Nürnberg will Weltkulturerbe werden

FoxP2gen

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Vielleicht hat es der Eine oder Andere schon mitbekommen, im Moment gibt es eine große Debatte um den Antrag auf Anerkennung als Weltkulturerbe der Stadt Nürnberg.

Genauer gesagt, will die Stadt Nürnberg den Schwurgerichtssaal mit der Raumnummer 600 als Weltkulturerbe anerkennen lassen, nicht als architektonisches Weltkulturerbe, sondern als Ort, an dem Geschichte geschrieben wurde. Für alle, die sich jetzt fragen warum: der Schwurgerichtssaal mit der Nummer 600 ist der wohl weltberühmteste Gerichtssaal der Welt: hier fanden die Nürnberger Prozesse statt.

Direkt über diesem Raum soll demnächst ein Museum geöffnet werden, welches sich speziell mit der Geschichte der Nürnberger Prozesse beschäftigt.

Problematisch ist es allerdings, weil in Nürnberg nach wie vor unglaublich viel architektonisches NS-Material der "Ära Speer" vorhanden ist, und die Kritiker des Antrages weisen darauf hin, dass Nürnberg als eigentliche "Täterstadt" nun wirklich nicht geeignet ist, als Weltkulturerbe aufgenommen zu werden. Interessanterweise äußert sich dazu sogar Albert Speer junior zu der ganzen Situation.

Hier ein paar Artikel dazu:

Welt online

Albert Speer jr. bei Welt online


Wer sich dafür interessiert, es gibt haufenweise Artikel dazu, zu finden über Google.

Was meint ihr dazu? Sollte Nürnberg Weltkulturerbe werden?
 
Ich finde den Gedanken gar nicht so schlecht. Mit den Nürnberger Prozessen verbinde ich vor allem das Einführen des Straftatbestands "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", was schließlich zu der Schaffung des internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag führte.
Das der Ort, an dem das erstmalig angewand wurde, gewürdigt wird, ist zu überlegen. Er ist zumindest der Erinnerung würdig. (Ein Museum ist da ein guter Schritt.)
Es handelt sich allerdings um keine deutsche Errungenschaft, weshalb ich den Einwand mit der "Täterstadt nachvollziehen kann.

Ob die Würdigung in dieser Form erfolgen kann oder sollte, halte ich für unwahrscheinlich. Nach Überfliegen trifft doch nur Punkt 6 der Kriterien zu, der nur in "Verbindung mit anderen Kriterien angewandt werden sollte".
UNESCO-Welterbe ? Wikipedia
Fänden andere Kriterien Anwendung, handelt es sich doch um eine Würdigung der Nazi-Architektur, inakzeptabel.
 
So, wie ich das verstanden habe, will man sich bei der Bewerbung auch ausschließlich auf Punkt 6 beziehen.

Mal sehen, was daraus wird...
 
Verzeihung. "Täterstadt" ist völliger Quatsch. Nürnberg war und ist seit dem 19.Jh. eine Arbeiterstadt, mit einer kurzen Ausnahme in den 1990ern durchgängig sozialdemokratisch regiert.
Nürnberg wurde im III.Reich einzig und allein aufgrund seiner Historie als freie Reichsstadt und Schauplatz der mittelalterlichen Reichstage als Standort für die Reichsparteitage ausgewählt.
Natürlich gab es (Streicher) genauso viele Nazis wie in anderen Städten, aber es gab auch genauso viele Opfer, aufgrund der starken SPD/KPD und des relativ hohen Anteils von Mitbürgern jüdischen Glaubens vielleicht sogar mehr.

Dass die Nürnberger Prozesse in Nürnberg stattfanden, hatte sicher auch einen sehr symbolischen Hintergrund, aber vor allem einen sehr pragmatischen. Das Gerichtsgebäude an der Fürther Str. stand noch relativ unbeschädigt.

Der Antrag hat meines Erachtens damit zu tun, dass sich Nürnberg seiner Verantwortung als Stadt der Reichsparteitage, der "Nürnberger Gesetze" und der Nürnberger Prozesse als Symbol sehr wohl bewußt ist.
Im Speerschen Bau am Dutzendteich ("Kongresshalle") wurde ein Museum über die Stätten der Reichsparteitage eingerichtet, es gibt eine "Strasse der Menschenrechte" und zu guter Letzt vergibt Nürnberg jährlich einen Preis der Menschenrechte. Der Gerichtssaal wird schon länger entsprechend beschildert, mit Tafeln erläutert und ist Teil einer normalen Nürnbergführung.




Thomas
 
Zuletzt bearbeitet:
[...]Problematisch ist es allerdings, weil in Nürnberg nach wie vor unglaublich viel architektonisches NS-Material der "Ära Speer" vorhanden ist, und die Kritiker des Antrages weisen darauf hin, dass Nürnberg als eigentliche "Täterstadt" nun wirklich nicht geeignet ist, als Weltkulturerbe aufgenommen zu werden.[...]

Gerade weil Nürnberg mit dem Nationalsozialismus und desen Rassenwahn in historischer Verbindung steht ist die Stadt geeignet. Denn hier können wir Deutschen in aller Welt zeigen, daß die Nürnberger Prozeße nicht nur für die Siegermächte wichtig waren, sondern für uns als deutsches Volk.

Mit diesen Standort können wir zeigen, daß wir uns geistig von diesen Übel in der deutschen Gesellschaft befreit haben und mit unserer dunklen Geschichte offen umgehen können.

Diese Bezeichnung von "Täterstadt" kann nur denen dienen, die sich auch als Täter bezeichnen. Wir sollten heute aber nicht dieses Täter Opfer Spiel betrachten, sondern zeigen, dass wir durch Verstehen der Geschichte nichts mehr zu den Geschehnissen des Nationialsozialismus verschweigen müssen.
Achten wir aber darauf, Ergeignisse und Standorte dieser Zeit zu verschweigen oder systematisch auszublenden, dann handeln wir nicht mit der Wahrheit und Aufrichtigkeit dieses dunkle Kapitel verarbeitet zu haben.
 
Ich war jetzt erstmal überrascht, als ich den Titel des Threads las, weil ich die Innenstadt von Nürnberg weder geschlossen, noch arg schön fand. Dann dachte ich an die Nürnberger Burg und an die Aufbewahrung der Reichsinsignien in der Stadt.
Dann las ich erst den Eingangsbeitrag.

Ist es denn üblich, nur einen einzigen Raum zum Weltkulturerbe zu machen?
Die Stadt selbst wird es wohl nicht oder wie?:confused:
 
Das ehemalige Reichsparteitaggelände wie auch der Sitzungssaal der Nürnberger Prozesse wären es meiner Ansicht nach wert in die Welterbeliste aufgenommen zu werden.
An beiden Stätten wird exemplarisch Geschichte gezeigt - zum einen der Wahnsinn eines totaltiären wie verbrecherischen Regimes das sich in grenzenlosem Größenwahn über alle moralischen Grenzen hinwegsetzte, zum anderen der Versuch, mittels Anwendung von Jusitz und Rechtssprechung mit einem derartigen Verbrechen umzugehen.
 
Das ehemalige Reichsparteitaggelände wie auch der Sitzungssaal der Nürnberger Prozesse wären es meiner Ansicht nach wert in die Welterbeliste aufgenommen zu werden.
An beiden Stätten wird exemplarisch Geschichte gezeigt - zum einen der Wahnsinn eines totaltiären wie verbrecherischen Regimes das sich in grenzenlosem Größenwahn über alle moralischen Grenzen hinwegsetzte, zum anderen der Versuch, mittels Anwendung von Jusitz und Rechtssprechung mit einem derartigen Verbrechen umzugehen.

Ich sehe das sehr zwiespältig, muss aber einräumen, dass sowohl Befürworter als auch Gegner gute Argumente auf ihrer Seite haben.

Problematisch ist, dass Zustimmung zu diesem Projekt mit Sicherheit von der falschen Seite - nämlich der neonazistischen - kommt und ein restauriertes oder auch nur im gegenwärtigen Zustand konserviertes Reichsparteitagsgelände mit Nebengebäuden zu einer rechtsradikalen Pilgerstätte würde - da kann man noch so viele aufklärende Medienzentren und erläuternde Texttafeln anbringen.

Schon der Obersalzberg, auf dem ja nun fast nix nazistisches mehr zu finden ist, ist gegen den erklärten Willen der bayerischen Landesregierung ein solches Neonazi-Pilgerzentrum geworden und das Nürnberger Reichsparteitagsgelände hätte noch einmal eine besondere, darüber weit hinausreichende europaweite Qualität für faschistische und neonazistische Spinner.

Waum muss man das auch gleich so hoch hängen und ein "Weltkulturerbe" anstreben? Eine ganz normale Ebene der Erinnerungskultur mit informativem Hintergrund ist doch völlig ausreichend.
 
Es geht doch nicht um die Bauten der Reichsparteitage ! Das wäre bizarr.
Es geht um den Sitzungssaal 600. Historisch ist es der erste Ort, an dem Verbrechen gegen die Menschenrechte verhandelt und verurteilt wurden.

Wie ich schon sagte, Nürnberg bemüht sich gerade um das Thema Menschenrechte, weil eben der Name Nürnberg zeitgeschichtlich damit so eng verbunden ist.

Thomas
 
Nürnberg verdient es gewürdigt zu werden. Die Stadt hat Jahrhunderte Bedeutung gehabt. Kultur muß nach meiner Ansicht auch kein wertender, nur positiv besetzter Begriff sein, obwohl mir bewußt ist, daß das unterschiedlich gesehen wird.

Nach der Wikipedia-Definition ist Kultur zumindest viel weiter gefasst. So wird sie als "im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur" beschrieben.

Ich zitiere weiter: "Kulturleistungen sind alle formenden Umgestaltungen eines gegebenen Materials, wie in der Technik, der Bildenden Kunst, aber auch geistiger Gebilde wie etwa im Recht, in der Moral, der Religion, der Wirtschaft und der Wissenschaft.

Der Begriff der Kultur ist im Laufe der Geschichte immer wieder von unterschiedlichsten Seiten einer Bestimmung unterzogen worden.[1] Je nachdem drückt sich in ihm das jeweils lebendige Selbstverständnis und der Zeitgeist einer Epoche aus, der Herrschaftsstatus oder -anspruch bestimmter Klassen oder auch wissenschaftliche und philosophisch-anthropologische Anschauungen. Die Bandbreite seiner Bedeutung ist dementsprechend groß: Sie reicht von einer rein beschreibenden (deskriptiven) Verwendung („Die Kultur jener Zeit.“) hin zu vorschreibenden (normativen), wenn bei letzterem mit dem Begriff der Kultur zu erfüllende Ansprüche verbunden werden.


Quelle: Wikipedia
 
Nun, ich finde das es Zeit ist auch mal seine Pforten zu öffnen.
Denkmäler und kritische Bauwerke haben wir- und werden noch genug errichtet.

Ich habe fast das Gefühl dass das Thema Aufklärung und Kultur Erhaltung in dem Bereich in Vergessenheit gerät.

Also moralisch finde ich daran nicht verwerfliches, zumal diese Stadt,
insbesondere dieser Ort für das Ende dieser Ära steht
 
Im Hinblick auf Dieters Einwurf, können wir uns glücklich schätzen dass Nürnberg sich nur mit dem Sitzungsaal 600 bewirbt.
Zur Einführung des Strafbestandes "verbrechen gegen die Menschlichkeit" hätte ich aber ne Frage. Beim Völkermord an den Armeniern im osmanischen Reich gab es danach ja auch Gerichtsverfahren gegen einige Täter.
Kann es sein dass vielleicht damals schon so ne Art "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" als Strafbestand existierte? Und wenns nur anders hieß.
Oder lief die Anklage schlicht und einfach auf Mord?
Könnte interessant sein im Hinblick auf die Bedeutung des Sitzungsaals 600.
 
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