, sondern die Missachtung demokratischer Grundsätze wie etwa Meinungsfreit etc. Die Forderung nach sozioökonomischer Gleichheit und Demokratie sind schon kompatibel.
 
Nämlich? Zum Beispiel die Gewährleistung von elementaren Grundrechten. Dazu zähle ich auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Und ich zähle dazu auch das Recht auf kulturelle Identität.
Ich persönlich sehe zwar immer noch kein Problem mit Demokratie in multinationalen Staaten, denn wenn alle unabhängig von ihrer Herkunft Politik bestimmen können, dann besteht auch die Möglichkeit die Interessen der eigenen Ethnie/Religion/Sprachgemeinschft/... zu vertreten. Es wird nur eben schwerer Konsens zu finden, weil noch mehr Interessen. Dass ein Mensch in seiner politischen Arbeit von seiner Kultur teilweise entkoppelt wird oder zumindest diese nicht zwingend beachtet wid, wenn es für bestimmte Fragestellungen irrelevant sehe ich nicht als schlimm an. Somit besteht auch nämlich auch nciht unbedingt die Gefahr, dass die Politik diese Bereiche gezielt beeinflusst oder andere Abhängigkeiten entstehen.
Was die sozioökonomische Gleichheit als Voraussetzung für Demokratie angeht: wenngleich ich persönlich das nicht so sehe, ist diese Auffassung sehr wohl legitim.(...) Die Forderung nach sozioökonomischer Gleichheit und Demokratie sind schon kompatibel.
Die soziale Stellung (und daraus abgeleitete finanzielle Situation) sehe ich schon als einflussreicher auf Politik an, eben weil Politik vornehmlich auf diese Gebiete wirkt und damit hierraus entstehende Ansprüche automatisch politishcen Charakter tragen.
 
Ich sehe kein Problem im multi-ethnischen Staat, in Bezug auf die Demokratie. Im Gegenteil, auch wenn GB der Geburtsort des Parlamentarismus war, so war doch die Schweiz der Geburtsort der Demokratie im modernen Europa.Nur das bewahrte den Frieden zwischen Deutschen, Italienern, Franzosen und Rätero-romanen. Und auch Belgien funktioniert sehr gut, trotz zweier ethnischer Gruppen, dank seiner parlamentarischen Monarchie. Also demokratie ist die Vorraussetzung für das funktionieren eine multi ethnischen Staates. Sehen wir uns mal einen der beiden prominentesten Vielvölkerstaaten und sein Scheitern an:
Jugoslawien:
Letztendlich war das Todesurteil Jugoslawiens unterschieben als die Königsdiktatur ausgerufen wurde. Dadurch endete, z.B die Autonomie und Sellbstbestimmung Kroatiens. Nachdem Tito ähnlich autoritär regierte konnte der Friede zwischen den Nationalitäten nei wieder hergestellt werden. Eine Prise Demokratie und Föderalismus (was für mich zusammengehört) hätten den Staat wohl gerettet.
 
Dass Demokratie allerdings auf jeder Ebene funktionieren kann, das will ich so nicht unterschreiben. Eine Voraussetzung für funktionierende Demokratie ist meiner Meinung nach, dass es sich beim demos um Gleiche unter Gleichen handelt. Das ist bei den von Dir aufgeführten Stadtstaaten sicher der Fall.

Bei den von mir aufgeführten Stadtstaaten ist das mitnichten der Fall. Gesamtbevölkerung und "Bürger" waren keineswegs identisch. Nur letztere hatten das Wahlrecht.

Sobald aber etwa unterschiedliche ethnische Gruppen einen gemeinsamen demos bilden sollen wirds schwierig.

Eine Schwierigkeit gibt es nur dann, wenn eine oder mehrere dieser ethnischen Gruppen von einem nationalistischen Verständnis ausgehen und aus Gruppenegoismus und Abgrenzung gegenüber den "anderen" nicht akzeptieren können, mit anderen einen gemeinsamen "demos" zu bilden.

In diesem Fall kann der Nationalismus geradezu zum Hemmschuh für die Demokratie werden.
Ein besonders drastisches Beispiel haben wir in Deutschland 1933.

Womit wir uns wieder dem Thema nähern.


Nämlich? Zum Beispiel die Gewährleistung von elementaren Grundrechten. Dazu zähle ich auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Und ich zähle dazu auch das Recht auf kulturelle Identität.

Das Recht auf kulturelle Identität wird ja durch eine sich vornehmlich funktional verstehende Demokratie keineswegs beschnitten.

Es sei denn, man versteht unter "kultureller Identität" die kulturelle Trennung von allem "Fremden" (-> "ethnische Säuberung") bzw. die "Gleichschaltung" der übrigen.

Das kann aber erst recht nicht der Sinn von Demokratie sein.
 
Natürlich ist Demokratie ein politischer Ausdruck. Politik läßt sich aber nicht so einfach von anderen Lebensbereichen entkoppeln. Das Wesen des Politischen ist universell und beschränkt sich nicht auf das blosse Funktionieren von Mechanismen. Ich halte es mit Carl Schmitts Begriff des Politischen.

@ Hagen
Wenn du Carl Schmitts Politikbegriff (also: Politik ist die UNterscheidung von Freund und Feind) zur Grundlage deiner Überlegungen machst, dann führt dich das zwangsläufig zu einem nationalistisch verengten Begriff von Demokratie. Der Nationalismus äußert sich in dem Fall in dem Bestreben, die Ausdehnung der Nation und die des (evtl. demokratisch verfassten) Staates zur Deckung zu bringen. Im Zuge dessen vollziehen sich - ganz im Sinne von Schmitts Politikdefinition - Prozesse scharfer nationaler Abgrenzung nach außen und nationaler Integration nach innen. Wohin das historisch geführt hat, ist hinreichend bekannt.

Mein Demokratieverständnis ist ein anderes. Demokratie beruht auf der (in Deutschland lange nicht zur Kenntnis genommen) Annahme, dass es in einem politischen Verband legitimerweise unterschiedliche Interessengruppen gibt. Das können ethnische, kulturelle, soziale und weltanschauliche Gruppierungen sein. Die Leistung der Demokratie besteht nun darin, die bisweilen gegensätzlichen INteressen dieser Kollektive in einen friedlichen Verhandlungsprozess zu überführen, an dessen Ende ein Konsens, ein Kompromiss oder zumindest eine für alle Beteiligten akzeptable Mehrheitsentscheidung steht.

Hierbei handelt es sich natürlich um eine vollkommen technische Auffassung von Demokratie, insofern sie verstanden wird als ein Mechanismus zur friedlichen KOnfliktregulierung. Da mir alles Metaphysische allerdings völlig fern liegt, betrachtete ich das nicht als Manko.

Wale

btw: Hagen, was genau meinst du mit der metaphysischen Komponente der Demokratie?
 
gegensätzlichen Interessen dieser Kollektive in einen friedlichen Verhandlungsprozess zu überführen, an dessen Ende ein Konsens, ein Kompromiss oder zumindest eine für alle Beteiligten akzeptable Mehrheitsentscheidung steht.

Dies ist die Realität. Ich möchte dazu allerdings bemerken, dass dies nicht der demokratischen Idee des Grundgesetztes entspricht, sondern eher einer Oligarchie oder einer Ständedemokratie.

Nach dem Grundgesetz soll die politische Willenbildung von den Parteien organisiert werden, und deren Wichtung erfolgt per Wahl.

Die Schaffung der einzelnen Interessensorganisationen und deren Wichtung ist hingegen nicht demokratisch bestimmt, sondern ergibt sich aus der Aktivität und dem finanziellen Engagement der Interessierten.

Aktuell läuft dies darauf hinaus, dass organisierte "Geldempfänger" einer unorganisierten Menge an "Zahlern" gegenüberstehen. Es ist strukturell unmöglich, ein System derart zu reformieren, dass die fließende Geldmenge reduziert wird, da ja die "Zahler"-Seite nicht als Interessengruppe vorhanden ist (vgl. Gesundheitsreform).

Dann fährt das System gegen die Wand.
 
Keine Tagespolitik

Bitte denkt bei der weiteren Diskussion, die aktuelle Tagespolitik aussen vor zu lassen.
 
Bei den von mir aufgeführten Stadtstaaten ist das mitnichten der Fall. Gesamtbevölkerung und "Bürger" waren keineswegs identisch. Nur letztere hatten das Wahlrecht..

Das widerspricht meiner These nicht. Der demos (hier die Bürger als eine Teilmenge der Gesamtbevölkerung) bestand aus Gleichen unter Gleichen. Das war ja meine Aussage. Fraglich ist allerdings, ob dann Deine These stimmt, dass man nämlich die Stadtstaaten als Musterbeispiel für Demokratie herziehen kann, wenn nur ein Teil des Volkes mit den vollen Bürgerrechten ausgestattet war.

Eine Schwierigkeit gibt es nur dann, wenn eine oder mehrere dieser ethnischen Gruppen von einem nationalistischen Verständnis ausgehen und aus Gruppenegoismus und Abgrenzung gegenüber den "anderen" nicht akzeptieren können, mit anderen einen gemeinsamen "demos" zu bilden.

In diesem Fall kann der Nationalismus geradezu zum Hemmschuh für die Demokratie werden.
Ein besonders drastisches Beispiel haben wir in Deutschland 1933.

Womit wir uns wieder dem Thema nähern. .
Das ist etwas kurz gegriffen. Eine Abgrenzung des demos gibt es immer, dies hat nicht der Nationalismus erfunden. Die Frage ist nur unter welchen Kriterien. Jeder Staat hat Kriterien, die den demos definieren - wer zum demos gehören soll und wer nicht. Das liegt in der Natur der Sache. Kein Gemeinwesen gewährt beliebig Zugang zu den Bürgerrechten. Es gibt immer ein "wir" und ein "die". Der Nationalismus unterscheidet sich hier von anderen Politikentwürfen lediglich dadurch, dass er eben als eine Zugangsvoraussetzung eine bestimmte Volkszugehörigkeit fordert.
Was 1933 angeht, so war der Hemmschuh für Demokratie sicher nicht der Nationalismus des NS. Der Hemmschuh für die Demokratie war der totalitäre Charakter des NS. Das Totalitäre ist allerdings keine zwangsläufige Konsequenz aus dem Nationalismus. Nationalismus ist nicht zwingend an autoritäre Regime gekoppelt. Ich behaupte, dass es auch einen demokratischen Nationalismus geben kann (etwa 1848). Und wenn wir schon einmal dabei sind: Ich wage mich mal vor und behaupte, dass der NS keine nationalistische Bewegung war. Er war chauvinistisch, nicht nationalistisch. Die Gleichsetzung von Nationalismus und Chauvinismus halte ich für einen leichtfertigen Denkfehler. Ich versuche mich mal an einer Definition von Nationalismus: Nationalismus ist ein Politikansatz, der im Gegensatz zu etatistischen Ansätzen (bspw. Verfassungspatriotismus) die Nation im Sinne der Einheit aller schicksalhaft verbundenen Menschen gleicher Herunft, gemeinsamer Kultur und Geschichte (also einer Ethnie) in einem geschlossenen Siedlungsraum zum Mittelpunkt seines Handelns macht. Aus dieser Sichtweise allein läßt sich zunächst keine Aggressivität gegenüber anderen Ethnien ableiten. Kommt eine aggressive oder imperialistische Komponente dazu, dann wird aus dem zunächst wetfreien Nationalismus Chauvinismus. Dies ist beim NS der Fall. Daher ist meine These, dass es sich beim NS nicht um eine nationalistische, sondern um eine chauvinistische Bewegung gehandelt hat. Zumal ein nationalistischer Staat auch gewiss nicht aus taktischen und machtpolitischen Erwägungen Teile seines Volksgebietes (Südtirol) aus der Hand geben würde.

Das Recht auf kulturelle Identität wird ja durch eine sich vornehmlich funktional verstehende Demokratie keineswegs beschnitten.

Es sei denn, man versteht unter "kultureller Identität" die kulturelle Trennung von allem "Fremden" (-> "ethnische Säuberung") bzw. die "Gleichschaltung" der übrigen.

Das kann aber erst recht nicht der Sinn von Demokratie sein.
Sorry, aber das ist polemisch. Zur Sache: Ja, ich verstehe unter "kultureller Identität" die Trennung von Fremdem. Nicht von allem per se, aber doch so, dass die eigene Identität gewahrt bleibt. Das hat doch aber nichts mit ethnischer Säuberung oder Gleichschaltung zu tun.
 
@ Hagen
Wenn du Carl Schmitts Politikbegriff (also: Politik ist die UNterscheidung von Freund und Feind) zur Grundlage deiner Überlegungen machst, dann führt dich das zwangsläufig zu einem nationalistisch verengten Begriff von Demokratie. Der Nationalismus äußert sich in dem Fall in dem Bestreben, die Ausdehnung der Nation und die des (evtl. demokratisch verfassten) Staates zur Deckung zu bringen. Im Zuge dessen vollziehen sich - ganz im Sinne von Schmitts Politikdefinition - Prozesse scharfer nationaler Abgrenzung nach außen und nationaler Integration nach innen. Wohin das historisch geführt hat, ist hinreichend bekannt.
Bis auf Deinen letzten Satz vollkommen richtig. Allerdings würde ich sagen: wohin das führen KANN und historisch auch teilweise geführt hat, ist hinreichend bekannt. Es gibt da aber keine Zwangsläufigkeit.

Mein Demokratieverständnis ist ein anderes. Demokratie beruht auf der (in Deutschland lange nicht zur Kenntnis genommen) Annahme, dass es in einem politischen Verband legitimerweise unterschiedliche Interessengruppen gibt. Das können ethnische, kulturelle, soziale und weltanschauliche Gruppierungen sein. Die Leistung der Demokratie besteht nun darin, die bisweilen gegensätzlichen INteressen dieser Kollektive in einen friedlichen Verhandlungsprozess zu überführen, an dessen Ende ein Konsens, ein Kompromiss oder zumindest eine für alle Beteiligten akzeptable Mehrheitsentscheidung steht.
Diese Sichtweise ist natürlich legitim, ich teile sie allerdings nicht. Zum einen ist sie mir zu technisch. Zum anderen bestreite ich natürlich zunächst nicht, dass es verschiedene Interessengruppen gibt. Ich halte es allerdings für fragwürdig, ob diese Interessengruppen beliebiger Natur sein müssen, oder ob das Gemeinwesen nicht bereits im Vorfeld gewisse Grenzen stecken kann und den Zugang zum Gemeinwesen entsprechend regulieren, so dass es bestimmte Interessenruppen erst gar nicht oder weitgehend nicht gibt (etwa Thema Zuwanderung).
Hierbei handelt es sich natürlich um eine vollkommen technische Auffassung von Demokratie, insofern sie verstanden wird als ein Mechanismus zur friedlichen KOnfliktregulierung. Da mir alles Metaphysische allerdings völlig fern liegt, betrachtete ich das nicht als Manko.
Das ist mir mit Verlaub zu beliebig.
Hagen, was genau meinst du mit der metaphysischen Komponene der Demokratie?
Einen Identifikation mit der Demokratie, die über das blosse Anerkennen dieser Staatsform als quasi administratives Instrument hinausgeht und einen gewissen Ethos bei den Beteiligten einschließt.
 
Im Gegenteil, auch wenn GB der Geburtsort des Parlamentarismus war, so war doch die Schweiz der Geburtsort der Demokratie im modernen Europa.Nur das bewahrte den Frieden zwischen Deutschen, Italienern, Franzosen und Rätero-romanen. Und auch Belgien funktioniert sehr gut, trotz zweier ethnischer Gruppen, dank seiner parlamentarischen Monarchie. Also demokratie ist die Vorraussetzung für das funktionieren eine multi ethnischen Staates.
Wieso ist die Schweiz das Geburtsland moderner Demokratien? Der moderne Demokratiebegriff enthält doch als wesentliche Merkmale die von Locke (?) entwickelte Gewaltenteilung und den Parlamentarismus (also indirekte Demokratie). Hatten das die mittelalterlichen Schweizer? Die theoretischen Grundlagen sehe ich deshalb in GB und die praktische Durchführung in den USA und Polen (jetzt speziell für Europa).
 
Wieso ist die Schweiz das Geburtsland moderner Demokratien? Der moderne Demokratiebegriff enthält doch als wesentliche Merkmale die von Locke (?) entwickelte Gewaltenteilung und den Parlamentarismus (also indirekte Demokratie). Hatten das die mittelalterlichen Schweizer? Die theoretischen Grundlagen sehe ich deshalb in GB und die praktische Durchführung in den USA und Polen (jetzt speziell für Europa).
Meinst du das Polen des Tadeusz Kościuszko oder meinst Du die Adelsrepublik als Vorläufer der Republik in Europa?

Richtig ist es, die Schweiz als "moderne" Demokratie anzuzweifeln. Nicht umsonst hatte die Helvetische Republik ja auch in den Städten der Schweiz starken Anhang, da eben der Schweizer Verband doch nicht in der Form demokratisch war, wie wir es heute für eine Demokratie annehmen, man spricht auch von einem Adel, der natürlich ganz anders ausschaut als der Adel der Feudalstaaten oder absolutistischen Reiche des 18.Jh., vergleichbar am ehesten mit der Herschaft gewisser Familien wie in den Niederlanden der de Witts und Oranier.

Die Unabhängigkeitsbewegung in Polen allerdings mit demokratischen Elementen fand aber erst zusammenfallend mit der französischen Revolution statt. Überhaupt wird die Französische Republik von 1792 von einigen Historikern als erste moderne Demokratie angesehen. Der Kontinentalkongress und die USA hatten ja noch konservative Züge, welche zu einem nicht unerheblichen Teil ins heute herüber gerettet wurden, die Unabhängigkeit oder die Demokratie als ausschlaggebender Punkt der Erhebung ist bis heute fraglich... Gehen wir aber mit der Französischen Republik von der ersten modernen Demokratie aus, dann stellt sich die Frage, was wir als moderne Demokratie ansehen.
Locke, Rousseau u.a. sind schon naheliegend. Wenn man weiter denkt, kommt man auch zu der Frage, dass wenn Frkr. die erste Demokratie hatte, welcher Staat denn sonst einen normalen Weg ging? War vielleicht Frankreich mit der Vorreiterrolle das Land auf dem Sonderweg oder waren es die anderen Staaten, die nicht mitgingen?
Für mich bringt die Diskussion mehr Fragezeichen als Antworten bis jetzt.
:confused: :fs:
 
Meinst du das Polen des Tadeusz Kościuszko oder meinst Du die Adelsrepublik als Vorläufer der Republik in Europa?

Die Unabhängigkeitsbewegung in Polen allerdings mit demokratischen Elementen fand aber erst zusammenfallend mit der französischen Revolution statt. Überhaupt wird die Französische Republik von 1792 von einigen Historikern als erste moderne Demokratie angesehen.
Mir ging es um die Adelsrepublik. Es ist wirklich schwer sich zu einigen, wer schneller war, deshalb habe ich die einfache Varainate gewählt und bin von den Entstehungsdaten der Verfassungen ausgegangen und da hat Polen wenige Wochen Vorsprung.
 
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