Lee H. Oswald – ein „Herostrat in Dallas“?

Christian Strof

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Bezüglich des Attentats auf John F. Kennedy flammt immer wieder die Debatte auf, ob es die Tat eines Einzelnen war oder eine Verschwörung. In einem Artikel von Rudolf Augstein „Herostrat in Dallas“, in dem er über das im Jahre 1993 erschienene Buch Gerald Posners „Case closed“ schrieb (Spiegel 44/1993, S. 183f.), kam er zu einem verblüffenden Schlussurteil bezüglich des vermeintlichen Einzeltäters Lee H. Oswald: „Es ging Oswald tatsächlich um sein Bild in der Geschichte. So ähnlich mag der Herostrat von Ephesus im Jahre 356 vor Christus, dessen Schicksal und Motive wir weiter nicht kennen, auch gedacht haben. Sie sind wohl Brüder im Geiste.“ Diese Behauptung soll hier näher untersucht werden:

Von Herostrat heißt es laut antiker Quellen, dass er nach seinem erfolgreichen Brandanschlag auf den Artemistempel in Ephesus, eins der sieben antiken Weltwunder, später gesagt haben soll, er habe den Tempel aus Geltungssucht zerstört, um in die Geschichte einzugehen. Seitdem ist der Name Herostrat ein Synonym für eine Person geworden, die aus Ruhmsucht eine wahnsinnige Tat begeht. So zog Rudolf Augstein den Vergleich zwischen Herostrat und Oswald, da ein Marine-Infanterist namens Kerry Thornley, mit dem Oswald gedient haben soll, diesen habe sagen hören „noch in zehntausend Jahren würden die Leute in die Geschichtsbücher gucken und sagen: Ja, dieser Mann war seiner Zeit voraus! (Spiegel, s.o., S. 184)


Wenn man sich aber nun eingehender mit dem Mord an Kennedy befasst hat und sich durch eine Flut an kontroverser Literatur gekämpft hat, so fällt doch eins bzgl. Oswalds auf: Niemals hat man ihn wie einen „Herostrat“ auftreten sehen – er hatte ja bis zu seiner dubiosen Ermordung im Keller des Polizeireviers von Dallas genug Gelegenheit gehabt zu seinen angeblichen Motiven Stellung zu nehmen. Mit keinem Wort bezeugte er so etwas wie Stolz oder Geltungssucht auf seine angebliche „Mordsleistung“. Im Gegenteil, er betonte immer wieder seine Unschuld und sogar, dass er „nur ein Sündenbock“ („I am just a patsy.“) sei, diese Worte sagte er deutlich vor laufender Kamera. (s. folgendes Video: Mod an: Link gelöscht. Siehe Hinweise zu Verlinkungen Mod aus ) Hätte Rudolf Augstein Recht gehabt mit seinem Vergleich, so hätte Oswald nach seiner gescheiterten Flucht und nach seiner Verhaftung doch wohl kaum, wenn er ein sog. „Hasstäter“ gewesen wäre, so beharrlich bestritten, der Mörder Kennedys zu sein – er hätte sich vielmehr in seinem Wahn voller Stolz dazu bekannt, zumal ihm ja in den Medien vorgeworfen wurde, ein überzeugter Kommunist zu sein, der den Führer der westlichen Welt beseitigen wollte.


Ein „gutes Beispiel“ eines Überzeugungstäters liefert die amerikanische Geschichte selbst: Nachdem John Wilkes Booth Präsident Lincoln im Theater erschossen hatte, sprang er voll Stolz auf die Bühne mit den Worten: „Sic semper tyrannis“ („So ergehe es allen Tyrannen!“). Heribert Prantl gibt in einem Artikel (SZ 26/7 2011: www.sueddeutsche.de/politik/was-attentaeter-antreibt-erfuellt-von-eifer-getrieben-von-wahn-1.1124905 ) weitere passende Beispiele für solche Überzeugungstäter: Neben Herostrat und Nero nennt er Charlotte Corday, die 1793 den Jakobinerführer Jean Paul Marat erstach, Karl Ludwig Sand, der 1817 den reaktionären, russlandfreundlichen Publizisten August von Kotzebue ermordete und Anders Behring Breivik, den Massenmörder aus Norwegen. All diese Attentäter standen zu ihren Taten und suchten sogar in der Öffentlichkeit ein Forum für ihre Ideen oder Motive. Man könnte auch den psychopathischen Mörder John Lennons, Mark David Chapman, der bereits 32 Jahre im Gefängnis sitzt, hier einreihen.


Was bleibt, ist doch die Frage, wer wirklich hinter Oswald die Fäden in den Händen hielt und Oswald vielleicht wirklich, wie er es selbst gesagt hatte, zu einem „Sündenbock“ abstempelte. Dass Oswald dabei kein Unschuldiger war, ist auch klar: Allein seine Flucht aus dem Schulbuchgebäude, aus dem geschossen wurde, in ein Kino um die Nachmittagszeit zeigt, dass er zumindest ein Mitwisser oder sogar ein Mittäter des Attentats auf Kennedy war. Insgesamt lässt sich also Folgendes feststellen: Oswalds unsicheres und teilweise verstörtes Auftreten vor laufender Kamera bis zu seiner Ermordung, sein Schweigen zum Attentat auf Kennedy bzw. zu den Hintergründen sprechen also eher für eine Verschwörung als für eine Alleintäterschaft – als überzeugter Kommunist und Präsidentenmörder hätte er sich freimütig dazu bekannt – was hätte er denn nach seiner Verhaftung noch zu verlieren gehabt? Christian Stroff, 4.2. 2013
 
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als überzeugter Kommunist und Präsidentenmörder hätte er sich freimütig dazu bekannt – was hätte er denn nach seiner Verhaftung noch zu verlieren gehabt?

Ich weiß nicht, ob LHO wirklich ein Kommunist war, in den USA gilt ja in manchen Kreisen(!) heute noch jeder als Kommunist, der nur einen Hauch links von dem steht, was die entsprechenden Kreise als die alleinseeligmachende politische Auffassung rezipieren.
Es mag auch sein, dass Oswald, der doch eher als verwirrt zu gelten hat, sich selbst für einen "Commie" hielt. Aber zur Frage, was er zu verlieren hatte: Alles: Freiheit und Leben. Der Kommunismus ist eine sehr diesseitig orientierte Religion, sehr materialistisch. Märtyrerpathos gibt es zwar auch hier ("wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren", "lieber kämpfend sterben, als knieend leben"), jedoch ist das eigentliche Märtyrertum doch eine dem Kommunismus eher entgegengesetzte Ideologie, die auf ein besseres Jenseits hofft.
Aus diesem Grunde mag man vieles in Frage stellen, auch die Täterschaft oder Tatbeteiligung LHOs (was du nicht machst, ich weiß), aber einen kommunistischen Herostratoskult sollte man hier nicht gerade vermissen.
Das soll jetzt aber im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass Nordkorea, die Sowjetunion, Kuba etc. nicht ihre kommunistischen Heldenfiguren propagandistisch zu Märtyrern aufgebaut hätten oder dies noch immer tun. Dass dies passiert - Ernesto Guevara ist wohl das bekannteste Bsp. - steht außer Frage.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich sehe solches "profiling" eher skeptisch, obgleich das wohl so populär wie nie zuvor ist. Die Wertung schränke ich gleich lieber selbst ein, weil es bei mir nicht zu mehr als Küchenpsychologie und ein wenig Literatur reicht.

Wenn ich das oben richtig verstanden haben, setzt die Argumentation beim Ordnungsmerkmal der Tat an, also hier: politischer (Einzel-)Attentäter, Königsmörder. Das erschwert die Sache, weil man einerseits aufgrund der soziologischen Hintergründe kaum über 2000 Jahre hinweg identische Verhältnisse unterstellen kann, andererseits aber individuelle Hintergründe nicht kennt oder "profilen" kann (ich nenne das mal laienhaft: psychische Störungen). Mir ist nicht ersichtlich, dass man sich da in der Psychologie etwa auf einen Konsens geeinigt hätte, etwa in der Art: jung, männlich, ledig, gebildet.

Typologien von Königsmördern hat man schon einige diskutiert, hier mal ein Beispiel aus dem 19. Jhdt:

- persönliche Rache aus einem vermeintlichen Grund
- Pflichtenwahn
- Rechtswahn

Das wurde dann wie folgt verfeinert:

- Alter meist 20 - 25, jüngster 17, aber auch älter (48).
- potenzieller Selbstmörder, manchmal Epileptiker,
- Instabilitäten versus Mystizismus
- Halluzinationen versus
- Einzeltäter, spontane vs. lange Planung, kein Fluchtversuch
- im Prozess: kein Leugnen, Ruhm im Verbrechen, Theatralik, Schweigen
- Bestrafung wird mit Unempfindlichkeit ertragen
- Fanatismus in der Kombination: starker Wille, schwache Intelligenz
- "matte" Fanatiker versus "Ideenfanatiker"
- Erweiterungsbedürfnis, Selbstzweifel, Minderwertigkeitsgefühle, Größenwahn

... um zu dem Schluss zu kommen, dass eine Typisierung im Verbrechen nicht möglich ist, weil jede Typisierung auf reichlich Ausnahmen trifft, oder von der Fallauswahl abhängt.

HWdKriminologie, Band 4, Das Attentat. Auf der Basis hat man sogar mal versucht, dass psychologische Profil des nächsten Präsidentenmörders zu bestimmen: jung, kleinwüchsig, ungebildet, ... Das ist dann im Sande verlaufen.

Aus dem (kurzzeitigem!) Verhalten des Tatverdächtigen danach und dem Ordnungsmerkmal "Königsmord" auf ein Profil zu schließen, dass die die Einordnung in Gruppe oder Einzeltäter ermöglicht, ist demnach nicht möglich.

Vielleicht gibt es aber anerkannte psychologische Studien anhand einer breiten Fallauswertung, die einen anderen Schluss erlauben?
 
... Der Kommunismus ist eine sehr diesseitig orientierte Religion, sehr materialistisch. Märtyrerpathos gibt es zwar auch hier ("wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren", "lieber stehend sterben, als knieend leben"), jedoch ist das eigentliche Märtyrertum doch eine dem Kommunismus eher entgegengesetzte Ideologie, die auf ein besseres Jenseits hofft. ... .

@ElQ

Diese Anmerkung ist o.t.

Du hast wahrscheinlich - zu Deinem Glück - nie in einem kommunistischen Land gelebt. =)

Da ging es in bestimmten Situationen sehr pathetisch zu und es wurde durchaus ein "Märtyrerpathos" bemüht, und zwar bis zur ungewollten Lächerlichkeit. Die von Dir angeführten Sprüche kommen aus der westlichen "Spontiszene". Nimm den Märtyrerkult um Liebknecht/Luxemburg, Thälmann, Lenin, Stalin etc. Den Kult um die bei der Befreiung gefallenen sowjetischen Soldaten in der DDR (die Friedhofs- und Denkmalgestaltung folgt architektonisch durchaus einem Märtyrerkult).

Richtig aber ist, dieser Kult war diesseitig und nicht jenseitig ausgerichtet.

Vllt. suche ich ein paar Hymnen auf den Genossen Stalin heraus, pathetischer geht es dann wohl nicht.

Stalin-Lieder

Das als Beispiel.


M. :winke:
 
El Quijote schrieb:
Ich weiß nicht, ob LHO wirklich ein Kommunist war, in den USA gilt ja in manchen Kreisen(!) heute noch jeder als Kommunist, der nur einen Hauch links von dem steht, was die entsprechenden Kreise als die alleinseeligmachende politische Auffassung rezipieren.

Ein Widerspruch der dagegen spricht das Oswald ein Kommunist gewesen sein soll ist in einer Rede von ihm zu finden, die er nach seiner Rückkehr aus der UdSSR hielt zu finden. Diese Rede hielt Oswald auf einem Priesterseminar der Jesuiten in Mobile, Alabama.

Er berichtete von seiner Zeit in der UdSSR und sprach sich deutlich gegen den Kommunismus aus.(1) Dennoch verteilt Oswald als er wieder in New Orleans war Flugblätter für das FPCC (Fair Play for Cuba Comittee).

Was ebenfalls in diesem Zusammenhang fragwürdig wirkt ist, dass Oswald während seiner Zeit in New Orleans einen Job bei einem Kaffefabrikanten annahm, der das „Crusade to Free Cuba Comittee“ mitfinazierte. So hat Oswald einerseits Flugblätter für ein freies Kuba verteilt, andererseit für Castro-Gegner gearbeitet. Auch unterhält Oswald Kontakt zu Ernesto Rodriguez, einen militanten Exilkubaner, so wie Carlos Bringuier, der zum Einen ein Gegner Castros war und zum Anderen Kontakte zur CIA unterhielt. (1)
Des Weiteren ist es doch etwas ungewöhnlich, dass Oswald, der ja als "Überläufer" galt, und seiner Frau bei der Rückkehr in die Staaten die Reisekosten vorgestreckt wurde. Ebenso wenig sahen sich weder die CIA noch das FBI, welche an deren Rückreise beteiligt waren, sich gezwungen Oswald zu befragen (2). Dies stützt die Vermutung der Russen, dass Oswald als Spion der USA in die UdSSR gekommen war, weshalb er auch vom KGB überwacht worden war.

Oswald sagte später in einem Radiointerview folgendes als er auf seine Zeit in der UdSSR angesprochen wurde:
Ich stand unter dem Schutz des… Äh ich will sagen, ich stand nicht unter dem Schutz der amerikanischen Regierung…, aber ich wurde die ganze Zeit über als amerikanischer Staatsbürger behandelt. (…)“

(Anmerkung: Natürlich wurde Oswald als amerikanischer Staatsbürger behandelt, denn seine Staatsbürgerschaft hatte er offiziell und formal nie abgelegt (3).)

Anhand dieses Zitates stellt man sich eher die Frage unter wessen Schutz Oswald in der UdSSR stand. Die CIA, für die er, Anhaltpunkten zu Folge, bereits während seiner Zeit in Japan eine KGB Agentin ausspionieren sollte?

(1) Hesemann, Geheimakte John F. Kennedy, Seite 71
(2) Hesemann, Geheimakte John F. Kennedy, Seite 59 f.
(3) Hesemann, Geheimakte John F. Kennedy, Seite 51

 
@El Quijote

Es mag auch sein, dass Oswald, der doch eher als verwirrt zu gelten hat, sich selbst für einen "Commie" hielt. Aber zur Frage, was er zu verlieren hatte: Alles: Freiheit und Leben. Der Kommunismus ist eine sehr diesseitig orientierte Religion, sehr materialistisch. Märtyrerpathos gibt es zwar auch hier ("wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren", "lieber kämpfend sterben, als knieend leben"), jedoch ist das eigentliche Märtyrertum doch eine dem Kommunismus eher entgegengesetzte Ideologie, die auf ein besseres Jenseits hofft.

Hallo :winke:

Nein, dass sehe ich ein wenig anders. Der Kommunismus gab vor, diesseitig zu sein. Doch betrachtet man einmal einige Hintergründe, bekommt diese Auffassung ein wenig Schlagseite.

Der Kommunismus war vorgeblich eine Bewegung der (Arbeiter-)Massen und dennoch hielt stets nur eine kleine Clique die Macht in den Händen. Je exklusiver dieser Machtzirkel war, desto realitätsfremder und mißtrauischer war er gegenüber der (Arbeiter-)Masse. Das Mißtrauen der Führung gegenüber dem Volk blieb auch nach der Festigung der Macht und die Furcht vor dem "Volkszorn", sei es ein Massenaufstand oder der Widerstand Einzelner, trieben beispielsweise die SED-Führung in die Waldsiedlung nach Berlin-Bernau.

Von Zeit zu Zeit wurden Geschenke verteilt, um sich die Motivation und Herzen der Masse zu sichern (Stichwort: Held der Arbeit). Die wahre, innengeleitete Motivation war in den meisten Fällen nur erkauft und somit lag oftmals eine außengeleitete Motivation der Arbeiterschaft vor (ein vorweggenommener Endzustand, gleich dem Arbeiterparadies?).

Der Kommunismus selbst war nur die letzte Stufe der Entwicklung(klassenlose Gesellschaft, der Sozialismus nur ein Weg dorthin) und nirgendwo auf staatlicher (auf nichtstaatlicher Ebene mögen die israelischen Kibbuzim durchaus ein Gegenbeispiel sein) Ebene jemals "erfolgreich" realisiert.

Die "Erlösung" und das letzte erreichbare Ziel war der Kommunismus. Das klingt schon eher nach dem Jenseits (auch wenn nicht im landläufig spirituellen Sinn).

Ich gehe davon aus, dass sich ein überzeugter Kommunist durchaus (wahrscheinlich sogar sehr oft) selbst zum Märtyrer stilisieren kann, wenn seine Verblendung groß und seine Selbstzweifel klein sind. Ob Lee Harvey Oswald nun wirklich Kommunist war, lässt sich wohl nicht wirklich beantworten. Aber...

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...wäre er wirklich "Stolz" auf seine Tat gewesen, läge ein sicheres Indiz für eine wahnhafte Verblendung vor. Hat er geprahlt? Der Zweifel bleibt.

Ich finde seinen Lebensweg irgendwie "ungewöhnlich". War es in den 1950er/1960er-Jahren "normal", dass man als Amerikaner in die Sowjetunion emigriert, nur um kurz danach wieder in die USA zu gehen? Er war immerhin noch sehr jung und ein ehemaliger Marine. Gibt es ähnliche Fälle, die ein Beleg für die "Normalität" dieses Vorgangs wären?

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Vom militärischen Standpunkt aus betrachtet war der Tatablauf unter der Voraussetzung "gewöhnlicher Umstände" (ein Schütze wartet am Punkt X auf sein "Opfer" und wählt die besten Bedingungen für EINEN Schuss aus) eigentlich Irrsinn. Jeder Schütze kennt die Problematik vom Haltepunkt sowie dem Vorhaltepunkt bei beweglichen Zielen. Von Oswalds Standort aus (im Schulbuchdepot) macht ein relativ ungünstiger Schusswinkel - auch bei den relativ geringen Distanzen - mit Vorhalte (wie beim Kennedy-Attentat) nur wenig Sinn, wenn er Sekunden vorher ein sich ihm annäherndes Ziel ohne große Vorhalte quasi "verschenkt". Und so hat Lee Harvey Oswald ja auch seinen ersten Schuss völlig "versemmelt"...

Sinn macht es erst, wenn man annimmt, Lee Harvey Oswald hat:

I. sich zu spät an seinem Platz positioniert und notgedrungen einen "ungünstigen" Moment ausnutzen müssen (Ziel entfernt sich in einem bestimmten Winkel von ihm)

II. Angst gehabt, dass seine Position bei einem "Frontalschuss" zu schnell enttarnt werden würde (aber warum "riskiert" er dann DREI Schüsse?)

III. gewartet bis ein weiterer Schütze in Reichweite zum Ziel war(???)


Ich weiß es nicht... :grübel:
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Kommunismus war vorgeblich eine Bewegung der (Arbeiter-)Massen und dennoch hielt stets nur eine kleine Clique die Macht in den Händen. Je exklusiver dieser Machtzirkel war, desto realitätsfremder und mißtrauischer war er gegenüber der (Arbeiter-)Masse. Das Mißtrauen der Führung gegenüber dem Volk blieb auch nach der Festigung der Macht und die Furcht vor dem "Volkszorn", sei es ein Massenaufstand oder der Widerstand Einzelner, trieben beispielsweise die SED-Führung in die Waldsiedlung nach Berlin-Bernau.

1. Der Kommunismus war überhaupt keine Bewegung. Er war zunächst eine Vorstellung von Marx und Engels über eine bestimmte kapitalistische Gesellschaftsform und in dieser Formation bildetete das "Proletariat" die größte gesellchaftliche Schicht, die als "Klasse" bezeichnet wurde, und ihr fiel die Rolle des zentralen historischen Subjekts zu. Dabei kann man gerne über den Determinismus streiten, den diese Vorstellung des sozialen Wandels enthielt.

Ansonsten ist die Art der Formulierung, @Thristan, eher angemessen für eine politische Positionsbestimmung und weniger für eine angemessene historische Darstellung bzw. Analyse.

2. Zudem ist in keinem Land der Erde eine Form des Kommunismus je erreicht worden. Insofern darf ein wenig mehr Verständnis bei der Verwendung von Konzepten bei der Beschreibung von ehemaligen oder aktuellen Gesellschaftsformationen erwartet werden. Es sei denn, es ist intendiert und die politische Absicht hat die theoretische Begriffsbildung ein "wenig" in den Hintergrund geschoben.

3. Es gab eine Reihe von Varianten von Gesellschaften, die Elemente von sozialistischen, anachistischen oder syndikalistisch organisierten Gesellschaften mehr oder weniger vollständig aufgegriffen haben. Aber es ist auch in diesem Fall nicht korrekt, das Etikett "Kommunismus", im Sinne von Marx & Engels, draufzukleben.

4. Die Vermutlich weitgehendste Realisierung einer Gesellschaft, die sich auf dem Weg in die "Durchgangsgesellschaft" des Sozialismus zum Kommunismus befand, war die "Pariser Kommune".

In dieser Gesellschaftsformation hat sich am ehesten das formiert, was Marx und Engels in ihren wenigen Ausarbeitungen über die Organisation eines zukünftigen Staates ausformuliert hat. Wie beispeilsweise Siegelbaum es formuliert.

Soviet State and Society between Revolutions, 1918-1929 - Lewis H. Siegelbaum - Google Books

5. Ansonsten gehören Theorien, die ein "Ausmalen" zukünftiger Gesellschaftsformationen vornehmen, aus der Sicht von Marx und Engels, in den Bereich einer idealistischen utopischen Sozialismus-Vorstellung. Und diese Form der Theoriebildung lehnten sie ab, wie Carr es anhand ihrer Vorstellung zum historischen Materialismus darstellt.

The Bolshevik Revolution: 1917 - 1923 - Edward Hallett Carr - Google Books
 
@thanepower

1. Der Kommunismus war überhaupt keine Bewegung. Er war zunächst eine Vorstellung von Marx und Engels über eine bestimmte kapitalistische Gesellschaftsform und in dieser Formation bildetete das "Proletariat" die größte gesellchaftliche Schicht, die als "Klasse" bezeichnet wurde, und ihr fiel die Rolle des zentralen historischen Subjekts zu. Dabei kann man gerne über den Determinismus streiten, den diese Vorstellung des sozialen Wandels enthielt.

Ansonsten ist die Art der Formulierung, @Thristan, eher angemessen für eine politische Positionsbestimmung und weniger für eine angemessene historische Darstellung bzw. Analyse.


Aber hat sich der Kommunist (wenn es um die Frage nach Oswalds Motivation geht), nicht selbst als Teil einer (kommunistischen) Bewegung verstanden? Zumindest wurde dies den Leuten im Sozialismus von klein auf immer vermittelt, wie das auf Oswald in den USA gewirkt haben muss lässt sich wohl kaum klären. Und ist nicht letztlich die Frage der (vermeintlichen) Selbstidentifizierung Oswalds der Ausgangspunkt um seine Motivation zu verstehen?
 
@thanepower

Interessant im Hinblick auf die Zukunftsgläubigkeit totalitärer Systeme, ist die Rede von Peter Graf von Kielmannsegg erwähnenswert, welche er zur Verleihung des Schaderpreises 2001 hielt.

Irgendwie scheint dies doch ein inhärentes Funktionsprinzip des Marxismus-Leninismus zu sein, welches durchaus in seinen historischen Auswirkungen zu betrachten ist.
 
Wenn man etwas in der Literatur zu den psychologischen Profilen von politischen Attentätern blättert, sind offensichtlich die ideologischen Inhalte weniger entscheidend als die individuelle emotionale Aufladung des Attentäters und ihre Voraussetzungen in Willen und Intelligenz.

Ein Disput über die abstrakten oder theoretischen Grundlagen des Kommunismus wird daher in Bezug auf Oswald wenig ergiebig sein.

Interessant wäre, was Oswald daraus (aus dem Abstrakten) gemacht hat. Ob ihn dabei ein fehlender Jenseitsbezug der kommunistischen Lehre (oder was er sich eventuell darunter vorgestellt hat) irgendwie beeinflusst hat, ob in einer suizidalen Form oder in ihrem Fehlen beim Attentat, würde ich wie ElQ bezweifeln.

Weiß jemand, ob die psychologischen Gutachten irgendwo online gestellt sind?
 
...
Aber hat sich der Kommunist (wenn es um die Frage nach Oswalds Motivation geht), nicht selbst als Teil einer (kommunistischen) Bewegung verstanden? Zumindest wurde dies den Leuten im Sozialismus von klein auf immer vermittelt, wie das auf Oswald in den USA gewirkt haben muss lässt sich wohl kaum klären. Und ist nicht letztlich die Frage der (vermeintlichen) Selbstidentifizierung Oswalds der Ausgangspunkt um seine Motivation zu verstehen?

@Thristan

Sorry, auf alle Fragen in Bezug auf den Kommunismus ein "Nein".

Erlaube mir bitte mit marxistischen Kategorien zu arbeiten.

Der Kommunismus war und ist keine "Bewegung", sondern bezeichnet eine Gesellschaftsformation die den Kapitalismus überwunden hat und in zwei Phasen auftritt:

1. Phase, der Sozialismus

wie weiter oben angedeutet, hat sich Marx/Engels nur vage dazu geäußert.

Vergl.: Engels, Grundsätze des Kommunismus, 1847, MEW 4/363, Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, 1848, MEW 4/474, Marx, Die Krisis und die Konterrevolution, 1848, MEW 5/402

2. Phase, der Kommunismus

Vergl.: Insbesondere Marx, Kritik des Gothaer Programmes 1875, MEW 19/20-21

Der Kommunismus ist keine Bewegung, sondern gemäß des dialektischen und historischen Materialismus zwangsläufiges Ergebnis der Entwicklung der Produktivkräfte im Spannungsverhältnis zu den Produktionsverhältnissen.

Bevor das zu einer Metadiskussion in Bezug auf den Thread-Titel wird, noch eine abschließende Anmerkung, Marx, Engels und Lenin und in ihrer Folge die kommunistischen Parteien haben individuellen Terror w.z.B. Attentate grundsätzlich abgelehnt, Lenin u.a. mit persönlichen Hintergrund.

Die Frage ist doch vielmehr die, silesia sprach es an, was hat LHO angetrieben und diese ist nur individualgeschichtlich/psychologisch m.E. zu beantworten.

@silesia

Ich wäre mir sehr unsicher, ob psychologische Gutachten über LHO unbedingt hilfreich wären, immerhin hätten sie mindestens zwei psychische Wahrnehmungs- und Widerspiegelungs"filter" durchlaufen.

Vergl. z.B.:

http://web.uct.ac.za/depts/psychology/psy400w/assessment.pdf

Interessant wären sie aber allemal.

M.
 
1. Ein Disput über die abstrakten oder theoretischen Grundlagen des Kommunismus wird daher in Bezug auf Oswald wenig ergiebig sein.

2. Wenn man etwas in der Literatur zu den psychologischen Profilen von politischen Attentätern blättert, sind offensichtlich die ideologischen Inhalte weniger entscheidend als die individuelle emotionale Aufladung des Attentäters und ihre Voraussetzungen in Willen und Intelligenz.

zu 1. Sehe ich auch so. Der ideologische Bezug ist fast beliebig, dennoch ist er wichtig. M.E. ist der "Altruismus" ein wichtiger Aspekt für politisch motivierte Attentäter. Ihre Rechtfertigung ziehen sie aus dem vermeintlichen Umstand, einen wichtigen Beitrag für die "Menschheit" zu leisten. In diesem Sinne beziehen sich Attentäter nicht selten bei ihren Aktionen auf ein Glaubenssystem bzw. eine Ideologie einer Gruppe, in dessen Umfeld sie sich bewegt haben.

Somit dürfte die Entwicklung der "psychosozialen Identität" für die konkrete Erklärung der Motive wichtig sein.

Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung ? Wikipedia

Der "Kommunismus" (was immer konkret darunter zu verstehen ist) bot sich in der damaligen Situation als "Befreiungs-Ideologie" geradezu an, aber wäre m.E. austauschbar gewesen. In einem anderen Kontext hätte er genauso gut "Anarchist oder religiöser Fundamentalist sein können.

zu 2: Neben einem sehr deutlich übersteigerten Altruismus ist sicherlich auch ein starker Hedonismus in Kombination mit einem starken Geltungsbedürfnis zu sehen.

Hedonismus ? Wikipedia

Dabei wird das Attentat zu einer Form von "Aufführung" und der Attentäter ist der Hauptdarsteller. Zusätzliche Befriedigung erhält er durch den Umstand, dass er weis, dass er im Zentrum des staatlichen respektive medialen Interesses steht.

Eine Verhaftung wird in diesem Kontext zum "Showdown" und der Attentäter kann sich inklusive der Dauer des Prozesses als "Star" fühlen.

Soweit ein paar ergänzende Thesen zu Silesias Vermutungen.
 
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Danke sehr!

Das ergänzt die Bemühungen um eine Suche nach "Typen" bzw. zeigt doch, wie schwierig die Einordnung wird.

@Melchior: das sehe ich ähnlich. Bezüglich der Gutachten wäre ich auch weniger an Schlussfolgerungen als an personenbezogenen Angaben bzw. Sachverhalte interessiert, wohl wissend, dass diese ebenfalls dem Gutachterfilter unterlegen haben. Die Historiker haben aber den Luxus, abseits einer strafrechtlich-prozessualen Belastbarkeit bzw. Problematik eines Gutachtens argumentieren zu können. Im Prinzip gilt Dein (quellenkritischer) "Filter-Einwand" für fast alle Quellen.
 
Dabei wird das Attentat zu einer Form von "Aufführung" und der Attentäter ist der Hauptdarsteller. Zusätzliche Befriedigung erhält er durch den Umstand, dass er weis, dass er im Zentrum des staatlichen respektive medialen Interesses steht.

Eine Verhaftung wird in diesem Kontext zum "Showdown" und der Attentäter kann sich inklusive der Dauer des Prozesses als "Star" fühlen.

Soweit ein paar ergänzende Thesen zu Silesias Vermutungen.

diese gleichsam filmisch bzw. cineastisch inspirierte (bzw. funktionierende) Deutung trifft sicher ab dem 20. Jh. zu (und nicht nur für Attentate, sondern auch für plump dumme Entführungen) - aber kann das den Attentätern des 19. Jhs. (z.B. Georg Sand) und davor auch attestiert werden oder ist das eine Erscheinung erst mit dem "Medienzeitalter"?
 
diese gleichsam filmisch bzw. cineastisch inspirierte (bzw. funktionierende) Deutung trifft sicher ab dem 20. Jh. zu (und nicht nur für Attentate, sondern auch für plump dumme Entführungen) - aber kann das den Attentätern des 19. Jhs. (z.B. Georg Sand) und davor auch attestiert werden oder ist das eine Erscheinung erst mit dem "Medienzeitalter"?

Das ist sicherlich richtig, dass die Deutung sehr stark zeitgebunden ist.

Insgesamt ist sicherlich die Frage in diesem Zusammenhang interessant, ob Attentäter in früheren Zeiten quasi als "Autisten" handelten, oder aber ob sie sich im Rahmen von kleinen "verschwörerischen" Gruppen radikalisiert haben.

Sofern sie als relativ autonome Individualisten gehandelt haben ist sicherlich die Frage nach einer intrinsischen Motivation zu stellen und ich würde vermuten, dass diese sehr stark von Täter zu Täter unterschiedlich war.

Sofern Attentäter aus dem Kreis von Radikalen heraus agierten, waren es sicherlich auch gruppendynamische Prozesse, die eine Motivation für die Attentäter darstellten. Und in diesem Fall wäre die Gruppe der Verschwörer das "Publikum" für die der Attentäter seine Tat "inszeniert". Und ist sich sicher, dass er von ihnen die Aufmerksamkeit und Anerkennung erhält. Ein Mechanismus, der teilweise wohl auch für die RAF zutraf.

Insofern war der "Hedonismus" in früheren Jahrhunderten qualitativ anders, aber als Motivation m.E. schon vorhanden, so meine These.
 
Um den Bezug zum Thema nicht ganz zu verlieren: es gibt, wie oben erwähnt, in der forensischen bzw. Kriminalpsychologie keine Einigung auf Typologisierung des politischen Attentäters/"Königsmörders".

Den Vergleich mit bzw. Unterschied zum Autismus, auch in "", zielt auf eine Typologisierung ab, die bislang nicht belegt ist.
 
diese gleichsam filmisch bzw. cineastisch inspirierte (bzw. funktionierende) Deutung trifft sicher ab dem 20. Jh. zu (und nicht nur für Attentate, sondern auch für plump dumme Entführungen) - aber kann das den Attentätern des 19. Jhs. (z.B. Georg Sand) und davor auch attestiert werden oder ist das eine Erscheinung erst mit dem "Medienzeitalter"?

@dekumatland

Eine sehr schwierige Frage, die eigentlich einen eigenen Thread wert ist.

Ein allererster und tastender Versuch.

Ich meine, Attentäter zielten/zielten schon immer auf eine Selbstinszenierung und das hat nichts mit "Medienzeitalter" zu tun, sondern mit der im Attentat kulminierten Motivlage des Attentäters. Dabei ist die Motivlage, ob aus religiösen, moralisch/ethischen, politischen Motiven heraus gehandelt wurde, dabei unerheblich (psychische Störungen außen vorlassend, kriminelle Motive ebenfalls).

Eigenartigerweise konstruieren wir einen Unterschied zwischen Mord/Mordversuch und Attentat, wobei letzteres eigentlich ersteres ist. Also offensichtlich leitet sich die Einordnung der Wörter Attentat bzw. Mord/Mordversuch der Stellung des Opfers/potentiellen Opfer in der soziohistorischen bzw. politischen Stellung ab. In der Übertreibung liegt die Anschauung, auf Herrn Meier hätte Herr Nobiling einen Mordversuch unternommen, auf W. I. unternahm er ein Attentatsversuch. Also würde ich einen Zusammenhang bei der Inszenierung zwischen der gesellschaftlichen Position der Attentäters/Mörders und der des Opfers konstatieren wollen, mit der er sich gleichsam mit dem Opfer "auf gleiche Augenhöhe" bringt.

Bleibt meine Frage, bezeichnen wir mit Attentat nicht eine Tat auf die Person, sondern auf das Amt/Stellung dieser Person, rechtshistorisch kennen wir einen derartigen Unterschied. Warum affektiv zwischen Attentat und Mord unterschieden wird, ist mir erkenntnistheoretisch und germanistisch nicht klar, vllt. hat da ein Mitdiskutant Anregungen.

M. :winke:
 
Um den Bezug zum Thema nicht ganz zu verlieren: es gibt, wie oben erwähnt, in der forensischen bzw. Kriminalpsychologie keine Einigung auf Typologisierung des politischen Attentäters/"Königsmörders".

Den Vergleich mit bzw. Unterschied zum Autismus, auch in "", zielt auf eine Typologisierung ab, die bislang nicht belegt ist.

Leider hat sich da etwas, medienbedingt, zeitlich überschnitten.

D'accord. Eine forensische Typologisierung wäre m.E. auch ein Unding.

Rechtshistorisch haben wir eine Unterscheidung, Hochverrat <=> Mord.

Philosophisch/ethisch auch, "Königsmord", "Tyrannenmord" <=> Mord.

M.
 
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