Bandera - am Massaker beteiligt?

orlandus

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Stephan Bandera, der ukrainische Nationalist und Nazi-Kollaborateur, wird aktuell in der Westukraine als Held gefeiert und soll offenbar von einflussreichen Kräften in Kiew als Symbolfigur für die Begründung einer neuen ukrainischen Nation installiert werden.

In diesem Zusammenhang erscheint es mir bedeutsam, ob er an dem im Juni 1941 in Lemberg angerichteten Massaker, bei dem 7000 Juden und Kommunisten umkamen, beteiligt war.

Wikipedia gibt dazu nicht viel her. Es heißt dort:

"Den von Bandera geführten OUN-Verbänden wurde von Seiten der sowjetischen, russischen und polnischen Regierung sowie zahlreichen internationalen Historikern vorgeworfen, am 30. Juni 1941 und noch vor Einmarsch der regulären deutschen Truppen ein Massaker in der Stadt Lemberg angerichtet zu haben. Hierbei seien rund 7000 Menschen, überwiegend Kommunisten und Juden, ermordet worden.[2] Bandera selbst hat sich an dem Tag nach Forschungen ukrainischer Historiker allerdings nicht in Lemberg, sondern in Krakau aufgehalten; ob er in den Pogrom involviert war, ist bis zur Gegenwart umstritten."

Hat jemand Quellen, die auf seine Beteiligung bzw, Nichtbeteiligung schließen lassen?
 
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Hat jemand Quellen, die auf seine Beteiligung bzw, Nichtbeteiligung schließen lassen?

Der Aufsatz ist von Grzegorz Rossolinski-Liebe, der auch 2014 eine Bandera-Biographie veröffentlicht und die Aktivitäten nachgezeichnet hat.

Tatsache ist, dass Bandera zur Zeit des Lemberger Progroms nicht in der Stadt war, sondern in Krakau. Ebenso Roman Shukhevych.

Frage ist, was man unter "Beteiligung" versteht. Die beiden hatten den Aufbau des ukrainischen Wehrmachts-Bataillons "Nachtigall" vorgenommen, und waren durch die Vorgeschichte antikommunistisch, antijüdisch und antipolnisch (Bandera entfloh 1939 nach Kriegsbeginn aus einem polnischen Gefängnis) geprägt. Dieser Hass führte beim Weg des Bataillons durch die Westukraine bis Winniza überall zu Ausschreitungen und Massenmord. In Lemberg waren darüber hinaus von der OUN-B aufgestellte Milizen beteiligt, Teile der Bevölkerung und Wehrmachtseinheiten bzw. Polizei. Aufgrund der Beteiligung der von ihnen gebildeten OUN-B-Einheiten ist ihnen die Verantwortung anzulasten, auch wenn sie nicht selbst Morde "vor Ort" begangen haben.

Dazu VfZ, s.o., S. 402:

"Für die Zusammensetzung der Täter im Lemberger Pogrom vgl. John-Paul Himka, The Lviv Pogrom of 1941: The Germans, Ukrainian Nationalists, and the Carnival Crowd, in: Canadian Slavonic Papers LIII (2011), H. 2–4, S. 243. Zu dem Lemberger Pogrom vgl. auch Christoph Mick, Incompatible Experiences: Poles, Ukrainians and Jews in Lviv under Soviet and German Occupation, 1939–44, in: Journal of Contemporary History 46 (2011), S. 336–363; Hannes Heer, Einübung in den Holocaust: Lemberg Juni/Juli 1941, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 49 (2001), S. 409–427. Über die Pogrome im allgemeinen in der Ukraine vgl. Omer Bartov, Wartime Lies and Other Testimonies: Jewish-Christian Relations in Buczacz, 1939–1944, in: East European Politics and Societies 25 (2011), H. 3, S. 486–511; Wendy Lower, Pogroms, mob violence and genocide in western Ukraine, summer 1941: varied histories, explanations and comparisons, in: Journal of Genocide Research 13 (2011), H. 3, S. 217–246; Struve, Rites of Violence?, S. 257–274; Frank Golczewski, Shades of Grey: Reflections on Jewish-Ukrainian and German-Ukrainian Relations in Galicia, in: Brandon/Lower (Hrsg.), The Shoah in Ukraine, S. 114–155; Timothy Snyder, The Life and Death of Western Volhynian Jewry, 1921–1945, in: Brandon/Lower (Hrsg.), The Shoah in Ukraine, S. 77–113; Pohl, Anti-Jewish Pogroms, in: Barkan/Cole/ Struve (Hrsg.), Shared History – Divided Memory, S. 305–313; Bernd Boll, Zloczow, Juli 1941: Die Wehrmacht und der Beginn des Holocaust in Galizien, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 50 (2002), S. 899–917"
 
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Hat jemand Quellen, die auf seine Beteiligung bzw, Nichtbeteiligung schließen lassen?

@orlandus

Wenn Du Quellen suchst, dann könnte u.a. das Konvolut des RA Pelckmann im Nürnberger Staatsarchiv hilfreich sein. Als Verteidiger der SS hat er in Vorbereitung des Prozesses massenhaft Zeugenaussagen (Affidavits) gesammelt, die die Beteiligung von derartigen irregulären Verbänden an den Kriegsverbrechen bezeugen. Ich habe dieses Konvolut durchgesehen, allerdings unter anderen Auspizien und erinnere solche Affidavits als massenhaft vorhanden. Der historische Gehalt dieser Affidavits muß dann natürlich im Einzelfall geklärt werden.

M.
 
Herzlichen Dank, Silesia und Melchior, für die interessanten Quellenverweise.

Natürlich schließt die Abwesenheit beim Lemberger Progrom eine Beteiligung nicht aus. In diesem Zusammenhang wäre es von Interesse, wie die Kommandostrukturen in der OUN-B waren, also ob Bandera jederzeit die Kommandogewalt hatte und die Milizionäre mindestens in seinem Sinne handelten oder ob es Hinweise auf eigenmächtiges Handeln unterer Ränge gibt und von Bandera irgendeine Form der Missbilligung überliefert ist.

Ich habe nicht vor, darüber eine Arbeit zu verfassen. Die Sache interessiert mich nur aus aktuellem Anlass, weil ich finde, dass unsere Leitmedien in Bezug auf die Recherche zu den politischen Strömungen in der Ukraine völlig versagen.

Das Nürnberger Staatsarchiv wäre für mich gut erreichbar. Wenn ich mal Zeit dafür finde, werde ich versuchen, die dortigen Zeugenaussagen grob zu sichten.
 
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