Selbstbetrachtungen

ursi

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Der römische Kaiser Marc Aurel (121 n.Chr.-180 n.Chr.) ging vor allem als Philosoph in die Nachwelt ein. Dies ist besonders auf die "Selbstbetrachtungen" zurückzuführen: Daraus spricht ein hoher und empfindlicher Geist, der in schonungsloser Offenheit sein eigenes Ich befragt und mit resignierendem Schwermut antwortet.
Die Schrift "an sich selbst" verfasste er als ernster Anhänger der stoischen Philosophie in griechischer Sprache. Sie gibt Zeugnis von seinem Wissen von der Vergänglichkeit alles Irdischen und der Gleichheit aller Freien.

Buchempfehlung von Tib.Gabinius


Autor: Marc Aurel • Verlag:Reclam • Ausgabejahr: deutsch 2003 • 188 Seiten •
 

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Ein tolles kleines Büchlein mit einer Menge interessanter und schöner Gedanken, die zum Nachdenken anregen. Dabei sind die meisten seiner Gedanken "alltagsphilosophisch", unkompliziert, sehr persönlich...
Der Philosoph auf dem Thron!
 
Dem kann ich nur beipflichten. Häufig genug sind es einfache Überlegungen, weshalb es sich doch lohnt, morgens aufzustehen. Der arme Marc Aurel, er muss so gern ausgeschlafen haben! Und so selten Gelegenheit dazu gehabt!
 
Eher: er muß so wenig persönliche Ambition gehabt haben weiter zu machen.
Ungewollte Alleinherrschaft, der Tod so vieler Kinder, Pestilenz und ständig währende Kriege. Zu guter letzt auch ein scheinbarer Verrat seiner Frau...
Wer muß sich da nicht ständig in Erinnerung rufen, das es auch gute oder wichtige Seiten des Lebens gibt, die es zu erleben lohnt.
Jedenfalls ließt sich seine Geschichte mitunter wie ein Trauerspiel.
 
Die Selbstbetrachtungen machen Marc Aurel sehr sympathisch. Bemerkenswert finde ich, dass er sich nicht die geringsten Illusionen macht, beim Tode sonderlich betrauert zu werden und sich trotz eines überaus skeptischen Menschenbildes immer wieder selbst ermahnt, nicht dem Zynismus der Macht zu verfallen.

Der Kaiser meisterte schließlich die größte Krise des Imperiums seit Hannibal, doch der Grenz- und Guerillakrieg muss ihn ziemlich angewidert haben. Denn er schreibt, dass ein Fischer sich vielleicht über ein Netz erbeuteter Sardellen freut, ebenso wie er selbst Sarmaten zur Strecke bringt und schließt mit dem Satz "sind wir nicht alle Räuber?"
 
6. Buch, 11:

Gerade wie wir uns bei den verschiedenen Speisen und ähnlichen Eßbarkeiten eine Vorstellung bilden: das hier ist ein toter Fisch, das da ein toter Vogel oder ein totes Schwein, und ferner: der Falerner hier ist nur ein Traubensaft und das Purpurgewand nur Wolle eines Schafes, die in das Blut einer Muschel getaucht ist, oder bei den Vorgängen beim Geschlechtsverkehr: das ist nur die Reibung eines Darms und die Aussonderung von etwas Schleim unter gewissen Zuckungen (.....) Das Wesen durchdringen, sie entblößen, ihre Geringwertigkeit durchschauen und sie dem Nimbus entkleiden, in dem sie einherstolzieren. (...)
Köstlich! :D
 
Marcus wird ja gerne als Lichtgestalt hingestellt, auch hier. Auch Julian hat ihn in seinen Caesares zum Gipfel aller Kaiser erhoben. Aber war er das: Könnte er Vorbild sein? (Das würde ich von einem Philosophen verlangen.)

- ein Bulimiker, der kaum Nahrung bei sich halten konnte und infolgedessen ständig an Krankheiten litt
- ein abweisender, Geselligkeit meidender Mensch
- ein Mensch, der vor allem seinen Körper mit all seinen Funktionen ablehnte, sei es Essen, Sexualität oder sonstige Verrichtungen
- ein Mann, der seine Frau 14mal aus Pflichtgefühl schwängerte, bis diese - wahrscheinlich an einem Schwangerschaftsödem - starb
- ein Vater, der seinen Sohn zum Kasper bzw gar nicht erzog - natürlich immer unter vollständiger Pflichterfüllung
- ein Mensch, der gewissermaßen bis zum Erbrechen perfekt war bzw. sein wollte.

Ein Sympathieträger? :confused:

Ging er besonders milde mit Gegnern um? Immerhin wollte er ein ganzes Volk, die Jazygen, komplett aurotten; nur die Verschwörung des Avidius Cassius hinderte ihn daran. Hitler hat man dafür einen Massenmörder genannt (ihn hat allerdings auch nichts gehindert), Marc Aurel den "Philosophen auf dem Thron". Sicher, ein Kaiser darf nicht zimperlich sein, sonst ist er schnell weg vom Fenster. Aber muss man deswegen Völkermord begehen? Kennt man ähnliches z.B. von Hadrian?
 
Unter seiner Regentschaft ereignete sich auch eine überaus blutige Christenverfolgung in Gallien, wobei der heilige Polykarpus in Lyon lebendig verbrannt wurde. Die Inflation seiner Regentschaft läßt sich recht eindeutig am abnehmenden Edelmetallgehalt der Münzen ablesen. In seinen Verteidigungskriegen konnte er nicht allzu wählerisch sein, zeitweilig schien das Gesetz des Handelns fast ganz bei den Germanen und Jazyken zu liegen. Das Reich wurde von schweren Krisen heimgesucht, die Kostoboken plünderten Eleusis, die Mauren plünderten Andalusien, die Marcomannen zerstörten Opitergium und belagerten Aquilea. Dazu wurden gut 10 % der Reichsbevölkerung von der Antoninischen Pest dezimiert.

Commodus hat durchaus eine umfassende klassische Bildung erhalten, eher hat da Marc Aurel wohl des Guten ein bißchen zu viel getan. Immerhin hat er aber bei sich selbst die aufgeklärte Atmosphäre des Hofs Hadrians und Antoninus kennengelernt. Es ist sicher die Frage berechtigt, ob es ein Verschulden Marc Aurels war, die Entwicklung seines Sohnes nicht abzuwarten und ihn zum Thronfolger zu ernennen. Marc Aurel hat die glänzendsten Erwartungen auf seinen Sohn projeziert, die groteskesten Allüren Commodus brauchte er glücklicherweise nicht mehr mitzuerleben.

Die Persönlichkeit, die sich aus der Lektüre der Selbstbetrachtungen erschließen läßt, war mit Sicherheit keine pflegeleichte, und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich nach der ersten Lektüre etwas enttäuscht war, da Marc Aurel so gar nichts über seine Feldzüge, seine politischen Probleme, die historischen Entscheidungen schreibt, weil er so gar nicht auf der Linie einer römisch- senatorischen Historiographie eines Tacitus liegt. Spiele hat er gehasst, er legte sich viel darauf zugute kein parmularius oder scutarius, kein Blauer oder Grüner zu sein, während sein Lehrer Fronto noch Trajan für seine politische Klugheit rühmte, da die Getreideversorgung und Unterhaltungsindustrie eine wichtige Rolle spielte. Neben Tiberius war er der einzige Caesar, der es wagte, Gladiatoren- und Circusspiele einzuschränken. Er war auch gesundheitlich früh aufgebraucht, und zuweilen scheint er sich in einem Fatalismus ergeben zu haben.

Doch sind die Selbstbetrachtungen eine überaus interessante psychologische Studie, und es spricht durchaus für Marc Aurel, dass er sich ermahnt, nicht dem Zynismus und der Menschenverachtung zu verfallen, dass er sich überhaupt keine Illusionen darüber macht, dass man um ihn trauern werde, sondern sich vielleicht eher freut, wenn der Alte abtritt. Es sind die Selbstbetrachtungen ein eindrucksvolles Zeugnis einer Herrscherpersönlichkeit, so gar nicht im Stil der Res Gestae Divi Augusti, und Marc Aurels Ermahnungen an die Mächtigen der Welt sind durchaus zeitlos, und sie haben auf die "Fürstenspiegel" seit der Renaissance großen Einfluß gehabt.

Es ist, meiner Meinung durchaus nicht abwegig, zu behaupten, dass die Selbstbetrachtungen zum Besten gehören, was die Antike hervorgebracht hat, und daher auch sinnvoll, das Ende Marc Aurels als deutliche Zäsur zu sehen, wie es Edúard Gibbon in seinem Meisterwerk getan hat.
 
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