Der Wartburgfest-Irrtum

iamNex

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Die weitverbreitete Annahme, am Rande des Wartburgfestes 1817, im sogenannten unoffiziellen Teil, hätte ein Kreis von Studenten "undeutsche" Schriften verbrannt ist mittlerweile längst überholt. Okay, im Grunde stimmt das alles sogar. Was aber nicht stimmt, ist, dass dies in irgendeiner Form in Übereinstimmung mit dem eigentlichen Wartburgfest 1817 geschah. Beschäftigt man sich näher mit den Bücherverbrennungen wird daraus schon fast ein abstruser Kriminalfall. Es geht dann schon fast mehr um Intrigen und Machtspiele, als um demokratische Ideologie.

Aber fangen wir von vorne an.

18. Oktober 1817, nach den Feierlichkeiten dieses Tages an der Wartburg, marschieren viele Studenten zum nahegelegen Wartenberg, um dort weiterzufeiern. Danach ging der Großteil. Aber ein kleiner Kreis sammelte sich um den 19-jährigen Hans Ferdinant Maßmann. Man formte einen großen Kreis um ein Lagerfeuer.
Maßmann hatte ein Paket mit angeblich "undeutscher", "reaktionärer" Literatur dabei.
Er las die Titel laut vor und fragte, ob er sie dem Feuer übergeben solle.
Mittlerweile ist bekannt, dass Maßmann zuvor einigen seiner Kollegen einschärfte, immer laut "JA" zu schreien, um so allgemein Zustimmung zu erzeugen.
Mittlerweile ist auch bekannt, dass Maßmann die meisten der dort verbannten Werke gar nicht kannte. Es ist bekannt, dass er sie nichteinmal dabei hatte, sondern nur Seiten aus Wörterbüchern und Romanen zu Bündeln zusammengeschnürrt hatte.

Reminder: Das alles geschah auf dem Wartenberg, nicht auf der Wartburg.

Klar, Maßmann sah sich selbst als Demokrat, der im Willen der Nation gehandelt hat. Da er nur ein Werkzeug war.
Die Werke waren größtenteils nichteinmal so sehr reaktionär ausgerichtet, viele der Autoren stimmten mit liberalen oder gar demokratischen Ideen überein.
Der "verbrannte" Autor Friedrich Cölln beispielsweise, setzte sich ein für die Abschaffung von Feudlherrschaft, für die Judenemanzipation und sogar die die Lockerung bzw. Abschaffung von Erbprivilegien.
Oder auch Karl von Wangenheim. Jener schrieb über Pressefreiheit für Studenten und entwarf auch ein parlamentsfreundliches System für Deutschland. Trotzdem wurde seine "Idee der Staatsverfassung" verbrannt.

Preußen untersuchte den Fall mittlerweile strafrechtlich.
Aber wenn die Autoren einem breiten Spektrum politischer Einstellungen angehörten, was hatten sie dann gemeinsam, dass sie alle auf dem Wartenberg "verbrannt" wurden?
Sie hatten alle Fehden und Streit mit Turnvater Friedrich Ludwig Jahn hinter sich. Sie alle standen Studenten-Vereinigungen, wie dem Turnerverband kritisch gegenüber.
Maßmann und der Kreis auf dem Wartenberg stammten aus dem Turner-Milieu.
Fast alle der "verbrannten" Autoren hatten sich in der Vergangenheit einmal gegen Jahn persönlich, oder gegen seine Bewegung ausgesprochen.
Betrachtet man Jahn's Reden von 1817, wird es sehr wahrscheinlich, dass er die Bücherverbrennungen geplant hat.
Mit Politik hatte das ganze wenig zu tun. Man hasste sich vor allem auf einem persönlichen Level.
1819 ordnete Jahn an, dass ein Großteil der von ihm geschrieben Briefe (viele enthielten Wahrscheinlich Schmähungen gegen besagte Auoten) verbrannt werden sollten - lies der Turnvater hier Beweismaterial verschwinden?
So ganz sicher beweisen lässt sich das ganze wohl nie, aber viele renommierte Historiker, darunter Steven Michael Press, der Autor der mich zu diesem Thread inspiriert hat, vertreten die These von Jahn's Verstrickung.

Wie aber wurde daraus nun ein Teil des Wartburg-Festes?
Die "verbrannten" Autoren Friedrich Cölln und Wilhelm Scheerer waren Herausgeber des "Brandenburger Erzählers". Aus Wut darüber, dass man ihre Werke verbrannt hatte, gaben sie einen Artikel in der Zeitung heraus, in der sie das ganze Fest für verantwortlich erklärten, und den Akt als Schlag gegen die Heilige Allianz darstellten.
Anonym verschickte Cölln Kopien dieses Artikels an Zeitungen in Deutschland und Österreich.
Hinzu kommt natürlich die Namens-Ähnlichkeit "Wartburg" und "Wartenberg".
So wurde das ganze zum Gerücht, und irgendwann zu geschriebener Geschichte.

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Steven Michael Press: False Fire: The Wartburg Book-Burning of 1817, in: Central European History 42 (2009), S. 621 - 646
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