Interview SKH Otto von Habsburg

arch-angelsk

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Ein Interview mit Otto von Habsburg. Es wurde 2002 von mir geführt. Es ist authorisiert und bis dato unveröffentlicht.

Kaiserliche Hoheit, Sie sind als Thronfolger des Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn 1912 geboren worden. 1918 mußten Sie mit Ihren Eltern ins Exil gehen, wo Ihr Vater Kaiser Karl I 1922 starb. Ihr Lebensgeschick wurde also vom Ersten Weltkrieg geprägt. Darin findet sich eine Parallele zum Schicksal Europas, das bis heute von der Urkatastrophe von 1914/18 man denke nur an die schwelenden Balkankonflikte gezeichnet ist. Wie lautet ihr persönliches Resümee für Ihr Leben im 20. Jahrhundert?

Habsburg: Lassen sie mich das in einem mundartlichen Wort zusammenfassen: “Dafürstehen¯: Das unermüdliche Einsetzten für seine Überzeugungen und Ideale. Denn wenn man genug Geduld hat, dann erreicht man seine Ziele, auch wenn es 70 Jahre dauert, wie zum Beispiel beim Fall des Kommunismus in Europa.

Sie haben den Anspruch des Hauses Habsburg, Treuhänder der Völker Europas zu sein, nie aufgegeben. Sie haben die Idee des alten Europa gegen die totalitären Ideologien in Deutschland und Rußland verteidigt. Was heute kaum bekannt ist: Das Haus Habsburg hat mit dem Paneuropa-Picknick von Sopron am 19. August 1989 jenes Loch in den Machtbereich des Kommunismus gestoßen, an dem das innerlich schon zerrüttete System schließlich “verblutete¯. Dieses Picknick an der österreichisch-ungarischen Grenze, für das Ungarn erstmals den eisernen Vorhang öffnete, leitete eine Entwicklung ein, die am 9. November 1989 mit dem Fall der Mauer in Berlin schließlich ihren Höhepunkt fand.

Habsburg: In Mitteldeutschland ist dieser Zusammenhang gar nicht so unbekannt wie im Westen. Wenn ich dort zu Besuch bin, kommen immer wieder Menschen auf mich zu, die sich bei mir bedanken wollen. Dabei war unser Paneuropa-Picknick nur der Anlaß für den Untergang des Kommunismus in Osteuropa, nicht die Ursache. Die liegt wesentlich tiefer. Unsere herkömmliche Geschichtsschreibung erzählt nur von zwei Weltkriegen. Unter den Tisch fällt dabei, daß in Jalta, worin der Zweite Weltkrieg mündete, mit der Aufteilung Europas, die Saat für den Dritten Weltkrieg gelegt wurde, denn man beschönigend den “Kalten Krieg¯ nennt. Dabei war dieser ein ebenso destruktiver Krieg wie die beiden davor und alle drei hatten sogar denselben Rhythmus: Erst eroberte ein Angreifer feindliches Territorium, schließlich kam es zu einer entscheidenden Schlacht, die den Untergang des Angreifers einleitete: Nämlich Verdun, Stalingrad und Budapest, ich meine den ungarischen Volksaufstand von 1956.

1956 hat der Aggressor, also der Kommunismus in Gestalt der sowjetischen Roten Armee, allerdings gesiegt.

Habsburg: Nur militärisch, tatsächlich aber hat dieser Aufstand dem Kommunismus das Rückgrat gebrochen. Ich habe in meinem Leben viele der kommunistischen Führer Europas persönlich kennengelernt. Bis zum 24. Oktober 1956, dem Tag an dem der Volksaufstand gegen den Kommunismus begann, haben die Kommunisten im wahrsten Sinne des Wortes “absolut¯ an die historische Irreversibilität ihrer Ideologie geglaubt. Das heißt, sie lebten bis dahin in der vermeintlichen Gewißheit, daß der Kommunismus, da wo er einmal an die Macht gekommen war, nie mehr, außer durch eine Intervention ausländischer Truppen, verschwinden könne. Nun aber hatte das Volk selbst den Kommunismus beseitigt und es waren die Kommunisten, die ausländische Truppen herbeirufen mußten, um sich an der Macht zu halten. Deshalb stellte Budapest eine ungeheure Erschütterung für den Kommunismus dar, die ihm seine Dynamik und seine Aggressivität nahm. Von da an, auch wenn seine Herrschaft in Europa noch eine weitere Generation währte, war er in der Defensive.

Wenn es der Verdienst der Ungarn war, dem Fundament des Kommunismus einen solch irreparablen Schaden zugefügt zu haben, möchte man von “historischer Gerechtigkeit¯ sprechen, wenn dort schließlich 33 Jahre später sein morsches Gebälk zuerst einstürzte. Hat den ersten Balken das Haus Habsburg aus der Konstruktion geschlagen?

Habsburg: Nun, wir haben das zusammen mit den Ungarn gemacht. Als im Sommer 1989 erkennbar war, welche Entwicklung sich in Ungarn abzeichnen würde, wollte ich vor Ort sein, um zu sehen, was sich machen ließe. Ich bin ganz ordentlich und diskret eingereist. Daraufhin hat mich die jüdische Gemeinde von Budapest eingeladen, zu ihr zu sprechen. Eine ganz famose Sache, denn es kamen Tausende Zuhörer, schließlich brach sogar der Verkehr zusammen. Daraufhin lud mich auch die Universität Debrezen ein, die übrigens mein Vater gegründet hatte, und auch dort kamen Tausende von Zuhörern. Es herrschte eine unbeschreibliche Atmosphäre des Aufbruchs, die man sie sich heute kaum mehr vorstellen kann. Es war eben die Zeit, in der die Völker Osteuropas wieder zu atmen begannen. Nach der Veranstaltung trafen wir uns, meine Tochter Walburga und mein Sohn Georg begleiteten mich, mit einigen ungarischen Oppositionellen und Intellektuellen. Beflügelt durch das am Nachmittag Erlebte, überlegten wir, was zu tun sei. In dieser Runde keiner von uns weiß mehr, wer tatsächlich den Einfall hatte wurde die Idee geboren, bei Sopron eine als Europapicknik der Paneuropaunion getarnte Öffnung der Grenze durchzuführen. In den westdeutschen Botschaften einiger Ostblockländer drängten sich bereits die Flüchtlinge aus der DDR, und so war Sopron der erste Riß im eisernen Vorhang, der Stich der den Ballon zum Platzen brachte.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus war mit dem Ende des Kommunismus die Diktatur im Europa des 20. Jahrhunderts besiegt. Hat sich mit Sopron die Mission des Hauses Habsburg, Schutzherren Europas zu sein, erfüllt?

Habsburg: Ja, so hat es sich gefügt, wenn es auch Folge einer Reihe von Zufällen war und nicht Ergebnis eines langfristigen Planes.

Zu einem langfristigen Plan hatte das Haus nach der Entmachtung und Enteignung 1918 durch die Republik Österreich auch keine Machtmittel mehr. Aber als Privatiers hat man mehr an Engagement, Verantwortungsbewußtsein und Beharrlichkeit für die Wiedervereinigung Europas gezeigt, als die meisten westlichen Staatsmänner, die sich seit den siebziger Jahren zumeist mit den kommunistischen Machthabern arrangiert hatten.

Habsburg: Das mag auf die meisten westeuropäischen Staatsmänner zutreffen. Während eines Besuches in den USA traf ich allerdings auch einmal mit Ronald Reagan zusammen, damals war er noch Gouverneur in Kalifornien. An diesem Abend sprachen wir darüber was aus Rußland werden würde. Reagan sagte, der Kommunismus sei bereits tot, den sein Konzept von der Nationalökonomie sei völlig falsch. Das Problem sei nur, er wisse das noch nicht. Und dann sagte Reagan: “Wir müssen ihm das klar machen, denn dann wird er auch zusammenbrechen.¯ Leider aber konnte der Kommunismus im Westen noch auf allzuviele Dummköpfe zählen, die bis zuletzt an ihn geglaubt haben.

Die europäische Mission Habsburgs rührt nicht nur daher, daß es Träger des römischen Kaisertums war, sondern liegt auch in der Tiefe seiner eigenen dynastischen Geschichte begründet.

Habsburg: Ja, denn das Haus Habsburg ist der Erbe Burgunds. Dort stammen wir her. Burgund, im Herzen Europas gelegen, barg im Mittelalter das damalige geistige Zentrum des Abendlandes, nämlich das Kloster Cluny, und es war, mit über fünfzig Autonomien, eine subsidiäar strukturierte Herrschaft der Bauplan für das Europa von heute. Dort bildete sich also schon damals das originär europäische Prinzip, die Vielfalt der Völker in der Einheit zu bewahren. Ganz anderes, als in den Vereinigten Staaten von Amerika und ihrem Schmelztiegel-Prinzip, daß heute leider viele als Vorbild für die “Vereinigten Staaten von Europa¯ empfehlen. Aus dem Burgund wanderte die europäische Idee über die Franche-Comte und Lothringen, getragen vom Haus Habsburg, in den Donauraum. Graf Coudenhoven-Kalergi etwa, der Begründer der politischen Europa-Idee und Gründer der Paneuropaunion, stammte aus dem Donauraum.

Der Egalitarismus der heute in der EU den politischen Ton angibt, leistet allerdings dem eben genannten amerikanischen Konzept der “Vereinigten Staaten von Europa¯ gegenüber dem europäischen Konzept eines “Europas der Vaterländer¯ Vorschub. Man denke nur an die Europarede Joschka Fischers 2000 in Berlin. Fürchten Sie nicht, daß die historische Erinnerung des Alten Kontinents angesichts der Skrupellosigkeit moderner Politik “unter die Räder kommt¯?

Habsburg: Wir vergessen heutzutage zumeist wie fest wir tatsächlich in der Geschichte wurzeln. Die Menschen von heute sind abgelenkt von all den neuen Horizonten, die sich eröffnen. Tatsächlich reichen die Wurzeln der Verhältnisse unserer Epoche viel tiefer. Geschichte umgibt uns noch unmittelbar, auch wenn wir das nicht wahrnehmen. Bedenken Sie nur, Paul von Hindenburg hat mir noch persönlich von seinen Eindrücken und Erlebnissen im Krieg von 1870/71 erzählt!

Sie haben die historische Mission der Habsburger beschrieben. Leitete sich aber aus der Kaiser-Idee nicht auch eine metaphysische Mission ab?

Habsburg: Die spiegelt sich im historisch gewachsenen Prinzip der Subsidiarität wieder. Sie bringt zusammen, was anderswo in der Welt nicht zusammengeht: die Großräumigkeit mit der Wahrung der Rechte der Kleinen, der Freiheit der Völker.

Also ein identitärer Freiheitsbegriff, kein egalitärer Freiheitsbegriff des Christentums.

Habsburg: Europa ist in viel höherem Maße christlich, als es sich dessen heute noch bewußt ist. Denn unser freiheitlicher Gewissensbegriff stammt aus dem Christentum und so sollen die Völker in Europa nicht alle gleich, aber alle frei sein. Der Kaiser, der an der Spitze dieser Ordnung stand, war also kein Territorialfürst, sondern Vertreter eines internationalen Rechtes.

Es handelte sich also um eine christliche Ordnung, welche Rolle spielt Gott?

Habsburg: Gott ist der größte Garant der persönlichen Freiheit und der Existenz des Bürgers. Denn mit ihm ist über dem weltlichen Machthaber noch eine höhere Instanz gesetz, die ihn bindet. Anders als heute in unseren nicht-religiös gebundenen Gesellschaften, in denen der Machthaber die höchste Instanz darstellt.

Braucht ein christlicher Kulturraum also einen christlichen Regenten, statt sich selbst legitimierender Politiker, um das, was man die Seele Europas nennt, vor dem Absterben zu bewahren?

Habsburg: Das wäre natürlich der beste Weg, denn das größte Übel für Europa war der Rechtspositivismus, der sich inzwischen weiter verbreitet hat, als uns das bewußt ist. Die Rückkehr zu einem christlichen Naturrecht wäre die richtige Wende.

Wie stehen sie zu dem jüngst installierten europäischen Verfassungskonvent?

Habsburg: Davon halte ich zumindest derzeit nichts. Denn da entsteht eine neues europäisches Recht wieder nur aus dem Rechtspostivismus. Leider sind davon schon alle unsere Verfassungen in Europa geprägt, deshalb werden sie auch inflationär oft geändert. Damit wird der alteuropäische Gedanke der sittlichen Verbindlichkeit des Rechts völlig relativiert.

Wenn die metaphysische Bindung an eine göttliche Instanz so wichtig ist für die künftige Bewahrung der Freiheit in Europa, dann ist doch die massive Entchristlichung unserer Epoche eine große Gefahr?

Habsburg: Ich sehe eine gegenteilige Entwicklung: Das Christentum ist in Europa wieder im kommen, wir sehen das nur nicht.

Sie beziehen sich auf Osteuropa?

Habsburg: Nein. Zwar hat die Wissenschaft vor 300 Jahren eine Mauer zwischen Gott und der Realität errichtet, doch diese Mauer brökelt. Es ist eine langsame Entwicklung und wir mögen es noch kaum bemerken, doch der Weg ist schon eingeschlagen. Andre Malraux hat einmal gesagt, “Das 21. Jahrhundert wird tief religiös sein oder es wird nicht sein¯. Sogar Albert Einstein, den ich persönlich kannte, und über den ich einmal geschrieben habe, er sei einer der wenigen absolute Atheisten, schrieb kurz vor seinem Tod: “Durch meine Forschungen bin ich jetzt zu der absoluten Erkenntnis gekommen, daß es hinter der sichtbaren Welt, in der wir leben und handeln, einen unsichtbaren Orchesterdirigenten gibt, der alles lenkt und unser Gutes will.¯

Aber die Welle der Entchristlichung durch Materialismus und Individualisierung setzt sich fort.

Habsburg: Ja, und sie schwappt vielleicht noch ihrem Höhepunkt entgegen, ist aber schon im Brechen begriffen.

Ist die EU mit Ihrem Motor der wirtschaftlichen Einigung nicht ein ganz und gar materialistisches und atheistisches Unterfangen?

Habsburg: Die Idee für den Vorläufer der EU, der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), wurde vom französischen Außenminister Robert Schumann und seinen Vertrauten erdacht. Ich kannte Schumann und so war ich öfter in diesem Kreis zu Gast. Ich sprach mich damals strikt dagegen aus, die Einigung mit einer wirtschaftlichen Komponente zu beginnen. Schumann erwiderte aber, und zwar mit Recht: “Wir müssen das so machen, obwohl wie wissen, daß es ein Fehler ist. Aber noch bluten die Wunden in Europa zu sehr, um mit etwas anderem zu beginnen.¯ Es galt damals, den ersten Schritt zu tun um die europäischen Nationen einander näherzubringen.

Wenn Sie sagen, Sie seien Europäer, dann meinen Sie, daß Sie Patriot einer jeden Nation Europas sind?

Habsburg: Ja, natürlich.

Spielt der deutsche Raum eine besondere Rolle für Sie?

Habsburg: Natürlich, denn die Habsburger kommen aus der deutschen Geschichte, aber ich empfinde ebenso eine Affinität zu den Franzosen, den Spaniern, etc.

Welche Rolle spielen die historischen Völkerschaften Habsburgs?

Habsburg: Ungarn, Slowaken und Kroaten liegen mir natürlich auch sehr am Herzen.

Ihr Sohn Karl hat seinen Sohn in Agram auf den Namen Zvonimirs, des letzten freien Königs der Kroaten, taufen lassen.

Habsburg: Ja, ich habe ihn ermutigt, das zu tun. Kroatien wird heute in ganz unbeschreiblicher Weise diskriminiert, und was dieser “Internationale Gerichtshof¯, das Tribunal von Haag treibt, ist unverantwortlich. Man fordert die Auslieferung unseres General Bobetko, die Auslieferung eines kroatischen Nationalhelden, jemanden der sein Vaterland verteidigt hat, und der sich gewiß sonst nichts hat zu Schulden kommen lassen. Das ist ungeheuerlich.

Bei der westlichen Presse sind allerdings all jene Staaten Osteuropas, die bestrebt sind, ihre nationale und kulturelle Eigenheit auf dem Weg nach Europa zu erhalten, statt sich nur zu neuen Märkten zu entwickeln, übel beleumundet.

Habsburg: Ja, die westliche Presse ist sowieso leider sehr herablassend gegenüber Osteuropa. Dabei sind ihre Erfahrungen, die europäische Einstellung und der ausgeprägten Sinn für Kultur der Völker Osteuropas ganz außerordentlich. Je weiter ich nach Osten fahre, desto bessere Europäer finde ich.

Klickovic©

 
arch-angelsk schrieb:
Ein Interview mit Otto von Habsburg. Es wurde 2002 von mir geführt. Es ist authorisiert und bis dato unveröffentlicht.
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Klickovic©

So ganz unöffentlich wohl nicht, oder ist das geheim?

Ring-JOURNAL, Nr.83, Jänner/Feber 2003
 
ups!
habe das interview damals weitergeleitet, dabei auf sämtliche rechte verzichtet.
wurde also doch gedruckt. danke für den hinweis!

habe auch schon eine negative bewertung bekommen - "kaum zu verifizieren", nur weiter so! ich mag rote sterne! =)
 
Zuletzt bearbeitet:
ich hoffe auf trost, wenn einmal wirklich was schlimmes passiert.
ich halte mich hier auf weil ich was lernen kann und nicht um grüne sternchen zu sammeln.
 
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