Die Staatsanleihe als Schritt in Richtung Demokratie?

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Anleiher

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Die Staatsanleihe als Schritt in Richtung Demorkatie

Hallo liebe Leute,

vor Jahren habe ich einmal gelesen, dass die Ausgabe der ersten Staatsanleihen durch die Bank von England im Jahre 1693 ein wichtiger Schritt in Richtung Demokratie gewesen seien. Erstmals konnten die Bürger Teile ihres Staats besitzen, sozusagen "Aktionäre" des Staats werden.

Leider kenne ich die Quelle dafür nicht mehr. Kann jemand die Geschichte bestätigen oder widerlegen?
 
Die Staatsanleihe als Schritt in Richtung Demorkatie

Hallo liebe Leute,

vor Jahren habe ich einmal gelesen, dass die Ausgabe der ersten Staatsanleihen durch die Bank von England im Jahre 1693 ein wichtiger Schritt in Richtung Demokratie gewesen seien. Erstmals konnten die Bürger Teile ihres Staats besitzen, sozusagen "Aktionäre" des Staats werden.

Leider kenne ich die Quelle dafür nicht mehr. Kann jemand die Geschichte bestätigen oder widerlegen?

Puh, das halte ich für sehr vereinfacht ausgedrückt. Die Bank of England war damals eine privatrechtliche Unternehmung (eine Aktiengesellschaft). Verstaatlicht wurde sie erst nach dem 1. Weltkrieg.

Ich würde den Schritt in Richtung Demokratie eher in dem erstarkten Parlament im 17. Jhdt. sehen. Da war doch irgendetwas mit Glorious Revolution, einer Republik usw.
 
Das Zitat kenne ich nicht. Niall Ferguson beschreibt die "Consols" in "Der Aufstieg des Geldes", macht aber keine Verbindungen zur Demokratisierung.

Das Zitat hat aber m.E. eine gewisse Logik, wenn vielleicht auch überspitzt.

Die Magna Carta sichert die Rechte des Adels gegenüber der Krone. In den Artikeln geht es aber vor allem auch um die Sicherung von Besitz und Besitzrechten. Da Besitz Unabhängigkeit sichert, hat das schon eine Logik. Großer Freibrief Englands (Magna Charta Liberatum 1215)

Anleihen waren sicher eine Möglichkeit für das nicht-landbesitzende Bürgertum und den kleinen Adel, Besitz und damit Unabhängigkeit anzuhäufen. Da kann man m.E. schon ein Element der Demokratisierung ableiten. Mindestens aber der Emanzipation des Bürgertums.

Besitz und demokratische Rechte hängen in der Geschichte zusammen. Beispiel Dreiklassenwahlrecht in Preussen. Aber auch in Rom und im alten Griechenland hingen Rechte meines Wissens am Besitz.

Auch das BGB, das ja zuerst in D die bürgerlichen Rechte kodifiziert, schützt erstmal Besitz

Hier haben wir das Thema mal kurz angesprochen: http://www.geschichtsforum.de/f82/bankwesen-england-52565/
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Fragestellung hat einen politischen aktuellen Kontext, der zT in Diskussionen über Zentralbanksysteme, staatlicher Anleihefinanzierung und "Notengeld" auch politisch-polemisch geführt wird. Das ist natürlich nicht Gegenstand des Geschichtsforums.

Aber zu dem angesprochenen historischen Kontext, Budgetfinanzierung, Haushaltsrechte, Notengeld und öffentliche Anleihen gibt es eine Passage bei

Wood: Central Banking in a Democracy - The Federal Reserve and its alternatives

"The ability of the government to borrow even with this inducement was made possible by the constitutional changes arising from the Glorious Revolution of 1688. The replacement of James II by William and Mary was followed by a shift of financial control to Parliament, that is, from the king’s purse to a national budget. The old system was deemed unsatisfactory for the liberties and safety of the king’s subjects. To keep the king poor risked security and public services, but voting him sufficient resources had run into the profligacy of Charles II (1660–85) and the oppression of his financially more prudent younger brother, James II (1685–88). A similar conflict had contributed to the civil war of the 1640s between king and Parliament.

After 1688, the king was assured of revenue for his personal needs while the expenses of government, including war finance, were managed by Parliament. The other side of the contract was the protection of property. The commitment of property owners to supply revenues on a continuing basis relieved the king of the necessity of casting about for funds during crises. The Glorious Revolution has been seen as a triumph of property, with government converted from predator to protector. The cost of protection was the land tax (North and Weingast 1989)."

Die Entwicklung hin zur Zentralbank, organisierter Ausgabe von Notengeld und (parlamentarisch) kontrolliertem Budget und Defizitfinanzierung über das "Vehikel" Bank of England sind Aspekte der neuen Machtverteilung (und -sicherung!) nach der Revolution. Das die Bank of England dabei ursprünglich "privat" aufgesetzt wurde, ist bei diesen grundsätzlichen institutionellen Aspekten nicht erheblich.

Makroökonomisch und ökonomie-theoretisch ist die Debatte auch unter dem Aspekt oder der Facette "Institutional Growth" betrachtbar. Hieraus dürfte die Bezugsfrage oben aus der Themenstellung stammen:

Siehe dazu North (einem Protagonisten der IG-Debatte), im Artikel zusammen mit Weingast:
Constitutions and commitment: the evolution of institutions governing public choice in seventeenth-century England
JoEH 1989, S. 803.

Dort ist der oben angerissene Aspekt wesentlich vertieft dargestellt, die Bedeutung von Institutionen und finanzieller Solvenz der konstitutionellen Ergebnisse der Glorious Revolution.
 
Hmm, ich habe mal gelesen, dass eine Familie durch Staatsanleihen in den Vereinigten Staaten, sich das Recht erkauft hat ein ordentliches Wörtchen in der Politik mitbestimmen zu dürfen. Dies empfinde ich aber als nicht Demokratisch.
 
Nach heutigen Maßstäben natürlich nicht. Historisch betrachtet dominierte allerdings tatsächlich lange Zeit die Überlegung, dass (nur) wer auch finanziell etwas zum Staat beitrug, auch mitbestimmen sollte, bzw. wer mehr beitrug, auch mehr mitbestimmen dürfen sollte. Daher die Logik, das Wahlrecht (oder im Rahmen eines nach Klassen abgestuften Wahlrechts die Stimmgewichtung) an das Steueraufkommen zu knüpfen.

Was Du schilderst, erlebt derzeit übrigens gerade ein Comeback: In den letzten Jahren haben mehrere Staaten damit begonnen, ihre Staatsbürgerschaft an Ausländer, die eine bestimmte Mindestsumme zahlen oder in die Wirtschaft oder Anleihen des Landes investieren, zu verkaufen.
 
vor Jahren habe ich einmal gelesen, dass die Ausgabe der ersten Staatsanleihen durch die Bank von England im Jahre 1693 ein wichtiger Schritt in Richtung Demokratie gewesen seien. Erstmals konnten die Bürger Teile ihres Staats besitzen, sozusagen "Aktionäre" des Staats werden.

Das ist ein ziemlich "schräger" Einstieg in die Diskussion der Demokratisierung, so meine These.

Das Zeichnen von Staatsanleihen sagt mehr aus über die Entwicklung von Kapitalmärkten, aber nichts über die Qualität von "Demokratie-Arenen".

Hinter dieser Entwicklung steht die Entwicklung zum steuerfinanzierten "kameralististischen" Zentralstaat (vgl. z.B. die Diskussion in K. Beyme: Geschichte der politischen Theorien in Deutschland 1300 - 2000,S. 543ff).

Und das Verweis auf das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft und den sich wandelnden Vorstellungen, welchem dieser beiden Antipoden die Priorität in der Politikarena zukommen solle.

Und das verweist auf die Frage der Sammlung und Formulierung von Interessen und der Durchsetzung als "praktische Politik" und somit auch der Fähigkeit, diese praktische Politik als die "übergeordnete" quasi neutrale Politik des Staates darzustellen.

Und genau an diesem Punkt der Fähigkeit der Durchsetzung und der mehrheitlichen Legitimation entscheidet sich die Frage von Demokratie.

Vor diesem Hintergrund ist die Ausgabe einer Staatsanleihe absolut kein Indikator für den Prozess der Demokratisierung.

Was allerdings richtig ist, es ist unter Umständen ein Hinweis auf die wirtschaftliche Fundierung politischer Systeme, wie bei Acemoglu, Why Nations fail. Und konkret ist dieser Vorgang historisch - vermutlich - wichtig, die anglo-amerikanische Form von Wirtschafts-Demokratie in ihrer historischen Entwicklung zu erklären.

Aber wie gesagt, nicht als universelle Erklärung für die Entwicklung von Demokratie. Andernfalls dürfte es keine Demokratie geben in Gesellschaften, die keine "Staatsanleihen" kennen, wie beispielsweise bei indigenen Völkern in Nord-Amerika (so mein Kenntnisstand)
 
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Zur Diskussion noch ein Aufsatz von Yussman/Yafeh:

Institutional Reforms, Financial Development and Sovereign Debt: Britain 1690–1790
JoEH 2006, S. 906-935
 
Aber wie gesagt, nicht als universelle Erklärung für die Entwicklung von Demokratie. Andernfalls dürfte es keine Demokratie geben in Gesellschaften, die keine "Staatsanleihen" kennen, wie beispielsweise bei indigenen Völkern in Nord-Amerika (so mein Kenntnisstand)

Man könnte vielleicht argumentieren, dass bei diesen Völkern wichtige Produktionsfaktoren Allmende sind: Jagd-, Sammel- und Fischgründe, Weiden, Ackerflächen etc.. Heute sind es Nationalparks und Casinos. Vieles wird gemeinsam genutzt: sharing. Jeder bekommt seinen Anteil, seinen share.

Die Staatsanleihe, die ja ein Anteil an der Allmende des Staat ist, ist halt ein in kopfstarken Gesellschaften nötiges Hilfsmittel die Partizipation an den staatlichen Ressourcen zu regeln.
 
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