Modischer "Ausrutscher" bei Widukind von Corvey?

El Quijote

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In den Res gestae Saxonicae Widukinds von Corvey Liber Tertius, 2 schreibt Widukind:

Der König [Otto I.] aber zog auf Heerfahrt nach Gallien, sammelte sein Heer bei der Stadt Cambrai und beeilte sich, in das Reich Karls einzufallen, um das Unrecht an seinem Schwager Ludwig zu rächen. Als Hugo davon hörte, schickte er eine Botschaft und schwor bei der Seele seines Vaters, der über seine Auflehnung gegen Gott und den König zugrunde gegangen war, dass er über eine so große Streitmacht verfüge, wie sie der König bis dahin noch nie gesehen habe. Und er fügte noch Spott hinzuk, sprach überheblich und aufgeblasen von den Sachsen, dass sie unkriegerisch seien und dass er leicht mit einem Zug sieben Sachsenspeere verschlucken könne. Darauf gab der König die berühmte Antwort: er aber werde eine solche Menge an Strohhüten haben, die er ihm zeigen müsse, wie weder er noch sein Vater je gesehen hätten. Und tatsächlich: Obwohl das Heer sehr groß war, nämlich 32 Legionen, fand sich keiner außer dem Corveyer Abt Bovo mit seinen drei Begleitern, der nicht einen Strohut trug.
Es folgen ein paar Worte zur Herkunft des Abtes Bovo und zum Kloster Corvey (nur in der Corveyer Fassung, in der Fassung für Mathilde II. nicht), dann berichtet Widukind, wie Otto Laon, Paris, Reims und Rouen erobert oder belagert, bis sich Hugo schließlich unterwirft. Von den ominösen Strohhüten oder gar ihrem Sinn ist nicht weiter die Rede.

Der fett markierte Teil im Original:
Ad quod rex famosum satis reddit respoinsum: sibi vero fre tantam multitudinem pilleorum foeninorum quos ei presentari oporteret, quantam nec ipse nec pater suus umquam viderit. et revera, cum esset magnus valde exercitus, XXX scilicet duarum legionum, non est inventus, qui foenino non uteretur pilleo, nisi Corbeius abbas nomine Bovo cum tribus suis sequacibus.
Mir ist leider der Sinn der Stelle vollkommen unklar gebleiben. Hugo und Otto plustern sich voreinander auf, wahrscheinlich um den Gegner zu beeindrucken und davon zu überzeugen, dass eine Schlacht sinnlos ist. Nur: Welchen Schrecken bergen Strohhüte?

Rätselnd,

Quijote
 
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Ich habe mir erlaubt, es einmal durch mein Übersetzungsprogramm zu "jagen"...

Pilleus ist auf jeden Fall eine Art Kappe...

pilleus, pillei = felt cap = Filzkappe
Anm.: Solche Kopfbedeckungen wurden im Imperium Romanum zu den Saturnalien (urspr. 17.12., dann 17. - 23.12. und noch später 17. - 30.12.) getragen, waren später auch Kopfbedeckung freigelassener Sklaven bzw. der Freien (weißt Du ja bereits aus den von Dir angegebenen Links).
Auf Letztgenanntes deutet auch die alternative Bedeutung hin:
pilleus, pillei = freedom, liberty = Freiheit

Ich dachte, pilleus foeninus sei evtl. der Strohhut.

Ohne von der Sprache tiefere Kenntnisse zu haben: Leitest Du dabei foeninorum/foeninus von faenum/foenum (dt. Heu, Stroh) ab, da dieses auch als fenum auftreten kann (so daß die entsprechende Form dann fenorum wäre statt foeninorum)?

Falls ja, erhalte ich per Translatoren: fenum -> fenorum; doch fenorum ergibt sich dabei ebenso aus fenus/fenoris (dt. Vorteil, Gewinn, Bedeutung, Belang, Wichtigkeit), das als foenus/faenus auftreten kann...
Wie geschrieben bin ich alles andere als ein Sprachwissenschaftler oder gar Lateinexperte, aber könnte es dann nicht heißen: "... er aber werde eine solche große Zahl an Filzkappen (ergo "freien Mannen") von Bedeutung haben..." sowie "... dessen Bedeutung die Filzkappe ("freier Mann") in Anspruch nehmen konnte..."?
(da uteretur = enjoy (the friendship of)/(make) use = sich erfreuen an/in Anspruch nehmen/zum Einsatz bringen/aufbringen)
:grübel:

Anm.: Mal angenommen, daß diese Spekulationen von mir halbwegs stimmen, würde dies darauf hindeuten, daß das Heer des Königs zum größten Teil aus Freien bestand, das gegnerische Heer jedoch größtenteils aus Unfreien... Aber wie erwähnt, ist das alles spekulativ...
 
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Hallo Timo,

die Übersetzung Widukinds stammt nicht von mir, sondern von den Herausgebern der Reclam-Ausgabe der Sachsengeschichte.

Deine These hat abgesehen vom sprachlichen Standpunkt, den ich nicht beurteilen möchte, eine Schwäche: Warum sollen ausgerechnet Abt Bovo und seine Begleiter die einzigen Unfreien gewesen sein? Nein, ich glaube Freie/Unfreie passt nicht.
 
@timo;

Deine These von der Bedeutung frei scheint doch zu stimmen. James Westfall Thompson setzt in The Early History of the Saxons as a Field for the Study of German Social Originsin The American Journal of Sociology, Vol. 31, No. 5 (Mar., 1926), pp. 601-616 (nach Popes Link, Danke @pope, musste mir aber den Artikel in der Druckfassung ansehen, da die Zeitschrift in der hiesigen Bib. nur bis 1990 einsichtlich ist), diese Stelle bei Widukind mit einer Stelle aus der Vita Henrici Cuarti in Beziehung, nach welcher Heinrich IV. die Sachsen 1103 angeschrieen haben soll, dass sie zu ihren Feldern zurückkehren sollten. Dies interpretiert er so, dass die Sachsen noch wenig feudalisiert gewesen seien und stattdessen freie Bauern gewesen seien. Damit würde ich die Frage "welche Schrecken bergen Strohhüte" vielleicht damit beantworten, dass freie Männner für sich selber kämpfen und nicht für jemand anderes und deshalb engagierter - was zu beweisen wäre...
 
Ich habe noch einmal etwas nachgegraben und bin dabei auf folgende Abhandlung gestoßen, wo diese Thematik aufgegriffen wird:
http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=974874280&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=974874280.pdf

Auf Seite 165 wird in diesem Kontext auf die agrarii milites im Merseburger Grenzland eingegangen, woraus sich der Zusammenhang ergibt.
Ich war mit meinen "Überlegungen" zwar grob in der Richtung, aber eben doch nicht ganz exakt...

PS: Es kann sein, daß das Herunterladen des PDF etwas dauert - es hat ungefähr 5 MB :fs:
 
„Widukind hebt besonders die die Strohhüte als charakteristische Kopfbedeckung der Bauernkrieger hervor.“
So sieht es J.Fleckenstein, in den „Grundlagen und Beginn der Deutschen Geschichte“ zum Thema Übergang vom Volksheer zum Lehnsheer.
Die Freiherr von Stein Ausgabe der Res Gestae spricht auch von Strohhüten, mit dem Verweis, „dieses Wort ist in der Fassung C ersetzt durch ex culmis contextorum (aus Halmen geflochten), das Wort im lateinischen ist hier „foeninorum“ Der Reclam Vermekr weicht allerdings ab zu den Strohhüten…
Aber egal im Kölner Wallraf-Richartz- Museum ist mir eine Spätmittelalterliche Szene untergekommen, wo einer der Büttel, welche Jesus kreuzigen, einen Strohhut trägt zusammen mit einer Vollplattenrüstung. Sicherlich eine Verballhornung, und nicht realistisch…zumindest in der Kombination. Aber immerhin bekannt im Spätmittlalter.
Ich habe mir einen Hut machen lassen und zumindest mit stumpfen Waffen testen lassen, Hintergrund war ein Biwackwochenende für MA Freikämpfer, wo eigentlich nur Metallhelme zugelassen sind. Jedenfalls habe ich durch die offizielle Sicherheitsprüfung bekommen.
Ergebnis ist eine sehr gute federnde Wirkung, mindesten so gut wie mit Filz, aber dafür im Sommer bestimmt besser zu (er-)tragen.
.
Es ist halt ein fester Hut aus verdrehten circa 1cm starken Strohhalmbündeln, welcher dann zur einer Schneckeverflochen Ein Helmform annimmt
 
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Mal so zum ausholen und modischen Ausrutschern, heute denkt man ja ein König hat eine Krone, in historischen Darstellungen reichen auch einfache Kopfbedeckungen gegenüber KEINER Kopfbedeckung.
Beispiele dafür bieten die vielen Bibeldarstellungen, besonders die heiligen drei Könige sind ein beliebtes Motiv und zu Studium einer Ornat mode

Kölner St. Maria im Kapitol an der Tür 10./11. Jahrhundert verwendet für die hl. drei Könige und Herodes die „Pillbox“:
http://civis.tempus-vivit.net/sindri/Seiten/Maria%20im%20Kapitol.jpg
 
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In den Res gestae Saxonicae Widukinds von Corvey Liber Tertius, 2 schreibt Widukind:


Es folgen ein paar Worte zur Herkunft des Abtes Bovo und zum Kloster Corvey (nur in der Corveyer Fassung, in der Fassung für Mathilde II. nicht), dann berichtet Widukind, wie Otto Laon, Paris, Reims und Rouen erobert oder belagert, bis sich Hugo schließlich unterwirft. Von den ominösen Strohhüten oder gar ihrem Sinn ist nicht weiter die Rede.

Der fett markierte Teil im Original:

Mir ist leider der Sinn der Stelle vollkommen unklar gebleiben. Hugo und Otto plustern sich voreinander auf, wahrscheinlich um den Gegner zu beeindrucken und davon zu überzeugen, dass eine Schlacht sinnlos ist. Nur: Welchen Schrecken bergen Strohhüte?

Rätselnd,

Quijote

LOL!!!!! Widukind als Sachse meint wahrscheinlich keine Kappe eines Freien o.ä., sondern tatsächlich den Strohhut als Sonnenschutz. Und Strohhut trägt Mutti im Garten, der gute Hugo hat die Sachsen unter vielem wohl als "Mädchen" beschimpft und die Sachsen sagen damit, das dem Herrn Hugo jetzt von den "Mädchen" der Arsch versohlt wird! Man demonstriert damit Einigkeit und Verachtung. (Euch machen wir auch noch als Mädchen platt)

Der Schrecken kommt, wenn das erste Treffen gelaufen ist.
 
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Du hast den Thread schon gelesen, oder?
Ja, leider weiß ich nicht, was Widukind über Bovo´s Herkunft schreibt.
Aber wenn die extra erwähnt wird, so dient sie der Erklärung, warum der eben nicht so bekleidet war. Wenn er schreibt, das keiner ausser... so bekleidet war, dann haben auch die Hochadligen so etwas auf dem Kopf, einschließlich Otto. "Strohhüte" gibts in vielen Formen, unter vielen auch den der "Gärtnerin" bzw den, den junge Mädchen am Ende der Ernte zum Tanz tragen.
Diese Form auf dem Kopf von 32 000 sagt:
"Nun, hier sind die Mädchen, lasst uns tanzen."
Wäre die von Euch zitierte Form die übliche "Freienkopfbedeckung" und wäre die Beschimpfung: "Vor Leuten , denen das Stroh schon aus dem Kopf wächst" oder ähnliches so wäre die Antwort "Strohköpfe" gewesen.

Alle mit Strohhelm und ernstem Gesicht ist lange nicht so effektiv wie alle mit "Hut " und dem freundlichen Grinsen im Gesicht. Man sieht den Widukind ja förmlich grinsen wenn er schreibt:" et revera"= " Und tatsächlich" .Den Abt seines Klosters nennt er beim Beinamen ? Bovo = Ochse? und seine Humorlosigkeit erklärt er mit der Herkunft?
 
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Wenn du den Thread etwas aufmerksamer gelesen hättest, wüsstest du, dass der pilleus nicht irgendein Stohhut ist, sondern eine ganz bestimmte Form hatte, und zwar die der phrygischen Mütze. Außerdem wüsstest du, dass er schon einen experimentalarchäologischen Härtetest bestanden hat.

Desweiteren solltest du dir vielleicht noch einmal Gedanken machen a) zum Ausgang der Schlacht und b) zu Widukind Verhältnis zum Herrscherhaus (Verwandter der Königin, Lehrer von Ottos Tochter), dann würdest du c) nicht zu solchen Fehlinterpretationen bezüglich des Namens Bovo und Widukinds Innenleben kommen. Widukind macht sich nicht über Ottto und Bovo lustig, sondern empört, ja echauffiert sich über Hugo.
 
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okay, nach Absturz nochmal
www.wlb-stuttgart.de/index.php?id=3547&set[mets]=http%3A%2F%2Fwww.wlb-stuttgart.de%2Fdigitalisate%2Fcod.bibl.fol.23%2Fmets.xml&set[image]=6&set[zoom]=default&set[style]=
Die Mütze des Reiters im Vordergrund ist die, die ich als "Pudelmütze" bezeichnen würde und von der Ihr als Form, nicht Werkstoff für Pilleus ausgeht. oder?

Ansonsten habe ich mich missverständlich ausgedrückt.

Lese ich den Text oben, erkenne ich die diebische Freude des Widukind über die Taten der Sachsen. Auch mein "Lol!!" hat den gleichen Ursprung. Hugo hat nicht nur den König und die Edlen, nein, er hat mit seinen Spottreden das ganze Heer bis zum letzten Laten schwerst beleidigt. Wenn der König meint, der wird mehr "Strohhüte" sehen, als sein Vater und er je gesehen haben, und alle , bis auf den von Widukind hochgeachteten Abt, setzen sich so etwas auf, war das eine gänzlich unkriegerische, aber leicht herzustellende Kopfbedeckung.

Ich lese Widukind so:
Der König und alle Sachsen haben die Beleidigung angenommen, überzeichnet, und mit dieser Kopfbedeckung den Gegner vom Feld gefegt. Diese Beleidigung war so schlimm, das Widukind nur die Reaktion der Sachsen erwähnt!!

Er bedauert nur, das sein von ihm offensichtlich sehr verehrter Abt bei diesem tollen Streich nicht mitgemacht hat und er entschuldigt das durch die Herkunft und verbittet sich jegliche Assoziation Bovo= was mit Ochsen.

Was ist an "Strohhüten" so schrecklich?

Wenn Du einen "Sachsen" beleidigst, in dem Du ihm eine unpassende und beleidigende Kopfbedeckung andichtest und plötzlich stehen 32 000 davon mit dieser Kopfbedeckung vor Dir und grinsen, nimmt es Dir keiner übel, wenn Du Dich höflich entschuldigst und schnellstens das Weite suchst. Alles andere ist, siehe Hugo und seine Leute, versuchter Selbstmord.
 
Ich weiß, das Thema ist schon alt, aber da es heute in einem anderen Thema verlinkt wurde ...

Nur: Welchen Schrecken bergen Strohhüte?
Wäre es nicht denkbar, dass gar kein unmittelbarer innerer (Kausal-)Zusammenhang zwischen diesen beiden Sätzen besteht?
Darauf gab der König die berühmte Antwort: er aber werde eine solche Menge an Strohhüten haben, die er ihm zeigen müsse, wie weder er noch sein Vater je gesehen hätten. Und tatsächlich: Obwohl das Heer sehr groß war, nämlich 32 Legionen, fand sich keiner außer dem Corveyer Abt Bovo mit seinen drei Begleitern, der nicht einen Strohut trug.
Du scheinst davon auszugehen (bzw. 2006 davon ausgegangen zu sein), dass die Strohhüte als solche Eindruck schinden sollen.
Ich hätte die Stelle aber eher so gelesen:
Im ersten Satz steht "Strohhüte" einfach nur für Mannen, so wie man heutzutage für Menschen mitunter "Köpfe" sagt. Wenn der Strohhut (oder was auch immer pilleus nun konkret bedeuten mag) ein typisches und bekanntes Kleidungsstück der Sachsen war, wäre doch möglich, dass der Ausdruck bloß als eine Art pars pro toto fungieren sollte. Der König wollte also vielleicht nur sagen: Er habe so viele Krieger wie der Gegner und dessen Vater niemals gesehen hätten.
Der zweite Satz soll dann vielleicht lediglich eine Anmerkung sein, dass tatsächlich fast alle Sachsen Strohhüte trugen, und somit des Königs Wortwahl erklären.
 
Genau so würde ich es auch interpretieren: Ein Strohhut - ein Mann, viele Strohhüte - viele Männer.

An den 32 Legionen wage ich zu zweifeln.
 
Der Ausdruck "Legion" sagt nicht viel aus. Bereits in der Spätantike zählte eine Legion nur noch ca. 1000 Mann. Wer weiß, wie viele Männer Widukind unter dem Begriff verstand.
 
An anderer Stelle nutzt er den Begriff für ein Stammesaufgebot. Sonst bedeutete er aber im Mittelalter 1000. Und nicht nur als Stärke militärischer Gliederungen.
 
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