Saint-Just
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Arne schrieb:Saint-Just, wenn ich mir deine Stellungnahmen so durchlese, scheint es mir, als wärst du der Ansicht, daß eine "Befreiung der Gesellschaft" von überkommenden Strukturen durch eine Revolution zwangsweise durch Gewalt und Blutvergießen zu erfolgen hat.
So etwas verbinde ich gedanklich nicht nur mit Frankreich 1789 ff, sondern auch mit Rußland 1917 ff, China 1949 ff (auch "Kulturrevolution") und einigen anderen Epochen/Ländern bis hin zu den RAF-Terroristen.
Meinst du nicht auch, selbst wenn das objektiv, hart realistisch vielleicht so sein könnte, daß dieser Weg nicht gerade erstrebenswert und zu begrüßen ist?
Ich lese da zwei Fragen heraus:
1.) Glaubst du, dass es objektiv so ist, dass unter den Bedingungen einer Revolution Gewalt unvermeidlich ist?
Ca depond, d.h. abhängig von den Machtverhältnissen in einer Gesellschaft … wenn eine Seite übermächtig ist, wird es kaum Gewalt geben, weil die Machtfrage ohnehin klar ist (z.B. war die indische Unabhängigkeitsbewegung verhältnismäßig gewaltfrei- weil 500 Mio. Inder ein paar tausend Briten gegenüberstanden) … wenn dagegen die Gegner in etwa genauso stark sind, wird Gewalt wahrscheinlicher (wie etwa in China Nationalisten und Kommunisten)
Warum kommt es zu Gewalt? Gegensätzlichkeit der Interessen, Unvereinbarkeit der Ziele, Polarisierung der Gesellschaft. Letztlich handeln alle Seiten aus ihrer Sicht folgerichtig.
Von daher gibt es sicher Analogien zwischen allen möglichen Umwälzungen von Gesellschaften- Frankreich, Rußland, China usw.
Insofern könnte man auch handelnde Personen in etwa vergleichen (Lafayette- Kerenski; Robespierre- Lenin; Napoleon- Stalin)
2.) findest du es gut, dass und wenn Gewalt (in Revolutionen) angewendet wird?
Offensichtlich gibt es Unterdrückung, offensichtlich gibt es Ungerechtigkeit.
Wenn sie gewaltfrei zu beseitigen sind- hervorragend (aber eben nur möglich, wenn eine Seite in der Übermacht ist).
Wenn nicht, immer noch besser sie durch Gewalt abzuschaffen, auch wenn ihr Fortbestehen auf den ersten Blick weniger Gewalt mit sich brächte. (Nur auf den ersten Blick, weil es auch strukturelle Gewalt gibt- Diskriminierung, Ausbeutung, hunderte kleiner Demütigungen und Zurücksetzungen.)
Anders ausgedrückt: Gewalt ist ein politisches Mittel unter anderen. Eine Bewegung ist nicht per se schlecht, weil sie Gewalt anwendet, die Frage ist: zu welchem Zweck tut sie das? (Dass z.B. die Sandinisten in Nicaragua Bürgerkrieg geführt haben, ist für mich kein Grund sie abzulehnen.)
Falsch wäre der Umkehrschluss: dass Gewalt per se gut oder eine tolle Sache wäre … was ich mit keiner Silbe sage oder meine.
Abschließend: Rein empirisch kann man schon sagen, dass keine neue Idee sich völlig gewaltlos durchgesetzt hat. Gewalt an sich ist nicht erstrebenswert oder zu begrüßen, aber die Abschaffung von Ungleichheit schon. Und die ist eben häufig nicht ohne Gewalt möglich.
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