Wahrheitsfindung

Joelina

Mitglied
Die Geister streiten sich, ob es Wahrheit gibt und nicht nur Wahrscheinlichkeit, Kant meinte, wenn ein Auge eine grüne Scheibe wäre, würden wir alles grün sehen, wüssten aber nicht, ass es gar nicht grün ist. Was denkt ihr? GIbt es Wahrheit oder ist alles nur individuelle Wahrnehmung?
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Joelina,

ich bin nicht sicher, ob ich Deine Fragestellung richtig erfaßt habe, aber kann es sein, daß diese in eine ähnliche Richtung geht wie eine Diskussion in einem Nachbarthema hier im letzten Jahr?
Vgl. dazu http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=8187
Anm.: Das Thema, welches seinerzeit Stein des Anstoßes war, ist mW nicht mehr verfügbar...

Viele Grüße

Timo
 
Wahrheit ist immer subjektiv, oder besser gesagt: relativ.

Wasser gefriert bei 0°C. Ist das wahr? Ja und nein. Es ist annäherungsweise für den Hausgebrauch richtig. Physiker würden das so nicht stehen lassen. Oder noch ein bekannteres Beispiel: Eine Feder fällt langsamer, als ein Stein.

Das heisst also, dass so simple Dinge, wie alltägliche Beobachtungen, die wir tagtäglich für gegeben akzeptieren, nicht generell als objektiv wahr bezeichnen können.

Das bedeutet aber weder, dass eine Hausfrau unfähig ist Eiswürfel zu machen, noch, dass ein bolivianischer Weizenbauer nicht Spreu von Weizen trennen kann. Es fehlt ihnen aber das Hintergrundwissen, um ihre subjektiven "Erfahrungen" in absolute Wahrheiten umzumünzen.

Jeder Mensch nimmt im Laufe seines Lebens Wissen an, welches er/sie für gegeben und unabänderlich annimmt. Ich habe in einem anderen Strang von "Ideologie" gesprochen. Eine Ideenlogik, über die man sich und seine Welt definiert. Z.B.: ich bin Peter, das sind meine Eltern, das ist mein Haus, das ist mein Bruder, ich bin Deutscher, Rasen hat die Farbe vom Himmel, Messer sind zum Schneiden da, ...

Würde eines Tages Peters Vater sagen, er sei adoptiert, hiesse eigentlich Rüdiger und sei zudem Farbenblind, fiele für Peter die ganze Welt zusammen. Das Fundament seiner Wirklichkeit ist erschüttert, und Peter muss von vorne anfangen. Das gleiche ist 1945 und 1989 in Deutschland passiert. Ich gehe von einem Trauma aus, das viele Menschen in jener Zeit erfasst hat. Manche haben sich gewehrt, ihre alten Fundamente zu beseitigen. Andere haben einfach aufgehört, selber zu denken - sich also wieder ein Ideengebäude aus Basissätzen zusammen zu stellen.

Dennoch brauchen wir dieses Grundgerüst. Jeder Mensch muss sich auf grundlegende Dinge verlassen können, weil wir sonst nicht mehr handlungsfähig wären. Aber genau das ist schwierig, weil wir uns eigentlich nicht sicher sein können, dass es wirklich so ist.

Im Gemeinschaftsleben sieht das ganze noch umständlicher aus. Wieder brauchen wir aber dieses Grundgerüst an Wahrheiten, um überhaupt zusammenleben und -arbeiten zu können: jeder will glücklich sein, Freiheit ist wichtig, Kinder sind ein Segen, der Tod ist ein trauriges Ereignis, usw..

Es ist aber alles genauso, wie weiter oben: relativ. Ob eine friedliche Gesellschaft objektiv richtiger ist, als eine gewalttätige, das kann kein Mensch belegen. Wir wissen nur, dass wir uns über Gemeinschaften definieren und nur in der Gemeinschaft (als Säugetiere: Familie) überleben. Das ist aber ebenso subjektiv menschlich, wie das Ziel eines Terroristen, für den Gottesstaat sterben zu wollen.

Objektiv ist das Überleben der Menschheit einfach irrelevant.

Lange Rede, kurzer Sinn.

Nein, es gibt keine Wahrheit. Ja, wir brauchen sie dennoch.
 
Pope schrieb:
Nein, es gibt keine Wahrheit. Ja, wir brauchen sie dennoch.
Deshalb hat der Mensch die Wahrnehmung erfunden - ein jeder nehme sich, was er für wahr halten will. Man könnte das auch Verdrängung nennen; es funktioniert jedenfalls sehr gut.
 
neurologischer Disput

Klaus schrieb:
Deshalb hat der Mensch die Wahrnehmung erfunden - ein jeder nehme sich, was er für wahr halten will. Man könnte das auch Verdrängung nennen; es funktioniert jedenfalls sehr gut.

Da musste ich dann doch lachen... jajaja....:D
Ein höchst umstrittenes Thema.
Heute wird der Diskurs verstärkt an aktuellen Erkenntnissen der Hirnforschung angelehnt. Für Interessierte:

Zwei Protagonisten im Diskurs:
Gerhard Roth, mehrere Veröffentlichungen (http://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Roth_(Biologe))
sein Kritiker Jürgen Habermas (ex equo Historikerstreit) (z.B. http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/14.11.2004/1477636.asp)
und eine endlose Linkliste zu Fragen um die neuronale Konstruktion von Wille, Bewusstsein, Wahrnehmung, Wahrheit undundund... (http://www.forum.mpg.de/archiv/20050303/hintergrund.html)

Auch wenn ich Gerhard Roth "Aus Sicht des Gehirns" mit Gewinn gelesen habe, (am Rande erwähnt: trocken-amüsanter Schreibstil ...) wähle ich an dieser Stelle im Angesicht eines derart aktuell wissenschaftlichen Diskurses, (m)eine kleine Portion (Klausscher) Verdrängung. :pfeif:

Herzlicher Gruß, Martin
 
Pope schrieb:
Wahrheit ist immer subjektiv, oder besser gesagt: relativ.

Das stimmt - nicht.
Du sprichst anscheinend von Ansichtssachen.

Hans haut Sepp eine.
Sepp kriegt von Hans eine reingehauen.

Die Wahrheit ist: weder Ursache noch Wirkung, sondern die gesamte Handlung.

Ursache, Wirkung, Aktion und Reaktion (also alles was du mit zwei subjektiven Befindlichkeiten (Hans, Sepp) zum gesamt also relativen Begriff (richtig) versuchst zu vereinfachen, ist meines Erachtens das Ergebnis (relativ) aus zwei halben Wahrheiten.
 
Was heisst denn "hauen"? Ohrfeige? Klapps? Baseball-Schläger?
Sind die beiden Boxer? Ist Hans ausgerutscht? Hast Du's im Fernsehen gesehen oder hat Sepp's erzählt? Meinst Du den Obermeyer Sepp oder den Hinteregger? Haben die nur Spaß gemacht?

Natürlich gibt es Ereignisse, ja Tatsachen. Aber was gehört alles dazu, um der Tatsache gerecht zu werden und etwas "wahr" werden zu lassen?
 
Es gibt natürlich Wahrheit.
Die Frage ist nur, inwieweit wir fähig sind sie zu erkennen und das stellt sich ja sogar in "einfachen" Angelegenheiten als schwierig heraus, wie die genannten Beispiele zeigen.

Allerdings ist das ja vielleicht gar nicht so schlecht! Wozu dieses Forum, wenn wir beispielsweise alle, die zweifellosen, unumstößlichen historischen Wahrheiten kennen würden?

Gemäß Sokrates' "Ich weiß, dass ich nichts weiß" treibt doch, die Unkenntnis der Wahrheit und vor allem das Wissen um diese - zumindest die meisten- zu einer Neugier die uns der Wahrheit ein Stück näher bringt. Dass dies wohl auch als Hauptantrieb in der Sinngebung menschlichen Lebens gelten kann, zeigt religiöser Glaube und die Beschäftigung mit diesem.
Was natürlich zwei Fragen aufwirft:
- Kann die Wahrheit zu kennen in unserem Interesse sein? (gemeint ist die "ganze Wahrheit")
- Ist die Akzeptanz der eigenen Unwissenheit(im Bezug auf die "ganze Wahrheit") nicht die größte Erkenntnis und Wahrheit für uns und damit der Versuch kleine Wahrheiten zu finden erfolgversprechender?

Verfolgt man beispielsweise die Entwicklung diverser Weltbilder von den durch Naturgottheiten geprägten Erklärungsversuchen frühester Hochkulturen bis hin zu der mehr und mehr naturwissenschaftlich erklärenden Modellen der Moderne, zeigt sich am deutlichsten wie weit wir von der Wahrheit weg waren und immer noch sind, uns ihr aber doch immer weiter nähern.

Damit gibt es zwar nur Erklärungsmodelle die nicht wahr sein müssen, aber sich so sehr an die Wahrheit annähern, dass sie immer wahrscheinlicher werden.

So verhält es sich ja auch mit der Geschichte. Bei Quellenarbeit sollte jedem schon aufgefallen sein, wie Zeithintergrund, politische Gesinnung und Stand die Wahrnehmung und Verarbeitung historischer Ereignisse beeinflussen. Daher ist auch in der Geschichte klar, dass letztendlich nur höchstwahrscheinliche Modelle gefunden werden.
Beispielhaft erscheint mir dafür die Kriegsschuldfrage bezüglich des 1. WK. Letztendlich zeigt sich aber darin wieder der angesprochene Antrieb, die Wahrheit zu finden.

Besonders prekär wird die Frage nach der subjektiven Wahrnehmung in Hinsicht auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die die Funktion unserer Wahrnehmung erklären oder sogar Phänomene beschreiben, die sich unserer Wahrnehmung entziehen.
Beispielsweise ist unsere optische Reizverarbeitung durch einen Wellenlängenbereich determiniert, den unser Auge fähig ist aufzunehmen und zu verarbeiten.

Daher sollte sich (um wieder näher an das Forum zurückzukehren) hier durch Diskussionen, durch die ja Subjektivität erkannt und mglweise eliminiert werden kann, der Wahrheit angenähert werden, so gut es eben geht.
 
Zuletzt bearbeitet:
ning schrieb:
Das stimmt - nicht.
Du sprichst anscheinend von Ansichtssachen.

Hans haut Sepp eine.
Sepp kriegt von Hans eine reingehauen.

Die Wahrheit ist: weder Ursache noch Wirkung, sondern die gesamte Handlung.

Ursache, Wirkung, Aktion und Reaktion (also alles was du mit zwei subjektiven Befindlichkeiten (Hans, Sepp) zum gesamt also relativen Begriff (richtig) versuchst zu vereinfachen, ist meines Erachtens das Ergebnis (relativ) aus zwei halben Wahrheiten.
Werter ning da muss ich wiedersprechen.

Wahrheit...
Wahrheit muss "Substanz" erlangen, ohne etwas was sie zu erkennen versucht ist sie nicht existent.
Kurz um wir brauchen etwas was die "Wahrheit" aufzunehmen versucht.
In diesen Fall ist es der Mensch.
Der Mensch hat aber die Wahrnehmung, inne und kann aus dieser Haut auch nicht heraus.

Schon alleine weil alles was wir aufnehmen eine Objekt und eine Beziehungsebene hat. (mit dank an den guten Gregory).
Also ist die aufgenommene "Wahrheit" schon verzerrt durch die eigene subjektive Wahrnehmung welche auf jeden Fall eintritt da es unweigerlich auch zu einer Aufnahme über die Beziehungsebene kommt.

Im Grunde lange rede kurzer Sinn.
Ohne den Mensch, der sie aufnimmt ist die Wahrheit nicht existent,
gleichzeitig kann es aber weil der Mensch nur subjektiv aufnimmt keine reale Wahrheit geben.

Es ergibt sich also ein wunderbares Paradoxum, welches es aufzulösen gilt.

Denn die Bedingung für die Existenz der Wahrheit, verbindet gleichzeitig die Existenz der Wahrheit.

Aber die Wahrheit hat nur ein typisches simples Problem.
Wahrheit, ist ein absoluter Wert. Jedoch gibt es nur theoretisch absolute Werte, praktisch ist dies unmöglich. Es gibt nur annährungswerte.

Kurzum es gibt keine Wahrheit, nur Annährungswerte an diese.
 
M.A. Hau-Schild schrieb:
Kurzum es gibt keine Wahrheit, nur Annährungswerte an diese.

... aber es gibt "ein(en) Unterschied zwischen Wissenschaft und bloßem Behaupten, Meinen und Glauben", wenn man Herrn Gerhard Roth folgen will. ("Aus Sicht des Gehirns", Suhrkamp 2003)

Kapitel 4,
Wahrnehmung: Abbildung oder Konstruktion?
"Wir haben also in der Wahrnehmung einen Stufenbau von Konstruktionsebenen vorliegen, die teilweise erfahrungsbedingt sind, aber meistenteils nicht von unserem Bwewusstsein und unserem Willen abhängen und deshalb so verlässlich arbeiten. Sie müssen deshalb nicht im metaphysischen Sinne "wahr" sein." (Seite 86)

und Kapitel 12,
Was ist Wahrheit?
"Wie im vierten Kapitel dargelegt, besteht die Konstruktivität unserer Wahrnehmung nicht im bewussten Konstruieren und Überprüfen von Weltmodellen. Vielmehr beruhen diese Konstrukte auf Mechanismen, die teils genetisch bedingt sind, teils frühkindlich erworben wurden und sich dann verfestigten oder im engeren Sinne erfahrungsbedingt sind. Sie laufen überwiegend unbewußt ab. Hierdurch ergibt sich die große Verlässlichkeit und die weitgehende intersubjektive Einheitlichkeit der Wahrnehmungsprozesse. Sie garantieren - wie gehört - NICHT, dass wir die bewusstseinsunabhängige Welt in irgendeiner Weise OBJEKTIV wahrnehmen, aber sie sorgen dafür, dass die Menschen im Durchschnitt ähnliche Wahrnehmungsleistungen haben. Diese Ähnlichkeit ebenso wie diejenige logischer Operationen sind die Grundlage wissenschaftlicher Tätigkeit. Es besteht also durchaus ein Unterschied zwischen Wissenschaft und bloßem Behaupten, Meinen und Glauben, nämlich in Hinblick auf die Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Verallgemeinerbarkeit von Aussagen." (Seite 208)

Gruß, Martin :pfeif:
 
M.A. Hau-Schild schrieb:
Kurzum es gibt keine Wahrheit, nur Annährungswerte an diese.

Nur eine Feinheit:
Man kann sich an nichts annähern, das gar nicht existiert.
Somit ist Wahrheit, ebenso wie absolute Werte theoretisch möglich. Da sie sich aus genannten Gründen aber nicht materialisiern kann besteht sie quasi als unerreichbares, abstraktes Ziel (denn auch Ziele existieren in diesem Sinne, auch wenn sie nicht verwirklicht werden können).
 
volpe schrieb:
Nur eine Feinheit:
Man kann sich an nichts annähern, das gar nicht existiert.
Somit ist Wahrheit, ebenso wie absolute Werte theoretisch möglich. Da sie sich aus genannten Gründen aber nicht materialisiern kann besteht sie quasi als unerreichbares, abstraktes Ziel (denn auch Ziele existieren in diesem Sinne, auch wenn sie nicht verwirklicht werden können).

Es ist schön das wir soweit übereinstimmen.:)
Aber was die Feinheit angeht, so kann ich mir das folgende nicht verkneifen. :D
Deswegen schon einmal im vorraus :eek:fftopic: :sorry:

geben im Sinne von real existierend
und so ist es auch das einzige was Sinn macht denn,

wäre es anders, wäre die Frage ob es den Weihnachtsmann gibt, ja schon eine sich selbst beantwortende Frage, da man nur nach der existenz von etwas fragt, wovon zumindest schon die Idee dessen existiert.
Nicht wahr ;) :cool:
 
ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil ;-)
Die Existenz dieser Zustände nenn ich mal deine Beispiele, jedoch lassen sich allerdings auch nicht kategorisch ausschließen und wurden eben noch nicht ausreichend angenähert. Das schließt weder ihre Existenz aus (die uns nur nicht bekannt ist) noch ihre Möglichkeit.
Daher ist die Existenz dieser (Danke für das göttliche letzte Beispiel) gewissermaßen eine Frage des Glaubens
 
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