Der Begriff "Einjähriges" für die Mittlere Reife

Karsten Meyer

Neues Mitglied
Hallo,

schön, dass es dieses Forum gibt, denn Geschichte wird in universelleren Foren leider kaum behandelt. Habe mich eben angemeldet, weil ich mit diesem Begriff des "Einjährigen" nicht so richtig warm werde und hoffe, dass mir da jemand weiterhelfen kann.

Hintergrund: Ich sammle Schülerkarten. Diese wurden in früheren Zeiten vor allem beim Schulanschluss von den Schülern selbst angefertigt und verschickt. Beispiele solcher Karten aus Konstanz hier: Schülerkarten bei www.Alt-Konstanz.de

Auf diesen Karten werden oft die Begriffe "Einjähriges" oder auch "Einjährig Freiwilliger" verwendet. Eine kurze Recherche in der Wikipedia lässt mich stutzig werden:

Unter Mittlere Reife ? Wikipedia steht:
Das Einjährige hieß so, weil junge Männer mit diesem Bildungsabschluss statt des normalen dreijährigen Wehrdienstes auf freiwilliger Basis (bei Selbstkostentragung für Unterkunft, Verpflegung, Uniform, Kaltwaffe und bei Reitenden Einheiten auch Pferd) nur ein Jahr dienten. Diese nannte man Einjährig-Freiwillige und die Mittlere Reife hieß „wissenschaftliche Befähigung für den Einjährig-Freiwilligen Militärdienst“.


Und unter Einjährig-Freiwilliger ? Wikipedia wird überhaupt nur auf den Wehrdienst abgezielt.

Irgendwie mag ich nicht glauben, dass der Name dieses Schulabschlusses sich allein auf den Wehrdienst bezieht, zumal er auch bei Schülerkarten aus Mädchenschulen verwendet wird.

Was meint ihr dazu?

Schönen Gruß,
Karsten
 
Und unter Einjährig-Freiwilliger ? Wikipedia wird überhaupt nur auf den Wehrdienst abgezielt.

Irgendwie mag ich nicht glauben, dass der Name dieses Schulabschlusses sich allein auf den Wehrdienst bezieht, zumal er auch bei Schülerkarten aus Mädchenschulen verwendet wird.
Aber genauso war es. Das kommt immer wieder vor, dass Begriffe oder Bezeichnungen weiter verwendet werden, obwohl ihr ursprünglicher Sinn oder Zusammenhang weggefallen ist. Man sagt z.B. immer noch etwas "aus dem Stegreif", obwohl sich kaum noch jemand zu Pferd fortbewegt.

Du solltest vielleicht bedenken, dass es einen erheblichen Unterschied machte, ob man ein oder drei Jahre Militärdienst machen musste, und dass viel weniger Leute die "Mittlere Reife" (die heute ja auch offiziell nicht mehr so heißt) "machten". Da war es nicht abwegig, den Abschluss nach diesem damit verbundenen Privileg zu benennen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank, Liborius. Ja, vermutlich war das Militär damals auch prägender als heute. Kriegsdienstverweigerung dürfte kaum möglich (und selten gewünscht) gewesen sein.

Bleibt die Frage, seit wann es diesen Abschluss überhaupt gibt. In der Wikipedia steht kein Wort dazu, unter Geschichte wird dort nur die Wortherkunft beschrieben.

Schönen Gruß,
Karsten
 
Danke, Melchior, aber sowohl im Wikipedia-Aritkel Einjährig-Freiwilliger als auch in dem interessanten Artikel, den du verlinkt hast, geht es ausschließlich ums Militär. Der Schulabschluss dieses Namens wird mit keinem Wort erwähnt.

Schönen Gruß,
Karsten

PS: Verflixt, kann man hier den Text, der zum Link erscheint, nicht beeinflussen?
Nachtrag: Problem erledigt nach Umstellen von Wysisyg-Editor auf was einfacheres.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Karsten

Das "Einjährige" war kein Schulabschluß per se, sondern vielmehr bedeutete ein bestimmter Schulabschluß (i.d.R. Obersekunda) zur Berechtigung als "Einjährig Freiwilliger" dienen zu können. Die monetären Voraussetzungen hast Du erwähnt.

Der Begriff "Einjährig Freiwilliger" hat sich dann für diesen Schulabschluß gleichsam verselbstständigt, daß auch "Mädchenschulen" ihn verwendeten ist mir neu, danke für den Wissenstransfer.

Das ist ein originär militärischer Begriff, der sich in die "zivile Sprache" insbesondere des späten 19. Jh./frühen 20. Jh. "eingeschliffen" hat.

Vergl. auch hier:

Kadettenanstalt ? Wikipedia

Neue Jahrbücher für Philologie und ... - Google Bücher

Full text of "Bibliotheca geographica;"
 
Danke, Melchior für die sehr interessanten Infos!

Ich denke, zu der Zeit hatten die Schulabschlüsse noch nicht den selben Status wie heute, und für gewisse Gruppen der Bevölkerung dürfte es keine Rolle gespielt haben, ob sie nun das Abitur in der Tasche hatten oder nicht.

NB: Wonach soll ich denn in dieser Bibliotheca geographica suchen?

Dank & Gruß,
Karsten
 
Das "Einjährige" war kein Schulabschluß per se, sondern vielmehr bedeutete ein bestimmter Schulabschluß (i.d.R. Obersekunda) zur Berechtigung als "Einjährig Freiwilliger" dienen zu können.
Vielleicht ist es zum Verständnis besser, sich ganz vom "Abschluß"-Begriff zu lösen! Denn das betraf nur eine von vier Fallgruppen bei den Lehranstalten, welche die erwähnten Befähigungszeugnsise ausstellen durften [1]:
a) solche, bei welchen der einjährige erfolgreiche Besuch der zweiten Klasse zur Darlegung der wissenschaftlichen Befähigung genügt,
b) solche, bei welchen der einjährige erfolgreiche Besuch der ersten Klasse nötig ist,
c) solche, bei welchen das Bestehen der Reifeprüfung (Schlußprüfung) gefordert wird,
d) solche, für welche besondere Bedingungen festgestellt werden.
Der Begriff "Einjährig Freiwilliger" hat sich dann für diesen Schulabschluß gleichsam verselbstständigt ... [bzw.] sich in die "zivile Sprache" insbesondere des späten 19. Jh./frühen 20. Jh. "eingeschliffen" ...
Ja, da hast Du (ebenso wie Liborius in #2) völlig recht! Zumal, wenn man bedenkt, dass der Einjährigfreiwilligendienst nach dem Ende des Kaiserreichs abgeschafft wurde.

Das "Einschleifen" hängt natürlich auch damit zusammen, dass die deutsche Schulgeschichte bis 1918 immer auch um die Frage gekreist hat, wer den Berechtigungsschein ausstellen darf oder nicht! Zuerst waren es ja nur die (humanistischen) Gymnasien, dann kamen im Laufe eines Jahrhunderts - nach jeweils erbitterten schulpolitischen Auseinandersetzungen - noch andere Schulen oberhalb der Volksschule hinzu, die hier aufzuzählen zu weit führen würde. Es waren also sehr viele Menschen auf die eine oder andere Art in diese Frage involviert!

... daß auch "Mädchenschulen" ihn [den Begriff E.-F.] verwendeten ist mir neu...
Mir auch, und ich bleibe da etwas skeptisch. Höhere Mädchenschulen konnten natürlich keine Berechtigungsscheine ausstellen, und es würde mich sehr wundern, wenn tatsächlich das "Einjährige" in einem amtlichen Mädchenschul-Schriftstück auftauchen würde. Wie sehen denn die Belege dafür aus?

Ich denke, zu der Zeit hatten die Schulabschlüsse noch nicht den selben Status wie heute, und für gewisse Gruppen der Bevölkerung dürfte es keine Rolle gespielt haben, ob sie nun das Abitur in der Tasche hatten oder nicht.
Hm, da bin ich der genau entgegengesetzten Meinung - aber das ist ein anderes Thema!:winke:


[1] Deutsche Wehrordnung 1914. 2. Aufl. Berlin 1915, S. 123 (§ 90)
 
Ich kenne den Begriff "Freiwilliges Einjähriges Examen" schon auch im Zusammenhang mit reiner (nicht militärischer) Schulausbildung.

Beispielsweise am Gymnasium Cannstatt (Stuttgart) war es möglich, das sogenannte freiwillige einjährige Examen zu machen. Das beinhaltete sowohl Abschlussprüfung als auch Abschlusszeugnis. Der Abschluss war der der "Knabenoberschule" und mit der heutigen mittleren Reife in etwa vergleichbar.

Es kann durchaus sein, dass diese Begriffe für das Württemberg des 18. und 19. Jh spezifisch sind. (Siehe auch #1, Schülerkarten aus Alt-Konstanz)

Liebe Grüße
KeineAhnung
 
Ich habe in der Zwischenzeit noch mal etwas genauer nachgeschaut:

Es hieß korrekt Einjährig-freiwilligen Examen und schloss ab mit der Obersekundarreife (http://de.wikipedia.org/wiki/Jahrgangsstufe).

Das gab es wohl nicht nur in Württemberg - hier machte Hermann Hesse am Gymnasium Cannstatt 1893 die Obersekundarreife -
sondern beispielsweise auch in Leipzig - hier machte Ringelnatz 1901 seinen Abschluss.

Links zu beiden Fundstellen:
Joachim Ringelnatz Verein e.V. Wurzen Joachim Ringelnatz
Museum und Fondazione Hermann Hesse Montagnola - Biographie

Liebe Grüße
KeineAhnung
 
Hallo allerseits,
möchte nur mal eben ein "Dankeschön" in die Runde werfen für die vielen Beiträge zur Klärung meiner Frage. Evtl. treffe ich mal auf jemand, der sich mit Mädchenschulen auskennt, dann würde ich den mit der Frage konfrontieren.
Aber falls hier noch jemand was beitragen möchte - immer 'raus damit!

Schönen Gruß vom Bodensee,
Karsten
 
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