American Dream, frontier-Mythos

kira88

Neues Mitglied
hallöle zusammen :winke:
ich habe mich jetzt schon den ganzen Abend hier im Forum rumgetrieben und auch schon einige Antworten auf meine Fragen gefunden. Dennoch hätte ich da noch ein paar Unklarheiten, auf welche ich gerne nochmal etwas eingehen würde. es geht praktisch mal um drei Begrifflichkeiten die im Prinzip klar sind, dennoch Kopfschmerzen bereiten was die feinen Unterschiede angeht.

ich habe das mal sehr ausführlich ausformuliert 1. weil hier ja keiner sagen soll, ich lass hier die anderen meine Fragen beantworten, schließlich möcht ichs ja selbst verstehen 2. um zu sehen, ob ich bisher nicht falsch gelegen bin =)

zunächst mal kurz zu "frontier", was soweit klar ist: die sich immer weiter nach Westen verschiebende Grenze, zwischen "Zivilisation und Wildniss", der Vorgang mit der territorialen Expansion zusammenhängt. zumindest würde ich das mal so aus dem Kopf heraus deffinieren.
hängen wir mal noch "-Mythos" an das Wörtchen "frontier"...
laut dem Buch, und so hab ich mir das mal etwas in den Kopf gehämmert:vermoebeln:, handelt es sich hierbei um den damit zusammenhängenden "Geist", welcher mit der Westbewegung assoziiert wird. Also ausgeprägter Individualismus, Optimismus, Eigenverantwortlichkeit sowie dass jeder seines Glückes Schmied ist. Mehr steht leider nicht dabei, ich könnte mir aber vorstellen, dass das auch mit der sich immer wiederholenden Besiedlung entlang der sich verschiebenden "frontier" zusammenhängt, sprich: der Aufbau einer Zivilisation, Gesellschaft (Stück für Stück, auf Tracker folgt der Farmer usw.)

als Legitimation dieses Prozesses, also der Ausbreitung, dient ja die "manifest destiny", der gottgegebene :scheinheilig: Auftrag, ihren Teil der Welt auf ihre Art und Weise zu zivilisieren, dem Rest der Welt ein Vorbild zu sein (was sich ja im Laufe der Zeit nicht nur die Vertreibung/Vernichtung der Ureinwohner betreffen sollte), die Wurzeln dieses Selbstverständnis bzw des Sendungsbewusstseins findet man sicher im Puritanismus.

ich hoffe soweit habe ich das (grob) richtig verstanden.

wenn jetzt aber der "american dream" mit ins Spiel kommt habe ich doch noch ein kleines Verständnisproblem. Ist es denn richtig, so hab ich das vestanden, wenn man sagt, dass der Ursprung des "american dream" eng mit diesem Westbewegungsmythos zusammenhängt? Der Begriff an sich verändert sich ja im Laufe der Geschichte etwas. Wenn ich das richtig verstanden habe hängt der Ursprung auch mit der religiösen Vorstellungen der ersten Siedler zusammen, welche ja auf der Suche nach "life" und "liberty" aus England gekommen sind mit dem "persuit of happyness". Aber hängt das nicht eben auch mit dem "ausgeprägter Individualismus, Optimismus, Eigenverantwortlichkeit sowie dass jeder seines Glückes Schmied ist" zusammen?

ach, Zusammenhänge zwischen "frontier-mythos" und "american dream" (besonders der Ursprung des "ad"s), wahrscheinlich ganz einfach das Ganze aber es will nicht in meine Birne

ich bedanke mich vorab für hilfreiche Antworten (Korrektur/Hinzufügungen)

Grüßle, kira
 
Nun, wie du ganz richtig bemerkt hast, waren es die puritanischen Siedler, welche die "Hart arbeiten - selber schaffen" Maxime vertraten. Diese Mentalität, durch Fleiss und Frömmigkeit einer feindlichen Umgebung das täglich' Brot mühsam abzuringen, verbreitete sich allmählich, änderte sich natürlich in einigen Aspekten (v.a. was Frömmigkeit betraf). Aber der vielbesungene, vielbeschworene Pioniergeist entwickelte sich aus diesen Grundwerten - später mit vielerlei anderen Dingen "ergänzt". Risikofreudigkeit, aber auch Übermut und Skrupellosigkeit bzw. die Bereitschaft der Konfrontation mit den Ureinwohnern wurden immer wichtiger, da spätestens nach den ersten Goldfunden viel zu gewinnen war.

Der Begriff "american dream" war für mich hingegen immer das Schlagwort von Generationen v.a. europäischer Einwanderer, die ab dem späten 19. Jahrhundert kamen, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem rasanten Wandel der Bevölkerung beitrugen. Es war die Hoffnung der oft mittellosen Immigranten, durch harte Arbeit und Verzicht den sozialen Aufstieg zu schaffen, sich durchzusetzen und zu behaupten - ganz so, wie es einst ihre Vorgänger, die Puritaner geschafft hatten. Dass dessen Erfüllung nicht für alle möglich war und viele auf der Strecke blieben, war bei der enormen Konkurrenz nahezu selbstverständlich. Und doch hielt sich diese Vorstellung bis zum heutigen Tag, die Vorstellung vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten".
 
in dem Sinne, ein ideeles "Land" dessen Grenzen immer wieder herausgefordert werden.

(und das sich wohl nicht mit Krankenversicherung verträgt)
 
Zum American Dream hat Asarcides ja bereits etwas gesagt. Ich möchte nur ergänzend auf ein berühmt gewordenes Gemälde verweisen, an dem sich die Zusammenhänge gut verdeutlichen lassen. Es handelt sich um "American Progress" von John Gast.

Das Bild, inkl. einer Beschreibung auf Englisch, findet sich hier: Datei:American progress.JPG ? Wikipedia
 
Im Rahmen der Hinwendung der Historiographie zu einer Interpretation historischer Ereignisse auch unter den Rahmenbedingungen sozialen und kulturellen Handelns entsteht auch die Frage nach den Mythen, den Ideologien und der spezfischen darin zum Ausdruck kommenden Symbolik.

Cultural history - Wikipedia, the free encyclopedia

Konkret hat Slotkin vor diesem theoretischen Hintergrund in nachfolgender Trilogie wichtige Arbeiten zum amerikanischen Frontier-Mythos vorgelegt.

Gunfighter nation: the myth of the ... - Richard Slotkin - Google Bücher

Regeneration through violence: the ... - Richard Slotkin - Google Bücher

The fatal environment: the myth of ... - Richard Slotkin - Google Bücher


Diese Arbeiten bzw. Konzepte wurden beispielsweise auch von Young aufgegriffen und auch auf die Analyse anderer Themen übertragen, wie beispielsweise auf das vor WW2-Japan (mit expliziten Bezügen zu einer Arbeit von Wehler zu Bismark und dem Imperialismusproblem).

Japan's Total Empire: Manchuria and ... - Louise Young - Google Bücher
 
Der wilde Westen war vor allem in der 2. Hälfte des 19. Jhrdt. Damit auch die Treck's welche man aus den Western kennt. Es waren wohl aus meiner Sicht Einwanderer aus Europa, welche in den Ostküstenstaaten der USA keine wirtschaftliche Perspektive sahen und damit langsam aber sicher immer weiter in den Westen vordrangen. Ein weiterer Anteil waren wohl auch befreite Sklaven welche sich in den Westen aufmachten. Und Leute die sich nicht wohl fühlten in ihrer Heimat, siehe Puritaner, Stichwort Bible-Belt.
Zum anderen waren auch etliche Leute die mit den neuen Bedingungen nicht klar kamen, sowohl politischer als auch wirtschaftlicher Natur, und deshalb auf Wanderschaft gingen.
Das ganze fand um die Zeit des Amerikanischen Bürgerkrieges statt, das sollte man nicht übersehen.
Gleichzeitig war ein wirtschaftlicher Aufschwung, zumindest in den Union-Staaten, mit dem Eisenbahnbau zu verzeichnen. In Kalifornien war ein Goldrausch ausgebrochen und, und , und....

Apvar
 
na schonmal vielen Dank für die Anregungen, Links etc.
das hat mich auch schon ein ganzes Stück weitergebracht, zumindest auch was den "american dream" angeht...interessant finde ich einfach den Ursprung dieser Ideologie, die sich aber sicher mit der Entstehungsgeschichte der Vereinigten Staaten, den Motivation der Einwanderer gut verstehen lässt.

Dass das natürlich auch den bitteren Beigeschmack von Unterdrückung, Vertreibung, Vernichtung mit sich bringt ist natürlich tragisch! Aber da muss man ja nicht groß in die Vergangenheit anderer Nationen blicken (...)

Kann man denn sagen, dass gerade auch das stark ausgeprägte Sendungsbewusstsein damit Verbunden ist (bzw. gerne vorgeschoben wird) dieses (vorbildliche) Ideal und somit die Vorstellungen des amerikanischen Traums, welche jeder leben kann, an die Welt weiterzugeben?
 
@Kira88: Deine Schlussfolgerungen sind einerseist nachvollziehbar, aber für meinen Begriff gehen sie an dem Problem vorbei.

Es ist eine Sache, einen Staat in seinen Grenzen formal zu deklarieren, aber es ist eine andere Sache, eine "Nation zu gründen".

Diese Nation braucht, um sozial, wirtschaftlich und ökonomisch stabil fungieren zu können, unter anderem eine politische Kultur, die das Zusammenleben in einem "Einwanderungsland" ermöglicht.

Der Mythos bzw. eine spezfische Ideologie ist dabei eine Form, das Zusammenleben im Rahmen einer politischen Kultur zu organisieren.

In diesem Sinne kann man auch für andere Staaten "Mythen" identifizieren, die die Bildung von Nationen erleichtern sollte. In diesem Sinne war der Aufbau der Flotte im Kaiserreich, eingerahmt durch die imperialistischen Ambitionen, ein Versuch, eine einheitliche Identität aufzubauen. Ähnlich kann man die Funktionalisierung der Oktoberrevolution und des Bürgerkriegs in der UdSSR als ein identitätsstiftendes Ereignis für die politische Kultur interpretieren.

Ein erweitertes Verständnis dieser Thematik bietet Dir beispielsweise die Arbeit von Cassirer.

Ernst Cassirer ? Wikipedia
 
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Nun ich sehe da durchaus einen Unterschied zwischen frontier-spirit und american dream -bei ersterem ging es um die Herausforderung ,sich am Rande der Zivilisation eine Lebensgrundlage zu schaffen, bei letzterem um die Erlangung größtmöglichen materiellen Wohlstandes.
der American dream-vom Tellerwäscher zum Millionär
ist in den industriell geprägten Gesellschaften der Ost- und Westküstenstaaten entstanden und zwar später als der frontier spirit .Und er ist ideologischer - im Prinzip zeigt er auf,daß im rein kapitalistischen System jeder mit Glück und Geschick ungeachtet seines ursprünglichen Standes aufsteigen kann und sich dieser Aufstieg ausschließlich durch materiellen Wohlstand definiert.Der american dream stellt somit den radikal-kapitalistischen Gegenentwurf zu Ständestaat und dirigistischen oder sozialistischen Wirtschaftsmodellen der "Alten Welt"-dar Der Ausdruck entstand Anfang des 20.Jahrhunderts,als die USA sich anschickten ,globale Wirtschaftsmacht zu werden, zu einer Zeit also,als es die "Frontier" nicht mehr gab.

Der "frontier spirit" ist älter und im Prinzip auch vom Wertegerüst anders ausgelegt
Hier steht das Überwinden existenzieller Probleme im Vordergrund ,das in nicht geringem Maße solidarische und gemeinsoziale Elemente beinhaltet- (der Verhaltenscodex,wie er in Gesellschaften der Cowboy-States und des mittleren Westens z.T. heute noch gepflegt wird , ist ein Überbleisel davon. ) - und eigentlich ein Gegensatz zum eher egozentrisch geprägten american dream ist
Es waren wohl aus meiner Sicht Einwanderer aus Europa, welche in den Ostküstenstaaten der USA keine wirtschaftliche Perspektive sahen
Zur Frontier bzw.deren Verlagerung über die Missouri-Mississippi-Linie hinaus nach Westen trugen neben den wirtschaftlichen oft auch religiös-separatistische Motive bei Wesentlichen Anteil an der Besiedelung des Westens der USA hatten sicherlich die Mormonentrecks und deren Staatsbildung in Utah. Der Mormonenstaat war bis zum sogenannten "mormon-war" ein autonomes ,separatistisches Gebilde und gleichzeitig Kernzelle eines Handelsnetzes, das den gesamten Westen von Mexiko bis Kanada und vom Mississippi bis Kalifornien umfasste und somit der erste Anflug von Infrastruktur in diesen Gebieten war.
Und gerade hier haben wir zwar den frontier spirit, im wesentlichen gegründet auf eine solidarische,auch religiös motivierte Gemeinschaftsleistung aber keineswegs den american dream, den die Mormonen im Grunde ja ablehnen.
 
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Frontiermentalitäten gab es auch in Europa siehe österreichische Militärgrenze und Ukraine (was Beies Krajinas also slaw. Grenzen sind). Auch sehr stark religiös bedingt.

Man sollte nicht vergessen das die Bauern und Viehhirten einen wichtigen Absatzmarkt für die Industrie in den Städten darstellten. Der erste Katalog wurde ja in den USA gedruckt um die Cowboys zu erreichen. Und es hat auch soziale Konflikte verhindert, wer arm war bekam Land vom Staat.
 
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Nun ich sehe da durchaus einen Unterschied zwischen frontier-spirit und american dream -bei ersterem ging es um die Herausforderung ,sich am Rande der Zivilisation eine Lebensgrundlage zu schaffen, bei letzterem um die Erlangung größtmöglichen materiellen Wohlstandes.
der American dream-vom Tellerwäscher zum Millionär ist in den industriell geprägten Gesellschaften der Ost- und Westküstenstaaten entstanden und zwar später als der frontier spirit .Und er ist ideologischer - im Prinzip zeigt er auf,daß im rein kapitalistischen System jeder mit Glück und Geschick ungeachtet seines ursprünglichen Standes aufsteigen kann und sich dieser Aufstieg ausschließlich durch materiellen Wohlstand definiert.Der american dream stellt somit den radikal-kapitalistischen Gegenentwurf zu Ständestaat und dirigistischen oder sozialistischen Wirtschaftsmodellen der "Alten Welt"-dar Der Ausdruck entstand Anfang des 20.Jahrhunderts,als die USA sich anschickten ,globale Wirtschaftsmacht zu werden, zu einer Zeit also,als es die "Frontier" nicht mehr gab.

Der "frontier spirit" ist älter und im Prinzip auch vom Wertegerüst anders ausgelegt
Hier steht das Überwinden existenzieller Probleme im Vordergrund ,das in nicht geringem Maße solidarische und gemeinsoziale Elemente beinhaltet- (der Verhaltenscodex,wie er in Gesellschaften der Cowboy-States und des mittleren Westens z.T. heute noch gepflegt wird , ist ein Überbleisel davon. ) - und eigentlich ein Gegensatz zum eher egozentrisch geprägten american dream ist

Zur Frontier bzw.deren Verlagerung über die Missouri-Mississippi-Linie hinaus nach Westen trugen neben den wirtschaftlichen oft auch religiös-separatistische Motive bei Wesentlichen Anteil an der Besiedelung des Westens der USA hatten sicherlich die Mormonentrecks und deren Staatsbildung in Utah. Der Mormonenstaat war bis zum sogenannten "mormon-war" ein autonomes ,separatistisches Gebilde und gleichzeitig Kernzelle eines Handelsnetzes, das den gesamten Westen von Mexiko bis Kanada und vom Mississippi bis Kalifornien umfasste und somit der erste Anflug von Infrastruktur in diesen Gebieten war.
Und gerade hier haben wir zwar den frontier spirit, im wesentlichen gegründet auf eine solidarische,auch religiös motivierte Gemeinschaftsleistung aber keineswegs den american dream, den die Mormonen im Grunde ja ablehnen.


Ich würde den "American Dream" nicht ausschließlich über materiellen Wohlstand definieren. Mark Twains Huckleberry Finn ist einerseits ein Gegenentwurf zum American Way of life wie ihn die Bewohner des fiktiven Städtchens St. Petersburg und andere Zeitgenossen praktizieren, doch ist die Geschichte eine sehr amerikanische: Ein degradierter, armer Weißer und ein schwarzer Sklave, beide auf ihre Art Ausgestoßene, brechen auf und aus, getrieben von Freiheitsdrang und Streben nach Glück. Jim erhält schließlich seine Freiheit, doch Huckleberry deutet an, dass er in der beschaulichen Welt von St. Petersburg keinen rechten Platz finden wird und will in den "Wilden Westen" gehen.
 
Nun,der Begriff des american dream ist erheblich Jünger als das Buch von Mark Twain. Die dort beschriebenen Figuren sind eher vom Frontier Spirit geprägt und beziehen ihre Identität aus ihrer sozialen Stellung innerhal der lokalen Gemeinschaft und weniger auf Grund materiellen Erfolges. Schauplatz ist ja aiuch eine ländliche Kleinstadt an der langjährigen Zivilisationsgrenze,dem Mississippi und dazu noch im traditionell eingestellten Süden.

Der American Dream hat seinen Ursprung gerade nicht im Alten Süden oder im Wilden Westen sondern in den industriellen Regionen der Ostküste .Protagonisten dieser Ideologie sind Leute wie Rockefeller,Chrysler,Ford,Westinghouse,Kaiser,Cord aber im Negativen auch AlCapone,Meyer-Lansky oder Bugsy Siegel und stellt gerade eine abkehr von den Wertvortellungen des Frontier spirit war
 
Was bisher noch nicht genannt wurde, ist der eigentliche Ursprung des Wortes Frontier, das uns in der Bedeutung wesentlich weiterbringt, und zwar Frederick Jackson Turners sogenannte Frontier Thesis.

Turner vertritt die These, dass der amerikanische Charakter in der Konfrontation mit der Wildnis entstehe, und dass der Europäer, der der Wildnis ausgesetzt wird, zu einem Amerikaner transformiert. Es geht hier um eine Abgrenzung des amerikanischen Nationalcharakters von den Europäern einerseits und von den Native Americans andererseits. Der Amerikaner ist so 'zivilisiert' wie der Europäer, aber er ist so 'natürlich' zum Kontinent gehörend wie der Native American ('civilized' und 'savage' / 'natural' waren damals in Recht & Politik die Wörter der Wahl zur Unterscheidung, das ist nicht meine eigene Formulierung).

Hierbei sollte bemerkt werden, dass Turner Historiker war und die Frontier Thesis 1893 vor Historikern zum ersten Mal vorgetragen wurde. Es geht hier also um eine rückwirkende Legitimierung z.B. von Konzepten wie Manifest Destiny.

Was das mit dem American dream zu tun hat, erklärt Slotkin in seinen Büchern, die thanepower bereits genannt hat und die tatsächlich die wichtigste theoretische Aufarbeitung dieses Konzepts sind. Slotkin argumentiert, dass die Frontier ein zentraler Nationalmythos (von mehreren) geworden ist, der zitiert werden kann, um zu verdeutlichen, was mit einem American Dream gemeint sein könnte. Besonders erfolgreich wurde das zB von John F. Kennedy gemacht.
 
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Aus Turners Sicht mag es eine rückwirkende Legitimierung gewesen sein,aber die "frontier" war keinesfalls nur Fiktion sondern durchaus über Jahrhunderte eine westwärts wandernde Realität. Appalachen ,Mississippi, Pecos und RedRiver bildeten tatsächlich jeweils eine Zeitlang die Grenze zwischen Zivilisation und Staatlichkeit einerseits und Wildnis und teilweise anarchistischen gesellschaftlichen Verhältnissen andererseits.
 
Aus Turners Sicht mag es eine rückwirkende Legitimierung gewesen sein,aber die "frontier" war keinesfalls nur Fiktion sondern durchaus über Jahrhunderte eine westwärts wandernde Realität.

Ja, es gab eine Westwärtsbewegung europäischer Siedler, klar war die nicht einfach nur von Turner ausgedacht. Ich denke auch nicht, dass ich das so argumentiert habe. Ich spreche von der Frontier als ein Legitimisierungsnarrativ, weil die *Beschreibung* "Frontier" für die von dir genannten Prozesse eben nicht neutral ist.

Zum Beispiel implizieren wir mit dem Begriff frontier bereits, dass wir uns die Perspektive der Siedler zu eigen machen, und nicht die der Indianerstämme, die an genau dieser "Frontier" schließlich genauso gelebt und gekämpft haben. Genauso impliziert der Begriff Frontier, dass notwendigerweise die USA aus diesen hochkomplexen Wirren hervorgehen mussten. Die Geschichte der Westward Expansion wird in der Regel schon nach Vorboten der USA, des Nationalcharakters usw. abgesucht, sobald man sie als Frontiergeschichte schreibt. Auch der Begriff "Westward EXPANSION" ist verräterisch, denn er impliziert bereits, dass die USA sich ausdehnen, statt dass sich etwa unabhängige Staaten neu hätten gründen können. Nicht zuletzt kehrt das Konzept Frontier auch die gesamte Souveränitätsdebatte bezüglich der Native Americans unter den Teppich.

Ich denke, spätestens hier ist klar, was ich gemeint habe: Die Frontier ist nicht ein eigenständiges Konstrukt zusätzlich zu dem historischen Fakt, sondern vielmehr ein Rahmen, um die von dir angeführten Begebenheiten und Prozesse IM NACHHINEIN historisch sinnvoll zu ordnen. Es geht einfach um die Frage, wie man seine Prioritäten als Historiker vorsortiert, sobald man dieses Wort wählt. Als so ein ordnender, vorsortierender Rahmen hat "Frontier" nun mal eine gewisse Neigung, gewaltsame Landnahme als "natürlichen, geradezu notwendigen Prozess" hinzustellen.

Appalachen ,Mississippi, Pecos und RedRiver bildeten tatsächlich jeweils eine Zeitlang die Grenze zwischen Zivilisation und Staatlichkeit einerseits und Wildnis und teilweise anarchistischen gesellschaftlichen Verhältnissen andererseits.

Hier tappst du selber in die Frontier-Falle, Zivilisation und Staatlichkeit auf die eine Seite zu stellen und Wildnis und Anarchie auf die andere. Die Folgen sind groß: So eine Sichtweise macht beispielsweise native americans zu einem Teil der Landschaft, statt zu Kulturen mit sehr ausgefeilten Vertrags- Herrschafts- Kriegs- Ackerbau- und Rechtssystemen. Dein Verweis auf "anarchistische gesellschaftlichen Verhältnisse" trifft schon allein deswegen nicht zu. Solche problematischen Unsichtbar-Machungen sind genau der Grund, warum die Frontier mittlerweile vor allem als problematisches kulturelles Konstrukt diskutiert wird statt als Kurzbeschreibung für den äußersten Punkt, bis zu dem Europäer zu irgendeinem Zeitpunkt gerade halt vorgedrungen waren.
 
Ich sehe den Frontierbegriff auch sehr kritisch, er war im Grunde eine Erlaubnis für Plünderung und Vertreibung der einheimischen Bevölkerung.

Aber machtpolitisch war es für die USA sicherlich sehr gut so viele Immigranten mit billigem Land auszustatten und so zur Groß und dann Weltmacht zu werden.

Ohne den Homestead Act wären wahrscheinlich kaum so viele Einwanderer in die USA gekommen.
 
Die machtpolitisch-gesellschaftliche Seite ist tatsächlich nicht zu vernachlässigen, gerade wenn man Turners Frontier Thesis geschichtlich kontextualisieren will.

Die Frontier Thesis taucht zu einem Zeitpunkt auf, zu dem der Pazifik erreicht ist und man die sozialen Probleme zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte nicht mehr einfach in den Westen abwandern lassen kann. Armut, weltanschauliche Konflikte, Überpopulation, soziale Missstände - auf all das war die Westward Expansion eine Antwort, eine Antwort zudem, die Amerika von Europa unterscheidet und ihr damit eine unterscheidbare Identität gibt.

Plötzlich aber wird klar, dass dieser Ausweg nicht unendlich fortführbar ist, dass damit auch die amerikanische Identität in eine Krise geraten kann. Turners Frontier Thesis ist demzufolge halb nostalgisch zu verstehen, halb als Kampfansage, die Frontier, den Neubeginn, den Phönix aus der Asche dann eben auch an anderen Stellen fortzusetzen, da nur so der amerikanische Charakter amerikanisch bleiben kann.

Quellen:

Ray A. Billington: The Genesis of the Frontier Thesis. A Study in Historical Creativity. San Mario, CA: Huntington, 1971.

Richard Hofstadter (Hg): Turner and the Sociology of the Frontier. New York, NY: Basic Books, 1968.
 
ist aktueller, aber nicht zu tagespolitisch, um nicht relevant zu sein, finde ich.

hab neulich mal eine Dokumentation über Amerika mit dem Zug gesehn, in der eine deutsche Reporterin durch halb Amerika gefahren ist und Menschen die ihr unterwegs begegneten kurz begleitete.

Jene Reporterin hatte auch einen Film über Sozialhilfe-Empfänger gedreht, mit einem starken Akzent auf "Schmarotzertum", durch die Blume, in angemessenem Stil.

Im Amerika-Film, so kam es mir vor, klang in ihren Interviews, öfters, wenn nach dem Erfolg im Leben, was man denn erreicht habe, wie das sei, sei man glücklich, gefragt wurde, ein mitleidig-veruteilender Ton mit, gerade wenn sie mit ärmeren Menschen (Schaffner, Gastronmie-Angestellte, usw.) sprach.

Sie hat ihnen, meine ich, vielleicht unabsichtlich, ein unangenehmes Gefühl bereitet (~Subtext: "Du bist gescheitert.") und da ist mancherteils die Ideologie des "American Dream" als Retter eingesprungen.

Ist die Situation noch so belastend, unerfüllt, man kann sagen "Ich lebe meinen Traum", gewissermaßen ein ideologisch (in gewissem Rahmen) akzeptiertes Totschlag-Argument, als Waffe gegen jenes mitleidig-verurteilende.

Ich denke, hätte jemand mit einer anderen Einstellung interviewt, hätten einige ihr Leben als nicht glücklich, gut beschrieben, unter jener Vorhaltung aber, konnten sie sich mit dem "American Dream" rechtfertigen.

wenn das noch dieselbe Vorstellung ist "vom Tellerwäscher zum Millionär"+Selbstverwirklichung; auf alle Fälle, haben sie kontextuale Redewendungen benutzt
 
Plötzlich aber wird klar, dass dieser Ausweg nicht unendlich fortführbar ist, dass damit auch die amerikanische Identität in eine Krise geraten kann. Turners Frontier Thesis ist demzufolge halb nostalgisch zu verstehen, halb als Kampfansage, die Frontier, den Neubeginn, den Phönix aus der Asche dann eben auch an anderen Stellen fortzusetzen, da nur so der amerikanische Charakter amerikanisch bleiben kann.

Als "nostalgisch" würde ich Turners Frontier-These nicht bezeichnen. Vielmehr begründet sie, warum die üblichen Gesetze und Regeln der menschlichen Gesellschaft für die Frontiers nicht gegolten haben, da die naturgesetzlichen Bedingungen völlig andere gewesen seien. Das sanktioniert u.a. den blutigen Kampf gegen die Indianer und ihre Ausrottung und gesteht den Amerikanern besondere Rechte zu, die sie zu einem "auserwählten Volk" machen.

Das geografische Erreichen der Frontier bedeutete auch keineswegs eine Krise der amerikanischen Identität, denn die Amerikaner verinnerlichten den Frontier-Mythus und fanden seit 1898 neue Frontiers im Imperialismus, wo sie 1898 den Spaniern Kuba und die Philippinen entrissen und Mittel- und Südamerika ihrem Einflussbereich unterwarfen.

Man kann sagen, dass der Frontier-Mythus bis heute in den USA lebendig ist und sich in vielerlei politischen, gesellschaftlichen und banal-alltäglichen Formen ausdrückt.
 
Als "nostalgisch" würde ich Turners Frontier-These nicht bezeichnen. Vielmehr begründet sie, warum die üblichen Gesetze und Regeln der menschlichen Gesellschaft für die Frontiers nicht gegolten haben, da die naturgesetzlichen Bedingungen völlig andere gewesen seien. Das sanktioniert u.a. den blutigen Kampf gegen die Indianer und ihre Ausrottung und gesteht den Amerikanern besondere Rechte zu, die sie zu einem "auserwählten Volk" machen.

Da bin ich anderer Meinung.

Du sprichst von Naturrecht, das bringt mich wiederum zum Völkerrecht. Das damals geltende Völkerrecht sanktioniert nämlich durchaus nicht den blutigen Kampf gegen die Native Americans, sondern die Frontiernarrative ergibt sich vielmehr aus dem Völkerrecht. Ich zitier mal einen zentralen Text, Emer de Vattel's Law of Nations:

"Those nations (such as the ancient Germans, and some modern Tartars), who inhabit fertile countries, but disdain to cultivate their lands, and choose rather to live by plunder, are wanting to themselves, are injurous to all their neighbours, and deserve to be extirpated as savage and pernicious beasts. There are others, who, to avoid labour, choose to live only by hunting, and their flocks. This might, doubtless, be allowed in the first ages of the world, when the earth, without civilization, produced more than was sufficient to feed its number of inhabitants. But at present, when the human race is so greatly multiplied, it could not subsist if all nations were disposed to live in that manner. Those who still pursue this idle mode of life, ursurp more extensive territories than, with a reasonable share of labour, they would have occasion for, and have, therefore, no reason to complain, if other nations, more industrious and too closely confined, come to take possession of a part of those lands." (Buch I, Kapitel VII, § 81.)

Konkret wird das nochmal auf Seite 100 (Buch I, Kapitel XVIII, § 209) auf die Native Americans angewandt, aber in dem Zitat oben wird schon deutlich, worum's geht (es ist auch das meistzitierte in diesem Frontierzusammenhang): Wer keinen Ackerbau betreibt und das Land mit seinen drei Hanseln bloß zum Jagen benutzt, statt ordentlich wie die Europäer zivilisiert zu leben, der darf sich halt nicht wundern, wenn ihm das Land weggenommen wird.

Wenn du jetzt argumentieren würdest, dass das beileibe nicht die einzige völkerrechtliche Rechtsmeinung war, hättest du recht - der springende Punkt aber ist, dass dies eine Meinung ist, die native american-mäßig schon zur Rechtfertigung ausgereicht haben dürfte, wenn man einfach vom Naturrecht her kommt. Wegen dem Völkerrecht braucht man nun wirklich keine Frontier als Alternative zu erfinden. Auch mit dem auserwählten Volk braucht's noch keine Frontier; die Israel-Parallele gab es und wurde auch angewandt, die kann theoretisch auch für sich selbst stehen (steht zB im Slotkin Bd. 1).

Das geografische Erreichen der Frontier bedeutete auch keineswegs eine Krise der amerikanischen Identität, denn die Amerikaner verinnerlichten den Frontier-Mythus und fanden seit 1898 neue Frontiers im Imperialismus, wo sie 1898 den Spaniern Kuba und die Philippinen entrissen und Mittel- und Südamerika ihrem Einflussbereich unterwarfen.

Du bleibst hier so ein bisschen den Beweis schuldig, warum das Erreichen des Pazifiks jetzt keinesfalls eine Krise gewesen sein kann. Dass die geographische Frontier so zwanghaft auf andere Räume übertragen werden musste beweist doch gerade, dass es ohne die Frontier nicht ging, eben WEIL sie so zentral zur Identität gehörte und plötzlich verschwunden war. Wenn das nicht Krise ist, was ist dann Krise?

Man kann sagen, dass der Frontier-Mythus bis heute in den USA lebendig ist und sich in vielerlei politischen, gesellschaftlichen und banal-alltäglichen Formen ausdrückt.

Yo. Ich stimme zu.
 
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