M
Misanthrop
Gast
Liebe Gemeinde,
momentan befasse ich mich mit Staatsformen und Staatstheorien. Dabei ist mir etwas aufgefallen, was für die Experten unter euch wahrscheinlich selbstverständlich sein sollte. Ich habe mir das Mittelalter bisher als ein Zeitalter des Monarchismus verstanden, in dem die einfachen Untertaten zwar gewisse Rechte hatten (eingeschränkte Verpflichtung zur Kriegsführung, "Rat und Tat" und ähnliches), aber insgesamt nur begrenzt und oft gar kein Mitsprachrecht. Die tatsächliche Macht im Staat lag bei Adligen, von denen sich einige politisch geschickte Familien besondere Herrschaft aneignen konnten.
Wie groß waren die Einflussmöglichkeiten der Parlamnte schon? Insbesondere, da ja nach Ständen vertreten wurde?
Mit einigen erstaunen habe ich jetzt gelernt, dass dem gar nicht so war:
- Die Republik San Marino führt ihre Geschichte bis hin in die Spätantike zurück, was darauf hinweist, dass es hier die ganze Zeit über eine Republik gab.
- Die Geschichte der Seerepubliken, allen voran Genuas und Venedigs, zeigen republikanische Züge, auch wenn damals längst nicht jeder Bürger an politischen Entscheidungen teilhaben konnte und es kein Konzept von Bürgerrechten gab. Allgemein scheint Norditalien zu der Zeit ein Tummelplatz von (Adels-)Republiken gewesen zu sein.
Hier muss man wirklich ins Detail gehen und sich auch staatsphilosophische Fragen stellen, ob man von einer Republik oder von einer Form von Adelsherrschaft sprechen will.
Es spricht ja nichts dagegen, dass das Wahlvolk immer wieder die selben Leute zum Herrscher wählt, solange die Wahl nicht vorgeschrieben oder de facto nur reine Symbolik war.
Auch muss man hier bedenken, dass das Losverfahren - auch wenn es in den Augen des heutigen Mainstreams nur wenig zur demokratischen Legitimation beiträgt - meist zur Anwendung kam.
Ein Beispiel: Bei der Wahl des Logen von Venedig kam abwechselnd das Losverfahren, dann die indirekte Wahl von Wahlmännern usw. zum Einsatz. Bis dann eine Gruppe von Leuten gewählt wurde, die tatsächlich den Dogen wählte.
Anschließend konnte das Volk dann seine Zustimmung erteilen, was allerdings im Laufe der Zeit rein symbolisch wurde.
- Die Hanse als Bund von Kaufmannsstädten scheint auch wenig von der klassischen Adelsherrschaft gehabt zu haben. Bis heute finden sich reste der freiheitlichen Tradition ("Niemandes Herr, Niemandes Knecht") in Hamburg.
Es galt als Unschick für einen Hanseaten (*, einen Adelstitel zu führen und die Annahme konnte sogar zum Ausschluß aus den wesentlichen Entscheidungsgremien in einer Stadt führen.
Die Hansestädte waren mehr als ein loser Bund, sondern organisiert, so fanden regelmäßig (bis hinein in die Neuzeit) Hansetage statt, auf denen auch tatsächliche und bindende Entscheidungen getroffen werden konnten.
Um die Mitbestimmung war wohl von den kaufmännischen Erfolg der Personen anhängig. Reiche Individuen konnten sich (teils erbliche) "Großbürgerrechte" erkaufen, die besondere Privilegien darstellten. Dennoch wurden die Entscheidungen von Bürger für Bürger getroffen und es existierte kein Adel.
Wie stand es hier um die Bürgerrechte? Die Hanse erstreckte sich von ihrer Hochzeit von England bis hin nach Russland; da dürfte einiges an Vielfalt existiert haben.
- In Klöstern benediktinischer Regeln wurden bestimmte Ämter von den Ordensmitgliedern selbst gewählt, allerdinsg hatten die Laienbrüder kein Mitspracherecht, so dass nur sehr eingeschränkt von einer Demokratie gesprochen werden kann. In wie Weit die Klöster sowas wie Individualrechte ihrer Untertanen respektierten ist mir auch nicht klar.
- Adelsrepubliken wie Polen zeichneten sich dadurch aus, dass eine extrem große Gruppe der Gesellschaft anteil am politischen Leben hatte. Aber von einer Republik im eigentlichen Sinne kann nicht die Rede sein, zwar wurde der Königstitel gewählt (Wahlmonarchie), aber es war nunmal formal ein Königreich, wie das Heilige Römische Reich.
-- An der Stelle kann man das Reich abhandeln, hier wurde durch die Kurfürsten gewählt und es gab in Form des Reichstags eine Art Ständevertretung. Meines Erachtens qualifiziert beides diesen Staat (sofern davon überhaupt zu sprechen ist!) nicht als demokratisch - eventuell aber als Vorläufer der Demokratie!
- In Nürnberg haben sich die Patrizier der Stadt einige Vorrechte erkämpft. So gab es ein Tanzstatut, das regelte, welche Familien bei einem wichtigen, aber nicht formalen, Ereignis teilhaben dürften.
Hierzu einge Fragen: Gab es sowas auch in anderen Städten des Reichs? Kann man das als republikanisch betrachten, weil ja Bürger die Macht ausüben oder als Aristokratisch, weil ja die Macht bei wenigen Familien lag, die man durchaus als eine Art Adel betrachten darf?
Waren diese Städte überhaupt frei oder unterlagen sie nicht einen Fürsten? Und wie war die Lage in den "Freien Reichsstädten"?
- In Genf scheint es unter Calvin eine Republik mit freien Wahlen gegeben zu haben, die aber deutlich theokratische Züge trägt.
-- Der Calvinismus wirkte sich befruchtend aus. Viele Freikirchen und Erweckungsbewegungen wie z. B. die Quäcker hatten demokratische Züge, was aber nun deutlich in der Neuzeit lag!
Wie seht ihr das?
~~~~~
*: Es besteht die Gefahr, dass ich hier spätere Entwicklungen in Hamburg mit den Zuständen in der Hanse vermenge, bitte um Korrektur.
momentan befasse ich mich mit Staatsformen und Staatstheorien. Dabei ist mir etwas aufgefallen, was für die Experten unter euch wahrscheinlich selbstverständlich sein sollte. Ich habe mir das Mittelalter bisher als ein Zeitalter des Monarchismus verstanden, in dem die einfachen Untertaten zwar gewisse Rechte hatten (eingeschränkte Verpflichtung zur Kriegsführung, "Rat und Tat" und ähnliches), aber insgesamt nur begrenzt und oft gar kein Mitsprachrecht. Die tatsächliche Macht im Staat lag bei Adligen, von denen sich einige politisch geschickte Familien besondere Herrschaft aneignen konnten.
Wie groß waren die Einflussmöglichkeiten der Parlamnte schon? Insbesondere, da ja nach Ständen vertreten wurde?
Mit einigen erstaunen habe ich jetzt gelernt, dass dem gar nicht so war:
- Die Republik San Marino führt ihre Geschichte bis hin in die Spätantike zurück, was darauf hinweist, dass es hier die ganze Zeit über eine Republik gab.
- Die Geschichte der Seerepubliken, allen voran Genuas und Venedigs, zeigen republikanische Züge, auch wenn damals längst nicht jeder Bürger an politischen Entscheidungen teilhaben konnte und es kein Konzept von Bürgerrechten gab. Allgemein scheint Norditalien zu der Zeit ein Tummelplatz von (Adels-)Republiken gewesen zu sein.
Hier muss man wirklich ins Detail gehen und sich auch staatsphilosophische Fragen stellen, ob man von einer Republik oder von einer Form von Adelsherrschaft sprechen will.
Es spricht ja nichts dagegen, dass das Wahlvolk immer wieder die selben Leute zum Herrscher wählt, solange die Wahl nicht vorgeschrieben oder de facto nur reine Symbolik war.
Auch muss man hier bedenken, dass das Losverfahren - auch wenn es in den Augen des heutigen Mainstreams nur wenig zur demokratischen Legitimation beiträgt - meist zur Anwendung kam.
Ein Beispiel: Bei der Wahl des Logen von Venedig kam abwechselnd das Losverfahren, dann die indirekte Wahl von Wahlmännern usw. zum Einsatz. Bis dann eine Gruppe von Leuten gewählt wurde, die tatsächlich den Dogen wählte.
Anschließend konnte das Volk dann seine Zustimmung erteilen, was allerdings im Laufe der Zeit rein symbolisch wurde.
- Die Hanse als Bund von Kaufmannsstädten scheint auch wenig von der klassischen Adelsherrschaft gehabt zu haben. Bis heute finden sich reste der freiheitlichen Tradition ("Niemandes Herr, Niemandes Knecht") in Hamburg.
Es galt als Unschick für einen Hanseaten (*, einen Adelstitel zu führen und die Annahme konnte sogar zum Ausschluß aus den wesentlichen Entscheidungsgremien in einer Stadt führen.
Die Hansestädte waren mehr als ein loser Bund, sondern organisiert, so fanden regelmäßig (bis hinein in die Neuzeit) Hansetage statt, auf denen auch tatsächliche und bindende Entscheidungen getroffen werden konnten.
Um die Mitbestimmung war wohl von den kaufmännischen Erfolg der Personen anhängig. Reiche Individuen konnten sich (teils erbliche) "Großbürgerrechte" erkaufen, die besondere Privilegien darstellten. Dennoch wurden die Entscheidungen von Bürger für Bürger getroffen und es existierte kein Adel.
Wie stand es hier um die Bürgerrechte? Die Hanse erstreckte sich von ihrer Hochzeit von England bis hin nach Russland; da dürfte einiges an Vielfalt existiert haben.
- In Klöstern benediktinischer Regeln wurden bestimmte Ämter von den Ordensmitgliedern selbst gewählt, allerdinsg hatten die Laienbrüder kein Mitspracherecht, so dass nur sehr eingeschränkt von einer Demokratie gesprochen werden kann. In wie Weit die Klöster sowas wie Individualrechte ihrer Untertanen respektierten ist mir auch nicht klar.
- Adelsrepubliken wie Polen zeichneten sich dadurch aus, dass eine extrem große Gruppe der Gesellschaft anteil am politischen Leben hatte. Aber von einer Republik im eigentlichen Sinne kann nicht die Rede sein, zwar wurde der Königstitel gewählt (Wahlmonarchie), aber es war nunmal formal ein Königreich, wie das Heilige Römische Reich.
-- An der Stelle kann man das Reich abhandeln, hier wurde durch die Kurfürsten gewählt und es gab in Form des Reichstags eine Art Ständevertretung. Meines Erachtens qualifiziert beides diesen Staat (sofern davon überhaupt zu sprechen ist!) nicht als demokratisch - eventuell aber als Vorläufer der Demokratie!
- In Nürnberg haben sich die Patrizier der Stadt einige Vorrechte erkämpft. So gab es ein Tanzstatut, das regelte, welche Familien bei einem wichtigen, aber nicht formalen, Ereignis teilhaben dürften.
Hierzu einge Fragen: Gab es sowas auch in anderen Städten des Reichs? Kann man das als republikanisch betrachten, weil ja Bürger die Macht ausüben oder als Aristokratisch, weil ja die Macht bei wenigen Familien lag, die man durchaus als eine Art Adel betrachten darf?
Waren diese Städte überhaupt frei oder unterlagen sie nicht einen Fürsten? Und wie war die Lage in den "Freien Reichsstädten"?
- In Genf scheint es unter Calvin eine Republik mit freien Wahlen gegeben zu haben, die aber deutlich theokratische Züge trägt.
-- Der Calvinismus wirkte sich befruchtend aus. Viele Freikirchen und Erweckungsbewegungen wie z. B. die Quäcker hatten demokratische Züge, was aber nun deutlich in der Neuzeit lag!
Wie seht ihr das?
~~~~~
*: Es besteht die Gefahr, dass ich hier spätere Entwicklungen in Hamburg mit den Zuständen in der Hanse vermenge, bitte um Korrektur.