Österreichische Literatur

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Auf einer Tagung in der Diplomatischen Akademie Wien kam es zu der zu der Frage,

wie die österreichische Literatur des 19. Jahrhunderts zur Entstehung des Nationalismus und dadurch zum Zerfall des Habsburgerreiches beigetragen hat, in dem mancher
einen gescheiterten Vorläufer der Europäischen Union erkennt.

Wer kann diese Frage beantworten?
 
Und schon haben wir Problem.
a Die österreichische Literatur, in welcher Sprache, welcher Provenienz, welcher Tendenz.

b Österreichs deutschsprachige Literatur wird aus der "deutschsprachigen Literatur" heute ja gerne ausgeklammert. Von beiden Seiten. Das geschah erst nach dem 2. WK. Und seither gehören die österr. auch nicht mehr wie vor 38 mit zu den meistgelesensten Autoren deustcher Sprache in Deutschland. Vielleicht eine symbolische Abrechnung.
Und hat berechtigte und unberechtigte Gründe. Andererseits wird in den USA oder auch in GB oft überhaupt keine detaillierte Erwähnung österr. Herkunft gemacht, wenn es um Kunst deutscher Zunge geht. In der Musik ist Anton Bruckner wie Adalbert Stifter in der Literatur einfach: "german."

Die deutsche Literatur bestimmter Provenienz und Tendenz hat gewiss ebenso viel, wenn nicht mehr dazu beigeragen, dass der Vielvölkerstaat in üble "pan-rassistisch" Gegensätze und Nachfolgestaaten zerfiel. Da kamen aber ebenso viele Hetz-Schriften aus dem Deutschen Reich. Aber vor allem Ungarn und Tschechen/Slowaken/Ruthenen beFETZten sich und -um auch den dritten zu hauen- zum Teil auch die Cisleithanische Reichshälfte mit Trennungs"literatur". Nur: Belletristik war das nicht, was zB. Masaryk oder Karolyi da schrieben. Aber viel gelesen allemal, später waren beide ja anerkannte Republiksführer.

Wenn man die großen Vertreter der wirklich großen österr. Literatur hernimmt, so schrieben diese alle nach dem ersten Weltkrieg. Joseph Roth, Stefan Zweig, Ödön von horvath, Manes Sperber, Alexander Lernet-Holenia, Heimito von Doderer, Franz Werfel....: eine einzige Trauerkundgebung für das alte Österreich-Ungarn. Und schlichtweg eine tränenblindes Nostalgieauge.

Die "deutschen Leute" lasen Eckart-Bote.
Was Slowaken, Krakauer Polen oder Szekler-Ungarn diesbzüglich lasen... kann man sicher ergünden.
Aber Literatur war das alles nicht
 
@Ning,

ich denke, es liegt da viel mehr an der Interpretation des Wortes "deutsch".
Wir projezieren das vermutlich auf "Deutschland, deutsches Staatsgebiet".

Muss aber nicht unbedingt sein. Literatur selbst ist ja nichts politisches, sondern eher etwas sprachliches. "Deutschsprachige" Literatur, was ja heute vermehrt so genannt wird, ist ja praktisch das, wovon die Rede ist.

Also ich denke daher wie gesagt, eher automatisch an die deutsche Sprache, wenn von deutscher Literatur geredet wird. Mit Politik verbinde ich das gar nicht.
Wenn ich dein Posting richtig verstanden habe, dann hast du das, was ich mal oberflächlich beschriebe habe, genauso gemeint, nur halt sehr viel detailierter.
 
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uffty schrieb:
Literatur selbst ist ja nichts politisches, sondern eher etwas sprachliches. "Deutschsprachige" Literatur, was ja heute vermehrt so genannt wird, ist ja praktisch das, wovon die Rede ist.

Literatur kann eminent politisch sein, sonst gäbe es keine Zensur in totalitären Staaten.
Wenn wir heute von deutscher Literatur reden, dann ist deutschsprachige Literatur gemeint.
Dazu gehören die Bachmann genau so dazu wie Grillparzer, Keller wie Frisch oder auch Pastior wie Celan.
Nicht zu vergessen:Friederike Mayröcker und Ernst Jandl-
 
Mercy schrieb:
Literatur kann eminent politisch sein, sonst gäbe es keine Zensur in totalitären Staaten.
Wenn wir heute von deutscher Literatur reden, dann ist deutschsprachige Literatur gemeint.

Eben, Mercy. Sagte ich ja. Ich meinte nur, dass Literatur an sich nicht Politik ist, sondern eben Literatur. Dass es natürlich auch politische Literatur usw gibt, ist völlig richtig von dir, nur haben wir da zwei Dinge gemeint. Ich habs wahrscheinlich nur bissl unglücklich formuliert. :)
 
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Deine Frage ist, was die Literatur um 1900 zum Untergang der Habsburgmonarchie beigetragen hat? Dies soll sie getan haben, weil sie Nationalismus gefördert haben könnte/soll? Oder versteh ich nun gar nichts?:confused:

Erst mal muss man bedenken, dass der grosse Teil der Österreichischen Kunst- und Kulturszene jüdischer Abstammung war.... Antisemitismus war damals ein grosses Problem und Nationalistische Tendenzen waren oft zugleich antsemitische Tendenzen... Dies würde einen Beitrag der Wiener Kulturszene am Gedeihen des Nationalismus wohl eher ausschliessen.

Der Untergang der Habsburgmonarchie begann schon viel vor 1900, es war ein langsames Dahinsterben. Da war zuviel unter einem Deckel, was da keinen Platz hatte, die Führung war unfähig. Einen Beitrag der Literatur zu dem Untergang seh ich persönlich eher nicht, aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren.
 
Mercy schrieb:
Dann wollen wir das doch klären.
Ist Heines Wintermärchen Literatur oder politische Literatur?

Es ist kritisch, meinetwegen auch politisch orientiert, aber deswegen ist es keine Politik, nicht?
Mir scheint, entweder willst du mich verstehen oder du kannst es nicht. Ich sprach von der Literatur als etwas sprachliches im Gegensatz zu etwas staatsrechtlich-politischem im Sinne der politischen Ordnung (siehe Atlas, politische Karten) in Bezug auf das Wort "deutsch". Das ist jetzt bereits das dritte Posting dazu.
Das von dir ja mehr oder weniger provozierte Thema "politische Literatur" hat mit dem Thread und dem Bezug auf "deutschsprachig" oder "deutsch" nichts zu tun. Auch mit Politik hat es wenig zu tun.
Es ist eher eine Zuordnung einer Literatur in ein bestimmtes Fach (eben der Literatur).
Ich denke, die Erklärung ist in 3 Postings durchaus verständlich jetzt. Mehr folgt dazu nicht mehr.
 
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ning schrieb:
Wenn man die großen Vertreter der wirklich großen österr. Literatur hernimmt, so schrieben diese alle nach dem ersten Weltkrieg. Joseph Roth, Stefan Zweig, Ödön von horvath, Manes Sperber, Alexander Lernet-Holenia, Heimito von Doderer, Franz Werfel....: eine einzige Trauerkundgebung für das alte Österreich-Ungarn. Und schlichtweg eine tränenblindes Nostalgieauge.

Also das wuerd' ich wirklich nicht sagen! Fuer mich sind die wirklich grossen Oesterreicher: Nestroy und Grillparzer, Raimund, Lenau, Stifter, Schnitzler, Hofmannsthal!

Und was soll das heissen, wenn man sagt, Literatur ist nur was Sprachliches? "Deutschland. Ein Wintermaerchen." ist grosse Literatur, sehr kritisch der damaligen Politik gegenueber! Und davon gibt es viele Werke, wie Goethes "Reineke Fuchs" oder Machiavellis "Il Principe".
Ich versteh diese Trennung vom Sprachlichen und Politischen nicht... in der Politik ist die Rhetorik doch das Allerwichtigste...
 
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Grafvogl schrieb:
Also das wuerd' ich wirklich nicht sagen! Fuer mich sind die wirklich grossen Oesterreicher: Nestroy und Grillparzer, Raimund, Lenau, Stifter, Schnitzler, Hofmannsthal!

Und warum nicht auch Joseph Roth, Stefan Zweig, Ödön von Horvath, Manes Sperber, Alexander Lernet-Holenia und Heimito von Doderer?
 
Hallo Grafvogel, ich habe damals auf die Frage - zugegeben oberflächlich - geantwortet, keine leichte Frage, die im übrigen zu einer Zeit gestellt wurde, als das Forum anderen, heißeren Themen seine Aufmerksamkeit widmete (nicht mal mein Freund, Habsburgs Schwert und Schild Rovere, hatte die Muße, etwas dazu zu sagen) ...

Gut: Schnitzler, Hoffmansthal und viele, viele mehr! - wie Egon Friedell, Eugen Roth, Anton Wildgans, F. K. Ginzkey ... oder Karl Kraus und die ganze Kaffeehausliteratenriege mit Peter Altenberg, Anton Kuh, Roda Roda etcetera etcetera - ich hätte sie nicht vergessen im Reigen der Österreich-Sänger Ende der Monarchie und Anfang unserer ersten Republik. Nur, darum ging es nicht.

Adalbert Stifter, den du anführst, aus dessen Heimat ich stamme, bezeichnete sich selbst als einen "deutschen Dichter" nur pro forma, vornehmlich sah er sich, wie auch ein Rosegger (Steiermark), Nestroy (sic) und Raimund (Wien) oder, um die auf deutsch schreibenden Prager nicht zu vergessen - Franz Kafka, Max Brod als Bekannteste - als regionaler Dichter, als Erzähler in einer, wie ich meine, typ. österr. Trichtersicht- und weise. Ihrem Werk ging es dann auch so: bekannt war es nur in nächster Nähe zum Mundstück, im weiten Kreisrund der Monarchie verlor es sich nur dort- und dahin. Ihr weiträumiger Ruhm begann erst mit Schulunterricht und dem Export der "sich ihrer selbst nun sicher gewordenen 2. Republik".

Ganz anders war es da schon mit der Riege der Literaten, als die Monarchie zerbrochen war und sich ein Überhang an regen Geistern im Wasserkopf Wien (1919 über 2 Mio Einwohner) wiederfand. Die mussten in die weite deutschsprachige Welt hinaustönen, um gehört und berühmt zu werden. Der geistig-literarische Austausch Wien-Berlin begann in der 1. Republik zu blühen (Logik des Marktes, aber auch des Selbstverständnisses, Teil des deutschen Kulturraumes zu sein). Die Österreicher beteiligten sich, wie ich meine, vornehmlich mit rückwertsgewandten Reminiszenzen und -zweifellos recht schönen - Abgesängen auf die vergangene Glorie der Monarchie... (nur Wildgans und Zweig sehe ich als herausragendste Verfechter der zwar kleineren, aber neuen österreichischen Chance)

Nur hat dies alles nichts mit der Frage zu tun. Welche Literatur trug zum Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaates von Innen bei?
Ich versuchs nochmal: Auf Grund der nicht unstrengen Zensur des Habsburgerstaates sehe ich die zündenen Funken zum einen von außen hereingetragen: unmittelbar für die irredentistischen Nationalisten fallen mir spontan Gabriele d'Annuncio für die Italiener, Erminescu für die Rumänen ein. Die dem südslawischen Nationalismus Zuströmenden lasen von Puschkin an allerlei Russen, wie ich mir vorstellen könnte, ich weiß darüber zu wenig bescheid.

Wenn auch ironisch verbrämt, so doch eindeutig, entwickelten - von Innen - vor allem die Tschechen ihre Literatur der künftigen! Eigenständigkeit, bei Jaroslav Hasek wunderbar nachzulesen, nach außen hin ironisch, "sich dumm stellend", und im eigentlichen Sinne aufbegehrend, verweigernd und (wie Hasek selbst sich auch sah) revolutionär. Er und viele andere Tschechen (in der Musik Smetana) haben vorbreitet, was dann kurz vor Kriegsende schnell organisiert war: ganze Züge wurden von tschech. Truppenteilen requiriert und waffenstarrend fuhren die widerwilligen, einstigen Soldaten Österreich-Ungarns vom Isonzo zurück in ihre neue Republik.

Stichwort Ungarn: die hatten immer ihre nationalistische Literatur, was der ungarischen Reichshälfte beim Zerfall auch entsprechend radikal durch die nicht-magyarischen Ethnien entgegenschlug.

Und das österreichische Polen las Adam Mickiewicz, für die Ruthenen schrieb Sevcenko.

Und Stifter, Grillparzer, Rosegger waren nicht zuletzt auch eine Absicherung der deutschsprachigen Österreicher, wohin sie sich zugehörig fühlen konnten, falls denn die Donau-Monarchie einmal in Pressburg enden würde.
Also zogen auch diese die Grenzen zu den anderen Völkern im Reich.
Ich hab das mal wo (auch immer) gelesen: für einen Österreicher (einen österreichisch sprechenden) war jeder ein Ausländer, der nicht seine Sprache sprach, wurscht, ob über diesem der Doppeladler wehte oder nicht.

Sevcenko: http://viadrina.euv-frankfurt-o.de/~wsgn1/sevcenko.html
Mickievicz: http://de.wikipedia.org/wiki/Adam_Mickiewicz
 
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Wer dagegenhielt ...

... waren meiner Meinung nach fast alle jüdischstämmigen Literaten. Zwischen Assimilierung und Orthodoxie hin und hergerissen, erschien ihnen die Monarchie die sicherste Heimstatt zu sein.

Werfel, Zweig, Kafka, Kraus, die Roths ... und dieser hier ist interessant: Emil Franzos
(http://www.stadtbibliothek.wien.at/...ausstellungen/1998/wa-235/doc-Biograph-de.htm)

Die eher geringere Zahl jüdischer Intellektueller ging den Weg Theodor Herzls und des Zionismus. Wohlgemerkt: vor 1918/38.
 
Mercy schrieb:
Und warum nicht auch Joseph Roth, Stefan Zweig, Ödön von Horvath, Manes Sperber, Alexander Lernet-Holenia und Heimito von Doderer?

Solche Aussagen sind immer selektiv und subjektiv geprägt, umfassend wird man nie sagen können, wer nun ein "grosser" Schriftsteller war und wer nicht. Stefan Zweig würde ich auch nicht reinnehmen, auch wenn ich einige seiner Bücher gerne gelesen habe. Horvath schon eher, doch auch deine Liste ist noch nicht umfassend, es gibt immer noch einen, der nicht genannt ist. ;)
 
Joelina schrieb:
Solche Aussagen sind immer selektiv und subjektiv geprägt, umfassend wird man nie sagen können, wer nun ein "grosser" Schriftsteller war und wer nicht.

Hängt auch vom Zeitgeist ab.
Von den Nachkriegsgewächsen war noch garnicht die Rede.
Immerhin haben auch Österreicher die deutsche Literatur enorm bereichert.
 
Joelina schrieb:
Solche Aussagen sind immer selektiv und subjektiv geprägt, umfassend wird man nie sagen können, wer nun ein "grosser" Schriftsteller war und wer nicht. Stefan Zweig würde ich auch nicht reinnehmen, auch wenn ich einige seiner Bücher gerne gelesen habe. Horvath schon eher, doch auch deine Liste ist noch nicht umfassend, es gibt immer noch einen, der nicht genannt ist. ;)

Dann verrat uns den mal ;)

Die von mir Aufgezählten, ob groß, ob klein, waren die Meistgelesensten (manche in ihrer Zeit, manche auch bis heute), also große Namen. (Der Ödön ist da eigentlich zufällig hineingerutscht, er wurde erst nach WK II so richtig entdeckt). Sie haben auch nur insofern mit dem Thema zu tun, weil sie sich alle irgendwann einmal mit dem Auseinanderbrechen der Monarchie beschäftigten. Nix mit dem Thema haben sie zu tun, da sie durchwegs nach 1918 publizierten.
Und natürlich sind Geschmäcker verschieden, nicht aber Auflagenzahlen.
 
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