Primogenitur als Erb- und Nachfolgeregel bei den Wittelsbachern

Franzei

Mitglied
Für die bayerischen und kurpfälzischen Regenten aus dem Geschlecht der Wittelsbacher (z.B. Max Emanuel 1662 - 1728, Karl Theodor 1724 - 1799) galt - wie auch sonst beim Großteil des Adels - das Recht der Primogenitur, d.h. nachfolge- und erbberechtigt war jeweils der älteste Sohn.

Bei Fehlen eines männlichen Nachkommen kamen Söhne des ältesten Bruders (Neffen) zum Zuge.

Kurfürst Max Joseph III. von Bayern (1727 - 1777) hatte keine Kinder. Aus diesem Grunde wurde zwischen ihm und Kurfürst Karl Theodor in Erb- und Hausverträgen festgelegt, daß beim Tode von Max Joseph III.
Karl Theodor seine Nachfolge als Kurfürst von Bayern antreten und seinen Regierungssitz in München nehmen musste.

In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage, ob das Recht der Primogenitur nicht übergreifend zwischen den verschiedenen Linien der Wittelsbacher angewandt werden hätte können bzw. warum dies nicht geschah. Wer wäre bei strikter Einhaltung der Primogenitur-Regeln beim Tode Max Josephs III. als Nachfolger in Betracht gekommen? Oder entsprechen die Erb- und Hausverträge diesen Gepflogenheiten?

Ich verfüge leider über keine kompletten Ahnentafeln der Wittelsbacher. Vielleicht kann mir jemand der Teilnehmer Auskunft geben.

Ich habe zwar versucht, im Aufsatz von Hans Rall "Die Hausverträge der Wittelsbacher: Grundlagen der Erbfälle von 1777 und 1799" (in "Krone und Vefassung - König Max I. Joseph und der neue Staat" (München 1980/1992)) eine Antwort auf meine Fragen zu finden; die Darstellung ist aber ungewöhnlich kompliziert, so daß ich daraus keine abschließende, zuverlässige Information erlangen konnte.
 
Kurfürst Max Joseph III. von Bayern (1727 - 1777) hatte keine Kinder. Aus diesem Grunde wurde zwischen ihm und Kurfürst Karl Theodor in Erb- und Hausverträgen festgelegt, daß beim Tode von Max Joseph III.

Festgelegt war das im Grunde schon im Hausvertrag von Pavia von 1329, in Klausel 14. Einen Keil zwischen die bayerischen und die pfälzischen Wittelsbacher trieb dann zum einen die Goldene Bulle, die das Kurrecht nur den Pfälzern zugestand, zum anderen konfessionelle Differenzen, da ja die Pfalz protestantisch war. Im 18. Jahrhundert besinnte man sich dann doch darauf, dass das Interesse des Gesamthauses doch Vorrang hat und in der Wittelsbachischen Hausunion von 1724 wurde die Grundlage dafür geschaffen, dass nach dem Aussterben der bayerischen Linie alles so reibungslos verlief.

In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage, ob das Recht der Primogenitur nicht übergreifend zwischen den verschiedenen Linien der Wittelsbacher angewandt werden hätte können bzw. warum dies nicht geschah.

Die Primogenitur für die Kurpfalz war bereits in der Goldenen Bulle geregelt, da es da heißt, dass die Kur-Territorien nicht geteilt werden dürfen und an den erstgeborenen Sohn übergeben werden sollen. Für Bayern galt das natürlich nicht und so kam es auch im Spätmittelalter zu den vielen Teilungen, denke nur an Straubing-Holland, Bayern-Ingolstadt, Bayern-München, Bayern-Landshut oder das "Straubinger Ländchen". Die Primogenitur für Bayern wurde erst 1506 von Abrecht IV. eingeführt und hatte damit mit der Erbfolgeregelung der Pfalz überhaupt nichts zu tun. Bindeglied war nur der Hausvertrag von Pavia, der dann griff, wenn eine der beiden Linien im Mannesstamm ausstirbt.

Wer wäre bei strikter Einhaltung der Primogenitur-Regeln beim Tode Max Josephs III. als Nachfolger in Betracht gekommen?

Es gab in Bayern niemanden mehr, der dafür in Frage kam. Das Problem war wohl, dass das Haus Bayern die übrigen Söhne immer gleich auf Bischofsstühle setzte, so dass diese keine (legitimen) Nachkommen hatten. Köln beispielsweise war seit dem 16. Jahrhundert fest in der Hand der Wittelsbacher, der Zweitgeborene erhielt immer diesen Bischofssitz quasi per Sekundogenitur, bis ihnen 1761 auch hierfür die Söhne ausgingen.
 
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Danke, Tekker, für die informativen Tabellen (Stammbäume usw.). Es braucht viel Zeit und Geduld, die Vielfalt zu verstehen.

Ebenso Danke, Lukrezia, für die Deine Auskünfte, die schon etwas Licht ins Dunkel (meines von den Stammbäumen und Ahnentafeln verwirrten Gehirns) gebracht haben.

Ganz klar sehe ich noch nicht: Trifft es zu, daß das Recht der Primogenitur grundsätzlich nur für die jeweilige Wittelsbachische Linie (also z.B. Bayern) galt, aber keine von einer Linie auf die andere übergreifende Regel darstellte, so daß man die Nachfolge unabhängig von der Primogenitur durch Verträge (Pavia usw.) regelte bzw. regeln musste?

Meine Fragen sind möglicherweise zu "akademisch". Wahrscheinlich muß ich mich damit zufriedengeben daß die Nachfolge Karl Theodors (nach Max Joseph III.) aufgrund der Erbverträge zustandekam und die folgende Sukzession Max Josephs IV. (als König Max Joseph I.) den Regeln der Primogenitur entsprach.
 
Ganz klar sehe ich noch nicht: Trifft es zu, daß das Recht der Primogenitur grundsätzlich nur für die jeweilige Wittelsbachische Linie (also z.B. Bayern) galt, aber keine von einer Linie auf die andere übergreifende Regel darstellte, so daß man die Nachfolge unabhängig von der Primogenitur durch Verträge (Pavia usw.) regelte bzw. regeln musste?

Der Hausvertrag von Paiva datiert ja bereits vor den Primogeniturregelungen der Pfalz und Bayerns. Die Primogenitur der Pfalz, geregelt durch die Goldene Bulle von 1356, galt nur für die eigene Linie, ebenso das Primogeniturgesetz von Albrecht IV., das nur für die bayerische Erbfolge griff.

Im Prinzip hast du das ganz richtig geschrieben, nur, dass der Hausvertrag eben schon Fakt war, bevor man sich auf das Erstgeburtsrecht festgelegt hat.


Meine Fragen sind möglicherweise zu "akademisch".

Deine Fragen sind schön gestellt und verlangen nichts, was nicht beantwortbar wäre. :)

Wahrscheinlich muß ich mich damit zufriedengeben daß die Nachfolge Karl Theodors (nach Max Joseph III.) aufgrund der Erbverträge zustandekam und die folgende Sukzession Max Josephs IV. (als König Max Joseph I.) den Regeln der Primogenitur entsprach.

Sie kam einzig und allein aufgrund des schon vielfach erwähnten Hausvertrags von 1329 zustande, nicht mehr und nicht weniger. Die Primogeniturregeln haben damit eigentlich überhaupt nichts zu tun, denn sie sind "linienintern".
 
Sie kam einzig und allein aufgrund des schon vielfach erwähnten Hausvertrags von 1329 zustande, nicht mehr und nicht weniger. Die Primogeniturregeln haben damit eigentlich überhaupt nichts zu tun, denn sie sind "linienintern".[/quote]

Liebe Lukrezia, einerseits fällt es mir schwer, Dir in diesem Punkt zu widersprechen, denn ich bin auf diesem Gebiet kein Fachmann, besitze nichteinmal den Text des Hausvertrages von Pavia und der anderen Vereinbarungen.

Andererseits habe ich aber Zweifel, weil sowohl Hans Rall (a.a.O.) als auch Ludwig Hüttl meinen, daß ein "dichtes Netz juristisch und staatsrechtlich unanfechtbarer Erbverbrüderungsunionen und Hausverträge während der Jahre 1766, 1771, 1774 und 1777" Voraussetzung für die Nachfolge Karl Theodors (nach Max Joseph III.) als Herrscher Bayerns war (Hüttl, Das Haus Wittelsbach, München 1980, S. 239, und Hüttl, Max Emanuel, München 1976, S. 519: "Erst 1777/78 wurden diese Hausverträge zu einem entscheidenden Faktor, als das Haus Pfalz das Erbe des letzten bayerischen Wittelsbachers antrat").

Ich verstehe diese Ausführungen so, daß der sehr alte Vertrag von Pavia (1329) nicht als ausreichend für die Sicherung der Erbfolge angesehen wurde, obwohl er eigentlich als Grundlage dienen hätte können.

Freundliche Grüße!

Franzei
 
Andererseits habe ich aber Zweifel, weil sowohl Hans Rall (a.a.O.) als auch Ludwig Hüttl meinen, daß ein "dichtes Netz juristisch und staatsrechtlich unanfechtbarer Erbverbrüderungsunionen und Hausverträge während der Jahre 1766, 1771, 1774 und 1777" Voraussetzung für die Nachfolge Karl Theodors (nach Max Joseph III.) als Herrscher Bayerns war (Hüttl, Das Haus Wittelsbach, München 1980, S. 239, und Hüttl, Max Emanuel, München 1976, S. 519: "Erst 1777/78 wurden diese Hausverträge zu einem entscheidenden Faktor, als das Haus Pfalz das Erbe des letzten bayerischen Wittelsbachers antrat").

Ich verstehe diese Ausführungen so, daß der sehr alte Vertrag von Pavia (1329) nicht als ausreichend für die Sicherung der Erbfolge angesehen wurde, obwohl er eigentlich als Grundlage dienen hätte können.

Pavia war die Grundlage. Das Problem war aber, dass bei dem ersichtlich werdenden Aussterben der bayerischen Linie natürlich auch andere Dynastien, insbesondere die Habsburger ein Auge auf Bayern geworfen hatten. Außerdem erhob auch der Kurfürst von Sachsen 1761 Ansprüche auf Bayern, weil er mit einer Schwester von Max III. Joseph verheiratet warn. Deshalb erneuerte man das Ganze.

Berücksichtigt werden muss auch, dass zwar der Vertrag von 1329 reichsrechtlich unanfechtbar war, weil König Ludwig daran beteiligt war, aber die bayerischen Erwerbungen, die seitdem hinzugekommen waren, darin nicht auftauchten. Ich kenn den Hausvertrag und hab ihn auch vorliegen. Darin sind akribisch sämtliche Städte, Märkte und Burgen aufgezählt, die den jeweiligen Linien gehören. Dass diese Auflistung nach knapp einem halben Jahrtausend nicht mehr aktuell war, versteht sich von selbst; deshalb die ganzen Vertragserneuerungen. 1771 manifestierte man dann noch einmal, dass das gesamte Gebiet Bayerns und der Pfalz an den überlebenden Zweig ging, was aber rein reichsrechtlich nicht notwendig gewesen wäre; man ging nur auf Nummer Sicher.
 
1771 manifestierte man dann noch einmal, dass das gesamte Gebiet Bayerns und der Pfalz an den überlebenden Zweig ging, was aber rein reichsrechtlich nicht notwendig gewesen wäre; man ging nur auf Nummer Sicher.
... und hatte die Erbfolgekriege des späten 17. und der ersten Hälfte des 18.Jh. noch im Hinterkopf. Soweit mir bekannt, war das Interesse schon groß, dass die Linie Birkenfeld-Bischweiler nicht an die Regierung im gesamten wittelsbachischen Besitz kam, hinter der mit der Absage an Frankreich, welche zusehends aus Mannheim und München nach Paris drang, auch das französische Königshaus stand. (Christian IV. stand in sehr engem Kontakt zu Mme. de Pompadour u.a.)

Von daher würde ich den Erbfolgeregelungen des 18.Jh. ein primäre Bedeutung beimessen, wenngleich die des Mittelalters vor dem Reichsrecht vielleicht noch wichtig waren, aber eher kaum noch vor dem Hintergrund einer europäischen Politik.
 
Lieber Brissotin, ich bitte, mir diesen Satz zu erläutern, da ich ihn nicht voll verstehe. Was ist mit der Absage an Frankreich gemeint?

Gruß, Franzei

Die französische Diplomatie hatte zu Zeiten Karl Albrechts in ihm einen erklärten Verbündeten in München, da dieser ja das österreichische Erbe antreten wollte. (In Prag wurde ihm als König von Böhmen gehuldigt.)
Allerdings suchte Maximilian III. Joseph einen Ausgleich mit Wien, was ein Teil seiner Konsolidierungspolitik war. Er war ebensowenig wie Carl Theodor von der Pfalz bereit als französischer Handlanger zu fungieren. Dabei hatte sich Carl Theodors Vorgänger Carl Philipp noch im französischen Lager befunden und gegen Österreich alliiert. Carl Theodor war also allianzpolitisch eher bei dem Hause Österreich angesiedelt. Deutlich wird das ganz gut in "Lebenslust und Frömmigkeit, Kurfürst Carl Theodor zwischen Barock und Aufklärung" - Handbuch zur Ausstellung - 1999 in dem Abschnitt zur Außenpolitik von Carl Theodor.

Wenn Du magst, suche ich mal die Stelle genau raus.:)

Vielleicht zu dem Thema auch ein bisschen interessant: http://www.geschichtsforum.de/f58/warum-zurueckfallen-der-kurpfalz-im-reich-im-17-18-jh-12673/
 
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Ich habe mal nachgeschaut, mit der Absage an den franz. Hof meinte ich ja eine Entfremdung zwischen dem französischen und kurpfälzischen Hof, welche sich dann unter Max III. Joseph auch vollzog, da er sich politisch eigentlich schon mit Carl Theodor abstimmte.

Besonders interessant dazu im Handbuch 1.1 der besagten Ausstellung der Abschnitt von Berthold Roland (S. 31) "Carl Theodor und die Zweibrücker Verwandten - Kurpfalz - Kurbayern und Pfalz-Zweibrücken".
Bsp.:
"So gut Christians [Christian IV.] Verhältnis zum französischen Hof war, so schwierig immer wieder mit Krisen belastet, das Verhältnis zu Mannheim, zu Carl Theodor, der immer wieder Gründe hatte diesem Zweibrücker zu misstrauen."
Schließlich nahm man in Versailles an, dass der robust wirkende Christian IV., der gute Herzog, seine beiden regierenden Verwandten in Mannheim und München überleben und beerben würde, niemand rechnete scheinbar mit dem hohen Alter, welches Carl Theodor erreichte und an eine Lungenentzündung, welche dem vielversprechenden Christian IV. das Leben kostete, konnte auch niemand denken. Dieses Warten auf das Erbe sollte schonmal die Beziehung zwischen Christian und Carl Theodor belastet haben.


Genauer kommen die Ursachen noch in dem Abschnitt "Versailles und Carl Theodor: Vom Statthalter Frankreichs zum Enfant terrible" (S. 225 ff) zum Ausdruck. Noch bis in die 1760er flossen erhebliche Summen an Subsidien aus Versailles nach Mannheim. So regelten Verträge, die immer wieder verlängert wurden, die Stellung von 6.000 Mann durch die Kurpfalz für jährliche Zahlungen von 600.000 Livres. 1762, ungefähr zur Zeit der Wende der kurpfälzischen Politik, liefen allerdings die Subsidienverträge endgültig aus. Auch wenn sich Choiseul meinte mit dem Vertrag über die Queich-Grenze vom 16. Juni 1766 wieder genug um eine positive Beziehung zur Pfalz bemüht zu haben, verlor die französische Partei in Mannheim zusehends an Boden. Das rührte entscheidend daher, dass die Kurfürstin nach der Fehlgeburt völlig an Einfluss bei Hofe einbüßte, sie ging dann ja nach Oggersheim, Außenmister Wachtendonk starb und sein Nachfolger Zettwitz arbeitete nicht mehr in den Interessen Frankreichs. Der franz. Vertreter O'Dunne soll systematisch in der Angelegenheit der bayerischen Erbfolge getäuscht worden sein, vor allem da Carl Theodor und Zettwitz eine Einmischung durch Frankreich in dieser Frage unterbinden wollten.

Ganz gegenteilig dazu blieb die Haltung Christian IV., der noch 1766 seinen Subsidienvertrag im Umfang von 300.000 Livres mit Frankreich verlängerte. Außerdem lehnten die Zweibrücker Herzöge wiederholt die Tauschprojekte (siehe bayr. Erbf.krieg) Carl Theodors ab, was ganz im Interesse der franz. Politik war. Dabei mussten die Zweibrücker Herzöge als nächste Erbende in dieser wichtigen Angelegenheit immer gehört werden.

Vor dem Hintergrund der Meinungsverschiedenheiten zwischen den wittelsbachischen Linien und dem politischen Auseinanderdriften der Kurpfalz und Frankreichs, welche ehedem politisch so eng verbunden waren, muss man die Erbverhandlungen zwischen Kurbayern Max III. Josephs und der Kurpfalz Carl IV. Theodor betrachten, wie ich meine.
 
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