Der Mythos von der Kriegsbegeisterung der Volksmassen im Herbst 1914

Gandolf

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Die Ansicht, dass sich die Volksmassen 1914 fröhlich in die Urkatastrophe Europas gestürzt haben, ist weit verbreitet. Doch neuere Studien stellen diese Ansicht in Frage. Der "Geist von 1914" sei weitgehend auf bürgerlich-akademische Großstädter beschränkt gewesen. In der Arbeiterschaft wie in der Provinz hätten bei Kriegsbeginn Unruhe, Angst und Entsetzen vorgeherrscht:

„Die Historikerzunft habe“, so der Geschichtswissenschaftler Wolfgang Kruse, „den Volksglauben von der allgemeinen Kriegsbegeisterung >> lange ungefragt übernommen<<. In Fachkreisen erregte der französische Historiker Jean-Jacques Becker 1977 Aufsehen mit einer Analyse von über 600 Stimmungsberichten heimischer Schulleiter. Fazit: Nicht mit allumfassendem Jubel hätten die Franzosen auf die Mobilmachung 1914 reagiert, sondern mit einem breiten Spektrum von Stimmungen – bis hin zu Entsetzen und Panik.

Im Kaiserreich sei es nicht anders zugegangen, ergänzte der US-Historiker Jeffrey Verhey in einer im Jahr 2000 in Deutschland erschienen Studie. Der von der Heeresleitung immer wieder beschworene >>Geist von 1914<< sei weitgehend auf bürgerlich-akademische Großstädter beschränkt gewesen; in der Arbeiterschaft wie in der Provinz hätten bei Kriegsbeginn Unruhe, Angst und Entsetzen vorgeherrscht.

Tatsächlich belegen Unmengen von Quellen die Ansicht, dass die These von der Dominanz der Kriegsbegeisterung in Wahrheit ein „Konstrukt“ gewesen sei, das die gelenkte Presse und die gezielte Kriegspropaganda sowie später die NS-Ideologen zum „Mythos“ aufgeblasen haben.

Mittlerweise haben sich überall in Deutschlan Profis wie Hobbyhistoriker auf Spurensuche begeben. In Kirchen- und Stadtarchiven, Tagebüchern und Feldpostbriefen finden die Lokalforscher Belege, die das so lange kolportierte Bild vom Kriegsbeginn relativieren.

Selbst im Berliner Zentrum – wo Dokumentaraufnahmen den Zeitgenossen wie Nachgeborenen alles beherrschende Begeisterung suggerieren – hielt sich die Hurra-Stimmung in Grenzen. >>Viele Frauen mit verweinten Gesichtern<<, notierte ein Augenzeuge, der >>Ernst und Bedrücktheit“ registrierte: >>Kein Jubel, keine Begeisterung<<. Wohl vernahm der Tagebuchschreiber „Hochrufe und singende Gruppen vor dem Kronprinzenpalais<<. Aber: >>Die Weiterwegstehenden passiv<<.

Während das Großbürgertum feiert und junge Studenten sich kriegerisch Abenteuer in fremden Ländern erhoffen, herrscht in Arbeiterfamilien Zukunftsangst: Wer soll sie ernähren, wenn der Ernährer in den Krieg zieht? Im Berliner Arbeiterviertel Moabit hält ein Pfarrer fest: >>Die eigentliche Begeisterung, ich möchte sagen die akademische Begeisterung, wie sie sich der Gebildete leisten kann, der keine Nahrungssorgen hat, scheint mir doch zu fehlen. Das Volk denkt sehr real und die Not liegt schwer auf den Menschen.<<

Verwirrung, zum Teil Verzweiflung befällt die sozialdemokratische Arbeiterschaft. Noch am 28. Juli hat etwa in Hamburg die internationalistisch gestimmte Partei zum >>Protest gegen die Kriegshetze<< aufgerufen – mit gewaltiger Resonanz. >>Ungeheuerlich<<, meldet das Parteiorgan >>Hamburger Echo<<, sei der Andrang bei den Friedenskundgebungen: >>Keiner der großen Säle< könne >>auch nur entfernt die immer erneut anrückenden Scharen werktätigen Volkes fassen.<< Trotz strömenden Regens harre die Menge in >>unübersehbarer Zahl<< auf den Straßen aus.“

Quelle: Jochen Bölsche, „Ein Hammerschlag auf Herz und Hirn“, in: Stephan Burgdorff / Klaus Wiegrefe, Der Erste Weltkrieg, 2. Auflage, 2004, S. 54ff.
 
Du hast sicherlich recht Gandolf! Aber ausschlaggebend, oder besser gesagt der Krieg wurde letztendlich vom KAiser und dem Adel, welche häufig die Offizierslaufbahn einschlugen, verantwortet.

Sicherlich hatte ein grosser Anteil der Arbeiterschaft Ängste und Sorgen vor dem Krieg. Aber ich bin sicher es gab auch viele, auch unter der Arbeiterschaft, die das Abenteuer gesucht haben. Und Krieg ist auch immer ein Stückweit Abenteur, zumindest für die die kämpfen.

Wenn wir von Kriegslust und deren Begeisterung sprechen, dann von den Soldaten, die singend an die Front gefahren wurden, auf allen Seiten.
Das es natürlich auch Menschen gab, die Angst hatten, wird hier niemand bestreiten, auch deren Vielzahl! Aber viele sind auch trotzend und protzend an die Front gefahren, um das Vaterland zu "verteidigen".

Und diese Fotos sind ausschlaggebend für die Annahme, dass alle diesen Krieg wollten. Auf französischer, wie auf deutscher, als auch auf russischer Seite, mit diversen Motiven. Diejenigen, die den Krieg ablehnen und vielleicht demonstrieren, wurden damals nicht beachtet, ja eigentlich nie beachtet. Erst in der näheren Vergangenheit, mit den 68ern fand die Verweigerung und Verpöhnung des Krieges statt und hier wurde sie erst hoffähig!:winke:
 
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Seldschuk schrieb:
Du hast sicherlich recht Gandolf! Aber ausschlaggebend, oder besser gesagt der Krieg wurde letztendlich vom KAiser und dem Adel, welche häufig die Offizierslaufbahn einschlugen, verantwortet.

Sicherlich hatte ein grosser Anteil der Arbeiterschaft Ängste und Sorgen vor dem Krieg. Aber ich bin sicher es gab auch viele, auch unter der Arbeiterschaft, die das Abenteuer gesucht haben. Und Krieg ist auch immer ein Stückweit Abenteur, zumindest für die die kämpfen.

Wenn wir von Kriegslust und deren Begeisterung sprechen, dann von den Soldaten, die singend an die Front gefahren wurden, auf allen Seiten.
Das es natürlich auch Menschen gab, die Angst hatten, wird hier niemand bestreiten, auch deren Vielzahl! Aber viele sind auch trotzend und protzend an die Front gefahren, um das Vaterland zu "verteidigen".

Und diese Fotos sind ausschlaggebend für die Annahme, dass alle diesen Krieg wollten. Auf französischer, wie auf deutscher, als auch auf russischer Seite, mit diversen Motiven. Diejenigen, die den Krieg ablehnen und vielleicht demonstrieren, wurden damals nicht beachtet, ja eigentlich nie beachtet. Erst in der näheren Vergangenheit, mit den 68ern fand die Verweigerung und Verpöhnung des Krieges statt und hier wurde sie erst hoffähig!:winke:

Vor dem 1. WK gab es recht bekannte Antikriegsbewegungen, Nobel und B. v. Suttner, oder die Beschlüsse der II. Internationale um nur ein paar zu nennen.

Die Bilder aus dem August 1914 sprechen aber eine andere Sprache! Und alle werden wohl kaum gestellt sein.

Die Antikriegsbewegung gehört zum Gründungsmythos der KPD und überall kann man nachlesen, dass Karl Liebknecht im November 1914 im Reichstag gegen die Kriegskredite gestimmt hat. Kein Wort über sein Abstimmungsverhalten am 4. August 1914, die SPD hat aber geschlossen dafür gestimmt. Er wird also auch dafür gestimmt haben.

Es gibt aber auch weitere Fakten dazu:

im August/September haben sich freiwillig "zu den Waffen" gemeldet:

im Deutschen Reich 1.400.000 Männer
in Frankreich 1.100.000 Männer
in ÖU 450.000 Männer

Die Kriegsbegeisterung angesichts dieser Tatsachen einen Mythos zu nennen ist schon mutig.

Grüße Repo
 
Repo hat recht. Die Kriegsbegeisterung war leider da, weil sich die Menschen einen Weltkrieg, den es vorher so noch nicht gab, nicht vorstellen konnten:rolleyes:
 
Kriegsbegeisterung gab es sicher, aber das schließt ja nicht aus, daß es auch zahlreiche Kriegsgegner gab.
Interessant ist in diesem Zusammenhang jedenfalls folgender Abschnitt aus Albert Schweitzers "Aus meinem Leben und Denken":

"Mit der Kriegsgefahr rechnete ich, obwohl mir (im Jahr 1913, als Schweitzer nach Lambarene ging)feststand, daß weder das französische noch das deutsche Volk den Krieg wollten, und obwohl die Parlamentarier beider Länder Gelegenheit suchten, sich kennenzulernen und sich gegenseitig auszusprechen. Als einer, der seit Jahren für die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich arbeitete, wußte ich, wieviel gerade damals für die Erhaltung des Friedens im Werke war, und behielt einige Hoffnung, daß es gelingen könne. Andererseits aber gab ich mich keiner Täuschung darüber hin, daß das Schicksal Europas nicht mehr von dem Verhältnis Deutschland-Frankreich allein abhing."
 
Rüdiger schrieb:
Kriegsbegeisterung gab es sicher, aber das schließt ja nicht aus, daß es auch zahlreiche Kriegsgegner gab.
Interessant ist in diesem Zusammenhang jedenfalls folgender Abschnitt aus Albert Schweitzers "Aus meinem Leben und Denken":

"Mit der Kriegsgefahr rechnete ich, obwohl mir (im Jahr 1913, als Schweitzer nach Lambarene ging)feststand, daß weder das französische noch das deutsche Volk den Krieg wollten, und obwohl die Parlamentarier beider Länder Gelegenheit suchten, sich kennenzulernen und sich gegenseitig auszusprechen. Als einer, der seit Jahren für die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich arbeitete, wußte ich, wieviel gerade damals für die Erhaltung des Friedens im Werke war, und behielt einige Hoffnung, daß es gelingen könne. Andererseits aber gab ich mich keiner Täuschung darüber hin, daß das Schicksal Europas nicht mehr von dem Verhältnis Deutschland-Frankreich allein abhing."


Sicher gab es ein paar hellsichtige. Sicher war nicht jeder "begeistert".

Aber Millionen von Kriegsfreiwilligen in allen beteiligten Ländern (nicht zu vergessen, es waren ja schon Millionen per Mobilmachung eingezogen worden) sind nicht wegzudiskutieren.


Grüße Repo
 
Lieber Rüdiger,
dass es unter den vielen Kriegsbegeisterten auch ein paar Weiterdenkende gab, ist völlig klar. Die Ausnahme bestätigt die Regel nur.
 
Repo schrieb:
Die Antikriegsbewegung gehört zum Gründungsmythos der KPD und überall kann man nachlesen, dass Karl Liebknecht im November 1914 im Reichstag gegen die Kriegskredite gestimmt hat. Kein Wort über sein Abstimmungsverhalten am 4. August 1914, die SPD hat aber geschlossen dafür gestimmt. Er wird also auch dafür gestimmt haben.

Zur korrekten Darstellung- die Hintergründe
K. Liebknecht hat am 2.12.1914 als erster und einziger Abgeordneter im Reichstag die Bewilligung weiterer Kriegskredite abgelehnt, nachdem er sich im August noch der Parteidisziplin unterworfen und der Bewilligung zugestimmt hatte.
Schon die zeitliche Reihenfolge taugt nicht für einen unterstellten negativen "Mythos " . :winke:
 
Zuletzt bearbeitet:
Arcimboldo schrieb:
Zur korrekten Darstellung- die Hintergründe
K. Liebknecht hat am 2.12.1914 als erster und einziger Abgeordneter im Reichstag die Bewilligung weiterer Kriegskredite abgelehnt, nachdem er sich im August noch der Parteidisziplin unterworfen und der Bewilligung zugestimmt hatte.
Schon die zeitliche Reihenfolge taugt nicht für einen unterstellten negativen "Mythos " . :winke:

Verstehe ich nicht.
Wer hat einen "negativen Mythos" unterstellt?

Dieser Thread heißt? Der Mythos von der Kriegsbegeisterung der Volksmassen im Herbst 1914

Nun ist mir zuerstmal nicht klar, was ein negativer resp. im umkehrschluss positiver Mythos überhaupt bedeuten soll.:confused:

Die zeitliche Reihenfolge? Also wenn Liebknecht im August nein und im November ja zu den Kriegskrediten gesagt hätte, dann wäre das ein "negativer Mythos". Muss ich das verstehen?:confused:

Karl Liebknecht hat im November weitere Kriegskredite abgelehnt. Er hat damit eine Fortsetzung des Kriegs abgelehnt, und als erster nach dem kollektiven August "Blackout" in Deutschland erkannt, dass Europa in den Abgrund geht.

Aber, und darum geht es, vor dem Juli/August 1914 haben das etliche gesehen, ich erinnere nur an die Antikriegsbeschlüsse der II. Internationale, und die hat Liebknecht mit gebrochen. Also hatte er auch den August "Blackout". Aber nicht jeder hatte ihn: http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/JauresJean/

Dann plötzlich im Aug. 1914, ganz Europa war sich darin einig, dass man sich gegenseitig umbringen muss. Irgendwie machen die Bilder auf mich den Eindruck, als ginge es zur Fussballweltmeisterschaft.

Es soll das Wort eines führenden SPD Politikers (Dittmann? Haase?) aus dem Jahr 1915 auf den August 1914 angesprochen: "Da waren wir alle besoffen" geben.

Grüße Repo
 
Ich bin in anderer Sache zufällig darauf gestoßen, dass im August 1914 die deutsche Bevölkerung bei der Reichsbank ca. 100 millionen Mark in Gold abgezogen hat. Also ihre Geldscheine gegen Goldstücke getauscht hat.
Worauf die Reichsbank die Golddeckung aufgehoben hat.

100 Millionen Mark waren 1914 eine gigantische Summe.

Das ist ein überaus handfester Nachweis, dass mindestens das "Besitz-Bürgertum" durchaus die Gefahr sah, dass die Sache Krieg schiefgehen konnte.

Ich revidiere ausdrücklich meine bisher abgegebene Einschätzung.
Die Kriegsbegeisterung war, für mich überzeugend nachgewiesen durch den Goldtausch, offensichtlich nicht so groß.


Grüße Repo
 
Zunächst einmal möchte ich mich bei Repos Goldtausch-Fund (Beitrag Nr. 10) bedanken, der in der Tat den Mythos von der allgemeinen Kriegsbegeisterung erschüttert.

Nachstehend möchte ich mich mit jenen Argumenten auseinandersetzen, die in diesem Strang gegen die Erkenntnisse der von mir im Eingangsbeitrag vorgestellten wissenschaftlichen Studien eingewendet wurden, dass es sich bei dem Bild von der allgemeinen Kriegsbegeisterung um einen Mythos handelt. Folgende Argumente wurden genannt:
  1. Ausschlaggebend sei das Verhalten von Kaiser und Adel – Seldschuk (Beitrag Nr. 2).
  2. Es habe nicht nur ängstliche, sondern auch viele abenteuerlustige Arbeiter gegeben – Seldschuk (Beitrag Nr. 2).
  3. Fotos würden die allgemeine Kriegsbegeisterung beweisen – Seldschuk (Beitrag Nr. 2).
  4. Erst mit den 68ern sei der Krieg in Verruf geraten – Seldschuk (Beitrag Nr. 2).
  5. Die hohe Zahl der Kriegsfreiwilligen belege die allgemeine Kriegsbegeisterung – Repo (Beitrag Nr. 3 und 6)
Bevor ich auf die einzelnen Argumente eingehe, möchte ich darauf hinweisen, dass die von mir genannten Studien nicht bestreiten, dass es in Deutschland überhaupt Kriegsbegeisterung gegeben hat, sondern dass es sich bei dieser um eine allgemeine Kriegsbegeisterung handelte, die alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen erfasste, mobilisierte und eine breite Zustimmung zum Krieg ausdrückte (sog. „Augusterlebnis“). Das Bild vom „Augusterlebnis“ war ein Wunschbild, „das in der zeitgenössischen Rhetorik der Kriegsapologeten beschworen, in der revisionistischen Nachkriegsliteratur ausgemalt und von der konservativen Geschichtsschreibung gern und ungeprüft übernommen wurde“ (Volker Ullrich in: Hirschfeld/Krumeich/Renz, Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 2003, unter Kriegsbegeisterung“).

Vor diesem Hintergrund kann ich Seldschuks Argumentation, dass das Verhalten von Kaiser und Adel ausschlaggebend sei, nicht nachvollziehen. Kaiser und Adel gehörten zur crème de la créme der deutschen Gesellschaft. Ich halte es für aberwitzig ausgerechnet vom Verhalten der Elite auf die Einstellung der breiten Bevölkerung und somit auf das Vorliegen einer allgemeinen Kriegsbegeisterung schließen zu wollen. Stellt man sich hingegen die Frage, wie die unterschiedlichen Bevölkerungsteile auf die drohende Krieggefahr und den Beginn des Krieges reagierte, kommt man zu differenzierten Ergebnissen, die die These von der allgemeinen Kriegsbegeisterung als Mythos entlarven:
  • Am ehesten trifft die Vorstellung von der allgemeinen Kriegsbegeisterung noch auf die städtischen bürgerlich-akademischen Schichten als Elitenphänomen zu.
  • Ganz anders wurde der Beginn des Krieges in ländlichen Regionen erlebt. Hier war von Kriegsenthusiasmus wenig zu spüren. Vielerorts herrschte eine ausgesprochen niedergeschlagene und pessimistische Stimmung: Ausfall der männlichen Arbeitskräfte für die Bewirtschaftung der Höfe, Existenzsorgen der Frauen, die sich nun allein um die Erntearbeiten kümmern mussten, etc.
  • In der Arbeiterschaft formierte sich noch Ende Juli 1914 eine Protestbewegung, wie sie es in dieser Breite im Kaiserreich noch nicht gegeben hatte. Schon um diesen Widerstand gegen den Krieg auszuschalten, versuchte Reichskanzler Bethmann-Hollweg mit seiner Desinformationspolitik Russland als Aggressor darzustellen. Doch trotz seiner Propaganda herrschte bei Kriegsbeginn noch wenig Begeisterung in der Arbeiterschaft vor, eher Resignation und Verzweiflung. Erst unter dem Eindruck der ersten Siegesmeldungen (Mitte August) kippte offenbar die Stimmung. Nun wurde auch die Arbeiterschaft in den Strudel eines zunehmenden Chauvinismus hineingerissen.
Was die von Seldschuk angesprochene Abenteuerlust angeht, herrschte diese Ende Juli/Anfang August 1914 weniger bei den Arbeitern und eher im Bürgertum und zwar ausgerechnet bei den Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern vor. Bei der Analyse der Stammrollen von vorwiegend aus Kriegsfreiwilligen gebildeten Reserveregimentern fällt auf, dass unter diesen "Angehörige der bürgerlichen Ober- und Mittelschicht im Alter von 18 bis 30 Jahren überwogen. Insbesondere Gymnasiasten und Studenten waren weit überproportional, Industriearbeiter hingegen unterproportional zu ihrem Bevölkerungsanteil vertreten“ (Benjamin Zielmann in: Hirschfeld/Krumeich/Renz, Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 2003, unter Kriegsfreiwillige). Seinen Grund hatte dieser Umstand vor allem darin, dass das Leben der Arbeiter von Existenzängsten geprägt und deren Bereitschaft gering war, ausgerechnet für den Besitzstand des Klassenfeindes (Kaiser, Adel, Bürgertum) Leib und Leben zu riskieren. Bei den Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern war dies völlig anders. Diese lebten in komfortablen saturierten Verhältnissen, mussten nicht jeden Tag um ihre Existenz bangen, und hofften, dass der Krieg die verkrusteten Verhältnisse der wilhelminischen Gesellschaft aufsprengen wird. „Wie hätte der Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte“ schrieb Thomas Mann, einer der Wortführer der geistigen Mobilmachung.

Es ist müßig über die Beweiskraft einzelner Fotos zu streiten. In den Studien hat man eine Vielzahl von Fotos untersucht und kommt gerade zu dem Ergebnis, dass auf diesen nicht nur begeisterte Gesichter sondern auch traurige und niedergeschlagene zu sehen sind.

Seldschuks These, dass der Krieg erst mit den 68ern in Verruf geraten sei, kann ich nicht nachvollziehen. Repo hat dankenswerterweise hierzu schon einiges gepostet. Zudem sind ja gerade aus dem Zeitraum Ende Juli bis Anfang August 1914 Massendemonstrationen gegen den Krieg bekannt. Das kann man doch nicht einfach ignorieren!

Die Zahl der Kriegsfreiwilligen wurde von Repo für das Deutsche Reich mit 1.400.000 angegeben. Repos Zahl dürfte auf deutschen Presseberichten beruhen, in denen nach Kriegsbeginn immens hohe Zahlen (zwischen ein und zwei Millionen) kursierten. „Tatsächlich meldeten sich in Preußen in den ersten zehn Mobilmachungstagen rund 260.000 Freiwillige, von denen nur etwa 143.000 effektiv in die Armee eingestellt wurden. Für den gesamten August 1914 lässt sich für Preußen eine Zahl von ca. 185.000 (!) eingestellten Freiwilligen schätzen“ (Benjamin Zielmann in: Hirschfeld/Krumeich/Renz, Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 2003, unter Kriegsfreiwillige). Diese Zahl lässt nicht nur die Kirche im Dorf stehen. Es wäre auch völlig verfehlt, sie primär als Ausdruck von Kriegsbegeisterung zu verstehen. Viele "Freiwillige", insb. aus dem Bereich des Bürgertums, meldeten sich aus Angst vor sozialer Stigmatisierung. Wegen Untauglichkeit Abgewiesene oder Zurückgestellte durchlebten vereinzelt schwere psychische Krisen. Schamgefühle und das Bewusstsein, sich gegenüber seinen Altersgenossen als „Mann“ beweisen zu müssen, spielten eine große Rolle, insb. für die Freiwilligen im jugendlichen Alter, bei denen die männliche Identitätsbildung noch nicht abgeschlossen war. Bei der Arbeiterschaft stellte angesichts der im August 1914 hochschnellenden Arbeitslosenquote und der Erwartung eines kurzen Krieges der Militärdienst mit geregeltem Sold einen Ausweg zur Sicherung des Lebensunterhaltes dar.

Literatur: Hirschfeld/Krumeich/Renz, Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 2003, unter Kriegsbegeisterung und Kriegsfreiwillige m.w.N.
 
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Repo schrieb:
Ich bin in anderer Sache zufällig darauf gestoßen, dass im August 1914 die deutsche Bevölkerung bei der Reichsbank ca. 100 millionen Mark in Gold abgezogen hat. Also ihre Geldscheine gegen Goldstücke getauscht hat.
Worauf die Reichsbank die Golddeckung aufgehoben hat.

100 Millionen Mark waren 1914 eine gigantische Summe.

Das ist ein überaus handfester Nachweis, dass mindestens das "Besitz-Bürgertum" durchaus die Gefahr sah, dass die Sache Krieg schiefgehen konnte.

Ich revidiere ausdrücklich meine bisher abgegebene Einschätzung.
Die Kriegsbegeisterung war, für mich überzeugend nachgewiesen durch den Goldtausch, offensichtlich nicht so groß.


Grüße Repo

Folgende Korrektur:
Die 100 Millionen Goldmark wurden bereits im Juli 1914 von der deutschen Bevölkerung "Papier gegen Gold" getauscht. Also während der "Juli-Krise" vor Kriegsbeginn.
Am 31. Juli wurde die Golddeckung von der Reichsbank faktisch aufgehoben!

Die Bilder mit den Fahnenschwingenden Massen sind jedoch sicherlich nicht getürkt. Die Kriegsbegeisterung im August 1914 ist bei allen beteiligten Staaten nachzuweisen.
Andererseits zeigt die "Papiergeld-Tausch-Aktion" der deutschen Bevölkerung bereits in der Juli-Krise, in den anderen Ländern wird es ähnliche Erscheinungen gegeben haben, dass beileibe nicht jeder das Gehirn ausgeschalten hatte.

Grüße Repo
 
Repo schrieb:
Die Bilder mit den Fahnenschwingenden Massen sind jedoch sicherlich nicht getürkt. Die Kriegsbegeisterung im August 1914 ist bei allen beteiligten Staaten nachzuweisen.
Wie bereits gepostet, wird nicht bezweifelt, dass es in allen Ländern Kriegsbegeisterung gab. Dass jedoch diese Begeisterung in allen Bevölkerungsschichten vorgeherrscht haben soll, ist ein nachträglich geschaffenes Konstrukt - in Deutschland der Mythos vom "Augusterlebnis".

Was "die Bilder" angeht, gibt es a) nun einmal viele Bilder und b) bringen diese häufig unterschiedliches zum Ausdruck: selbst auf jenen Bildern, die im Vordergrund fahnenschwingende Menschen zeigen, finden sich nicht selten im Hintergrund Menschen mit einem betretenem und gar nicht fröhlichem Gesichtsausdruck. Ich glaube gerade wir Menschen aus dem Fernsehzeitalter sollten besonders skeptisch mit Bildern und deren Beweiskraft umgehen.
 
Gandolf schrieb:
Wie bereits gepostet, wird nicht bezweifelt, dass es in allen Ländern Kriegsbegeisterung gab. Dass jedoch diese Begeisterung in allen Bevölkerungsschichten vorgeherrscht haben soll, ist ein nachträglich geschaffenes Konstrukt - in Deutschland der Mythos vom "Augusterlebnis".

Wenn man die Beschreibung "allgemeine Kriegsbegeisterung" wörtlich nimmt, hast du sicher Recht. Nicht alle (=> allgemein) waren voller Hurra-Patriotismus. Es erschien nur oft so, weil
a) die Propaganda die Begeisterten herausstellte
b) die Kriegsmüden und Kriegsgegner in der Masse still im Hintergrund blieben, um nicht als Vaterlandsverräter zu gelten. Und laute Jubler fallen nunmal mehr auf, als stille Kritiker.

Jetzt will ich etwas formulieren, was leicht falsch verstanden werden kann, aber ich will mich bemühen es richtig rüberkommen zu lassen. Ich schätze, daß die Leute, die selbst unter Existenzsorgen litten, denen also "das Hemd näher als die Hose war" sicher eher gegen den Krieg waren. Diejenigen, die eher frei von persönlichen Sorgen waren, die mehr Gedanken auf Vaterland und große Politik verwendeten (so "qualifiziert" diese Gedanken auch immer waren) sahen in dem Krieg mehr eine Prüfung oder Aufgabe für Deutschland insgesamt, sahen also eher eine Notwendigkeit zum Krieg und begeisterten sich leichter.
Überwiegend (nicht generell) ergibt sich so das Bild des begeisterten Bürgertums, der Akademiker, Künstler und Studenten und eher weniger der begeisterten Arbeiter. Aber das ist nur der überwiegende Eindruck, es gab natürlich ebenso kriegsbegeisterte Arbeiter, wie Kriegsgegner im Bürgertum.

Wenn wir heute Studenten, Künstler und Akademiker fast immer auf Seiten der Gegner eines jeden Krieges finden (Vietnam, Irak etc, etc) so war das damals vielleicht zum letzten Mal genau andersherum...?:grübel:
 
Dass bei großen Teilen des deutschen Volks Kriegsbegeisterung herrschte, ist kaum zu bestreiten. Hier eine Kostprobe der "Frankfurter Zeitung" über die Ereignisse in Berlin am 1. August 1914, also am Tag der Kriegserklärung Deutschlands an Russland:

"Unter den Linden und vor dem königlichen Schloss sammelten sich bald nach der Bekanntmachung der Mobilmachung viele Hunderttausende von Menschen. Jeder Wagenverkehr hörte auf. Der Lustgarten und der freie Platz vor dem Schloss waren dicht gefüllt von den Menschenmassen, die patriotische Lieder sangen. Gegen 1/2 7 Uhr erschien der Kaiser, von einem unbeschreiblich starken Jubel und von Hurrarufen begrüßt. Patriotische Lieder wurden angestimmt. Nach einiger Zeit trat in der Menge Ruhe ein. Unter tiefstem Schweigen sprach der Kaiser dann ungefähr: 'Wenn es zum Krieg kommen soll, hört jede Partei auf, wir sind nur noch deutsche Brüder. In Friedenszeiten hat mich zwar die eine oder andere Partei angegriffen, das verzeihe ich ihr aber jetzt von ganzem Herzen.' ... An diese Worte des Kaisers schloss sich ein Jubel, wie er wohl noch niemals in Berlin erklungen ist."
(zit. nach: Ansprachen, Predigten und Trinksprüche Wilhelms II., hg. v. E. Johann, München 1966, S. 125 f.)

Diese Quelle vermittel nur einen kleinen Eindruck der herrschenden Kriegsbegeisterung, der duch eine Vielzahl weiterer Berichte, Briefe und Dokumente aus jenen Tagen erhärtet wird.

Natürlich gilt es zu differenzieren. Wie Arne oben schon betont, waren das Groß- und Bildungsbürgertum sowie der Adel anfälliger für diesen "hysterischen" Patriotismus, der sich auch aus einer gewaltigen Kriegspropagandamaschine speiste. Auch das Kleinbürgertum, das ja nach Höherem strebte, und dem bewunderten Großbürgertum nacheiferte, wird wohl in seiner Mehrheit von Kriegsbegeisterung ergriffen gewesen sein.

Bei der Arbeiterschaft sah das häufig anders aus, denn hier griffen die Parolen von Liebknecht, Luxemburg und dem linken Flügel der SPD, dass der Krieg nur eine Inszenierung von Kapitalisten sei, die sich auf diese Weise scham- und hemmungslos bereichern wollten.

Schließlich muss man auch sehen, dass die anfängliche Kriegsbegeisterung schon bald der Ernüchterung wich. Den Menschen schienen die ungeheuren Opfer an der Front und in der Heimat immer sinnloser, und die innere Geschlossenheit, die das deutsche Volk anfangs gezeigt hatte, wich allmählich entweder der Lethargie oder dem inneren Widerstand. Die Spartakusgruppe, aus der dann 1917 mit der USPD eine radikalere Arbeiterpartei hervorging, fand zunehmend Gehör, was die Novemberrevolution, die 1918 losbrach, das ganz deutlich widerspiegelt.
 
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Arne schrieb:
Jetzt will ich etwas formulieren, was leicht falsch verstanden werden kann, aber ich will mich bemühen es richtig rüberkommen zu lassen. Ich schätze, daß die Leute, die selbst unter Existenzsorgen litten, denen also "das Hemd näher als die Hose war" sicher eher gegen den Krieg waren. Diejenigen, die eher frei von persönlichen Sorgen waren, die mehr Gedanken auf Vaterland und große Politik verwendeten (so "qualifiziert" diese Gedanken auch immer waren) sahen in dem Krieg mehr eine Prüfung oder Aufgabe für Deutschland insgesamt, sahen also eher eine Notwendigkeit zum Krieg und begeisterten sich leichter.
Überwiegend (nicht generell) ergibt sich so das Bild des begeisterten Bürgertums, der Akademiker, Künstler und Studenten und eher weniger der begeisterten Arbeiter.
Wenn wir heute Studenten, Künstler und Akademiker fast immer auf Seiten der Gegner eines jeden Krieges finden (Vietnam, Irak etc, etc) so war das damals vielleicht zum letzten Mal genau andersherum...?:grübel:

Lieber Arne,
vielleicht sind ja die heutigen Studenten aus dem Schaden der Geschichte klug geworden?:confused: Dass Arbeitern das Hemd näher saß als der Rock ist vollig verständlich.:rolleyes:
 
@arne:
Deinen Ausführungen stimme ich im Großen und Ganzen zu. Ob man sich für eine Sache engagieren kann, hängt eben auch von den finanziellen Ressourcen ab. Auf zwei Punkte möchte etwas näher eingehen:
arne schrieb:
Wenn man die Beschreibung "allgemeine Kriegsbegeisterung" wörtlich nimmt, hast du sicher Recht.
In vielen Teilen der (konservativen) Geschichtsschreibung wird sie tatsächlich undifferenziert dargestellt. Beispiel: „Im August 1914 ergriff eine gewaltige Woge der Kriegsbegeisterung die Deutschen. (…) Kaum jemand konnte sich dieser Stimmung, diesem >>Erlebnis<< des August 1914 entziehen, nicht die einfachen Leute, Bauern oder Arbeiter, …“ (Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte, 1855-1919, Band II, 1993 (!), S. 778).
arne schrieb:
Wenn wir heute Studenten, Künstler und Akademiker fast immer auf Seiten der Gegner eines jeden Krieges finden (Vietnam, Irak etc, etc) so war das damals vielleicht zum letzten Mal genau andersherum...?
Die Vorstellung, dass dem Krieg eine reinigende Wirkung (Katharsis) zukommt, beflügelte die Hoffnung von Intellektuellen wie Thomas Mann, dass die überkommenen wilhelminischen Verhältnisse durch den Krieg beseitigt werden und sich modernere, bessere Verhältnisse durchsetzen.

Für Deutschland mag deine These, dass sich die Intellektuellen zum letzten Mal für den Krieg engagiert haben zutreffen, wenn man von den gelenkten Verhältnissen des Dritten Reiches absieht. Im angloamerikanischen Raum hingegen durchlebten viele Intellektuellen, die sich im „letzten Krieg aller Kriege“ (Wilson) gegen den Kaiser und für Demokratie engagiert haben wie z.B. Ernest Hemingway, die Nachkriegszeit in Opposition zur Nachkriegsnormalität – besonders zum bürgerlich-zivilen Habitus und zum amerikanischen Isolationismus (!) gegenüber den politisch-ideologischen Konflikten im Europa der Nachkriegszeit. Im Spanischen Bürgerkrieg unterstützten dann viele Vertreter dieser Weltkriegsgeneration die demokratische Seite im Kampf gegen den aufkommenden Faschismus.


@Dieter:
Die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse differenzieren zwischen städtischem Bürgertum, Arbeiterschaft und ländlichen Regionen. In der ersten Gruppe war die Kriegsbegeisterung stark, in den anderen beiden Gruppen war sie deutlich schwächer. Wenn man jetzt noch die Größenordnungen dieser Gruppen berücksichtigt, fällt es schwer an eine „vorherrschende Kriegsbegeisterung“ oder eine auf den „großen Teil“ der Bevölkerung entfallende Kriegsbegeisterung zu glauben:
  • Mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen (und auch der Bevölkerung) gehörten 1914 zur „Arbeiterklasse“ (vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, 1993, Band I, S. 291).
  • Der Anteil der Bevölkerung in Gemeinden mit bis 2000 Einwohnern an der Gesamtbevölkerung betrug 1910 noch 40 % (vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, 1993, Band I, S. 35; Peter Marschalck, Bevölkerungsgeschichte Deutschlands, S. 181).
Was der von Dir zitierte Zeitungsbericht angeht, dürfte es eher schwierig sein von Jublern in Berlin auf eine das ganze Volk umfassende Kriegsstimmung zu schließen. Wer hat sich dort getroffen? (Bürger oder Arbeiter?) Wieviele haben sich dort getroffen? („viele hunderttausende“?) Wieviele haben die Rede überhaupt gehört? Wieviele haben gejubelt? Aus welchen Motiven wurde gejubelt? (Geselliges Mitjubeln? Begeisterung über den Krieg oder über den Burgfrieden?) Zudem wird aus dem Bericht eine bestimmte Tendenz deutlich („viele Hundertausende von Menschen“; „An diese Worte des Kaisers schloss sich ein Jubel, wie er wohl noch niemals in Berlin erklungen ist“), die den Jubel zu einem besonderen, die Gefühle der gesamten Bevölkerung ausdrückenden Ereignis stilisiert. Gemessen an der damaligen Bevölkerungszahl von Berlin dürfte sich dort aber eher eine Minderheit als Hurrapatrioten hervorgetan haben.

Hier noch ein paar Literaturtips:
C. Geinitz, Kiegsfurcht und Kampfbereitschaft. Das Augusterlebnis in Freiburg., 1998.
V. Ullrich, Kriegsalltag. Hamburg im Ersten Weltkrieg, 1982.
B. Ziemann, Front und Heimat. Länliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern, 1914-1923, 1997.
 
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Dieter schrieb:
Dass bei großen Teilen des deutschen Volks Kriegsbegeisterung herrschte, ist kaum zu bestreiten. Hier eine Kostprobe der "Frankfurter Zeitung" über die Ereignisse in Berlin am 1. August 1914, also am Tag der Kriegserklärung Deutschlands an Russland:

"Unter den Linden und vor dem königlichen Schloss sammelten sich bald nach der Bekanntmachung der Mobilmachung viele Hunderttausende von Menschen. Jeder Wagenverkehr hörte auf. Der Lustgarten und der freie Platz vor dem Schloss waren dicht gefüllt von den Menschenmassen, die patriotische Lieder sangen. Gegen 1/2 7 Uhr erschien der Kaiser, von einem unbeschreiblich starken Jubel und von Hurrarufen begrüßt. Patriotische Lieder wurden angestimmt. Nach einiger Zeit trat in der Menge Ruhe ein. Unter tiefstem Schweigen sprach der Kaiser dann ungefähr: 'Wenn es zum Krieg kommen soll, hört jede Partei auf, wir sind nur noch deutsche Brüder. In Friedenszeiten hat mich zwar die eine oder andere Partei angegriffen, das verzeihe ich ihr aber jetzt von ganzem Herzen.' ... An diese Worte des Kaisers schloss sich ein Jubel, wie er wohl noch niemals in Berlin erklungen ist."
(zit. nach: Ansprachen, Predigten und Trinksprüche Wilhelms II., hg. v. E. Johann, München 1966, S. 125 f.)

Diese Quelle vermittel nur einen kleinen Eindruck der herrschenden Kriegsbegeisterung, der duch eine Vielzahl weiterer Berichte, Briefe und Dokumente aus jenen Tagen erhärtet wird.

Natürlich gilt es zu differenzieren. Wie Arne oben schon betont, waren das Groß- und Bildungsbürgertum sowie der Adel anfälliger für diesen "hysterischen" Patriotismus, der sich auch aus einer gewaltigen Kriegspropagandamaschine speiste. Auch das Kleinbürgertum, das ja nach Höherem strebte, und dem bewunderten Großbürgertum nacheiferte, wird wohl in seiner Mehrheit von Kriegsbegeisterung ergriffen gewesen sein.

Bei der Arbeiterschaft sah das häufig anders aus, denn hier griffen die Parolen von Liebknecht, Luxemburg und dem linken Flügel der SPD, dass der Krieg nur eine Inszenierung von Kapitalisten sei, die sich auf diese Weise scham- und hemmungslos bereichern wollten.

Schließlich muss man auch sehen, dass die anfängliche Kriegsbegeisterung schon bald der Ernüchterung wich. Den Menschen schienen die ungeheuren Opfer an der Front und in der Heimat immer sinnloser, und die innere Geschlossenheit, die das deutsche Volk anfangs gezeigt hatte, wich allmählich entweder der Lethargie oder dem inneren Widerstand. Die Spartakusgruppe, aus der dann 1917 mit der USPD eine radikalere Arbeiterpartei hervorging, fand zunehmend Gehör, was die Novemberrevolution, die 1918 losbrach, das ganz deutlich widerspiegelt.


Der Abfluss von Gold in der "Juli-Krise" ist aber kein Beleg für diese Theorie.

Die Arbeiter hatten keine 20 Mark-Scheine um sie in Gold zu tauschen, das mindestens für eine gewisse Zeit ja nur für den Sparstrumpf taugte.
Eher dafür, dass das Besitz-Bürgertum oder das Großkapital mit einem schiefgehen der "Sache Krieg" rechnete.

Ich könnte mir aber vorstellen, dass dieser Gold-Abfluss seinen Niederschlag in irgendwelchen Untersuchungen der 20erJahre gefunden hat, vielleicht findet jemand von uns eine solche Quelle. Die Reichsbank +-Regierung hat mit dem "Ermächtigungs-Gesetz" ja auch sofort reagiert. (Noch vor Kriegsbeginn!)Mit allen möglichen Tricks wurde in den Kriegsjahren dann der Bevölkerung das Edelmetall aus der Nase gezogen. Das muss einfach zu Publikationen geführt haben. Wer sucht der findet.... Nur wo und wann.

Immer wieder aufs neue muss man feststellen, dass der 2. WK den 1. WK total überdeckt.

Grüüße Repo
 
Die Antikriegsbewegung gehört zum Gründungsmythos der KPD und überall kann man nachlesen, dass Karl Liebknecht im November 1914 im Reichstag gegen die Kriegskredite gestimmt hat. Kein Wort über sein Abstimmungsverhalten am 4. August 1914, die SPD hat aber geschlossen dafür gestimmt. Er wird also auch dafür gestimmt haben.

Karl Liebknecht blieb der Abstimmung am 4. August fern. Bei der Reichstagsfraktionssitzung der SPD am 3. August hatten 78 Abgeordnete für, 14 gegen die Zustimmung zu den Kriegskrediten votiert. Die SPD hatte traditionell geschlossen abgestimmt, Liebknechts Parteidisziplin ging noch so weit, nicht gegen seine Genossen im Reichstag aufzutreten.

Noch am 31. Juli notierte Eduard David, SPD-Abgeordneter des rechten Flügels, in sein Tagebuch, dass er auch eine Stimmenthaltung seiner Fraktion in der Frage der Kriegskredite für möglich halte.

Für diesen Fall erwartete man in der SPD die Verhaftung wichtiger Funktionsträger und das Verbot der Partei. Vorsorglich wurden deshalb schon am 30. Juli Friedrich Ebert und Otto Braun mit der Parteikasse in die Schweiz geschickt.

Am 3. August war Hermann Müller aus Paris zurückgekehrt und gab seinen Genossen bekannt, dass die französischen Sozialisten den bevorstehenden Krieg als legitimen Verteidigungskrieg auffassten und sich auf die Seite ihrer Regierung stellen würden.

Dieter Groh/Peter Brandt: 'Vaterlandslose Gesellen'. Sozialdemokratie und Nation 1860 - 1990, München 1992, S. 158f.
 
Das muss einfach zu Publikationen geführt haben. Wer sucht der findet.... Nur wo und wann.

Vorschläge, die Daten enthalten:
Roesler, Konrad: Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg
Zilch, Reinhold: Die Reichsbank und die finanzielle Kriegsvorbereitung 1907-1914
Deutsche Bundesbank: Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876 - 1975


Daraus ist einiges für diese Angaben entnommen:
http://www.geschichtsforum.de/415177-post17.html

Das Bankensystem verlor in wenigen Tagen fast 1/5 seiner Kundeneinlagen - hinzu kamen die Goldhortung und die Kursstürze. Propagandistisch wurde das auch ausländischen Umtrieben zugeordnet, tatsächlich waren das inländische Effekte.
 
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