Gott mit uns? Religion und Religionsinstrumentalisierung im modernen Krieg

Scorpio

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Gott mit uns? Gott und Krieg

Ich bin beim surfen im GF auf ein gelöschtes Thema gestoßen, das eigentlich ein durchaus interessantes und kontroverses ist.


beim kramen auf dem Speicher fiel mir das Koppel meines Großvaters auf. "Gott mit uns" stand dort zu lesen, ebenso wie auf der Ausgabe seines Vaters, meines Urgroßvaters aus dem 1. Weltkrieg. "Gott will es, Gott mit uns, das Feldgeschrei gleicht sich. Auf dem Schlachtfeld von Leuthen stimmten die siegreichen preußischen Truppen den Choral "Nun danket alle Gott" an. Der alte Dessauer ging Gott vor der Schlacht von Kesseldorf um Beistand an und falls er (Gott nicht wolle), sollte er sich wenigstens neutral verhalten und nicht dem Gegner helfen.

Mit Gott für König, Volk und Vaterland lautete die Parole während der Befreiungskriege, und Ernst Moritz Arndt dichtete die 1914 vielzitierten Zeilen: "Der Gott der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte..."


Unwillkürlich drängen sich Bilder auf von Feldgeistlichen jeder Konfession und Nationalität, die Geschütze segnen.

Das Kriegshandwerk, das Grauen jenseits aller Vorstellungskraft, scheint ein Bedürfnis nach Spiritualität oder auch das Gegenteil davon zu mobilisieren. Ich denke, dass das durchaus ein interesssantes Thema für ein Geschichtsforum sein könnte und hoffe auf Anregungen, Beiträge, Assoziationen.
 
Das ist natürlich ein sehr umfangreiches Thema.
Mir sind gleich zwei Fragen eingefallen.

1.
In konfessionell geprägten Konflikten scheint ja die besondere Rolle der Geistlichen auch im Kriege ganz einleuchtend. Ich denke da an den Dreißigjährigen Krieg. Gern wurden die Soldaten durch das Zeigen eines Bildes der Jungfrau Maria bspw. motiviert.
Die zeitgenössischen Aufzeichnungen der katholischen Geistlichen, welche bspw. das bayerisch-kaiserliche Heer am Kriegsanfang begleiteten, geben ungefähr einen Eindruck von den Ansichten dieser Menschen, welche diese sicherlich auch zu einer Anfeuerung der Kombattanten animierten.

Da würde mich interessieren, wie gut das später im 30-jährigen Krieg noch gelang, als die Heere konfessionell durchmischter waren? Lässt sich da ein Wandel feststellen?

2.
Wie sind die Anrufungen von Gott eines Fürsten von Anhalt-Dessau vor der Schlacht bei Kesselsdorf zu werten? Es erscheint ja oft so, dass der Soldat sein Tun als ein Handwerk - das Kriegs- oder Soldatenhandwerk ansah. Auch Handwerker riefen doch gelegentlich Gott um Hilfe bei dem Gelingen eines Unternehmens an. Kann man dieses Gebet des Alten Dessauers vielleicht in dem Kontext sehen?

Eine religiös/konfessionell legitimierte Kriegsführung scheint ja im 18.Jh. kaum noch der Fall gewesen zu sein. (Friedrich II. wurde ja 1756/57 nicht wegen seiner Konfession, sondern weil er Unruhestifter war, vor dem Reichstag angegriffen. Wenn ich mich recht entsinne, spielte er sich aber dennoch gelegentlich als Beschützer der Protestanten auf.)
 
Naja, wenn wir bei rein politisch-"kriegswichtigen" Aspekten bleiben wollen, fielen mir zwei ein, die miteinander verschränkt sind und beide hinter der Frontlinie stattfinden. Das ist erstens ganz grundsätzlich die Legitimation, i.e. sich als der Gute hinzustellen, der eigentlich nur ein Unrecht geraderücken will (Stichwort gerechter Krieg), und zweitens das weitgehend flächendeckende Mobilisierungspotenzial der Kanzel.

Das Letztere betrifft vor allem die Zeiten, in denen die meisten einfachen Leute nicht lesen konnten und die Kirchen neben ihren spirituellen Aufgaben außerdem zentrale Informationsportale waren, über die man die wichtigsten Neuigkeiten aus der Welt erfuhr - mitsamt Deutung seitens des Pfarrers. Ist ja nicht von ungefähr, dass in den Anfängen des Buchdrucks der Abdruck von Predigten sehr verbreitet war. Das hatte mehr Gründe als "nur" Gott.

Mir fällt da spontan ein guter Artikel ein, der diese Dimension behandelt:

Claydon, Tony: The sermon, the ‚public sphere’ and the political culture of late seventeenth-century England. In: Ferrel, Lori Anne/Mc Cullough, Peter (eds): The English sermon revised. Religion, literarture and history 1600 – 1750. Manchester: Manchester University Press, 2000. Pp. 208-234.

Leider habe ich keine Quelle parat, die die katholische oder evangelische Kirche auf dem europäischen Kontinent behandelt, denn die sind definitiv anders als die anglikanische Kirche - schon allein deswegen, weil die anglikanische Kirche explizit von ihrem Selbstverständnis her auch ein Sprachrohr des Staates ist. Hier ist also jegliche Tendenz zur Bejahung eines Krieges Programm. Bei den anderen Kirchen dürfte es da vermutlich Verhandlungspotenzial gegeben haben.
 
Vielleicht ist das Thema zu komplex und man muss es etwas aufrollen und gliedern. Ich dachte vordergründig vor allem an die beiden Weltkriege.

Der Dreißigjährige Krieg oder der amerikanische Bürgerkrieg löschten eine Welt aus, führten zu ungeheuren sozialen Veränderungen und Eruptionen, lösten aber prinzipiell keine Zweifel an einem theokratischen Weltbild aus. Eher scheint das Erleben von extremer Gewalt und persönlichem Unglück zu einer verstärkten Religiösität geführt zu haben, wenn man sich z. B. die Biographie des protestantischen Kirchenlieddichters und Komponisten Paul Gerhard anschaut. Im amerikanischen Bürgerkrieg korrespondierten John Brown und Stonewall Jackson persönlich mit Gott, will man ihnen Glauben schenken.

Das Thema Krieg und Religion, bzw Krieg und das Verhalten der Kirchen oder einiger ihrer Vertreter wurde künstlerisch unter agnostischen bzw atheistischen Vorstellungen wurde meines Wissens erstmals nach dem 1. Weltkrieg thematisiert, z. b. von George Grosz Darstellung Christi mit Gasmaske, von Karl Kraus in "Die letzten Tage der Menschheit" oder in Ernst Friedrichs Bildband Krieg dem Kriege".

Im 1. Welkrieg regierten Franz Joseph, Wilhelm II. und Nikolaus II. noch von Gottes Gnaden, im 2. waren Hitler und Himmler nominell Mitglieder der katholischen Kirche wie Goebbels, der allerdings wegen seiner Ehe mit der Protestantin Magda Quandt exkommuniziert war. Hitler bemühte zwar gerne die Vorsehung, sah aber in den Kirchen Gegner und viele Parteigenossen traten aus Karrieregründen aus der Kirche aus.

Trotzdem gab es weiterhin Militärgeistliche, die ja in rückwärtigen Gebieten einiges mitbekommen konnten und Mitglieder der bekennenden Kirche, die sich in Stalingrad die Frage nach Gott stellten?
Wie und was predigten eigentlich Militärgeistliche? Den Krieg heilig zu sprechen gab es eine lange Tradition, aber was, wenn der Krieg allzu schmutzig geworden ist, als dass man ihn glaubwürdig als Kreuzzug gegen einen "Mongolensturm" erklären kann
Wieweit wurden eigentlich Predigten von Militärgeistlichen mit der militärischen oder politischen Führung abgesprochen?
 
Zum Wk I - auch die britischen und italienischen Monarchen waren traditionell "von Gottes Gnaden". Und das die Amerikaner bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein "God bless America" hervorquetschen dürfte damals nicht viel anders gewesen sein...
Zum Wk II.
Auf evangelischer Seite dürften die DC viele Militärgeistliche gestellt oder "beraten" haben - immerhin war Reichsbischof Müller ehemaliger Wehrkreispfarrer.
Was Stimmen zum Krieg angeht, hier ist mal eine (wenn auch nicht von einem Militärgeistlichen sondern einem sehr viel bekannteren "Vorgesetzen"):
"Bei Tag und Nacht weilen unsere Gedanken bei unseren tapferen Soldaten, steigen unsere Gebete zum Himmel, dass Gottes Beistand auch in Zukunft mit ihnen sei, zur erfolgreichen Abwehr der bolschewistischen Bedrohung […] ja auch zur Befreiung des bald seit 25 Jahren von der Pest des Bolschewismus […] verseuchten russischen Volkes."
Bischof Clemens August von Galen im Sommer 1941...
Es gab im übrigen einen Artikel im Reichskonkordat, der es der katholischen Kirche gebot, für das Wohlergehen des Reiches und seiner Führer zu beten...
 
John Keegan untersucht in "Das Antlitz des Krieges" die Religiosität britischer Soldaten im ersten Weltkrieg, die damals von einer umfangreichen Militärgeistlichkeit verschiedener Religionen umsorgt waren, und vergleicht sie mit der Areligiosität der Armee Wellingtons, der anscheinend vor Waterloo oder anderen Schlachten kein Wort über Gott verloren hat und dessen Soldaten Kirchen höchstens dazu besuchten, um sie zu plündern.

Die Österreich-Ungarische Armee soll 1914 Militärgeistliche von vier oder fünf verschiedenen Religionen gehabt haben. Weiss jemand etwas näheres dazu?
 
John Keegan untersucht in "Das Antlitz des Krieges" die Religiosität britischer Soldaten im ersten Weltkrieg, die damals von einer umfangreichen Militärgeistlichkeit verschiedener Religionen umsorgt waren, und vergleicht sie mit der Areligiosität der Armee Wellingtons, der anscheinend vor Waterloo oder anderen Schlachten kein Wort über Gott verloren hat und dessen Soldaten Kirchen höchstens dazu besuchten, um sie zu plündern.

Die Österreich-Ungarische Armee soll 1914 Militärgeistliche von vier oder fünf verschiedenen Religionen gehabt haben. Weiss jemand etwas näheres dazu?

Von der K.K. Armee ist mir zumindest bekannt, dass es Feldrabbiner gab und vermutlich auch Imame. Unter den Völkern der Monarchie hatten bosnische Soldaten einen guten Ruf, während Tschechen und Ruthenen, zumindest an der Ostfront als unsichere Kantonisten galten. Das Debakel, dass die Österreicher 1916 bei Lucz erlebten, wurde gerne mit dem überlaufen ganzer Bataillione erklärt. Immerhin waren Überläufer aus slawischen Ethnien der Donaumonarchie so zahlreich, dass eine eigene Tschechische Legion aufgestellt wurde, die noch im Bürgerkrieg auf Seiten der Weißen kämpfte und sich 1918 Jekaterinenburg nährte, wo die Zarenfamilie gefangen gehalten wurde. Gegenüber dem Kriegsgegner Italien ließen sich offenbar Tschechen, Kroaten, Ruthenen. u. a. leichter mobilisieren.

In Bosnien ließ Himmler 1943 (?) eine SS- Division aufstellen, die von eigenen Imamen betreut wurden, und es hielt Himmler offenbar viel vom Islam, jedenfalls erließ er Order, dass auf religiöse Befindlichkeiten der muslimischen Legionäre schärfstens Rücksicht zu nehmen sei.

Im 1. Weltkrieg versuchten nicht nur die Briten, die Araber zu mobilisieren, es gab auch auf Seiten der Mittelmächte Versuche, einen Heiligen Krieg der Muslime gegen GB und Russland áuszurufen.
 
Die Österreich-Ungarische Armee soll 1914 Militärgeistliche von vier oder fünf verschiedenen Religionen gehabt haben. Weiss jemand etwas näheres dazu?
Von der K.K. Armee ist mir zumindest bekannt, dass es Feldrabbiner gab und vermutlich auch Imame.
Es gab zumindest katholische, evangelische, orthodoxe, jüdische und moslemische Militärgeistliche. 1875 wurde der erste Feldrabbiner bestellt, 1882 der erste Feldimam.

In Bosnien ließ Himmler 1943 (?) eine SS- Division aufstellen
Die Division "Handschar": 13. Waffen-Gebirgs-Division der SS ?Handschar? (kroatische Nr. 1) ? Wikipedia
 
Offizieller Führer dieser Handschar Division war der Mufti von Jerusalem.

Einige sollen nach dem Krieg auch im Palästinakrieg gekämpft haben, wirklich effektiv war die Truppe jedenfalls nicht, außer einigen Massakern an der serbischen Zivilbevölkerung sind sie nicht wirklich in Erscheinung getreten.
 
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