There she blows! Kulturgeschichte des (amerikanischen) Walfangs

Scorpio

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Am Vorabend des Bürgerkrieges stellte die Sklavenbevölkerung der USA einen Vermögenswert dar, der größer war, als das gesamte Bruttosozialprodukt der noch jungen Vereinigten Staaten. Ein Wirtschaftszweig aber boomte und konkurrierte mit "King Cotton": der Walfang von New Bedford und Nantucket. Schon im 18. Jahrhundert gab es in Massachusetts Ölmillionäre, deren Vermögen auf Walöl basierte.

Was aber hat Walfang mit Geschichte zu tun?, mögen einige fragen. Na ja, Waltran lieferte hochwertiges Schmier- und Lampenöl und Produkte aus Walöl erfüllten die Funktion, die heute Erdölprodukte einnehmen. Tran diente für Straßenbeleuchtungen und war buchstäblich das Schmiermittel der
Maschinerie des neuen industriellen Zeitalters. Aus dem Blubber abgekochter Tran der Zahn- und Bartenwale wurde u. a. auch für die Herstellung von Nitroglyzerin und Margarine erforderlich. Bartenwale wie Nordkaper und Grönlandwal lieferten ein weniger hochwertiges Öl, als Pottwale, auf die sich die Amerikaner später spezialisierten, hatten aber Barten, die als sogenanntes "Fischbein" das Rohmaterial lieferten, aus dem Fächer, Schirme, Korsettstangen und eine Reihe von Artikel hergestellt wurden, die heute aus Kunststoff gefertigt werden.

Die großen Furchenwale wie der Blauwal waren im 18. und 19. Jahrhundert noch zu schnell für die mit Rudern angetriebenen Fangboote dieser Epoche des Walfangs.
Als die Pilgerväter nach Massachusetts kamen, hatten bereits Deutsche, Niederländer, Skandinavier und Basken Walfang in großem Stil betrieben. Bei den sogenannten Grönlandfahrten hatte Mathias Petersen von der Insel Föhr, der "glückliche Mathis" ein Vermögen erworben. Gejagt wurden vor allem die langsamen Grönlandwale und Nordkaper, die bei anglo-amerikanischen Walfängern "Right Whales" genannt wurden. Später auch Pottwale.

Als die Puritaner mit der Mayflower Cape Cod umrundeten, fielen ihnen große Herden von Nordkapern auf. Etwa 50 km vom Festland liegen die Inseln Nantucket und Martha´s Vineyard. Jedes Jahr kamen die Nordkaper und Pottwale von ihrem Zug in die Karibik dort entlang. Nantucket hieß in der Sprache der Wampanoag- Indianer etwa soviel wie "entlegener, unwirtlicher Ort", und die Insel bot den Quäkern, die dort siedelten, außer Schafzucht kaum Subsistenzmöglichkeiten. Doch wie John Winthrop, einer der ersten Gouverneure der Kolonie Massachusetts Bay Anfang des 17. Jahrhunderts berichtete, strandeten monatlich 3-4 Wale, die von den Insulanern zu Tran verkocht wurden. Dabei holten sich die Nantucketer Rat und Hilfe bei den Wampanoag, die auf der Nachbarinsel Martha´s Wineyard lebten.

Nach einer Weile kamen die Nantucketer auf die Idee, nicht zu warten, bis die Vorsehung ihnen Wale vorbeischickte, sondern aufs Meer hinauszufahren, um sie selbst zu fangen. Ein Cape Cod- Mann brachte ihnen Grundregeln des Walfangs bei, und die Bewohner eines Indianerdorfs Gay Head auf Martha´s Wineyard spezialisierten sich ebenfalls auf den Walfang und versorgten in den folgenden Generationen Nantucket mit kühnen Harpunieren, solchen wie Tashtego, der zweite Harpunier der Pequod in Herman Melvilles Walfangepos Moby Dick.

Nantucket rüstete in der Folgezeit Boote und kleinere Schiffe aus, um vor den Inseln Küstenwalfang zu betreiben. Etwa um 1720 aber geriet das Schiff von Kapitän Hosey in einen heftigen Sturm, der das Schiff und die Crew weit aufs Meer hinaus trieb. Auf hoher See sichteten sie Wale, die sie nie zuvor gesehen hatten. Der Spautstrahl war nicht hoch und gerade wie bei den Glattwalen, sondern schräg im Winkel von 45° nach vorne, und die gesichteten Wale hatten auch nur ein Blasloch. Die Crew war auf Pottwale gestoßen. Mitten im Sturm ließen sie die Boote zu Wasser und töteten einen Wal, worauf sich die See beruhigte.

Die Quäker spezialisierten sich daraufhin auf den Pottwal und wurden zu Hochseefischern. Der Potwal hat als Zahnwal keine Barten, sein Tran aber lieferte das feinste Öl. Im Kopf des Pottwals befindet sich das sogenannte Walrat oder Spermazeti, ein noch viel feineres Öl, das in der Kosmetikindustrie verwendet wurde. Walrat lieferte auch die feinsten Kerzen, die hell und fast rußfrei brannten. In den Därmen von Pottwalen findet sich zuweilen die noch kostbarere Ambra, die für Parfüms, Aphrodisiaka etc. verwendet wurde. Die ersten Siedler hatte der Wunsch nach religiöser Freiheit motiviert. Was die Quäker auszeichnete war ein starker Gemeinschaftssinn. Sie lehnten under anderem Eid und jegliche Gewalt ab, und sie gehörten zu den schärfsten Kritikern der Sklaverei.

Einige von ihnen, Melville nannte sie "Quäker der Rache" entwickelten sich zu fanatischen Walfängern, die das blutige Handwerk auf eine geradezu mysthische Spitze trieben. Die Leviathane waren Kreaturen der Finsternis, die von gottesfürchtigen Walfängern gejagt und zu Beleuchtungsstoffen verarbeitet wurden. Die Bewohner von Nantucket wurden nicht nur fanatische Walfänger, sondern auch herrlich erfolgreiche. Am Vorabend der Amerikanischen Revolution fuhren mehr als 300 Schiffe im Auftrag von Walfängern, von denen mehr als 100 aus Nantucket stammten.

Edmund Burke warnte 1775 seine Landsleute in einer Rede vor dem Parlament vor den Walfängern aus Massachusetts. Er sprach davon, dass wo immer die britische Fischerei- und Walfangflotte auftauchte, ob vor Grönland, Neupfundland, den Azoren und den Kapverdischen Inseln, sie auf eine Horde amerikanischer Walfänger stieß.

Das war lange, bevor die USA eine globale Großmacht wurden, ja sogar noch vor der Unabhängigkeitserklärung!

Der Unabhängigkeitskrieg war allerdings ein schwerer Einbruch für den amerikanischen Walfang. Es fiel der Haupabsatzmarkt London für Tran und Walrat aus, und etliche Fangschiffe wurden aufgebracht von den Briten und
die Besatzungen interniert oder zwangsrekrutiert für die Royal Navy. Nantucket erholte sich aber davon, auch von den Folgen des Krieges von 1812-14. Bald aber waren die Pottwalpopulationen dezimiert: Kaum ein Lebewesen hat eine niedrigere Reproduktionsrate. Nur alle 5 Jahre bringt eine Kuh ein Kalb zur Welt. Gerne töteten die Walfänger Jungtiere, da dann die Weibchen in der Nähe blieben und ebenfalls getötet werden konnten.

Die Bestände schienen unerschöpflich, und länger und länger wurden die Fangreisen. Waren die ersten Walfänger meist als Schoner, Brigantine oder Brigg getakelt, so waren die meisten Walfänger für Hochseefahrten Vollschiffe oder Dreimastbarken.

Eine typische Fangfahrt sah so aus, dass die Walfänger von Nantucket, New
Bedford ausliefen, vor Neupfundland kreuzten, die Gewässer vor den Azoren und den Kapverden kreuzten.
Die Pequod unter Kapitän Ahab befährt diese Tour, umrundet dann das Kap der Guten Hoffnung und fährt durch den Indischen Ozean, um dann im Pazifik vor Japan Moby Dick zu erwarten.
Ende des 18. Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckten britische Walfänger reiche Populationen im Pazifik. Die amerikanischen Walfänger befischten den Atlantik, umrundeten Kap Horn, um dann im Pazifik vor Peru und Japan Pottwale zu jagen. Es wurden keine Häfen angelaufen, und im Gegensatz zu den Grönlandfahrten im 16. und 17. Jahrhundert legten die Amerikaner auch keine Walfangstationen an, um an Land Tran zu kochen. Ende des 18. Jahrhunderts wurden mit Ziegeln und Eisen auf den Fangschiffen Trankessel installiert, um auf hoher See erlegte Wale zu Tran zu verarbeiten. Eine typische Fangfahrt dauerte so zwei bis drei Jahre. Erst wenn die Vorräte verbraucht und die Fässer gefüllt waren, fuhr man wieder heim.
Die längste Fangfahrt eines Walfängers dauerte 11 Jahre!

Wenn die Männer unterwegs waren, übernahmen die Frauen das Kommando. Nantucket, hatte die Wirren der Revolution und den Krieg von 1812-14 überstanden, die Hafeneinfahrt wurde aber zu schmal für die immer größeren Schiffe. zweimal versuchte Nantucket, den Kongress dazu zu bewegen, sie auszubaggern. In der Buzzardbay hatten Nantucketer Walfänger bei Dartmouth einen neuen Ort gegründet, der der Insel den Rang ablief: New Bedford. Heute ein Touristenort mit ca 30.000 Einwohnern, war New Bedford im 19. Jahrhundert einer der dynamischsten Orte und mit mehr als 100.000 Bewohnern. Es war ein kosmopolitischer Ort, in dem sich die verschiedensten
Menschen trafen. Polynesier, Portugiesen von den Azoren und Kapverden, Basken, Norweger, Faröer und Wampanoag Indianer fuhren auf amerikanischen Schiffen. Aber auch Kalfaterer, Zimmerleute, Schreiner, Segelmacher, Seiler, Schmiede, Küfer und andere Berufe wurden benötigt. Als der spätere Abolitionist Frederick Douglass aus der Sklaverei in Maryland glücklich geflohen war und in New York recht ungünstige Verhältnisse vorfand, riet ihm ein freier Schwarzer nach New Bedford zu gehen. Douglass war Kalfaterer in Baltimore gewesen. Da die Quäker zu den entschlossensten Gegnern der Sklaverei gehörten, entwickelten sich New Bedford und Nantucket zu bedeutenden Hochburgen des Abolitionismus.

Bei einem Abolitionistentreffen in Nantucket wurde Frederick Douglass Rednertalent entdeckt. bei einem Vortrag bat man Douglass, der erst kurz zuvor aus Maryland geflüchtet war, ein paar Worte zu sagen. Das Publikum war begeistert, und Douglass ging auf weitere Vortragsreisen und verfasste die erste von insgesamt drei Biographien: Narrative of the Life of Frederick Douglass, an American Slave. Auch in der Frauenrechtsbewegung waren Quäkerinnen aktiv, und die Walfangzentren in Massachusetts wurden so auch zu Hochburgen des amerikanischen Feminismus.

Zum Einbruch des amerikanischen Walfangs führte allerdings der kalifornische Goldrausch und etwa ein Jahrzehnt später die Möglichkeit, Erdölprodukte zu raffinieren, die Tran als Schmier- und Beleuchtungsstoff ersetzen konnten, außerdem waren die Pottwalbestände bereits so stark dezimiert, dass der Fang weniger rentabel wurde.

Fortsetzung folgt.
 
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