Deutschunterricht für die Polen des ausgehenden 18. Jahrhunderts

Rafael

Aktives Mitglied
Da Brissotin mir den Vorschlag gemacht hat, ich könnte dieses Thema, damit es eine breitere Diskussion zulässt, in einem eigenen Thread vorstellen, stelle ich meinen Blog-Eintrag nun hier rein. Zudem zitiere ich auch die darauf folgenden Kommentare im Blog.



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Rafael schrieb:
Goethe, der 1790 eine »schlesische« Reise durch Polen machte, verfaßte einen »Vorschlag zur Einführung der deutschen Sprache in Polen«1, wie ich gerade in meiner Ausgabe der gesammelten Werke herausgefunden habe.
Zunächst geht Goethe darauf ein, dass der Eroberer eines Landes meist davon ausgeht, kompletter Friede würde im eroberten Land herrschen; dabei macht Goethe darauf aufmerksam, dass oft noch ein innerer Krieg herrsche, vor allem wenn »Sprache und Sitte [der streitenden Staaten] verschieden«2 sind.
Der Dichter macht nun einen außergewöhnlichen Vorschlag und ist sich der Außergewöhnlichkeit seiner Idee durchaus bewusst: Durch Theatergruppen, die Stücke in deutscher Sprache vorstellen, könne man den Polen die deutsche Sprache beibringen. Die Dialoge müssten allein durch die Handlung verständlich sein und unter anderem auf das Leben der polnischen Bevölkerung eingehen.
Diese Dialoge könnte man dann in zweisprachigen Lesebüchern für die Kinder aufarbeiten, so dass sie die deutsche Sprache lernen.
Die Polen selbst hielt Goethe anscheinend für wenig gesittet und erhofft sich deshalb, man könne in diesen Theatern auch darstellen, dass sich die Situation der Menschen positiv ändert, wenn man Sprache und Sitten lernt.
»Man sähe z.B. einen Polen von geringem Stande, der aber gedient hat und neben einem guten äußerlichen Betragen auch Deutsch kann. Man brächte ihn in Situationen, wo er sich und andern durch diese Sprachkenntnis wichtige Dienste leistet, und so ist ein auffallendes Beispiel dargestellt. Was er mit sich selbst oder zu den Zuschauern spräche, könnte polnisch sein, der übrige Dialog deutsch.«3
Man könne den Vorschlag auch als Gleichnis sehen, das zum weiteren Nachdenken anregen soll, beschließt Goethe die Darstellung seiner Idee.


Den Blick auf den »inneren Krieg«4 finde ich sehr interessant, unschön die Herablassung gegenüber der anderen Kultur – dies dürfte aber keine Ungewöhnlichkeit in dieser Zeit gewesen sein – und höchst interessant finde ich den pädagogischen Ansatz, der deshalb entwickelt wurde, da man – so schreibt Goethe in den einleitenden Worten – in der Öffentlichkeit darüber diskutierte, wie man den Polen die deutsche Sprache ›einimpfen‹5 könne.
Bei denjenigen im Forum, die sich mit Nationalstaaten(-bildung), Nationenideen mit Blick auf Kultur und Sprache beschäftigen, dürfte dieser Vorschlag von Goethe auf Interesse stoßen.

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1 Goethe, Johann W.: Vorschlag zur Einführung der deutschen Sprache in Polen, in: (Hrsg.) Curt Noch und Paul Wiegler, Sämtliche Werke (Bd. 19), Berlin o. Jahresangabe (1923-25?), S. 319-322.
2 Ebd., S. 319.
3 Ebd., S. 321.
4 Ebd., S. 319.
5 Vgl. ebd., S. 319.

Brissotin schrieb:
Ich finde dieses "Projekt" Goethes interessant.

Seine Herablassung gegenüber den Polen ist wirklich zum einen aus seiner Selbsteinschätzung zum anderen durch das was damals üblich war, verständlich. Man überbot sich damals ja damit, andere Völker zu "charakterisieren", was aber über Anhäufungen von Klischees in aller Regel nicht hinaus ging.


Rafael schrieb:
Danke für Deinen Kommentar.
Deine Ausführungen haben in mir eine Frage aufkommen lassen:

Gab es im 18. Jahrhundert Ausländerfeindlichkeit?
Wir können ja festhalten, dass man sich in der eigenen Kultur überlegen fühlte und somit hart gegen andere Völker und Nationen urteilte.
Doch machte sich das auch bemerkbar im Verhalten gegenüber einem Reisenden aus einem Land, dessen Kultur geringer geschätzt wurde? Oder gab es vielleicht (lustige) Mißverständnisse, wenn mal ein Ausländer nicht den Klischees gerecht wurde?
Weiß jemand etwas dazu? Oder wo könnte man so etwas erfahren?

Spannend wäre auch zu wissen, wie Goethes Vorschlag von seinen Zeitgenossen aufgenommen wurde. ;)

Da ich mehr Fragen gestellt und weniger Aussagen produziert habe, beschließe ich jetzt lieber meine Rede.

Brissotin schrieb:
Direkte Ausländerfeindlichkeit kenne ich bis jetzt nur im Zusammenhang mit der französischen Revolution. Hatten sich die führenden Revolutionäre eine ganze Weile multinational verbindend gegeben (Brissot fantasierte, glaube ich, auch von einem Beglücken der anderen Länder mit den eigenen Errungenschaften.), so war die Zeit des Terreur zunehmend von der Verdächtigung aller Ausländer in Frankreich als Konterrevolutionäre oder deren Spione gekennzeichnet.

Ansonsten ist das Thema schwerer zu fassen. Natürlich kam es immer wieder zu Ausschreitungen gegen Ausländer, auch im 18.Jh.. Jedoch waren die Gründe oft politischer Natur. Man denke an die vielen Staaten in welchen Deutsche bsw. einen Einfluss auf die Politik gewannen: Russland, Dänemark, die Generalstaaten usw.. Wenn sich dort die Stimmung in der Bevölkerung gegen die Regierung kehrte, so traf der Unmut der Einheimischen die Ausländer, die man mit den politischen Problemen in Verbindung brachte.

Ansonsten muss man bedenken, dass ja in der Regel keine niederständischen Habenichtse durch Europa reisten, sondern Adelige oder maximal wohlhabende Geschäftsreisende. Wer waren diese Reisenden? Die "Bildergalerie der weltlichen Missbräuche" (1785) führt da die französischen Abbés an, welche wie eine Plage Deutschland befallen haben sollen. Die Höflinge berichten in ihren Erinnerungen immer wieder von durchreisenden Adeligen verschiedener Nationalität, welche wegen Ehrenhändeln ihr Land verlassen mussten. Neben den Adeligen, die mit Hofmeister und drum und dran auf Kavalierstour waren, kamen auch immer mehr die Bildungsreisenden oder schlicht Touris im 18.Jh. auf, welche neben den alten italienischen Zielen auch Paris, London, Wien und sogar Dresden zunehmend auf dem festen Plan hatten.

Die Frage für mich in so einer Sache wie Ausländerfeindlichkeit ist die Motivation! Größere Bevölkerungsbewegungen gab es im 18.Jh.. Da wären die aus der Pfalz und Frankreich in Brandenburg-Preußen einwandernden Emigranten als Beispiel zu nennen. Tiefere Konflikte sind mir da aber zwischen diesen und der angestammten Bevölkerung nicht bekannt. Das mag an dem Grund ihrer Ansiedlung liegen: die Peuplisierungspolitik. Die Hugenotten nahmen ja vorzugsweise Stellen in der Gesellschaft ein, welche neu durch ihr Eintreffen geschaffen wurden oder sie bevölkerten Gegenden, die eben durch den Krieg entvölkert worden waren oder erst wie im Falle des Oderbruchs urbar gemacht wurden. Hier kam es also auch zu keiner grundsätzlichen Verdrängung.
Ähnlich den Deutschen an anderen Höfen, verband aber so mancher Preuße etwas Negatives mit den Franzosen. Denn diesen vertraute Friedrich II. das Steuerwesen an, welches durch deren Tätigkeit zu Gunsten des Staates vor allem verbessert wurde.

Beispiele eines Gefühls Überlegenheit der eigenen Kultur gegenüber einer anderen kann ich leider nicht nennen. Ich muss mir mal das Buch von Frau Ribero "Dress in eighteenth-century Europe 1715-1789" zulegen, worin die verschiedenen Kleidungen der Europäer dieser Zeit ein wenig verglichen werden. War es nicht Goethe der sich ganz enttäuscht über manche Tracht zeigte, der er auf der Reise nach Italien begegnete?
 
soczewicę miele młyn...

In 1311 gab es in Krakau so gen. Emporung des Burgermeissters Albert, in polnischer Literatur als Bunt wójta Alberta gekannt. Die Burgermeisster-Stelle war in Krakau erblich, also die Stadt von der eigenen amtlichen Dynastie regiert wurde. Mit ihrer eigenen inneren Politik.
Albert, mit Bischof Jan Muskata zusammen, hat die Deutschen in Krakau gegen Konig Polens Władysław I rebelliert. Albert war deutschsprachig, Muskata war ein verdeutschter Schlesiener. Sie wollten Krakau mit ganzer Provinz Kleinpolen zum tschechischen Konigreich von Luxenburgen anschliessen. Die Emporung wurde endlisch in 1312 von Władysław I besiegt. Seine Truppen haben die Stadt erobert und jeder Krakauer wurde von Władysławs Soldaten gezwungen um den Saatz soczewicę miele młyn (eine Muhle mahlt die Linse) wiederzuholen. Phonetisch war das fur ein Deutscher unerfullbar. Diese, die das nicht gemacht haben wurden sofort gemordet. Albert ist aus Krakau geflohen.

in der selben Zeit war Bischof Jakub Świnka, ein der wichtigsten Poliktiker des polnischen Mittelalters, seit mindestens 20 Jahren aktiv, um die Einflusse der deutschen Sprache im Schlesien und Pommern ernst zu begrenzen. Am 6. Juli 1285, wahrend des Synods in Łęczyca, hat Świnka dramatisch geschrieben :
... aber auch die anderen Unglucken haben sich dank dieses Volkes (= die Deutschen) im Polen erweitert. Und dann erfaren wir uns, wie die Deutschen die Tradizion und die Rechte unserer Vater verachten und vernischten. Świnka hat getan, dass die Predigen in Schlesien seit 1285 oder 1286 nur auf polnisch gehalten werden konnten.

Unter der Dynastie Jagiellonen und "Elekzion - Konige" hat das Polen die anderen Problemen als die deutsche Sprache. Interessant, dass die kulturelle Bedeutung von Bohmen in Mitteleuropa in XVI Jhdt. so wichtig war, dass jeder ausgebildeten Pole in jener Zeit tschechisch gesprochen hat.
Seit XVIII Jhdt ist Schlesien systematisch verdeutsch geworden. Seit 1764 konnten sich nur diese Personen verheiraten und einen Beruf zu lernen, die deutsch sprachen. Auch die deutsch Kolonisazion wurde intensiever - nur in 1763 sind 61 000 Deutschen in Schlesien gekommen. In nachsten 40 Jahren ca. 110 000.
Nach Teilung Polens war die antipolnische Politik von Preussens am Anfang nicht sehr intensiv. Der erste polnische Freiheits-Aufstand, die Barer Konfoderazion der Adelingen (von Burg Bar in Podolien) 1768 - 1772, uberrascht im Grosspolen mit seiner Wirksamkeit.
In diesem Zeit waren die Deutschen von Polen nicht fur eine kulturelle Bedrohung gehalten. Vor allem dank der beiden Wettinen, die als Konige Polens die schlimmste Deutschen-Klische gegrundet haben. Heute muss man sagen, dass sie auch sehr bequem fur Polen waren, weil sie ideal als Sundenbocke nach der Teilung waren.
Der erfolgreiche Aufstand gegen Preussen in Grosspolen 1809, vor allem das kompromittierende Verhalten der deutschen Truppen in Festung Posen, zeugt, dass Polen (ich meine die polnischen Adelingen) keine Komplexe gehabt haben. Deutsche Sprache und Kultur war keine Konkurenz bis zum Momment, als die Preussen sie gewaltsam mit juristischen Werkzeuge einfuhren angefangen haben.
Alles, was ich oben geschrieben habe beweisst, dass die Idee von Goethe unmoglich war, weil deutsch-polnischer Kultur-Konflikt zu lange Geschichte gehabt hat.
 
Ich danke für die Links und für Barteks Kontextualisierung der deutsch-polnischen bzw. preußisch-polnischen Beziehungen.
Doch nur weil die Polen die deutsche Kultur nicht als Bedrohung ansahen, heißt es doch nicht, dass Goethes Plan den Polen die deutsche Sprache und Kultur beizubringen scheitern müsste. Die Kultur "einimpfen" würde wohl tatsächlich sehr schwer gewesen sein, auch wenn die Preußen den Teil Polens über ein Jahrhundert besetzt hätten, doch ich würde es nicht unmöglich finden, die Sprache, auch wenn als Zweitsprache, einem Großteil der Bevölkerung auf subtile oder aber normale pädagogische Weise beizubringen. Klar, ob die polnisch-sprechenden und -lebenden Bewohner sich dann in die deutsche Kultur assimiliert hätten, kann nicht gesagt werden, vor allem weiß ich nicht, weshalb sie die deutsche Kultur als bessere ansehen sollten, auch wenn Goethe es tat. Doch eine Unmöglichkeit möchte ich nicht unterschreiben.
 
... doch ich würde es nicht unmöglich finden, die Sprache, auch wenn als Zweitsprache, einem Großteil der Bevölkerung auf subtile oder aber normale pädagogische Weise beizubringen.

Erst Mal vielen Dank für die Einführung in das Thema - mein Goethe-Bild hat sich um eine bis dato unbekannte Komponente erweitert.:winke:

Beim Nachrecherchieren bin ich darauf gestoßen, dass nicht ganz klar ist, ob der Text tatsächlich von Goethe stammt; Erich Trunz hat gewichtige Gegenargumente formuliert (Dass eine Nation die ander verstehen ... - Google Buchsuche) und den Text wohl deshalb nicht in seine "Hamburger Ausgabe" aufgenommen. Hierzu kann ich mangels Sachverstandes aber nichts weiter beitragen.

Die verspätete Veröffentlichung [1] könnte jedenfalls erklären, warum (mir) keine Reaktionen von Zeitgenossen über den Vorschlag bekannt sind. Einige interessante Aspekte nennt Philipp Mehne (Bildung versus Self-reliance ... - Google Buchsuche - siehe auch seinen Verweis auf Hobsbawm S. 172). Aber vielleicht weiss ja der eine oder andere noch mehr darüber.


[1] Erstveröffentlichung in: Goethe-Jahrbuch 13 (1892), S. 3-8 im Anschluß an das Buch von Karpeles über "Goethe in Polen" (1890). Siehe auch die editorischen Notizen von Suphan, insb. Ziffer 3.
 
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