Keine "westliche" Entwicklung durch fehlende Trennung von Kirche und Staat?

Lafayette II.

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Hallo zusammen,

ich habe vor einer Weile die beiden bisher erschienenen Bücher der Reihe "Geschichte des Westens" von Heinrich August Winkler gelesen. Eine der Kernaussagen ist, dass die Trennung von Kirche und Staat die Basis für die Entwicklung des Westens ist. Dadurch, dass dies beim orthodoxen Osten - also vor allem auch Byzanz - nicht der Fall gewesen ist, hätte sich dort die westliche Kultur nie entwickeln können und die Probleme, die Osteuropa bis heute hat, resultieren unter anderem daraus.

Mir kam es diese Aussage immer zu einseitig. So widerspricht auch Ralph-Johannes Lilie der Aussage, dass Byzanz eine Wiege des "Cäsaropapismus", also Vermischung von Kirche und Staat ist und führt unter anderem Beispiele für Zwistigkeiten zwischen Patriarchiat und Kaisertum auf.

Wie seht ihr diese Aussage von Winkler? Stimmt Sie im Grundsatz oder stimmt Sie nicht?

Ich hoffe, ich habe das passende Forum ausgewählt. Die Thematik ist ja eopchenübergreifend.
 
Eine der Kernaussagen ist, dass die Trennung von Kirche und Staat die Basis für die Entwicklung des Westens ist. Dadurch, dass dies beim orthodoxen Osten - also vor allem auch Byzanz - nicht der Fall gewesen ist, hätte sich dort die westliche Kultur nie entwickeln können und die Probleme, die Osteuropa bis heute hat, resultieren unter anderem daraus.
mir kommt es etwas gewagt vor, Byzanz für heutige osteuropäische Probleme quasi verantwortlich zu machen: das ist doch schon recht lange her...

was mir noch nachträglich einfällt: Polen und Ungarn waren nicht orthodox - dennoch waren Polen und Ungarn im 20. Jh. keine "westlichen" Länder im von dir gemeinten Sinn (wer vor 1990 mal in Polen oder Ungarn war, dürfte das bestätigen können) ----- aber vor dem 1. Weltkrieg ist bzgl. der poln. oder ungar. Oberschicht eigentlich kein Unterschied zu den "westlichen" Ländern feststellbar (auch nicht bzgl. der russ. Oberschicht)
 
Zuletzt bearbeitet:
mir kommt es etwas gewagt vor, Byzanz für heutige osteuropäische Probleme quasi verantwortlich zu machen: das ist doch schon recht lange her...

was mir noch nachträglich einfällt: Polen und Ungarn waren nicht orthodox - dennoch waren Polen und Ungarn im 20. Jh. keine "westlichen" Länder im von dir gemeinten Sinn (wer vor 1990 mal in Polen oder Ungarn war, dürfte das bestätigen können) ----- aber vor dem 1. Weltkrieg ist bzgl. der poln. oder ungar. Oberschicht eigentlich kein Unterschied zu den "westlichen" Ländern feststellbar (auch nicht bzgl. der russ. Oberschicht)

Das war, wenn ich mich richtig erinnere, eine der Aussagen, die Winkler so getroffen hat. Ich habe die Stelle im Buch auf die schnelle nicht gefunden, ich werde sie sobald wie möglich nachliefern.

Wenn ich von Osteuropa spreche, meinte ich auch primär Russland/Ukraine, etc., nicht die alle Staaten des ehem. Ostblocks. Was Winkler im Bezug auf Polen und Ungarn gesagt hat, müsste ich nochmal im Detail nachlesen.

Die Frage beschäftigt mich schon seit einer Weile, der Post erfolgte erst jetzt (daher kann ich auch die Stellen nicht im Detail liefern), da am Ende von Llilies Buch über Byzanz die Trennung von Kirche und Staat angesprochen worden ist. Nur zur Erläuterung.
 
Wenn ich von Osteuropa spreche, meinte ich auch primär Russland/Ukraine, etc., nicht die alle Staaten des ehem. Ostblocks.

falls du die Gesellschafts-Romane von Gogol, Gontscharow, Lermontow, Tolstoi, Dostojewski (19. Jh.) kennst: auch wenn ein Großteil der Protagonisten wenn nicht der russ. Oberschicht so zumindest der "Intelligenz" entstammt (und der kleinere Teil der Protagonisten das Proletariat vertritt), so machen alle diese trotz ihrer speziellen russischen Färbung (lamentieren über Russland, über den Zaren, über die schleppende Industrialisierung usw usw) eigentlich keinen "unwestlichen" Eindruck, trotz orthodoxer Kirche, zaristischem Regime etc
ein Oblomov, ein Stawrogin usw.: was sollte an diesen außer ihrer russ. Herkunft "unwestlich" sein? Eher könnte man da von einer internationalen europäischen intellektuellen Kultur mit regionalen Charakteristika sprechen, und dafür scheint mir weder die orthodoxe noch die katholische Kirche ursächlich zu sein - zu schweigen von Byzanz, welches in seinen letzten Jahren zum Stadtstaat geschrumpft war, was zudem von heutigen Problemen doch gar zu viele Jahrhunderte entfernt ist.
 
...Wie seht ihr diese Aussage von Winkler? Stimmt Sie im Grundsatz oder stimmt Sie nicht?...

@Lafayette II.

Diese Frage, kann zumindest ich, Dir nicht beantworten. So strikt ist/war die Trennung von Kirche und Staat in den "Ländern des Westens" auch nicht. Byzanz ist ein suboptimales Beispiel, da seit 1453 obsolet.

Nur so als Denkansatz:

Die evangelischen Reichsstände des HRR und dann bis 1918 die deutschen evangelischen Bundesfürsten hatten das Summepiskopat inne.

Der englische König/Königin ist Oberhaupt der anglikanischen Kirche.

Der Kaiser des HRR, der französische König und der spanische König hatten im 16., 17. und 18. Jh. Sonderrechte in Bezug auf ihren "Nationalkirchen", mit den unterschiedlichsten Prärogativen. Die katholische Kirche (Heilige Stuhl) ist ein Völkerrechtssubjekt, unabhängig von der Existenz eines Vatikanstaates (1870 bis 1929) und schließt Verträge mit souveränen Staaten (Konkordate).

Vllt. wäre der religionssoziologische Ansatz, beginnend bei Max Weber, auch ergiebig.

M. :winke:
 
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