Die Melungeons

Arsacides

Aktives Mitglied
Ein höchst interessantes Völkchen, mit dem ich mich gerade befassen möchte, sind die sogenannten Melungeons in den USA, deren Herkunft nicht völlig geklärt zu sein scheint, obwohl es mehrere Theorien dazu gibt. Deswegen würde mich interessieren, ob sich jemand in diesem Gebiet auskennt bzw. auf seriöse Fachliteratur verweisen kann. Natürlich soll der Thread auch Gesprächsgrundlage sein. Zum Einstieg hier den wikipedia - Artikel:

Melungeon - Wikipedia, the free encyclopedia
 
Dies ist sehr interessant. Ich frage mich, ob es irgendwelche heute herum sind. Ich komme aus Virginia, wo die Melungeons komme aus. Obwohl ich noch nie von ihnen gehört. Es gibt nicht viel Informationen über sie.
 
Dies ist sehr interessant. Ich frage mich, ob es irgendwelche heute herum sind. Ich komme aus Virginia, wo die Melungeons komme aus. Obwohl ich noch nie von ihnen gehört. Es gibt nicht viel Informationen über sie.


Das wundert mich nicht. Die Melungeons sind eine geschlossene Community, in der aufgrund der jahrhundertelangen Diskriminierung bzw. Nichtanerkennung das Misstrauen gegenüber Aussenstehenden vorherrscht. Das dürfte sich auch auf die Quantität verifizierbarer Informationen/Quellen ausgewirkt haben.
 
Habe viel über die Melungeon gelesen, und dieses Buch gekauft, das ich sehr interessant und schlüssig finde und absolut empfehlen kann: Elizabeth Hirschman, The last lost tribe in America
 
So faszinierend die Lektüre des Buches von E. Hirschmann auf den ersten Blick auch sein mag, es darf doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es über die Melungeons doch sehr unterschiedliche Ansichten gab und heute noch gibt.
Als ergänzende Lektüre empfehle ich folgende Bücher und Artikel:
Walking Toward the Sunset: The Melungeons of Appalachia
http://historical-melungeons.blogspot.de/2011/01/1996-demarce-review-essay-melungeons.html
Außerdem natürlich die einer Gruppe , nicht aller Melungeons:
http://www.melungeons.com/articles/march2003a.htm
http://www.melungeons.com/articles/statemenkennedydec02.htm
Lipper Schütze
 
Habe viel über die Melungeon gelesen, und dieses Buch gekauft, das ich sehr interessant und schlüssig finde und absolut empfehlen kann: Elizabeth Hirschman, The last lost tribe in America

Es handelt sich bei der Veröffentlichung leider um ein nicht empfehlenswertes pseudo-historisches Buch.

Zum einen ist Hirschman keine Historikerin, sondern ist Fachfrau für Marketing. Ihr Ko-Autor Donald Yates ist Inhaber einer Firma, die kostenpflichtige DNA-Tests anbietet.
Die Veröffentlichung von Hirschman und Yates ist wissenschaftlich nicht anerkannt und wird zb dafür kritisiert, daß in der von den Autoren vorgenommenen DNA-Untersuchung bei von ihnen als Melungeons angesehenen Personen auch keine anerkannte DNA-Testmethode, sondern die von Yates Firma verkauften Tests eingesetzt wurden. Ferner haben Hirschman/Yates nicht anerkannte Testprotokolle und Datenbasen verwendet. (siehe zb Melungeons | Abagond )

Den Begriff Melungeon kenne ich für Personengruppen in den USA, die eine Abstammung von europäischen und afrikanischen Vorfahren aufweisen; teilweise werden auch indigene Vorfahren behauptet bzw angenommen. Hinsichtlich der afrikanischen Vorfahren gibt es unterschiedliche Angaben, ob es sich um freie bzw freigelassene Schwarze oder entkommene Sklaven gehandelt habe.

Hirschman/Yates dagegen behaupten, die Melungeons gingen auf eine Auswanderungswelle sephardischer und ashkenasischer Juden bzw auf eine Auswanderung von Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens zurück. Bei den Muslimen soll es sich, soweit ich die verschiedenen Artikel und Rezensionen verstehe, um Türken handeln; teilweise wird aber auch die Bezeichnung „Moors“ gebraucht und ebenfalls auf die Vertreibung aus Spanien Bezug genommen. Ferner sagen sie, daß diese bereits mit den ersten Entdeckern nach Amerika gekommen seien und dort blieben, um der spanischen Inquisition zu entkommen. Diese Auswanderer hätten dann nach Hirschman/Yates ein primitives baptistisches Christentum angenommen, aber gleichzeitig seien sie erheblich bei den Freimaurern beteiligt gewesen, was Hirschman/Yates darauf zurückführen, daß diese Auswanderergruppe dadurch den Kontakt mit zukünftigen europäischen Immigranten habe gewährleisten wollen.

Hirschman/Yates behaupten außerdem, daß bekannte Persönlichkeiten wie Abraham Lincoln Melungeon und damit jüdischer Herkunft gewesen sei. Dies leiten sie aus folgenden Behauptungen ab:
Lincoln habe nie einer Kirche angehört
Sein Urgroßvater habe Mordecai geheißen, sein Großvater Abraham
Die Familie Lincoln stamme aus der engl Stadt Lincoln, wo es eine große jüdische Gemeinde gab (Dies nur bis zum 13. Jahrhundert, aber sie argumentieren mit „secret Jews“).
Aufgrund ähnlich profunder Argumentation werden außerdem Daniel Boone, Davy Crockett und Jefferson Davis zu Melungeons bzw von jüdischer Herkunft .

Entsprechend ergibt eine Google-Suche nach Autorin und Titel eine Vielzahl von Firmen, die alle über das Internet Bücher verkaufen, und mehrere E-Bay-Treffer. Einige Seiten befassen sich kritisch mit Hirschman/Yates und zumindest eine Zeitung fand die Thesen derart hanebüchen, daß der Artikel deutlich satirisch ausfiel. Weitere Treffer sind Seiten, bei denen bereits aus der Adresse klar wird, daß sie zum rechtsextremen Spektrum gehören und einige Seiten werden von Google direkt herausgenommen.

Sehr interessant sind auch noch die Rezensionen bei der Amazone, die das Buch mit nur einem Stern bewertet haben.
 
Den zweiten Autor habe ich ebenfalls angeschaut. Donald Yates, auch bekannt als Donald Neal Yates, Donald Panther-Yates, Donald Neal Panther Yates wechselt seine ethnischen Zugehörigkeiten offenbar nach Gusto oder auch mit den veröffentlichten Büchern.

Im Jahr 1996 war er noch Mitglied und Chief der American Cherokee Confederacy (Im Jahr 1996 war er noch Mitglied und Chief der American Cherokee Confederacy ( http://www.newagefraud.org/smf/index.php?topic=2266.0 ). Die ACC ist in einer von den Cherokee herausgegebenen Liste von Gruppen, Vereinen etc aufgeführt, die alle zu Unrecht behaupten, Cherokee zu sein. Oft geht es bei diesen Organisationen um Mitgliedsbeiträge bzw um Gelder, die aus dem Verkauf von Bescheinigungen, Ausweisen etc zu ziehen sind. Solche Papiere sind nichts wert, finden keine offizielle Anerkennung, können aber recht teuer sein.

Yates behauptete seinerzeit bzw teils offenbar auch heute noch (siehe zb eine Info zum Autor bei der britischen Amazone, dort als „Donald Panther-Yates“), indigener Herkunft zu sein. Auf einer eigenen Webseite ( http://www.oldworldroots.com/About-the-Author.html ) erklärt Yates, er sei zu einem Viertel „Cherokee descendant“. Die Autoreninfo bei der Amazone behauptet, Yates könne seine Abstammung mütterlicherseits auf Black Fox zurückführen. Black Fox lebte von 1746-1811 und war von 1801-1811 Principal Chief der Cherokee. William Thomas war jedoch weißer Amerikaner, der vom Principal Chief Yonaguska adoptiert wurde.

Mit der angeblichen Abstammung von Black Fox sollte Yates locker eine der Voraussetzungen zur Registrierung bei den Cherokee erfüllen, nämlich die Abstammung in direkter Linie von einem Vorfahren, der auf der Dawes Roll erfaßt wurde (da Black Fox vor Erstellung dieser Rolls starb, kann dies nur eines der Kinder von Black Fox sein). Da Yates sich aber nie um ein reguläres Enrollment bei den Cherokee bemühte, ist davon auszugehen, daß die angebliche Abstammung nicht auf Fakten beruht.

Um 2000 herum orientierte sich Yates jedoch in seiner Abstammung um und gibt sich seitdem auch in Kurzbios bei entsprechenden Büchern als Melungeon aus.

Seine Veröffentlichungen über die Cherokee gehören ebenfalls nicht zur wissenschaftlichen oder auch nur zur Sachliteratur:

http://www.oldworldroots.com/Reviews.html

Aus der kurzen Inhaltsangabe zu diesem Buch (Old World Roots of the Cherokee) geht hervor, daß Yates diese im 3. Jahrhundert vuZ nach Amerika einwandern läßt. Mit einer Kombination aus DNA-Analyse, historischer Forschung und klassischer Philologie will Yates ermittelt haben, daß die Cherokee jüdische Vorfahren und Vorfahren im Nahen Osten (Originalwortlaut: Jewish and Eastern Mediterranean ancestry) haben. Sie hätten ferner ursprünglich Griechisch gesprochen, bevor sie durch ein Bündnis mit den Haudenosaunee deren Sprache annahmen.

Wie eine aus dem von Yates behaupteten Raum an Griechisch als Sprache kommt, erklärt er dann offenbar nicht.

Auch der berufliche Hintergrund von Yates erfährt immer neue Varianten, je nach Webseite, Buchveröffentlichung etc. Auf einer Yates-Webseite ist er „genealogist, author and research scientist in the DNA testing industry“ ( http://www.oldworldroots.com/About-the-Author.html ). Bei der britischen Amazone ist er „genealogist, cultural historian and DNA investigator“. In den aus den 1990ern stammenden Angaben, die er noch als Chief der ACC macht, ist er „college teacher, writer, public relations“. Ein Studium läßt sich nicht ermitteln und auch Yates selbst macht da keine schlüssigen Angaben.

Kurz gesagt: seriös geht anders.
 
So, wer suchet, der findet:

Quelle: Donald Panther Yates

Er ist beruflich "professor of communications and advertising".

Education
Ph.D., University of North Carolina, Chapel Hill, North Carolina
M.A., Duke University, Durham, North Carolina
B.A., English, Stetson University, DeLand, Florida
Seine Diss: Results for 'Donald Neal Yates' [WorldCat.org]
Titel: The cock-and-fox episodes of „Isengrimus“, attributed to Simon of Ghent: a literary and historical study, 1979

Offenbar im Fach Englisch geschrieben.


Positions and Appointments
Georgia Southern University, Statesboro, Georgia (2000 - ): Assistant Professor of Communications
University of West Florida, Pensacola, Florida (1999-2000): Adjunct Instructor, Communications
Pensacola Junior College, Pensacola, Florida (1998-2000): Adjunct Instructor, Communications
Cherokee Communications, Inc., Nashville, Tennessee and Princeton, New Jersey (1994-1998): President
Educational Testing Service, Princeton, New Jersey (1993-1994): Director, Communications Services
Native American Educational Services College, Chicago, Illinois (Fall Semester, 1993): Communications Principal Faculty Member and Assistant Dean of the Chicago Campus
Bayer Corporation, Elkhart, Indiana (1983-1993): Manager, Executive Communications (1992-1993); Manager, Site Communications (1991-1992); Supervisor, Employee Communications (1985-1991); Supervisor, Public Relations (1983-1985)
University of Notre Dame, Notre Dame, Indiana (1980-1982): Associate Visiting Professor
St. John's University, Collegeville, Minnesota (1977-1979): Editor of Publications
Also ganz offenbar nichts mit genealogist, research scientist, DNA investigator undsoweiter. Und sich nach 20 Jahren Berufstätigkeit vom "Adjunct Instructor" gerade zum "Assistant Professor" aufgeschwungen zu haben, ist auch nix zum Raushängenlassen... Ein Adjunct Instructor ist kein fest angestellter Mitarbeiter der Universität, sondern erhält einen Vertrag für ein oder mehr bestimmte Seminare. Assistant Professor wäre im deutschen ein Lehrbeauftragter. Der AP kann zwar auch als Privatdozent übersetzt werden, dafür müßte er aber eine Habilitationsschrift vorgelegt haben und die läßt sich nicht ermitteln.
 
Allen Beiträgen von Ingeborg von Ingeborg stimme ich zu; aber ich wollte den Enthusiasmus von Diana939 nicht enttäuschen. Enthusiasmus kann (muß nicht) zu erweiterter Kenntnis führen, wenn man im Zuge weiterer Nachforschungen zu neuen Quellen vorstößt.

Auf vergleichbare Weise stieß ich auf die Melungeons, als ich Informationen über das Schicksal hessischer Söldner in Amerika suchte. Ich fand Texte von Dr. DeMarce über in Kanada siedelnde Söldner und dann, daß sie auch über die Melungeons genealogische Forschungen unternommen hat. Da ich nicht wußte, was 'Melungeon' bedeutete, suchte ich Material über diese Menschengruppe. Ich habe dann auch später bei einem Besuch Menschen befragt, die sich als Melungeons bezeichneten. Die einzige Gemeinsamkeit in ihren Antworten war eine sog. 'gemischrassige' Herkunft.

Wahrscheinlich hat doch einmal Wikipedia recht, wenn dort geschrieben ist, die Melungeons seien eine der vielen sog. dreirassigen Volksgruppen in den USA.

Lipper Schütze

PS: Frau Dr. DeMarce scheint eine interessante Person zu sein. Ich habe ihre Dissertation über den Bauernaufstand gelesen. Sie erscheint mir bemerkenswert; frei von ideologischem Ballast, den man in einigen anderen Schriften zu diesem Thema findet.
 
vielleicht sind solche Einwanderungsgeschichten ja typisch für die neue Welt? Ich erinnere da an die sagenumwobenen Völker der Nephi etc., die ebenso aus dem gelobten Land gen Amerika wanderten, wie die Franken aus Troja an den Rhein kamen

Die Sache ist ebenso auf dem Hintergrund der Diskriminierung der Afro-Amerikaner zu sehen, wodurch die Motivation entstand, etwaige afro-amerikanische Vorfahren möglichst hinwegzudefinieren. In früheren Jahrhunderten kamen rein praktische Erwägungen noch hinzu, etwa die, daß als "coloured" eingestufte Personen keinen Landbesitz haben durften oder vom Wahlrecht und weiteren Bürgerrechten ausgeschlossen waren bzw wurden und für die die sogen Jim-Crow-Laws galten.

Andererseits kommt noch eine weitere Nuance mit hinein: der Versuch, die indigene Bevölkerung hinwegzudefinieren, indem man sie (oder einzelne Ethnien) als Einwanderer zb aus dem Mittelmeerraum darstellt - siehe zb die "griechischen" Cherokee von Yates. Derzeit gibt es bei den Evangelikalen in den USA eine starke Strömung mit der Neigung, die Indianer als "verlorenen Stamm Israel" anzusehen, die entsprechende Missionierungsbemühungen unternimmt. Inwieweit das ehrlich gemeint ist und nicht nur indigene Personen in größerer Zahl aufgrund der ihnen vorgeblich gezollten Achtung und Aufwertung in diese Gemeinden locken soll, kann ich nicht beurteilen. Andererseits können sich diese Gemeinden zugute halten, daß sie mit ihrer Religion sogar die Abkömmlinge des verlorenen israelischen Stammes überzeugen und sie zum einzig rechten Glauben bekehren.

Daß auf diesen Zug auch Personen wie Yates aufspringen, der damit ua seine fragwürdigen DNA-Tests verkaufen will und der bereits zuvor mit durchaus ökonomischem Interesse zweifelhafte Thesen vertreten hat, ist eher zwangsläufig.
Sein früherer "Stamm", die American Cherokee Confederacy, hat zwar noch eine Webseite, die aber wohl seit ca 2002 nicht mehr gepflegt wird - allerdings haben sie um 2006 herum noch mal versucht, einer Firma eine Entschädigungszahlung aus dem Kreuz zu leiern, weil die auf einem angeblich heiligen Gelände bauen wollte. Ferner finden sich noch Fotos vom damaligen "Chief Rattlesnake", der als angeblicher Cherokee auf dem Bild in voller Plainsmontur mit Adlerfederhaube posiert....


Lipper Schütze schrieb:
aber ich wollte den Enthusiasmus von Diana939 nicht enttäuschen

Darum ging es mir auch nicht - genau gesagt: darum geht es nicht. Es ist leicht möglich, solchen Pseudofritzen aufzusitzen, da die ja davon leben, sich möglichst gut und überzeugend darzustellen und vor allem: zu "verkaufen" (siehe auch die beruflichen Tätigkeiten von Hirschmann und Yates...). Dagegen hilft nur Information, auch wenn diese zunächst ein paar herbe Fakten mitteilen muß - zumal wenn solche Bücher als interessant, schlüssig und absolut empfehlenswert beschrieben werden.
 
Liebe Ingeborg,
jetzt ging zweimal (!!) hintereinander mein schönes ausführliches Feedback verloren bevor ich es posten konnte, deshalb nun kurz und bündig: Tausend Dank für deine Verständnis-Hilfen der beiden Bücher Hirshmann und Yates/Cherokee. habe dies nach 2 geschlagenen Jahren wiederentdeckt und hätte mir viel Kopfzerbrechen sparen können, nachdem ich mit meinem mittelmässigen Englisch die Bücher nur teilweise verstanden habe und glaubte, den Background nicht erfasst zu haben - künftig werde ich hier öfter mal reinschauen, Menschen wie du helfen unsereinem als interessiertem Laien mehr weiter als sie ahnen.
Mit einem herzlichen Gruss an dich,
und einem ordentlichen Cheeeers auf dein neues Jahr 2015,
Diana
 
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